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Perspektive Nord: Zu Theorie und Praxis einer modernen Didaktik der Landeskunde

Beiträge zur 2. Konferenz des Netzwerks «Landeskunde Nord» in Stockholm am 24./25.01.2014

von Christine Becker (Band-Herausgeber:in) Frank Thomas Grub (Band-Herausgeber:in)
©2015 Konferenzband 195 Seiten
Open Access

Zusammenfassung

2012 wurde das Netzwerk-Projekt Landeskunde Nord ins Leben gerufen, dessen Ziel es ist, Forschung und Lehre zur Landeskunde des Deutschen als Fremdsprache, insbesondere in den nordischen Ländern, voranzutreiben. Das vorliegende Buch, Perspektive Nord, knüpft an den 2013 erschienenen Band Landeskunde Nord an und bietet Reflexionen wissenschaftstheoretischer, fachdidaktischer und inhaltlicher Aspekte, die für die Gestaltung der Landeskundelehre bzw. des Landeskundeunterrichts relevant sind. In ihrer Vielfalt sind die hier vorgelegten Konzepte und Ideen vor allem modernen kulturwissenschaftlichen Ansätzen verpflichtet, knüpfen an international geführte Diskussionen an und haben auch deshalb über die nordischen Länder hinaus Bedeutung. Dabei setzen die Autorinnen und Autoren auf autonomes und lebenslanges Lernen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • Regionen des deutschsprachigen Raums als Thema der Landeskunde
  • Zur Relevanz der Fragestellung
  • Regionen als Thema herkömmlicher Landeskunde-Konzepte
  • Von der ‚Region‘ zur ‚alltäglichen Regionalisierung‘: ‚Region‘ als Thema aktueller Fachdiskurse in der Geographie
  • Regionen als kulturelle Muster
  • Fazit und Ausblick
  • Literatur
  • Was gehört zum ‚Kanon‘? Natur(wissenschaften), Technik und Kultur in der Perspektive globalen Lernens im Fach Deutsch als Fremdsprache
  • Einleitung
  • Kanon, Bildungsstandards und globales Lernen
  • Globales Lernen im Fach Deutsch als Fremdsprache
  • Ausgewählte literarische Texte im Kontext von Natur(wissenschaften), Technik und Kultur
  • Schlussbemerkungen
  • Literatur
  • „Ich habe doch eine eigene Reflexion.“ Zur gemeinsamen Konstruktion landeskundlichen Wissens in Online-Diskussionen über Gründungsmythen der Bundesrepublik
  • Einleitung
  • Hintergrundinformationen zum Landeskundeseminar
  • Inhaltliche Ausrichtung des Unterrichts
  • Wahl der Lehr- und Lernform Blended Learning
  • Online-Diskussionen über Gründungsmythen der Bundesrepublik und ihre Bedeutung für die gemeinsame Konstruktion von landeskundlichem Wissen
  • Schlussbemerkungen
  • Literatur
  • Theoria cum praxi? Welche Einblicke in wissenschaftliche Ansätze der Landeskunde und ihrer Bezugsdisziplinen benötigen Studentinnen und Studenten auf grundnivå?
  • Literatur / Bibliographie (in Auswahl)
  • Zum theoretischen Hintergrund
  • Zum praktischen Einsatz in Lehre und Unterricht
  • Kulturbegriff(e), Landeskunde und Fremdsprachenlernen – Definitionen, Konzepte und Entwicklungen
  • 1. Vorbemerkung
  • 2. ‚Kultur‘ und Kulturbegriff
  • 3. ‚Kultur‘ und ‚Zivilisation‘
  • 4. ‚Kultur‘, ‚Landeskunde‘ und Fremdsprachenlernen historisch gesehen
  • 5. Kulturbegriff und Deutsch als Fremdsprache heute
  • 6. ‚Vorurteil‘, ‚Stereotyp‘ und ‚Klischee‘
  • 7. Das Konzept des ‚kulturellen Gedächtnisses‘ und der ‚Erinnerungsorte‘
  • 8. Schlussbemerkungen
  • Zum Weiterlesen
  • Kulturelles Lernen im Unterricht des Deutschen als Fremdsprache am Beispiel des Blended-Learning-Lehrmaterials Berlin – Ort der Begegnung
  • Einleitung
  • Kulturelles Lernen als Entwicklung kultureller Deutungsmuster
  • Kulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht in der digitalen Ära
  • Von der Idee zum Konzept
  • Blended Learning in Berlin – Ort der Begegnung
  • Leben im Schatten der Mauer
  • Diskussion
  • Literatur
  • Was verrät Slam Poetry über Deutschland? – Slam Poetry im Landeskundeunterricht
  • Einleitung
  • Welche Möglichkeiten bietet Slam Poetry für den Landeskunde-unterricht im Bereich Deutsch als Fremdsprache?
  • Die Vermittlung von Landeskunde im Bereich des Deutschen als Fremdsprache
  • Wichtige Aspekte der Slam Poetry für den DaF-Unterricht
  • Zentrale Themen der Slam Poetry
  • Einsatzmöglichkeiten von Slam Poetry an der Háskóli Íslands
  • Zusammenfassung – Schlussbemerkungen
  • Literatur
  • Primärliteratur
  • Sekundärliteratur
  • Chance, Muss oder Spaltpilz? Medizintourismus in Deutschland und Schweden
  • Einleitung
  • Ähnliche Ausgangspunkte – verschiedene Schlüsse
  • Schwedische Gesundheitsdienstleister
  • Medizin + Tourismus = keine Option?
  • Deutsche Erfahrungen
  • Zündstoff für Meinungsaustausch
  • Resümee mit Randvermerk
  • Literatur
  • Sprache als Zugang zu Kultur. Entwurf eines sprachkritisch ausgerichteten Landeskundekurses im Fach Tyska
  • Ausgangspunkte
  • Zum Verhältnis von Kultur und Sprache
  • Sprachkritik und Kultur
  • Umsetzung einer sprachkritischen Herangehensweise in einem Landeskundekurs
  • Hintergründe
  • Ein modifiziertes Curriculum
  • Umsetzung und inhaltliche Aspekte
  • Schlussbemerkungen
  • Literatur
  • Wasserorte und Wasserworte als Beispiel für einen kulturwissenschaftlich orientierten Literaturunterricht
  • Einleitung
  • Rahmenbedingungen
  • Die Konzeption des Seminars Wasserorte und Wasserworte
  • Literatur- und Kulturwissenschaft im Dialog an Wasserorten und in Wasserworten
  • Das Element, das „keine Grenzen kennt“
  • Gewaltsame Naturkraft kontra Rettungsweg – das Meer bei Storm und Andersch
  • Flüsse und die „Identitätsfrage par excellence“ bei von Düffel und Tawada
  • Prüfung
  • Schlussbemerkungen
  • Literatur
  • Autorinnen und Autoren

