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Die Zulassung von Parteien zur Bundestagswahl

von Martin Jäger (Autor:in)
©2021 Dissertation 220 Seiten

Zusammenfassung

Intendiert eine Partei, an einer Bundestagswahl teilzunehmen und ist bisher erst begrenzt politisch in Erscheinung getreten, muss sie beim Bundeswahlleiter eine Beteiligungsanzeige einreichen. Damit begehrt sie die Feststellung der Parteieigenschaft durch den Bundeswahlausschuss und somit die Zulassung zur Wahl.
Der Autor untersucht erstmals umfassend dieses Zulassungsverfahren nicht-etablierter Parteien. Er betrachtet die Arbeit des Bundeswahlausschusses, der hauptsächlich aus Vertretern etablierter Parteien besteht, sowie den Rechtsbehelf der Nichtanerkennungsbeschwerde, mit dem seit 2012 gegen die Nichtzulassung vorgegangen werden kann.
Er hat eine Muster-Beteiligungsanzeige entwickelt und weitere Vorschläge vorgelegt, durch die das Verfahren an Transparenz und Nachvollziehbarkeit gewinnt

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Kapitel 1 Aufgabenstellung und Gang der Untersuchung
  • § 1 Einführung
  • A. Anlass der Untersuchung
  • B. Der Bundeswahlausschuss, die Beteiligungsanzeige und die Nichtanerkennungsbeschwerde als Schwerpunkte dieser Arbeit
  • C. Stand der Forschung
  • § 2 Gang der Untersuchung
  • Kapitel 2 Der Bundeswahlausschuss im Mittelpunkt der Wahlorganisation
  • § 1 Die besonderen Organe der Wahlorganisation
  • A. Der Bundeswahlausschuss
  • B. Der Bundeswahlleiter
  • § 2 Verfassungsrechtliche Stellung des Bundeswahlausschusses
  • A. Die Selbstorganisation des Wahlvolkes als Ausgangspunkt
  • B. Der Bundeswahlausschuss als Behörde
  • C. Der Bundeswahlausschuss als ambivalentes Gremium zwischen staatlichem und verwaltungsrechtlichem Handeln
  • D. Conclusio zur Rechtsnatur des Bundeswahlausschusses
  • § 3 Personelle Zusammensetzung des Bundeswahlausschusses
  • A. Die normativen Grundlagen der Zusammensetzung
  • I. § 9 BWahlG als Grundnorm der Zusammensetzung
  • II. Das Berücksichtigungsrecht der politischen Parteien
  • III. Die Ernennung von Richtern des Bundesverwaltungsgerichts als weitere Mitglieder
  • IV. Die Konstituierung des Bundeswahlausschusses
  • B. Die Zusammensetzung des Bundeswahlausschusses im Verhältnis zum Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl
  • I. Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl als ernennungsleitender Faktor
  • II. Die konkrete Zusammensetzung des Bundeswahlausschusses
  • § 4 Maßgebliche Arbeitsvorschriften des Bundeswahlausschusses
  • A. Die Pflicht der Beisitzer zu Unparteilichkeit, Verschwiegenheit und Unabhängigkeit
  • B. Die Öffentlichkeit der Sitzungen
  • C. Die Mehrheitsverhältnisse bei Abstimmungen
  • D. Sonstige Arbeits-​ und Verfahrensvorschriften
  • Kapitel 3 Die Wahlzulassungsentscheidung durch den Bundeswahlausschuss
  • § 1 Die Beteiligungsanzeige als Auftakt zur Wahlteilnahme
  • A. Die sukzessive Etablierung der Beteiligungsanzeige nach der Wahl zum 1. Deutschen Bundestag
  • I. Die Wahl zum 1. Deutschen Bundestag ohne besondere Wahlzulassung
  • II. Die Einführung des Wahlvorschlagsrechts als Vorläufer der Beteiligungsanzeige
  • III. Die Einführung der Beteiligungsanzeige im Jahr 1964
  • B. Die einzelnen Voraussetzungen der Beteiligungsanzeige
  • I. Die formellen Voraussetzungen der Beteiligungsanzeige
  • 1. Name der Partei und Unterschrifterfordernis
  • 2. Anlagen zur Beteiligungsanzeige
  • a) Satzung
  • b) Programm
  • c) Nachweis über die Vorstandswahl
  • d) Nachweise über die Parteieigenschaft
  • 3. Form und Frist der Beteiligungsanzeige
  • II. Die materiellen Voraussetzungen der Beteiligungsanzeige: Nachweise über die Parteieigenschaft
  • 1. Der Parteibegriff des § 2 Abs. 1 PartG als Anknüpfungspunkt der Parteieigenschaft
  • 2. Die strukturelle Organisation der Vereinigung
  • a) Vereinigung von Bürgern
  • b) Teilnahme an Wahlen
  • c) Inlandsorientierung
  • 3. Die Mitwirkung an der politischen Willensbildung als Willenselement
  • 4. Die Gewährleistung der Ernsthaftigkeit der Zielsetzung
  • a) Der Umfang und die Festigkeit der Organisation
