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Die Domkapitel der Reichskirche vom Wiener Konkordat bis zur Säkularisation (1448–1803)

Grundzüge ihrer Verfassung im Vergleich

von Manfred Josef Thaler (Autor:in)
©2017 Dissertation 628 Seiten
Reihe: Rechtshistorische Reihe, Band 468

Zusammenfassung

Neben den Bischöfen waren es vor allem die Domkapitel, auf denen über Jahrhunderte das System der Reichskirche wesentlich fußte. Für den Zeitraum vom Abschluss des Wiener Konkordats 1448 bis zur Säkularisation 1803 unterzieht der Autor die verfassungsrechtlichen Grundzüge von insgesamt 74 mitteleuropäischen Domkapiteln einer vergleichenden Analyse. Vor dem Hintergrund der geschichtlichen Entwicklungen tritt bei der Untersuchung der inneren Organisation, der Kollation der Kanonikate und Ämter sowie der Idoneitätskriterien und Obliegenheiten ein vielschichtiges Bild zutage. So kann der Autor neben einer bemerkenswerten rechtlichen Vielfalt auch gemeinsame Rechtstraditionen aufzeigen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • I. Einleitung
  • II. Geschichtlicher Überblick
  • 1. Einzeldarstellungen
  • 2. Entstehungszeit
  • Frühmittelalter
  • Hoch- und Spätmittelalter
  • Frühe Neuzeit
  • 3. Stellung innerhalb der Reichsverfassung
  • Domkapitel innerhalb geistlicher Reichsfürstentümer
  • Domkapitel außerhalb geistlicher Reichsfürstentümer
  • Recht der Bischofswahl
  • Entwicklungsverlauf
  • 4. Säkular- und Regularkleriker
  • Augustiner-Chorherren-Orden
  • Prämonstratenser-Chorherren-Orden
  • Deutscher Orden
  • Sonstige Ordensgemeinschaften
  • Überblick und Vergleich
  • 5. Konfessionelle Verhältnisse
  • Katholisch gebliebene Domkapitel
  • Protestantisch gewordene Domkapitel
  • Systemisiert gemischtkonfessionelle Domkapitel
  • Langwierige Konfessionalisierung
  • 6. Auflösung oder Fortbestand
  • Reformationszeitalter
  • Westfälischer Friede
  • Josephinische Kirchenreform
  • Französische Revolution
  • Reichsdeputationshauptschluss
  • Fortbestehende Domkapitel
  • Interimskapitel
  • Neuanfänge im 19. Jahrhundert
  • III. Innere Organisation
  • 1. Einzeldarstellungen
  • 2. Grade der Mitgliedschaft
  • Exspektanten
  • Domizellare
  • Kapitulare
  • Residenten
  • 3. Verfassungsformen
  • Offene Domkapitel
  • Äußerlich geschlossene Domkapitel
  • Innerlich geschlossene Domkapitel
  • Organisatorischer Wandel
  • 4. Personeller Umfang
  • Vor Ausbruch der Reformation
  • Nach dem Westfälischen Frieden
  • Am Vorabend der Säkularisation
  • Entwicklungslinien
  • Vergleichszahlen außerhalb des Untersuchungsraumes
  • 5. Kapitelämter
  • Begriffsklärung
  • Dignitäten
  • Personate
  • Dompropstei
  • Domdechantei
  • Archidiakonat
  • Kantorei und Primizeriat
  • Scholasterie
  • Kustorei, Thesaurariat und Sakristei
  • Kanzlei
  • Kellerei und Kämmerei
  • Weitere Ämter
  • 6. Kanonikate mit besonderer Widmung
  • Sazerdotalkanonikate
  • Universitätskanonikate
  • Doktoralkanonikate
  • Konfessionsgebundene Kanonikate
  • Familienkanonikate
  • Einzelfälle
  • IV. Kollation der Kanonikate und Ämter
  • 1. Einzeldarstellungen
  • 2. Päpste
  • Rechtliche Grundlagen
  • Kanonikate
  • Dignitäten und Personate
  • 3. Bischöfe
  • Schrittweiser Wandel
  • Kanonikate
  • Dignitäten und Personate
  • 4. Domkapitel
  • Kanonikate
  • Wahl oder Turnus
  • Dignitäten und Personate
  • 5. Kaiser
  • Rechtsgeschichtliche Hintergründe
  • Ausübung des Rechtes der Ersten Bitten
  • 6. Landesherren und Fürsten
  • Kanonikate
  • Dignitäten und Personate
  • 7. Sonstige Kollatoren
  • Kirchliche Amtsträger
  • Geistliche Kommunitäten
  • Universitäten
  • Magistrate
  • Privatpersonen
  • Gradualvorrückung
  • 8. Verhältnisse außerhalb des Untersuchungsraumes
  • Dänemark
  • Livland
  • Polen
  • Istrien
  • Westen
  • V. Idoneitätskriterien und Obliegenheiten
  • 1. Einzeldarstellungen
  • 2. Standeszugehörigkeit
  • Gemeinständische Domkapitel ohne Einschränkungen
  • Gemeinständische Domkapitel mit Einschränkungen
  • Gemischtadelige Domkapitel
  • Hochadelige Domkapitel
  • Ahnen-Probe
  • Fortschreitende Aristokratisierung
  • Reichskirchlicher Sonderweg oder generelle Entwicklung?
  • 3. Herkunft und Abstammung
  • Geographische Herkunft
  • Familiäre Abstammung
  • 4. Konfession
  • 5. Studium
  • Akademische Ausbildung
  • Pastorale Praxis
  • 6. Alter und Weihegrad
  • Gewöhnliche Kanoniker
  • Kapitulare
  • 7. Residenzverpflichtungen
  • Erste Residenz
  • Jährliche Residenz
  • 8. Karenzzeit
  • Gnadenjahr
  • Sonstige Karenzjahre
  • VI. Schlussbemerkungen
  • Quellen und Literatur
  • 1. Archivalische Quelle
  • 2. Gedruckte Quellen und Literatur
  • 3. Abkürzungen
  • Register
  • 1. Personenregister
  • 2. Ortsregister
  • 3. Sachregister