Vorwort

2012 wurde an der Universität Göteborg das internationale Netzwerk-Projekt Landeskunde Nord ins Leben gerufen. Die Mitglieder des Netzwerks verbindet das Ziel, die universitäre Lehre, aber auch die schulische Vermittlung von Landeskunde in den nordischen Ländern weiterzuentwickeln. Um dies zu erreichen, gilt es nicht zuletzt die mit Forschung und Lehre der Landeskunde an den verschiedenen Standorten im Norden beschäftigten Kolleginnen und Kollegen an einen Tisch zu bringen.

Im Januar 2014 fand an der Universität Stockholm die zweite Netzwerk-Konferenz statt, deren Beiträge erneut von der Vielfalt der Forschungsansätze und Ideen für die Lehre zeugen. Einen Eindruck davon vermittelt der vorliegende Band, der sich allerdings nicht als traditionelle Publikation von Vorträgen versteht, sondern als deren Erweiterung; dies gilt auch für den Kreis der vertretenen Beiträgerinnen und Beiträger.

Mit den hier vorgelegten Texten wird die mit dem ersten Band1 begonnene Bestandsaufnahme fortgesetzt; die Autorinnen und Autoren geben Einblicke in wissenschaftstheoretische, fachdidaktische und inhaltliche Reflexionen, die für die Gestaltung der Landeskundelehre relevant sind. Dabei wird einmal mehr deutlich, dass die Konzepte und Ideen trotz ihrer Heterogenität vor allem von modernen kulturwissenschaftlichen Ansätzen inspiriert sind.

In diesem Sinne bilden die vorliegenden Beiträge auch mögliche Antworten auf die vielerorts gestellte Frage, ob und inwiefern sich die erwähnten theoretischen Ansätze auf die Praxis übertragen lassen, welche Möglichkeiten der Weiterentwicklung sich bieten und welchen Herausforderungen es sich zu stellen gilt. Die Texte haben deshalb – trotz ihrer Orientierung an in den nordischen Ländern geltenden Curricula – auch über diese Region hinaus Bedeutung und schließen unmittelbar an international geführte Diskussionen an.