  • aa) Die Vereinssatzung als Anhaltspunkt
  • bb) Das Vorhandensein von Landesverbänden, einer Geschäftsstelle und weiteren Gliederungen
  • b) Die Zahl der Mitglieder
  • c) Das Hervortreten in der Öffentlichkeit
  • III. Zusammenfassung
  • C. Tatsächliche Antragsstellung der Vereinigung als Auftakthandlung zur Wahlteilnahme
  • § 2 Prüfung der Beteiligungsanzeige durch den Bundeswahlleiter
  • A. Die Entgegennahme und Vorprüfung der Beteiligungsanzeige
  • B. Die Vorprüfung im Einzelnen
  • I. Die Prüfung der formellen Voraussetzungen
  • II. Die Prüfung der materiellen Voraussetzungen
  • III. Die Vorprüfung des Bundeswahlleiters in der Praxis
  • 1. Der Prüfvermerk des Bundeswahlleiters als Entscheidungsgrundlage des Bundeswahlausschusses
  • 2. Ein Vergleich der Vorprüfungspraxis zu den Bundestagswahlen 2013 und 2017
  • IV. Der Abschluss der Vorprüfung
  • § 3 Wahlzulassung durch den Bundeswahlausschuss
  • A. Die Einladung zur Sitzung des Bundeswahlausschusses
  • B. Die Eröffnung der Sitzung und Präliminarien
  • I. Die Feststellung der ordnungsgemäßen Ladung, zur Öffentlichkeit, den Abstimmungsmehrheiten und zum Protokoll
  • II. Die Kontrolle der Anwesenheit der Beisitzer und der Beschlussfähigkeit
  • III. Die Abstimmung über den Entwurf zur Tagesordnung
  • IV. Die Bestellung von Schriftführern
  • V. Die Verpflichtung der Beisitzer auf ordnungsgemäße Ausübung ihres Amtes
  • C. Die Entscheidung des Bundeswahlausschusses über die Beteiligungsanzeige gemäß § 18 Abs. 4 BWahlG
  • I. Der Bericht über die Vorprüfung des Bundeswahlleiters
  • II. Die Anhörung der Antragssteller und das Fragerecht der Beisitzer
  • III. Die Entscheidung über die Beteiligungsanzeige
  • IV. Die Begründung der (ablehnenden) Entscheidung
  • § 4 Rechtsfolge der Entscheidung über die Beteiligungsanzeige
  • Kapitel 4 Die Wahlzulassung im verfassungsrechtlichen Kontext
  • § 1 Ernennung des Bundeswahlleiters
  • A. Die Ernennung des Bundeswahlleiters durch das Bundesministerium des Innern
  • B. Kritische Würdigung der bisherigen Ernennungspraxis
  • I. Verfassungsrechtliche Grundsätze der Ernennung
  • II. Kritik aus dem Schrifttum
  • III. Stellungnahme
  • C. Eigener rechtspolitischer Reformvorschlag
  • § 2 Ernennung der Beisitzer im Bundeswahlausschuss
  • A. Die Entscheidungsgrundlagen und Grenzen der Ernennung
  • I. Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl als limitierender Faktor
  • II. Der Grundsatz der Bestenauslese als limitierender Faktor
  • III. Der Normzweck des § 9 Abs. 2 BWahlG als limitierender Faktor
  • 1. Die Bestimmung des Zwecks des § 9 Abs. 2 BWahlG mittels historischer Auslegung
  • 2. Die Bestimmung des Zwecks des § 9 Abs. 2 BWahlG mittels systematischer Auslegung
  • 3. Die Bestimmung des Zwecks des § 9 Abs. 2 BWahlG mittels teleologischer Auslegung
  • B. Die rechtstatsächliche Bewertung der Ernennungspraxis
  • I. Die mangelnde Berücksichtigung der fachlichen Eignung der Beisitzer
  • II. Das faktische Besetzungsmonopol der etablierten politischen Parteien
  • III. Die fehlende Transparenz der Ernennungspraxis
  • C. Eigene rechtspolitische Reformvorschläge
  • I. Sicherstellung der ausgewogenen Ernennung von Beisitzern im Bundeswahlausschuss
  • 1. Vorschlag: Die Einführung einer Rotationspflicht der Beisitzer
  • 2. Vorschlag: Die Stärkung der Pluralität des Bundeswahlausschusses
  • a) Konkreter Reformvorschlag
  • b) Vergleichbare Ansätze
  • c) Fazit
  • II. Die Einführung wahlrechtsspezifischer Befangenheitsregeln
  • 1. Anwendbarkeit der §§ 20 ff. VwVfG
  • 2. Analoge Anwendung von Befangenheitsregeln
  • 3. Konkreter Reformvorschlag für wahlrechtsspezifische Befangenheitsregeln
  • III. Die Einführung einer Bekanntgabepflicht über die Ernennung der Beisitzer
  • § 3 Chancengleichheit innerhalb der Wahlzulassung
  • A. Möglicher Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit
  • I. Schutzbereich
  • II. Gemeinsame Vergleichsgruppe
  • III. Tatsächliche Ungleichbehandlung
  • IV. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung
  • 1. Der verfassungsrechtliche Rahmen der Rechtfertigungsprüfung