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I.  Einleitung

Zwei markante Einschnitte innerhalb der Geschichte der Reichskirche legen es nahe, die vorliegende Untersuchung auf den Zeitraum von 1448 bis 1803 zu begrenzen: Zum einen wurde 1448 mit dem von Papst Nikolaus V. und König Friedrich III. abgeschlossenen Wiener Konkordat bleibend eine verbindliche rechtliche Grundlage für die Verfassung der Reichskirche und damit auch für die Domkapitel geschaffen. Dadurch war den unzähligen Kompetenzstreitigkeiten des Spätmittelalters weitestgehend der Boden entzogen. Zum anderen fand mit dem Reichsdeputationshauptschluss des Jahres 1803 und der damit verbundenen Säkularisation die Reichskirche als solche ihr formelles Ende, ein Ereignis, von dem auch viele der Domkapitel nicht unberührt bleiben konnten.

Vor allem um längerfristige verfassungsgeschichtliche Entwicklungen aufzeigen zu können, wurde jedoch immer wieder über den angegebenen Zeitrahmen hinausgegriffen, vorzugsweise zurück ins Mittelalter.

Die Frage nach der geographischen Abgrenzung der Reichskirche und damit nach dem räumlichen Umfang dieser Untersuchung wurde in der Vergangenheit vielfach unterschiedlich, wenn auch in jedem Fall mit guten Gründen, beantwortet.1

In der vorliegenden Arbeit fanden insgesamt 74 im genannten Zeitraum bestehende Domkapitel Berücksichtigung. Der Bogen spannt sich von Schleswig im Norden über Bremen, Verden, Hamburg, Lübeck, Ratzeburg, Schwerin und Cammin bis hin zu den preußischen Bistümern Kulm, Pomesanien, Ermland und Samland. Im Osten schließen sich Lebus und Breslau sowie die böhmisch-mährischen Bistümer Olmütz, Brünn, Leitomischl, Königgrätz, Budweis, Prag und Leitmeritz an. Den südöstlichen Abschluss bilden die österreichischen Bistümer Wien, Wiener Neustadt, St. Pölten, Linz, Seckau, Leoben, Graz, Lavant, Gurk, Laibach, Görz und Gradisch sowie Brixen und Trient. Im Südwesten werden Chur, Lausanne und Sitten sowie Konstanz, Basel und Straßburg erfasst. Im Westen sind neben Speyer, Worms, Trier, Mainz, Köln, Lüttich und Utrecht auch Metz, Toul und Verdun eingeschlossen. Mit Münster, Paderborn, Corvey, Osnabrück, Minden und Hildesheim schließt sich der Kreis. Innerhalb dieses Kreises liegen im Norden Havelberg, Brandenburg, Magdeburg und Halberstadt sowie Merseburg, Naumburg und Meißen, im Zentrum Fulda, Würzburg, Bamberg, Eichstätt und Regensburg, im Süden Augsburg, Freising, Passau, Chiemsee und Salzburg.

Verzichtet wurde also auf die Aufnahme der Domkapitel der 1559 von den Bistümern Lüttich und Utrecht abgetrennten Bistümer Namur, ’s-Hertogenbosch und ← 13 | 14 → Roermond sowie Middelburg, Deventer, Haarlem, Leeuwarden und Groningen. Dasselbe gilt für die Domkapitel der 1777 auf dem Gebiet des Bistums Toul entstandenen Bistümer Nancy und Saint-Dié sowie des 1802 errichteten Bistums Aachen, dessen Domkapitel 1803 erst nach dem Reichsdeputationshauptschluss installiert wurde. Dieselbe Behandlung erfuhren auch die gleichzeitig entstandenen Domkapitel neuer Prägung in Lüttich, Mainz, Metz, Nancy, Straßburg und Trier. In den Randgebieten blieben die Bistümer Kurland, Riga, Wenden, Dorpat, Ösel-Wiek, Aquileia, Triest, Pedena, Besançon und Cambrai unberücksichtigt.

Allerdings wurden auch hier fallweise die Grenzen des geschilderten Untersuchungsraumes überschritten, um ergänzende Vergleiche zu ziehen und dadurch die gewonnenen Erkenntnisse in einen größeren Zusammenhang stellen zu können.

In der Bearbeitung des für die Abhandlung herangezogenen Materials konnte bedauerlicherweise ein Rückgriff auf Primärquellen nicht geleistet werden. Der Umfang und die Verstreutheit der Quellen machen eine auf Archivstudien beruhende Herangehensweise schlichtweg unmöglich. Daher wurde lediglich die bereits im Vorwort erwähnte Archivalie des Haus-, Hof- und Staatsarchivs in Wien zur Datengewinnung herangezogen.2

Grundlage für die Erstellung der Arbeit war somit die durchaus zahlreich vorhandene Literatur, ausgehend von zeitgenössischen Werken des 17. und 18. Jahrhunderts bis hinein in die Gegenwart. Mit der so gut wie ausschließlichen Beschränkung auf Sekundärliteratur sind freilich zwei entscheidende Nachteile verbunden: Zum einen sind die gegenüber den Primärquellen doch nur mittelbaren Angaben der Literatur unvermeidbar mit einer mehr oder weniger großen Fehlerhaftigkeit oder Widersprüchlichkeit behaftet. Zum anderen unterscheidet sich die Literatur über die einzelnen Domkapitel selbstverständlich teilweise recht deutlich hinsichtlich ihres Umfangs und ihrer Qualität, was eine einheitliche Betrachtungsweise mitunter gehörig erschwert.