Claus Altmayer eröffnet den Band und nähert sich dem Konzept der ‚Region‘ aus einer neuen Perspektive. Er versteht Regionen „als spezifische Formen von kulturellen Mustern, die uns als Ressourcen der Weltdeutung und der interaktiv-diskursiven Raumorientierung zur Verfügung stehen.“ Almut Hille präsentiert „Überlegungen zu einem (Bildungs-)Kanon“, die „in Beziehung gesetzt werden ← 7 | 8 → zu Diskussionen um (nationale) Bildungsstandards und das Konzept globalen Lernens.“ Dabei geht sie auch auf literarische Beispiele so unterschiedlicher Schriftsteller wie Raphael Urweider und Elke Heidenreich ein.

Christine Becker beschäftigt sich mit Blended Learning: Anhand empirischer Daten analysiert sie das Potential online geführter Diskussionen für die gemeinsame Konstruktion landeskundlichen Wissens. Frank Thomas Grub gibt eine von sicher vielen möglichen Antworten auf die Frage, mit welchen wissenschaftlichen Ansätzen der Landeskunde und ihrer Bezugsdisziplinen Studentinnen und Studenten in Schweden vertraut sein sollten.

Corina Löwe und Angela Marx Åberg präsentieren das in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Schweden entwickelte Blended-Learning-Lehrmaterial Berlin – Ort der Begegnung und setzen sich mit der Frage auseinander, was die digitale Wende für landeskundliches bzw. kulturelles Lernen bedeutet.

Jessica Guse gibt einen Einblick in den Landeskundeunterricht auf Island, in dessen Rahmen den Studierenden Gegenwartsphänomene in der Bundesrepublik Deutschland mittels Slam Poetry nähergebracht werden. Frank-Michael Kirsch bietet einen so detaillierten wie kritischen Blick auf das Thema ‚Medizintourismus‘. Die besondere Berücksichtigung sowohl Deutschlands als auch Schwedens eröffnet Möglichkeiten für den Einsatz des Textes in der Lehre.

Den Abschluss des Bandes bilden zwei Beiträge, die sich unmittelbar mit curricularen Fragen und deren Umsetzung beschäftigen: Magnus P. Ängsal unterbreitet einen Vorschlag für einen „sprachkritisch ausgerichteten Landeskundekurs im Fach Tyska“ und schlägt somit eine Brücke zwischen Sprachwissenschaft und Landeskunde. Und Linda Karlsson Hammarfelt thematisiert die „Darstellungen der Beziehung des Menschen zum Wasserelement in literarischen Texten“. In ihrer Vorstellung eines exemplarischen Kurses verbindet sie Literaturwissenschaft und Landeskunde miteinander.

An der Durchführung der Konferenz und der Entstehung dieses Bandes waren und sind viele Personen und Einrichtungen beteiligt: Ausgerichtet wurde die Tagung von der Abteilung für Deutsch der Universität Stockholm; der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) bezuschusste Reise- und Übernachtungskosten. Die Druckkosten des vorliegenden Bandes wurden vom Goethe-Institut Schweden und dem DAAD übernommen. Ihnen allen, nicht zuletzt auch den Autorinnen und Autoren der Beiträge, sei herzlich für ihr Engagement und die gute Zusammenarbeit gedankt!

Stockholm, Göteborg und Uppsala im Januar 2015

Christine Becker und Frank Thomas Grub
← 8 | 9 →

                                                   

1    Frank Thomas Grub (Hg.): Landeskunde Nord. Beiträge zur 1. Konferenz in Göteborg am 12. Mai 2012. Frankfurt a.M. 2013 (Nordeuropäische Arbeiten zur Literatur, Sprache und Kultur / Northern European Studies in Literature, Language and Culture, 1).

Claus Altmayer

Regionen des deutschsprachigen Raums als Thema der Landeskunde

Zur Relevanz der Fragestellung

In einem früheren Beitrag zur Diskussion aktueller Konzepte von ‚Landeskunde‘ im Rahmen der skandinavischen Germanistik habe ich Überlegungen zu einer kulturwissenschaftlichen Transformation der herkömmlichen Landeskunde vorgestellt und diskutiert, die von dem häufig auch als ‚cultural turn‘ bezeichneten Paradigmenwechsel innerhalb der Geistes- und Sozialwissenschaften der letzten Jahren ausgeht.1 Dieser Paradigmenwechsel besteht im Wesentlichen darin, dass nicht mehr die vermeintlich objektiven und strukturellen, sondern insbesondere die ideellen und symbolischen Dimensionen menschlichen Handelns ins Zentrum des wissenschaftlichen Interesses rücken. Für die kulturwissenschaftlich transformierte Landeskunde heißt dies, dass nun auch hier nicht mehr die Daten und Fakten über Land und Leute, aber auch nicht mehr das Wissen über und das Verstehen der ‚fremden Kultur‘ im Vordergrund stehen, sondern die Prozesse und Ressourcen der Herstellung und Aushandlung von Bedeutung in der zu erlernenden Sprache. Ziel ist demnach auch nicht mehr primär der Erwerb von Wissen oder die Entwicklung einer wie auch immer zu beschreibenden ‚interkulturellen Kompetenz‘, sondern die Herausbildung der Fähigkeit von Deutschlernenden, an den besagten Formen und Prozessen der diskursiven Aushandlung von Bedeutung zu partizipieren.