  • a) Art. 21 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1, 38 Abs. 1 GG als limitierender Faktor
  • b) Die Willkürformel als Grenze der Rechtfertigung von Grundrechtseinschränkungen
  • c) Die „Neue Formel“ als Erweiterung der Willkürformel und Rechtfertigungsgrenze
  • d) Die Zusammenführung der Willkürformel und der „Neuen Formel“ in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
  • 2. Rechtfertigung der Differenzierung in etablierte und nicht-​etablierte Parteien
  • a) Legitimer Zweck
  • aa) Die Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Parlamentes als legitimer Zweck
  • bb) Die Beibehaltung der Übersichtlichkeit der Wahl als legitimer Zweck
  • b) Geeignetheit
  • c) Erforderlichkeit
  • aa) Die Beibringung von Unterstützungsunterschriften als milderes Mittel
  • bb) Die Fünfprozentklausel als milderes Mittel
  • cc) Die Objektivierung der Feststellung der Parteieigenschaft als milderes Mittel
  • d) Angemessenheit
  • aa) Die Wirkung der Beteiligungsanzeige im Vergleich zum verfolgten Schutzziel
  • bb) Die Differenzierung zwischen politischen Vereinigungen im Vergleich zu weiteren Zulassungsbeschränkungen
  • cc) Eine rechtstatsächliche Analyse der Möglichkeiten der Einflussnahme von Kleinstparteien
  • 3. Ergebnis
  • B. Eigener rechtspolitischer Reformvorschlag
  • I. Die Einführung einer allgemeinen Parteienregistrierung
  • II. Die vollständige Aufhebung des § 18 BWahlG
  • III. Die Verpflichtung zum Einreichen einer Beteiligungsanzeige für alle politischen Vereinigungen
  • § 4 Überblick zu weiteren Unstimmigkeiten der Wahlzulassung
  • Kapitel 5 Die Nichtanerkennungsbeschwerde
  • § 1 Schutzzweck des Wahlrechtsschutzes
  • A. Der Begriff und Inhalt der nachgängigen Wahlprüfung
  • B. Der Schutzzweck der nachgängigen Wahlprüfung
  • I. Der Schutzzweck der nachgängigen Wahlprüfung in der Rechtsprechung und im Schrifttum
  • II. Andere Rechtsschutzmöglichkeiten zur Durchsetzung des Begehrens
  • § 2 Historie und Voraussetzungen der Nichtanerkennungsbeschwerde
  • A. Der Weg zum Schutz des subjektiven Wahlrechts durch das Gesetz zur Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahlsachen
  • I. Die fortwährenden Forderungen im Schrifttum nach besserem Rechtsschutz
  • II. Die Kritik der OSZE/​BDIMR zum fehlenden Rechtsschutz in der Wahlvorbereitung
  • 1. Exkurs: Die Praxis der internationalen Wahlbeobachtung
  • a) Die historische Institutionalisierung der Wahlbeobachtung
  • b) Die verschiedenen Arten der Wahlbeobachtung durch die OSZE
  • 2. Die Wahlbeobachtung zur Bundestagswahl im Jahr 2009
  • a) Erste Phase: Die Bedarfsermittlung
  • b) Zweite Phase: Die Wahlbewertungsmission
  • III. Die Einführung der Nichtanerkennungsbeschwerde als Folge der Wahlbeobachtung
  • IV. Die Resonanz im Schrifttum zur Einführung der Nichtanerkennungsbeschwerde
  • V. Das Verhältnis der Nichtanerkennungsbeschwerde zur nachgängigen Wahlprüfung
  • B. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Nichtanerkennungsbeschwerde
  • I. Zulässigkeit
  • 1. Rechtsgrundlage
  • 2. Beschwerdefähigkeit
  • 3. Beschwerdegegenstand
  • 4. Beschwerdebefugnis
  • 5. Frist, Form und Begründungserfordernis
  • 6. Rechtsschutzinteresse
  • II. Anhörung des Bundeswahlausschusses
  • III. Begründetheit
  • 1. Vorliegen einer mangelfreien Beteiligungsanzeige
  • 2. Materielle Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts
  • 3. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Parteieigenschaft
  • IV. Aus der Praxis: Empirische Befunde über die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
  • § 3 Kritik hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung
  • A. Die Zuweisung der Streitigkeit zum Bundesverfassungsgericht
  • B. Eine zu kurze Beschwerdefrist der Nichtanerkennungsbeschwerde
  • I. Fristen in anderen verfassungsrechtlichen Verfahren
  • II. Fristen in weiteren Rechtsgebieten
  • III. Fazit
  • Kapitel 6 Zusammenfassung und Fazit
  • Literaturverzeichnis
  • Anhang
  • Anlage 1: Übersicht der Bundeswahlleiter und Beisitzer im Bundeswahlausschuss von 1957 bis 2020
  • Anlage 2: Muster-​Beteiligungsanzeige