Vor diesem Hintergrund soll es das vorrangige Ziel dieser Forschungsarbeit sein, die verfassungsrechtlichen Grundzüge der Domkapitel der Reichskirche einer vergleichenden Analyse zu unterziehen. In der inhaltlichen Darbietung soll den einzelnen Abschnitten jeweils der entsprechende Befund für jedes der behandelten Domkapitel vorangestellt werden. Dabei werden die einzelnen Domkapitel in alphabetischer Reihenfolge vorgestellt, womit für jede der untersuchten Institutionen eine leichte Zugänglichkeit der Daten gewährleistet ist. Im Anschluss daran sollen für jeden Abschnitt hinsichtlich ausgewählter verfassungsgeschichtlicher Teilaspekte die zwischen den einzelnen Domkapiteln vorhandenen Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufgezeigt und bewertet werden. Durch diese Art der Bearbeitung scheinen die Bedürfnisse nach Überblick und Vergleich gleichermaßen befriedigt werden zu können. Verzichtet werden musste auf eine Untersuchung der ökonomischen Verhältnisse und der personellen Zusammensetzung der einzelnen Domkapitel.


1 J. Ficker, Reichsfürstenstand I, 272–299, 311f., 374–376; H. E. Feine, Besetzung, 1–4; L. Santifaller, Geschichte, 123–157, 229–257; V. Pfaff, Die deutschen Domkapitel und das Papsttum am Ende des 12. Jahrhunderts, in: HJb 93 (1973), 21; P. Hersche, Domkapitel I, 21; A. Wendehorst/S. Benz, Verzeichnis, 2f.; E. Gatz, Einleitung, in: E. Gatz, Bischöfe 1448 bis 1648, X; E. Gatz, Einleitung, in: E. Gatz, Bischöfe 1648 bis 1803, IX.

2 Beschreibung einiger deutscher Domkapitel (HHStA Hs B 182).

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II.  Geschichtlicher Überblick

Einleitend sollen in aller gebotenen Kürze die grundlegenden Daten aus der Geschichte der einzelnen Domkapitel dargestellt werden. Neben den Angaben über die Gründung und die Bestandszeit finden sich darin auch Hinweise auf die Stellung innerhalb der Reichsverfassung beziehungsweise auf die Bedeutung innerhalb der Reichskirche, auf die konfessionelle Ausrichtung sowie auf eine allfällige Ordenszugehörigkeit.

1.  Einzeldarstellungen

Augsburg

Die Anfänge des Augsburger Domkapitels liegen um den Beginn des 9. Jahrhunderts, als Bischof Sintpert durch den Bau einer neuen Kathedrale die Trennung der Domgeistlichkeit vom Konvent von St. Afra einleitete, ein Vorgang, der ein gutes Jahrhundert später endgültig abgeschlossen war.3

Das Domkapitel, das über das Recht der Bischofswahl verfügte, zählte zu jenen Kapiteln, die in einem Hochstift lagen, das über Sitz und Stimme im Reichsfürstenrat verfügte.4

Im Zuge der Reformation wurde 1534 der katholische Gottesdienst im Dom empfindlich eingeschränkt und 1537 vom Rat der Stadt ganz verboten. Das Domkapitel sah sich deshalb gezwungen, in Dillingen Zuflucht zu suchen. Nach dem Schmalkaldischen Krieg 1547 konnte es an den Dom zurückkehren und sich in der paritätischen Reichsstadt Augsburg seinen katholischen Charakter bewahren.5

Nachdem das Kurfürstentum Bayern bereits seit 1802 das Hochstift Augsburg besetzt gehalten hatte, wurde dieses im folgenden Jahr durch den Reichsdeputationshauptschluss auch rechtlich aufgehoben. Das Domkapitel löste sich in der Folge auf. Erst 1821 wurde wieder ein Domkapitel installiert.6 ← 15 | 16 →

Bamberg

Die Gründung des Bamberger Domkapitels lässt sich genau bestimmen. Zusammen mit dem Bistum wurde es 1007 von Kaiser Heinrich II. ins Leben gerufen.7

Das Domkapitel stand in Verbindung mit dem Hochstift Bamberg, dem die Reichsstandschaft und somit Sitz und Stimme auf den Reichstagen eigen waren. Zudem kam ihm das Recht der Bischofswahl zu.8

Die Reformation konnte zwar im Bistum weit um sich greifen, das Domkapitel aber blieb letztlich der katholischen Kirche treu. Seit 1572 wurde das Ablegen der Professio fidei verlangt.9

In Vorwegnahme der Bestimmungen des Reichsdeputationshauptschlusses aus dem Jahr 1803 besetzte das Kurfürstentum Bayern bereits im Jahr zuvor das Hochstift. Das Domkapitel wurde ebenfalls noch in den letzten Tagen vor dem Reichsdeputationshauptschluss aufgelöst. 1821 trat ein neues Domkapitel an dessen Stelle.10

Basel

Obwohl noch nicht ausdrücklich als solches bezeugt, geht das Basler Domkapitel in seinen Anfängen auf eine Klerusreform Bischof Haitos im ersten Viertel des 9. Jahrhunderts zurück.11

Das hohe Alter des Domkapitels bedingte seine Zugehörigkeit zu jenen Korporationen, die einem reichsimmediaten Hochstift zuzurechnen waren. Das Domkapitel konnte auch das Recht der Bischofswahl erwerben.12

Die Folgen der Reformation machten dem Domkapitel schwer zu schaffen. 1529 ging mit der Erstürmung des Doms der Kapitelsitz verloren, zudem ein nicht unbeträchtlicher Teil der Besitzungen und Einnahmen, die nun in den Herrschaftsbereich von Stadt und Landschaft Basel fielen. Es folgte die Flucht über Neuenburg am Rhein nach Freiburg im Breisgau, wo nach einem Vertrag aus dem Jahr 1536 die ← 16 | 17 → Andreaskapelle des dortigen Münsters zur neuen geistlichen Heimat wurde. Erst langsam entstand dort wieder ein Kapitelleben. Zwischen 1632 und 1651 führten die politischen Hintergründe neuerlich zu einer Zerstreuung des Kapitels, das sich danach nur mehr kurz in Freiburg aufhielt. Denn nach der Besetzung der Stadt durch französische Truppen verlegte es 1678 seinen Sitz wieder zurück in das Hochstift Basel, wo in Arlesheim ein neuer Dom errichtet wurde. Die Reformation stellte so zwar einen maßgeblichen Einschnitt in der Stiftsgeschichte dar, das Domkapitel blieb aber der katholischen Kirche erhalten, vor allem da man schon von 1551 an bei der Aufschwörung einen Konfessionseid verlangte.13