Vor dem Hintergrund eines derart radikalen Bruchs mit hergebrachten Konzepten fremdsprachenbezogener Landeskunde mag es vielleicht verwundern, wenn in diesem Beitrag nach Regionen als Gegenständen der Landeskunde und des landeskundlichen Lernens gefragt wird, handelt es sich doch um ein Thema, das man auf den ersten Blick wohl eher im Rahmen sehr herkömmlicher Konzepte von Landeskunde vermuten würde. Denn was kann und soll beim Thema ← 9 | 10 → ‚Regionen‘ anderes verhandelt werden als die klassische Vermittlung von Wissen über eben diese Regionen, ihre geographische Lage, ihre Größe, bestimmte regionaltypische Besonderheiten usw.? Ganz im Gegensatz zu dieser Erwartung möchte ich im Folgenden aber zeigen, dass sich eine kulturwissenschaftliche Landeskunde im oben angedeuteten Sinn dem Thema ‚Regionen‘ aus einer völlig neuen Perspektive nähert, indem sie Regionen gerade nicht mehr als quasi natürlich vorhandene räumliche Gegebenheiten auffasst, sondern als spezifische Formen von kulturellen Mustern, die uns als Ressourcen der Weltdeutung und der interaktiv-diskursiven Raumorientierung zur Verfügung stehen. Um dies plausibel zu machen, werde ich auf aktuelle internationale Diskussionen zum Thema ‚Regionen‘ zurückgreifen, wie sie seit einiger Zeit in der raumbezogenen Leitwissenschaft schlechthin stattfinden: in der Geographie. An einem konkreten Beispiel soll dann abschließend anschaulich gemacht werden, was der neue kulturwissenschaftliche Zugang zum Thema ‚Regionen‘ konkret bedeutet und in welchem Sinn sich dies auch für neue Konzepte eines landeskundlichen bzw. kulturbezogenen Lernens fruchtbar machen lässt.

Regionen als Thema herkömmlicher Landeskunde-Konzepte

Der Begriff ‚Region‘ soll hier zunächst in dem vorwissenschaftlichen allgemeinen und eher weiten Sinn verstanden werden, wie er beispielsweise in der Brockhaus Enzyklopädie definiert wird. Demnach versteht man unter einer ‚Region‘ ein „durch bestimmte Merkmale gekennzeichnetes größeres Gebiet; territoriale Einheit in der Verwaltungsgliederung eines Staates, die je nach Ausgestaltung der Verf.[assung] eine verwaltungstechn.[ische] Untereinheit in einem zentralistisch organisierten Staat sein oder mit eigenen (Selbstverwaltungs)Kompetenzen ausgestattet sein kann“.2 Regionen sollen demnach hier vor allem als territoriale Einheiten unterhalb der nationalstaatlichen Ebene angesehen werden, wobei die in der Brockhaus-Definition angesprochenen verfassungsrechtlichen, verwaltungstechnischen und regionalpolitischen Fragen zumindest vorerst außer Betracht bleiben können. ‚Regionen‘ in diesem Sinn wären also beispielsweise die Bundesländer in Deutschland und Österreich oder die Kantone in der Schweiz, aber auch verwaltungstechnisch und politisch weniger relevante und territorial nicht klar abgrenzbare Gebiete wie der Harz oder die Lausitz in Deutschland oder das Drei-Seen-Land in der Schweiz. Auch neuere regionale Zuordnungen, die die nationalstaatlichen Grenzen überschreiten wie die Region Oberrhein im ← 10 | 11 → deutschen Südwesten oder der ‚Saar-Lor-Lux-Raum‘ im Grenzgebiet zwischen Deutschland, Frankreich (Lothringen – Lorraine) und Luxemburg, wären hier zu nennen.