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Kapitel 1 Aufgabenstellung und Gang der Untersuchung

§ 1 Einführung

A. Anlass der Untersuchung

Am 24. Mai 2012 hat der Deutsche Bundestag über den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 93)“1, den „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahlsachen“2 und den „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Rechtsschutzes im Wahlrecht durch Einführung der Sonneborn-​Regelung“3 beraten und die sogenannte Nichtanerkennungsbeschwerde als Rechtsbehelf eingeführt.4 Damit haben politische Vereinigungen, die bisher nicht im Deutschen Bundestag oder einem Landtag vertreten sind, aber an einer Bundestagswahl teilnehmen möchten, jedoch nicht zur Wahl zugelassen wurden, eine Beschwerdemöglichkeit bekommen. Prof. Dr. Günter Krings (CDU) eröffnete die Aussprache im Plenum des Deutschen Bundestags mit den Worten, dass es „ein guter Tag für das Wahlrecht in Deutschland“ sei.5

Die Nichtanerkennungsbeschwerde ist jedoch nur ein kleines Puzzleteil innerhalb eines formal ausgestalteten Wahlzulassungssystems. Die Einführung des Rechtsbehelfs wird zum Anlass genommen, das Verfahren der Wahlzulassung von Parteien im Gesamten in den Blick zu nehmen.