Das Ende des alten Domkapitels wurde 1792 durch den Einmarsch französischer Truppen in Arlesheim ausgelöst. 1793 wurde der Chordienst eingestellt, die Domherren zerstreuten sich, die linksrheinischen Einkünfte gingen verloren. Erneut wurde ab 1797 Freiburg im Breisgau zur Zufluchtsstätte. Doch auch dort konnte man sich kriegsbedingt nicht durchgängig halten. Ein Kapitelleben auszubilden, war ohnehin unmöglich. Im Winter 1800/01 zog die Markgrafschaft Baden die rechtsrheinischen Besitzungen des Domkapitels ein, womit dieses mittellos wurde. Die rechtliche Auflösung des Hochstiftes Basel durch den Reichsdeputationshauptschluss 1803 hinkte der Wirklichkeit hinterher und bedeutete das tatsächliche Ende des Domkapitels. Lediglich 1814 und 1818 trafen sich nochmals einige Kapitulare zu Beratungen in Offenburg beziehungsweise Würzburg. Das Jahr 1828 setzte schließlich mit der Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse den rechtlich verbindlichen Schlusspunkt für das alte Domkapitel. Das neue Domkapitel erhielt seinen Sitz in Solothurn.14

Brandenburg

Das Schicksal des Brandenburger Domkapitels war mit dem des Bistums untrennbar verbunden. Nach ersten vermuteten Anfängen ab 948 ging das Domkapitel allenfalls gemeinsam mit dem Bistum im Slawenaufstand von 983 unter. Zu Beginn des 12. ← 17 | 18 → Jahrhunderts unternahm man von Leitzkau aus ernsthafte Versuche, die kirchlichen Strukturen wieder neu aufzubauen. Dort entstand unter Bischof Wigger 1139 ein Prämonstratenser-Chorherren-Stift, das als provisorisches Domkapitel diente. Nach der Rückverlegung des Bischofssitzes nach Brandenburg um die Mitte des 12. Jahrhunderts wurde dort vorerst ein Filialkloster eingerichtet, das 1161 zum Domkapitel erklärt wurde. Vier Jahre später übersiedelten die Prämonstratenser-Chorherren an die neue Kathedrale.15

Obwohl Papst Bonifaz VIII. den Domherren bereits 1296 den Besitz von Privateigentum gestattet hatte und Papst Eugen IV. 1447 auf Bitten Kurfürst Friedrichs II. von Brandenburg gegen den Willen Bischof Stephan Bodekers und des Domkapitels die Erlaubnis zur Translation der Domherren nach Marienberg oder Wilsnack und zur Einführung des weltgeistlichen Standes im Domstift erteilt hatte, blieb das Domkapitel der vom Gründer eingeführten Ordensregel der Prämonstratenser-Chorherren knapp 350 Jahre grundsätzlich treu. Erst auf das vom Domkapitel unterstützte Betreiben Kurfürst Joachims I. von Brandenburg erließ Papst Julius II. 1506 eine Transmutationsbulle, die 1507 umgesetzt wurde. Aus den regulierten Domherren wurden Weltgeistliche, die Ordensregel hatte ausgedient.16

Die Reformation verursachte nur wenige Jahrzehnte später die nächste einschneidende Veränderung im Domkapitel. 1539 kam es zur Einführung der Reformation im Kurfürstentum Brandenburg. Das Domkapitel verhielt sich zunächst in den mit ihm geführten Verhandlungen ablehnend. Daran änderte auch die 1544 im Dom eingeführte neue Kirchenordnung vorerst nichts. Es wurde zwar die Feier der Heiligen Messe eingestellt, trotzdem blieb die Gegnerschaft von Teilen des Domkapitels gegen die neue Lehre noch bis 1557 aufrecht. Katholische Domherren fanden sich freilich auch noch danach vereinzelt, ein letzter Fall wird für 1671 berichtet. Das Domkapitel blieb als protestantische Einrichtung weiter bestehen, verlor aber jedweden geistlichen Charakter. Es diente in erster Linie zur finanziellen Versorgung ← 18 | 19 → verdienter Hofbeamter des Landesherrn. Darüber hinaus war mit dem Domkapitel eine Standesschule für den Adel verbunden, die 1704 gegründete Ritterakademie.17

Abgesehen von den Jahren nach 1447, in denen Kurfürst Friedrich II. von Brandenburg für seine Person das Nominationsrecht für das Bistum ausüben konnte, besaß das Domkapitel das Recht der Bischofswahl. Das Hochstift Brandenburg hatte zwar ursprünglich die Reichsstandschaft besessen, sie aber noch im Laufe des Mittelalters verloren. Kurfürst Johann Georg von Brandenburg vereinigte 1571 das Hochstift endgültig mit seinem Kurfürstentum.18

Die 1810 von König Friedrich Wilhelm III. von Preußen im Finanzedikt verfügte generelle Aufhebung aller im Königreich gelegenen Domkapitel betraf auch das Brandenburger Domkapitel. Allerdings bestätigte derselbe König 1822 den Fortbestand dieser Institution, die schließlich 1826 durch eine völlige Neufassung der Statuten von Grund auf reformiert wurde.19

Bremen

Die Keimzelle des Bremer Domkapitels war eine bis an den Beginn des 9. Jahrhunderts zurückreichende Klerikergemeinschaft, aus der unter Bischof Unwan im ersten Drittel des 11. Jahrhunderts ein Domkapitel im eigentlichen Sinn entstand.20

Durch die seit 848 bestehende Personalunion zwischen den Bistümern Hamburg und Bremen und die 864 erfolgte Einrichtung eines Doppelbistums kam es wiederholt zu Spannungen zwischen den beiden Domkapiteln. Ein Versuch, beide Institutionen zu vereinigen, scheiterte um 1220 am Widerstand des Hamburger Kapitels. Daher kam es 1223 zu einer vertraglichen Regelung zwischen den beiden Korporationen, die im folgenden Jahr von Papst Honorius III. bestätigt wurde. Bremen behielt Sitz und Titel des Erzbischofs, Hamburg neben dem in Bremen sein Domkapitel.21 ← 19 | 20 →