Im Themenkanon traditioneller Landeskunde-Konzepte hatten und haben Regionen im genannten Sinn ihren angestammten Platz, zweifellos auch dadurch bedingt, dass es sich bei ‚Landeskunde‘ wie bei ‚Regionen‘ um ursprünglich geographische Begriffe handelt und die Landeskunde demnach nicht zuletzt auch geographische Einheiten wie eben Regionen zum bevorzugten Thema machen muss. Versteht man nämlich unter ‚Landeskunde‘ die Vermittlung von Wissen über das Land, in dem die zu erlernende Sprache gesprochen wird, dann gehört Wissen über ‚Land‘, ‚Landschaften‘, ‚Regionen‘ wohl zweifellos dazu. Ein Blick in die einem solchen wissensvermittelnden Konzept verpflichteten Lehrwerke zeigt, dass der regionalen Aufteilung und der regionalen Spezifik des deutschsprachigen Raums tatsächlich gebührende Aufmerksamkeit geschenkt wird. So werden beispielsweise in dem 2014 in 9. Auflage erschienenen Lehrwerk Landeskunde Deutschland. Von der Wende bis heute von Renate Luscher die deutschen Bundesländer unter geographischen, historischen, sozialen und kulturellen Aspekten einzeln und ausführlich dargestellt;3 und auch in dem den gesamten deutschsprachigen Raum einbeziehenden Band Dreimal Deutsch von Ute Matecki spielen landschaftliche und regionale Gesichtspunkte aller drei deutschsprachigen Länder, wenn auch vorrangig aus einer touristischen Perspektive, eine wichtige Rolle.4

Mit der seit den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts einsetzenden Neuorientierung der Landeskunde an kommunikativen und interkulturellen Lernzielen ist allerdings ein drastischer Rückgang des allgemeinen Interesses an den geographischen und regionalen Aspekten des ‚Landes‘ zugunsten insbesondere von pragmatisch-alltagssituativen und kulturbezogenen Inhalten zu verzeichnen. Aufgabe der Landeskunde, so hieß es beispielsweise in den ABCD-Thesen zur Rolle der Landeskunde im Deutschunterricht von 1990, sei „nicht die Information, sondern Sensibilisierung sowie die Entwicklung von Fähigkeiten, Strategien und Fertigkeiten im Umgang mit fremden Kulturen“.5 Mit der Integration insbesondere sprachhandlungsrelevanter alltagskultureller Aspekte in ← 11 | 12 → den Sprachunterricht aber erfährt der klassische Themenkanon der herkömmlichen Landeskunde eine deutliche Verschiebung. An die Stelle der Information über Politik, Geschichte, Geographie, Wirtschaft und Kultur eines Landes treten jetzt alltagskulturell-kommunikative Themen, wie sie z. B. von Neuner aus dem ethnologischen Konzept der elementaren Grunddaseinsfunktionen abgeleitet wurden: Familie, soziale Beziehungen, Wohnen, Arbeit und Freizeit, Mobilität usw.6 Damit aber – dies zeigt schon ein flüchtiger Blick in aktuelle Lehrwerke für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache – tritt das Thema ‚Regionen‘ auch als Gegenstand des Deutschunterrichts und in der Gestaltung von Lehr- und Lernmaterialien deutlich in den Hintergrund, weil dem Thema offenbar nur eine geringe Relevanz für das sprachlich-kommunikative Handeln in Alltagssituationen zuerkannt wird.

Details

Seiten
195
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653052404
ISBN (ePUB)
9783653972061
ISBN (MOBI)
9783653972054
ISBN (Hardcover)
9783631660126
DOI
10.3726/978-3-653-05240-4
Open Access
CC-BY-NC-ND
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (März)
Schlagworte
Kulturwissenschaften regionale Perspektive Deutsch als Fremdsprache
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 195 S., 2 s/w Abb.

Biographische Angaben

Christine Becker (Band-Herausgeber:in) Frank Thomas Grub (Band-Herausgeber:in)

Christine Becker studierte Literaturübersetzen und Deutsch als Fremdsprache an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Seit 2007 universitetsadjunkt an der Universität Stockholm, seit 2012 Doktorandin ebd. und an der Justus-Liebig-Universität Gießen zu landeskundlichem Lernen in Blended-Learning-Szenarien. Frank Thomas Grub studierte Germanistik, Romanistik und Deutsch als Fremdsprache an der Universität des Saarlandes. 2003 Promotion über «Wende» und «Einheit» im Spiegel der deutschsprachigen Literatur ebd., 2012 docent i tyska an der Universität Göteborg. Universitetslektor an den Universitäten Göteborg und Uppsala.

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Titel: Perspektive Nord: Zu Theorie und Praxis einer modernen Didaktik der Landeskunde
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