Ausgangspunkt der Wahlzulassung ist das Wahlvorschlagsrecht als Grundpfeiler der Wahl. Wahlvorschlagsberechtigt sind Parteien und Wahlberechtigte, wobei Parteien privilegiert werden (§ 18 BWahlG). Parteien dürfen, im Gegensatz zu normalen Wahlberechtigten, Landeslisten einreichen und somit am Zweitstimmenausgleich teilnehmen (vgl. § 27 BWahlG).

Trotz oder gerade wegen dieser Privilegierung nimmt das Bundeswahlgesetz eine weitere Differenzierung beim Wahlvorschlagsrecht der Parteien vor. Parteien, die im Deutschen Bundestag oder einem Landtag seit deren letzter Wahl nicht aufgrund eigener Wahlvorschläge ununterbrochen mit mindestens fünf ←17 | 18→Abgeordneten vertreten waren (sogenannte nicht-​etablierte Parteien), müssen ihre Beteiligung an der Wahl schriftlich anzeigen (§ 18 Abs. 2 BWahlG). Hierbei handelt es sich um die sogenannte Beteiligungsanzeige. Die im Deutschen Bundestag oder einem Landesparlament vertretenen Parteien (sogenannte etablierte Parteien) müssen hingegen keine Beteiligungsanzeige einreichen.

Das Beteiligungsanzeigeverfahren ist Teil der Wahlvorbereitung, die durch die besonderen Wahlorgane organisiert wird. Für das Bundesgebiet sind dies der Bundeswahlleiter6 (§ 8 Abs. 1 Alt. 1 BWahlG) und der Bundeswahlausschuss (§ 8 Abs. 1 Alt. 2 BWahlG). Darunter finden sich auf Landesebene die Landeswahlleiter und -​ausschüsse, auf Wahlkreisebene die Kreiswahlleiter und -​ausschüsse und für jeden Wahlbezirk die Wahlvorsteher und der Wahlvorstand. Durch die Entscheidungen und Maßnahmen dieser besonderen Wahlorgane wird die ordnungsgemäße Durchführung der Wahl zum Deutschen Bundestag, an der im Jahr 2017 insgesamt 61,5 Millionen wahlberechtigte Bürger teilnehmen durften, gewährleistet.7

Ein Blick in die juristische Literatur offenbart, dass die Wahlvorbereitung, trotz ihrer Wichtigkeit und Komplexität, wenig aufgearbeitet worden ist. Die Zahl der Diskussionsbeiträge liegt –​ soweit ersichtlich –​ im niedrigen zweistelligen Bereich und handeln, meist in Aufsatzform, nur einzelne Themenbereiche ab.8

Dies überrascht, denn schnell öffnet sich bei näherer Betrachtung ein vielfältiger Strauß nicht oder nur wenig diskutierter Rechtsfragen und auf den ersten Blick teils fragwürdiger Handhabungen in der Wahlvorbereitung. Dies beginnt bereits bei der Zusammensetzung der Wahlorgane. So wird beispielsweise der Bundeswahlleiter nach ständiger Staatspraxis vom politisch geführten Bundesministerium des Innern ernannt.9

Weiterhin ist der Bundeswahlausschuss historisch nur mit Vertretern von Parteien besetzt, die sodann über die Zulassung konkurrierender Vereinigungen entscheiden, es existieren keinerlei Befangenheitsregelungen für die Mitglieder des Bundeswahlausschusses und die Beteiligungsanzeige muss eben nur von den nicht-​etablierten Kleinstparteien eingereicht werden.

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Zudem war wahlrechtlicher Rechtsschutz bis zum Jahr 2012 nur äußerst begrenzt möglich, und gegen die Entscheidungen des Bundeswahlausschusses gab es keine konkrete Rechtsschutzmöglichkeit. Diesem Zustand wurde abgeholfen, indem die Nichtanerkennungsbeschwerde eingeführt wurde. Mit dieser kann gegen die Nichtanerkennung als Partei noch vor dem Wahltag vorgegangen werden. Der Rechtsbehelf ist bisher allerdings noch weitestgehend unerforscht.