Das Bremer Domkapitel, dem das Recht der Bischofswahl zustand, galt stets unbestritten als eine einem reichsimmediaten Territorium zugeordnete Institution.22

Schon früh setzte sich die Reformation in Bremen durch. 1528, als der Rat ein Besuchsverbot für katholische Gottesdienste erließ, wurden diese bereits nur mehr im Dom gefeiert. Nach der Erstürmung der Kathedrale 1532 mussten die Domherren für ein Jahr die Stadt verlassen. Der Dom blieb aber auch nach ihrer Rückkehr vorerst weiter versperrt. Deutliches Zeichen für einen langsamen Wandel in der religiösen Gesinnung der Domherren war die Anstellung eines protestantischen Dompredigers im Jahr 1547. Trotzdem verschwanden die Katholiken nicht restlos aus dem Domkapitel, das bis zu seiner Auflösung ein gemischtkonfessionelles Erscheinungsbild bot, allerdings mit nur vereinzelt katholischen Mitgliedern. Der Dom wurde 1561 wieder geschlossen und erst 1638 wieder für den lutherischen Gottesdienst geöffnet. Im Unterschied dazu war die Stadt Bremen seit dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts calvinistisch.23

Doch zu diesem Zeitpunkt war die Aufhebung des Domkapitels bereits nicht mehr fern. Der Westfälische Friede sah 1648 unter anderem vor, das Erzstift Bremen in ein weltliches Herzogtum umzuwandeln und das Domkapitel zu säkularisieren. Der Protest der Domherren gegen die Aufhebung ihres Kapitels verhallte ungehört, die Unterstützung Kaiser Ferdinands III. und der Stadt Bremen half nichts. Königin Christine von Schweden verfügte 1649 die Auflösung des Domkapitels. Die Einkünfte wurden für verdiente Offiziere, Beamte und Diplomaten verwendet.24

Breslau

Obwohl das Bistum Breslau bereits im Jahr 1000 gegründet wurde, findet sich ein Beleg für die Existenz eines eigentlichen Domkapitels erst für die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts. Vorher dürfte es sich beim Domklerus um eine gemischte Gemeinschaft aus Mönchen und Weltgeistlichen gehandelt haben.25 ← 20 | 21 →

In der Reformationszeit konnte sich das Domkapitel seinen katholischen Glauben bewahren. Nur einzelne Domherren wurden protestantisch.26

Die reichsrechtliche Stellung des Domkapitels war die eines zweitklassigen Domkapitels. Mit dem Hochstift Breslau war zwar der böhmische Fürstenstand verbunden, allerdings erwuchs daraus kein Anspruch auf die Reichsstandschaft. Sein Recht der Bischofswahl konnte das Domkapitel formell stets behaupten, allerdings war die tatsächliche Freiheit des Wahlvorgangs im 17. und 18. Jahrhundert durch die Einflussnahme der Landesherren erheblich eingeschränkt.27

Mit dem Reichsdeputationshauptschluss als rechtlicher Grundlage erklärte König Friedrich Wilhelm III. von Preußen 1810 im Finanzedikt die Säkularisation des Hochstiftes und die Auflösung des Domkapitels. Der Protest des Domkapitels bedingte allerdings schon 1812 die Errichtung des sogenannten Interimskapitels, ehe bis 1831 eine endgültige Neuordnung erfolgte.28

Brixen

Nach vermutlich klösterlichen Anfängen in Säben ist das Brixner Domkapitel für die Mitte des 10. Jahrhunderts nachweislich belegt.29

Das mit dem Recht der Bischofswahl ausgestattete Domkapitel konnte sich zur Gruppe jener Kapitel zählen, deren Hochstift Sitz und Stimme im Reichstag zukamen.30

Der aufkommende Protestantismus spielte im Domkapitel keine Rolle. Die Zugehörigkeit des ganzen Kapitels zur katholischen Kirche war stets unbestritten.31

Der letzte Abschnitt in der Geschichte des Domkapitels begann mit der provisorischen Inbesitznahme des Hochstiftes Brixen durch Österreich im Jahr 1802. Nach dem Reichsdeputationshauptschluss ging das Domkapitel 1803 aller seiner Besitzungen verlustig. Obwohl König Maximilian I. Joseph von Bayern 1806 den provisorischen Weiterbestand des Domkapitels in eingeschränkter Form bestätigt hatte, kam es nach ← 21 | 22 → dem Widerruf dieser Entscheidung 1807 zu keinen weiteren Kapitelhandlungen mehr. Die formelle Wiedererrichtung eines Domkapitels erfolgte erst 1826.32

Brünn

Das Brünner Domkapitel war eine verhältnismäßig späte Gründung, deren Grundlage ein 1296 errichtetes Kollegiatstift darstellte. Papst Pius VI. machte auf Betreiben Kaiserin Maria Theresias 1777 Brünn zum Sitz eines Bischofs und wandelte gleichzeitig das Kollegiatstift in das Domkapitel um.33

Die späte Entstehungszeit führte dazu, dass das Domkapitel unwidersprochen katholischen Standes war. Das Nominationsrecht für das Bistum wurde dem Landesherrn zugesichert. Zur Ausbildung eines Hochstiftes mit Reichsstandschaft gab es in Brünn keine Möglichkeit.34

Angesichts dessen fiel das Domkapitel nicht unter die Bestimmungen des Reichsdeputationshauptschlusses. Es blieb daher auch über das Jahr 1803 hinaus unverändert bestehen.