B. Der Bundeswahlausschuss, die Beteiligungsanzeige und die Nichtanerkennungsbeschwerde als Schwerpunkte dieser Arbeit

Im Fokus der Wahlzulassung nicht-​etablierter Parteien zur Wahl zum Deutschen Bundestag steht die Beteiligungsanzeige. Dies ist eine förmliche Anzeige, die das Begehren nicht-​etablierter Parteien, Wahlvorschläge bei einer Wahl einreichen zu wollen, ausdrückt. Sie hat formelle und materielle Voraussetzungen und dient verschiedenen Zwecken. Vordringlich soll mit ihr eine Abgrenzung zwischen politischer Vereinigung (der kein Wahlvorschlagsrecht zukommt) und politischer Partei (der ein Wahlvorschlagsrecht zukommt) ermöglicht werden. Weiterhin wird durch sie Klarheit hinsichtlich aller Wahlbeteiligten geschaffen. Da die Pflicht zum Einreichen der Beteiligungsanzeige allerdings nur die nicht-​etablierten Parteien trifft, haben diese einen direkten Nachteil gegenüber allen etablierten Parteien. Die Wahlteilnahme ist ihnen erst nach positiver Feststellung des Bundeswahlausschusses möglich. Etablierte Parteien werden hingegen ohne besondere Anzeige zur Wahl zugelassen.

Im vorstehend skizzierten Beteiligungsanzeigeverfahren tritt der Bundeswahlausschuss erstmalig in Erscheinung, indem er über den Erfolg der eingereichten Beteiligungsanzeigen zu entscheiden hat. Konkret muss er darüber befinden, welche politischen Vereinigungen die –​ wohl fließende –​ Grenze zur Partei überwunden haben und in den Genuss der Parteiprivilegien, also des Wahlvorschlagsrechts und des Rechts zum Einreichen von Landeslisten (§ 27 BWahlG), kommen. Anknüpfungspunkt ist die Parteieigenschaft. Die Feststellung wird vor allem auf Grundlage materiell-​rechtlicher Tatsachen vorgenommen: Die antragstellende Vereinigung muss darlegen, ob sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit, eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzung bietet (§ 2 Abs. 1 PartG).

Die Entscheidung des Bundeswahlausschusses kann nur alternativ ausfallen. In der ersten Entscheidungsalternative wird die antragstellende Vereinigung als Partei im Sinne des Parteiengesetzes anerkannt. Die Partei kann sich dann ←19 | 20→vollumfänglich dem Wahlkampf widmen. Problematischer erscheint hingegen die zweite Entscheidungsalternative: die Nichtanerkennung der politischen Vereinigung als Partei. Die konkrete Rechtsfolge ist, dass die antragstellende Vereinigung keine Wahlvorschläge einreichen darf und ihr weiterhin die Aufstellung einer Landesliste, somit auch die Berücksichtigung beim Zweitstimmenausgleich, verwehrt bleibt.

Die erste –​ juristisch denklogische –​ Überlegung ist, gegen die Entscheidung des Bundeswahlausschusses Rechtsschutz zu suchen. Lange Zeit aber sahen weder das Grundgesetz noch das Bundeswahlgesetz oder die Bundeswahlordnung ein entsprechendes Verfahren vor. Das einzige Rechtsmittel im Wahlverfahren stellte die Wahlprüfungsbeschwerde zum Deutschen Bundestag dar, gegen dessen ablehnende Entscheidung die Wahlanfechtung vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig gemacht werden konnte (Art. 41 Abs. 3 GG). Dem Verfahrensgegenstand nach soll die Wahlprüfungsbeschwerde aber die Kontrolle der ordnungsgemäßen Zusammensetzung des Parlaments im Nachgang der Wahl sicherstellen.10 Ziel einer nicht anerkannten Vereinigung ist jedoch die Zulassung vor und nicht nach der Wahl. Die Wahlprüfungsbeschwerde zielt in ihrer konkreten Ausgestaltung also auf etwas anderes als das Begehren der nicht anerkannten Vereinigung ab. Weiterhin kann das Wahlprüfungsverfahren nur dann erfolgreich sein, wenn ein mandatsrelevanter Fehler festgestellt wird. Demzufolge müsste die Vereinigung also geltend machen, dass sie mindestens ein Parlamentsmandat errungen hätte, wenn sie anerkannt worden wäre. Ebenso müsste sie einen kausalen Zusammenhang zwischen der Nichtanerkennung und dem fehlenden Mandat herstellen. Diese Mandatsrelevanz nachzuweisen, wird in den meisten Fällen nicht möglich sein. Andere Rechtsschutzmöglichkeiten gegen eine ablehnende Entscheidung durch den Bundeswahlausschuss sind nicht statthaft (§ 49 BWahlG).

Erst mit dem eingangs erwähnten „Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 93)“11 und dem „Gesetz zur Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahlsachen“ 12 ist eine Möglichkeit der Beschwerde geschaffen worden. Dies war die „Geburtsstunde“ der Nichtanerkennungsbeschwerde. Die Nichtanerkennungsbeschwerde fand seit ihrer Einführung in das Grundgesetz bei zwei Wahlen zum Deutschen Bundestag –​ namentlich der Bundestagswahl 2013 und der ←20 | 21→Bundestagswahl 2017 –​ Anwendung.13 Mit der Einführung der Nichtanerkennungsbeschwerde hat sich der Gesetzgeber entschieden, den nicht anerkannten politischen Vereinigungen einen vorgängigen Rechtsbehelf zur Verfügung zu stellen. Damit hat er den Rechtsschutz verbessert und versucht, mehr Rechtsklarheit im Vorfeld von Wahlen zu schaffen.

C. Stand der Forschung

Wenngleich das Bundeswahlgesetz seit über 70 Jahren die Grundlage der Konstituierung des Deutschen Bundestags ist, handelt es sich bei wahlrechtlichen Fragestellungen nicht um „juristische Dauerbrenner“. Gesellschaftliche Diskurse sind schmal gesät. Die aktuell in Gesellschaft und Politik stattfindende Debatte über eine Wahlrechtsreform hat ihren Ursprung in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts14, und es scheint, als sollte nur die Überhangmandatsproblematik geändert werden.15

Den Bundeswahlausschuss, den Bundeswahlleiter und die Nichtanerkennungsbeschwerde betreffende Literatur ist nur in sehr überschaubarer Zahl vorhanden. Der Kommentar zum Bundeswahlgesetz von Wolfgang Schreiber16 ist bereits in der 10. Auflage erschienen, widmet sich am eingängigsten allen wahlrechtlichen Normen und den sich aus der Praxis ergebenden Problemen und ist das Standardwerk zum Wahlrecht. Als Kommentar zum Bundeswahlgesetz ist ebenso das Werk von Knut Engelbrecht anzuführen.17 Ein Kommentar von Enno Boettcher, Reinhard Högner und Joachim Schweinoch stammt aus dem Jahr 1990 ←21 | 22→und ist, genau wie der Kommentar von Manfred Pointner18 aus dem Jahr 1980, mittlerweile veraltet und berücksichtigt nicht den aktuellen Diskussionsstand.

Eine einschlägige, aber bereits aus dem Jahr 1959 stammende Monographie von Klaus Otto Nass beschäftigt sich unter anderem mit dem Bundeswahlleiter, dem Bundeswahlausschuss und den Wahlorganen auf Landes-​, Wahlkreis-​ und Wahlbezirksebene, umfasst die Beteiligungsanzeige aber überhaupt nicht.19 Am Rande haben sich Jan Köhler20, David Nikolai Rauber21 und Peter Uhlmann22 in ihren jeweiligen Dissertationen mit dem wahlrechtlichen Rechtsschutzsystem auseinandergesetzt; diese Arbeiten haben allerdings allesamt eine andere Schwerpunktsetzung.