Budweis

Das Budweiser Domkapitel wurde 1785 von Pius VI. unter dem Einfluss Kaiser Josephs II. gemeinsam mit dem Bistum ins Leben gerufen und im folgenden Jahr förmlich installiert. Das Domkapitel stellte eine völlige Neuschöpfung dar.35

Auch hier kam das Nominationsrecht für das Bistum dem Landesherrn zu, während die zeitbedingten Umstände den Erwerb eines Hochstiftes mit Reichsstandschaft sowie eine Gefährdung durch die Reformation von vornherein ausschlossen.36

Sein Charakter bewahrte das Domkapitel auch vor den Auswirkungen des Reichsdeputationshauptschlusses aus dem Jahr 1803.← 22 | 23 →

Cammin

Das Camminer Domkapitel verdankte seine Entstehung der Verlegung des bereits 1140 gegründeten Bistumssitzes Wollin nach Cammin. Dort stiftete Herzog Kasimir I. von Pommern etwa 1175 ein Domkapitel, das 1188 von Papst Clemens III. bestätigt wurde.37

Die Reichsstandschaft des Hochstiftes Cammin war verhältnismäßig schwach ausgeprägt und früh umstritten. Die Bischöfe verfügten zwar über Sitz und Stimme auf dem Reichstag, konnten sich aber in der tatsächlichen Ausübung ihrer Landeshoheit bereits seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts nicht entscheidend gegenüber den Herzögen von Pommern durchsetzen. Trotzdem gehörte das Hochstift Cammin seiner reichsrechtlichen Stellung nach zu den immediaten Territorien. Das Domkapitel besaß das Recht der Bischofswahl.38

Die Reformation hatte das Domkapitel früh erfasst. 1533 zeichnete sich der Übergang zum Protestantismus ab. Obwohl 1534 der Landtag in Treptow an der Rega die Einführung der Reformation in den pommerschen Herzogtümern beschlossen hatte, konnten sich noch bis in die Fünfzigerjahre des 16. Jahrhunderts katholische Reste im Domkapitel halten. 1576/79 wurde das Augsburger Bekenntnis zur alleinigen Konfession des Domkapitels bestimmt. Als protestantische Einrichtung kam es zu einer wachsenden Verweltlichung des Kapitels. An die Stelle der Geistlichen traten verdiente Verwaltungs- und Hofbeamte.39

1560, vier Jahre nach der Säkularisation des Hochstiftes Cammin, gaben Herzog Barnim IX. von Pommern-Stettin und Herzog Philipp I. von Pommern-Wolgast eine Bestandszusicherung für das Domkapitel ab. Der Westfälische Friede sah hingegen 1648 die Auflösung des Domkapitels durch das Kurfürstentum Brandenburg und das Königreich Schweden vor. Da sich beide Parteien 1653 im Stettiner Grenzrezess auf einen Erhalt des Domkapitels einigten und das 1660 im Friedensvertrag von Oliva bekräftigten, bestand es trotzdem weiterhin fort, zumal 1689 mit einer Neuordnung nach schwierigen Zeiten eine weitere Bestandszusage Kurfürst Friedrichs III. von Brandenburg erging.40 ← 23 | 24 →

Erst das von König Friedrich Wilhelm III. von Preußen 1810 erlassene Finanzedikt bedeutete das Ende der Institution.41

Chiemsee

Das seit dem 7. Jahrhundert bestehende Kloster Herrenchiemsee, das von 1125/29 an nach der Regel der Augustiner-Chorherren lebte, wurde 1216 mit der Errichtung des Bistums Chiemsee durch Papst Innozenz III. zum Domkapitel, allerdings ohne seine Ordenszugehörigkeit aufzugeben. Zudem unterschied sich das Stift durch seine eingeschränkten Rechte wesentlich von vielen anderen Domkapiteln im herkömmlichen Sinn, weshalb man sich selbst vielfach mehr als Kloster denn als Domkapitel sah.42

Obwohl den Bischöfen von Chiemsee seit der Mitte des 15. Jahrhunderts der Fürstentitel zukam, führten sie keine Stimme auf dem Reichstag. Dafür fehlte das dazugehörende Hochstift. Die Ernennung der Bischöfe wurde ohne jede Mitwirkung des Domkapitels von den Erzbischöfen von Salzburg vorgenommen.43

Das unruhige Reformationszeitalter vermochte zwar den personellen Umfang des Stiftes zu erschüttern, konnte aber dem katholischen Bekenntnis der Gemeinschaft letztlich nichts anhaben.44

Der Reichsdeputationshauptschluss brachte 1803 das Ende des Domkapitels. Kurfürst Maximilian IV. Joseph von Bayern ließ noch im selben Jahr das Kloster aufheben. Der Dom wurde von den privaten Nachbesitzern 1819 teilweise abgerissen beziehungsweise zum Betrieb einer Brauerei verwendet.45 ← 24 | 25 →

Chur

Das Churer Domkapitel ist erstmals für das Jahr 940 eindeutig als solches bezeugt.46

Die religiösen Wirren der Reformationszeit gingen nicht spurlos am Domkapitel vorüber. Das ab 1529 vorübergehend notwendige Exil der nichtbündnerischen Domherren in Feldkirch war da nur die geringste Beeinträchtigung des Kapitellebens. Schwerwiegendere Folgen zeitigte der beträchtliche Verlust an Gütern und Einkünften, der dem Domkapitel den Fortbestand nur mehr in einer finanziell und personell sehr eingeschränkten Form gestattete.47

Die Ereignisse jener Zeit engten auch die Landesherrschaft der Bischöfe von Chur deutlich auf Restbestände ein. Deshalb konnte auch die Reichsstandschaft des Hochstiftes zwischen 1541 und 1654 nicht wirklich ausgeübt werden. Trotzdem war das Churer Domkapitel den mit einem reichsimmediaten Territorium verbundenen Korporationen zuzurechnen. Das Domkapitel verfügte über das Recht der Bischofswahl.48

Nach dem Reichsdeputationshauptschluss des Jahres 1803 erwiesen sich die geringen Besitzungen des Domkapitels als Vorteil für dessen Weiterbestand. Die Eidgenössische Tagsatzung verzichtete nämlich angesichts dessen 1804 auf eine Säkularisation des Domkapitels.49

Corvey

Das Corveyer Domkapitel war das kurzlebigste der Reichskirche. Sein Ursprung lag in einem 822 gegründeten und seit 1779 exemten Benediktinerkloster, dessen Stiftskirche von Papst Pius VI. 1783 zur Kathedrale erhoben wurde. Auf Antrag der um ihre Existenz fürchtenden Fürstabtei begannen ab 1786 Verhandlungen über die Erhebung zum Bistum. Papst Pius VI. errichtete schließlich 1792 das Bistum Corvey und verfügte die Umwandlung des Konvents in ein weltgeistliches Domkapitel. Nach der Bestätigung durch Kaiser Franz II. im folgenden Jahr wurde die Transmutationsbulle 1794 umgesetzt.50 ← 25 | 26 →

Die Fürstabtei Corvey zählte seit alters her zu den reichsimmediaten Institutionen und führte eine Virilstimme auf dem Reichstag. Das Hochstift trat in all diese Rechte ein, wonach auch die Stellung des Domkapitels, dem das Recht der Bischofswahl zukam, innerhalb der Reichskirche zu bewerten ist.51

Die Umtriebe der Reformation können angesichts der späten Gründung des Domkapitels außer Acht gelassen werden.

Dem Domkapitel war keine lange Lebenszeit beschieden. Bereits 1802 wurde das Hochstift in Vorwegnahme des Reichsdeputationshauptschlusses durch das Fürstentum Nassau-Dillenburg besetzt und 1803 von Fürst Wilhelm VI. von Nassau-Dillenburg für aufgehoben erklärt. 1821 folgte das formelle Ende des Bistums Corvey.52

Eichstätt

Das Eichstätter Domkapitel entwickelte sich aus einem durch Bischof Willibald gegründeten Benediktinerkloster, das Anfang des 9. Jahrhunderts seine monastische Lebensweise zugunsten einer kanonikalen aufgab.53

Dem Hochstift Eichstätt kam unbestritten die Reichsstandschaft zu, womit das Domkapitel in die Gruppe der angeseheneren Institutionen fiel, zumal es auch das Recht der Bischofswahl besaß.54

Die Reformation vermochte das Domkapitel nur äußerst kurzfristig zu beeinträchtigen. In Eichstätt wurde früh mit Geschlossenheit dem katholischen Glauben angehangen.55

Im Vorgriff auf die Bestimmungen des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 besetzte das Kurfürstentum Bayern schon 1802 das Hochstift Eichstätt. Das Domkapitel versuchte zwar noch, seinen Besitzstand zu retten, konnte sich damit aber nicht durchsetzen. Dann erfuhr der Entschädigungsplan überraschend eine Änderung. Das Hochstift sollte nun nicht mehr an das Kurfürstentum Bayern fallen, sondern überwiegend an Großherzog Ferdinand III. von Toskana. Dieser beließ es jedoch bei einer bloßen Enteignung des Domkapitels und einem Verbot von Neuaufnahmen. ← 26 | 27 → So bedurfte es eines erneuten Herrschaftswechsels, ehe König Maximilian I. Joseph von Bayern 1806 das Domkapitel auch rechtlich auflöste. Das neue Eichstätter Domkapitel wurde 1821 eingerichtet.56

Ermland

Das Ermländische Domkapitel verdankte sein Entstehen Bischof Anselm, der es 1260 gründete. Zuerst hatte die Institution ihren Sitz in Braunsberg, dann kurzfristig in Elbing und seit etwa 1285 in Frauenburg.57

Im Unterschied zu den drei anderen preußischen Hochstiften gelang es dem Ermländischen, sich ein hohes Maß an Eigenständigkeit gegenüber dem Deutschordensstaat zu bewahren. Durch den Zweiten Thorner Frieden verloren das Hochstift Ermland und mit ihm sein Domkapitel 1466 jede rechtliche Verbindung zum Reich und gerieten unter die Oberhoheit des Königreiches Polen. Im Zuge der Ersten Teilung Polens fiel das Hochstift 1772 an das Königreich Preußen. Damit ging der Verlust der Landesherrschaft einher. Das Domkapitel zählte daher im strengen Sinne nicht durchgehend zur Reichskirche.58

Das vom Domkapitel ausgeübte Recht der Bischofswahl wurde 1479 durch den Ersten Petrikauer Vertrag auf dem König von Polen genehme Personen eingeschränkt. Der Zweite Petrikauer Vertrag sprach 1512 dem König das Vorschlagsrecht von vier Kandidaten zu, aus denen das Domkapitel die Wahl vornahm. Während der Zugehörigkeit zum Königreich Preußen ab 1772 blieb vom Wahlrecht des Domkapitels nur mehr der Schein.59

Die Ermländische Eigenständigkeit gegenüber dem Deutschen Orden zeigte sich auch darin, dass das Domkapitel nie dessen Ordensregel annahm, sondern stets einen weltgeistlichen Charakter aufwies.60

Während der Reformationszeit schlossen sich einige Domherren dem Protestantismus an. Das Domkapitel wehrte dessen weitere Ausbreitung durch Ausschlüsse ← 27 | 28 → aus dem Kapitel ab und blieb eine katholische Einrichtung, die seit 1565 von ihren Mitgliedern das Ablegen der Professio fidei forderte.61

Von der 1810 im Finanzedikt verfügten Aufhebung der Domkapitel im Bereich des Königreiches Preußen durch König Friedrich Wilhelm III. war selbstverständlich auch das Ermländische Domkapitel betroffen. Allerdings konnte eine Abordnung des Domkapitels in Berlin 1811 den Fortbestand ihrer Korporation erreichen.62

Freising

Am Beginn des Freisinger Domkapitels stand eine klösterliche Gemeinschaft, aus der sich über ein Nebeneinander von monastischem und kanonikalem Leben um die Wende vom 9. zum 10. Jahrhundert das Domkapitel entwickelte.63

Das Domkapitel, das über das Recht der Bischofswahl verfügte, hatte seine Heimat im Hochstift Freising, einem immediaten Territorium des Reiches.64

Von den Wirren der Reformationszeit wurde das Domkapitel nur wenig berührt. Die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche war zu keiner Zeit gefährdet.65