Die gängige Kommentarliteratur zum Grundgesetz und dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz gibt Aufschluss über das Verfahren der Nichtanerkennungsbeschwerde. Kommentierungen finden sich von Lars Bechler23, Christian von Coelln24, Steffen Detterbeck25, Benedikt Grünewald26, Andreas Haratsch27 , Axel Hopfauf28, Hans Lechner und Rüdiger Zuck29, Christofer Lenz und Ronald Hansel30, Gerd Morgenthaler31, Bodo Pieroth32, Andreas Voßkuhle33, Christian Walter34, Joachim Wieland35 und Heinrich Amadeus Wolff36. Zuletzt sei auch auf ←22 | 23→die, wenngleich eher kurze, Kommentierung von Karin Graßhof im Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verwiesen.37

In fachwissenschaftlichen Zeitschriften finden sich nur vereinzelt Beiträge über den Bundeswahlausschuss38, das Beteiligungsanzeigeverfahren39 und die Nichtanerkennungsbeschwerde40.

Zusammenfassend zeigt sich, dass wissenschaftliche Analysen zu den Fragen der Wahlvorbereitung lediglich fragmentarisch vorhanden sind und eine monographische Betrachtung bisher fehlt. Die Wahlvorbereitung ist aber nicht irgendein Vorbereitungsakt, sondern vielmehr der wichtigste verfassungsrechtliche Kreationsakt des Parlamentarismus. Eine weitergehende Auseinandersetzung mit diesem Thema durch diese Arbeit scheint deshalb geboten.

§ 2 Gang der Untersuchung

Nach dieser Einführung wird in Kapitel 2 zunächst ein umfassender Überblick über die Zusammensetzung und die Arbeit des Bundeswahlausschusses gegeben. Im Mittelpunkt stehen die besonderen Wahlorgane (§ 1, S. 25 ff.), die verfassungsrechtliche Stellung (§ 2, S. 28 ff.) und die personelle Zusammensetzung des Bundeswahlausschusses (§ 3, S. 32 ff.), sowie die maßgeblichen Arbeits-​ und Verfahrensvorschriften des Bundeswahlausschusses (§ 4, S. 41 ff.).

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Kapitel 3 widmet sich umfänglich dem Beteiligungsanzeigeverfahren, indem auf die historische Entwicklung der Beteiligungsanzeige und die einzelnen Voraussetzungen (§ 1, S. 45 ff.), auf das Mängelbeseitigungsverfahren (§ 2, S. 69 ff.) und die Entscheidungsfindung des Bundeswahlausschusses (§ 3, S. 77 ff.) eingegangen wird.

Kapitel 4 untersucht die Ernennung des Bundeswahlleiters durch das Bundesministerium des Innern (§ 1, S. 87 ff.), die gängige Praxis der Besetzung des Bundeswahlausschusses (§ 2, S. 93 ff.) und die Unterscheidung in etablierte und nicht-​etablierte Parteien (§ 3, S. 121 ff.).

Abschließend widmet sich Kapitel 5 der Nichtanerkennungsbeschwerde. Im Mittelpunkt stehen die Einführung des Rechtsbehelfs (§ 1, S. 151 ff.), die Zulässigkeits-​ und Begründetheitsvoraussetzungen (§ 2, S. 156 ff.) und eine kritische Betrachtung der derzeitigen Ausgestaltung (§ 3, S. 173 ff.).


1 BT-​Drs. 17/​9392.

2 BT-​Drs. 17/​9391.

3 BT-​Drs. 17/​7848.

4 BT-​PlPr. 17. WP/​181. Sitzung vom 24.5.2012/​S. 21469 (D) ff.

5 Abg. Prof. Dr. Krings (CDU), in: BT-​PlPr. 17. WP /​ 181. Sitzung vom 24.5.2017 /​ S. 21470 (B).

Details

Seiten
220
Jahr
2021
ISBN (PDF)
9783631850633
ISBN (ePUB)
9783631850640
ISBN (MOBI)
9783631850657
ISBN (Paperback)
9783631848968
DOI
10.3726/b18196
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (März)
Schlagworte
Bundeswahlausschuss Bundeswahlleiter Nichtanerkennungsbeschwerde Wahlzulassung Wahlrecht Parteienrecht Etablierte Parteien Nicht-etablierte Parteien
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 220 S., 6 s/w Abb.

Biographische Angaben

Martin Jäger (Autor:in)

Martin Jäger studierte Rechtswissenschaften an der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover und promovierte dort – neben einer Tätigkeit im Deutschen Bundestag – am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Sozialrecht.

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