Das Ende des Domkapitels leitete 1802 die Besetzung des Hochstiftes Freising durch das Kurfürstentum Bayern ein. Ein Jahr danach bestätigte der Reichsdeputationshauptschluss diese Vorgangsweise. Das Domkapitel löste sich daraufhin mehr oder weniger selbst auf. 1821 wurde eine Nachfolgeinstitution in München eingesetzt.66

Fulda

Das Fuldaer Domkapitel zählt zu den späten Gründungen der Reichskirche. Es ging aus dem 744 gegründeten Benediktinerkloster Fulda hervor, dessen Abt Johann von Henneberg sich schon gegen Ende des ersten Drittels des 16. Jahrhunderts vergeblich um die Erhebung zum Bistum bemühte. Allerdings konnte man 1604 von Papst ← 28 | 29 → Clemens VIII. die geistliche Jurisdiktion über das Stiftsland gewinnen. Unter Papst Benedikt XIV. fand der lange Weg in die Selbstständigkeit schließlich ein erfolgreiches Ende. 1752 wurde das Bistum Fulda gegründet. Das Stiftskapitel, schon vorher vom Konvent getrennt, wurde damit zum Domkapitel, allerdings ohne seine monastische Verfassung zu verlieren. Auch das Recht der Bischofswahl konnte man sich sichern.67

Durch die Rechtsnachfolge für die ehemalige Fürstabtei Fulda konnte das neugegründete Hochstift Fulda dessen Reichsstandschaft unwidersprochen übernehmen.68

Noch vor der Bistumsgründung war es seit dem ausgehenden ersten Drittel des 17. Jahrhunderts in der Abtei Fulda zu einem Auseinanderfallen von Konvent und Kapitel gekommen. Vor Ort im Kloster befanden sich hauptsächlich bürgerliche Konventualen, während die adeligen Kapitulare überwiegend auswärts wohnten.69

Der Reichsdeputationshauptschluss sprach 1803 das Hochstift Fulda dem Fürstentum Nassau-Dillenburg zu. Dieses hatte das Territorium bereits im Jahr zuvor für sich besetzen lassen und mit Jahresbeginn 1803 säkularisiert. Damit erfuhr die Gleichzeitigkeit von Benediktinerkonvent und Domkapitel ein jähes Ende. Obwohl die geistlichen Aufgaben des Domkapitels davon eigentlich nicht berührt waren, kam es danach mit der Wahl eines Kapitelvikars im Jahr 1817 nur mehr zu einer wirklichen Kapitelhandlung. 1829 wurde ein neues Domkapitel installiert, das sich nur mehr aus Weltgeistlichen zusammensetzte.70

Görz

Die Entstehung des Görzer Domkapitels stand in Zusammenhang mit der Errichtung des Erzbistums Görz und lässt sich mit dem Jahr 1752 genau festlegen. Die treibende Kraft dahinter war Kaiserin Maria Theresia, die Papst Benedikt XIV. entsprechend beeinflusste.71

Die Erzbischöfe von Görz führten zwar seit 1766 den Fürstentitel, über ein Hochstift und über die Reichsstandschaft verfügten sie allerdings nicht. Die Nomination der Erzbischöfe stand ohne jede Mitwirkung des Domkapitels dem Landesherrn zu.72 ← 29 | 30 →

Die erst nach der Mitte des 18. Jahrhunderts erfolgte Errichtung bedingte, dass das Domkapitel von der Reformation nicht berührt wurde.

Im Zuge der Diözesanregulierungen Kaiser Josephs II. kam es verhältnismäßig bald zur Auflösung des Erzbistums Görz sowie des mit ihm verbundenen Domkapitels. 1788 nahm Papst Pius VI. die erbetene Suppression vor und schuf entsprechende Nachfolgeeinrichtungen im nahen Gradisch.73

Gradisch

Das Gradischer Domkapitel verdankte seine Entstehung den Diözesanregulierungen Kaiser Josephs II. Nachdem Papst Pius VI. auf dessen Wunsch hin 1788 das Erzbistum Görz sowie das damit verbundene Domkapitel aufgehoben hatte, errichtete er noch im selben Jahr zusammen mit dem Bistum ein neues Domkapitel im benachbarten Gradisch.74

Angesichts der geschichtlichen Umstände war die Ausbildung eines Hochstiftes ebenso ausgeschlossen wie eine Beeinträchtigung durch die Reformation. Die Nomination des Bischofs wurde auch hier vom Landesherrn vorgenommen. Dem Domkapitel kam dabei keine Rolle zu.

Das unbedeutende Städtchen Gradisch erwies sich jedoch als Zentrum einer geistlichen Institution völlig ungeeignet, sodass ihm Bischof und Domherren trotz gegenteiliger Ermahnungen Kaiser Josephs II. weitestgehend fernblieben. Daher betrieb Kaiser Leopold II. bei Papst Pius VI. die Transferierung des Bistums und des Domkapitels nach Görz, die 1791 ausgesprochen wurde.75

Dort bestand das Domkapitel über den Reichsdeputationshauptschluss hinaus fort.

Graz

Details

Seiten
628
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631719558
ISBN (ePUB)
9783631719565
ISBN (MOBI)
9783631719572
ISBN (Hardcover)
9783631719541
DOI
10.3726/b10927
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (März)
Schlagworte
Domherren Kollation Idoneitätskriterien Ahnenprobe Dignitäten Kanonikate
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 628 S.

Biographische Angaben

Manfred Josef Thaler (Autor:in)

Manfred Josef Thaler studierte in Salzburg und Innsbruck Theologie und Religionspädagogik und wurde an der Paris-Lodron-Universität Salzburg am Institut für Kirchengeschichte promoviert. Neben seiner Tätigkeit als Priester und Katechet schloss er mit einer geschichtswissenschaftlichen Promotion ein Studium an der Ludwig-Maximilians-Universität München ab. Ebendort absolvierte er ein juristisches Promotionsstudium.

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Titel: Die Domkapitel der Reichskirche vom Wiener Konkordat bis zur Säkularisation (1448–1803)
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