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Dr. Mabuse und seine Zeit

Eine deutsche Chronologie

von Sven Safarow (Autor:in)
©2016 Dissertation 114 Seiten
Reihe: LiteraturFilm, Band 9

Zusammenfassung

Die Kunstfigur Dr. Mabuse war immer schon ein vortreffliches Spiegelbild soziopolitischer Entwicklungen. In diesem Essay werden Ursprung und Figurenkonzeption von Norbert Jacques’ literarischer Schöpfung intensiv untersucht. Was in der Vorlage nur angedeutet war, wird in der filmischen Interpretation Fritz Langs offenbar: Dr. Mabuse bildet eine sukzessive Metapher für die historischen Umbrüche innerhalb der deutschen Geschichte seit Ende des Ersten Weltkriegs.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Eine Idee von Mabuse
  • Filmische Echos
  • Der deutsche Fantômas?
  • Die Nachtseite des Mesmerismus
  • Phantasmagorien der Moderne
  • Ein deutscher Mythos
  • Das Leben, ein Glücksspiel
  • Die Inflation und ihre Folgen
  • Verbrechen im Verborgenen
  • Europa
  • Identitätskrisen
  • Die 1000 Augen des Fritz Lang
  • Die Abwesenheit des Paradieses
  • Mythos und Wahnsinn
  • Die dunklen Mechanismen der Macht
  • Das mabusische Bühnenbild
  • Der Mann, der Mabuse war
  • The Unknown Known
  • Es gibt keinen Dr. Mabuse
  • Literaturverzeichnis

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Eine Idee von Mabuse

Die Figur des Dr. Mabuse repräsentiert zusammen mit dem Vampir Nosferatu und Dr. Caligari den expressionistischen deutschen Film der 1920er Jahre. Doch Mabuse war von Anfang an anders, erwies sich vor allem als weitaus langlebiger als seine fiktiven Zeitgenossen. Friedrich Wilhelm Murnaus NOSFERATU – EINE SYMPHONIE DES GRAUENS (1922) und Robert Wienes DAS CABINET DES DR. CALIGARI (1919) können sich zwar noch auf ihren Status als Referenzfilme verlassen, doch die diesen Filmen entsprungenen Schöpfungen haben sich längst nicht so verselbständigt wie der vom luxemburgischen Schriftsteller Norbert Jacques erdachte Mabuse.

Jacques lässt die Figur in seinem erfolgreichen Roman Dr. Mabuse, der Spieler (1921/22) zwar sterben, bereut dies aber schnell, nachdem Fritz Langs zweiteilige Filmadaption DR. MABUSE, DER SPIELER (1921/22) sich als großer Erfolg herausstellt. Der Autor schreibt mit „Dr. Mabuse auf dem Presseball“ eine kurze Glosse, die den Tod seiner Figur revidiert1, sowie andere Unterhaltungsromane, in denen die Figur auftaucht. Er arbeitet an seinem zweiten Mabuse-Roman, während Lang DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE (1933) vorbereitet, doch aufgrund rechtlicher Unstimmigkeiten erscheint der Roman erst 1950 unter dem Titel Dr. Mabuses letztes Spiel.2

Der erste Mabuse-Roman ist heute vor allem als Zeitroman interessant. Kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs hat sich in den Großstädten der neugegründeten Weimarer Republik ein, um es mit Siegfried Kracauer zu sagen, Kult der Zerstreuung3 herausgebildet, der die harte Realität außen vor ließ. Jacques hat sich dieser und ähnlicher Phänomene angenommen und beschreibt in seinem Roman das Leben als eine „Lotterie um Sein oder ← 9 | 10 → Nichtsein“4, in der die Angst vor der kommenden Inflation allgegenwärtig ist, gleichzeitig das Glücksspiel exzessiv betrieben wird und sich als ideale Metapher für die Zustände erweist, denn man spielt nicht nur mit Karten, sondern auch „mit Waren, mit Gedanken und mit Genüssen, mit der Macht wie mit der Schwäche, mit dem Nächsten wie mit sich selber“.5 In diese turbulente Zeit tritt nun die Figur des Dr. Mabuse, ein Spieler, Verkleidungskünstler, Hypnotiseur und Schmuggler, der sich das Chaos zunutze macht. Fritz Lang gab dem ersten Teil seiner Verfilmung aus gutem Grund den Untertitel DER GROSSE SPIELER – EIN BILD DER ZEIT. Das „Zeitbild“6, das Roman und Film gleichermaßen anstreben, die „betonte Fixierung auf die unmittelbare Gegenwart, das Deutschland der Inflationszeit“7, laden die Figur des Verbrechers mit enormer Bedeutung auf, die jedoch keineswegs eindeutig ist. Um eben diese Bedeutung soll es hier gehen sowie um die Ursprünge der Figur Mabuse, die Günter Scholdt nicht nur als „deutschen Mythos“8, sondern gar als „eine literarische Antizipation des künftigen ‚Führers‘“9 bezeichnet. Mabuse als Vorahnung oder Vorläufer Adolf Hitlers geht natürlich auf Kracauers Studie Von Caligari zu Hitler (1947) zurück, die uns später noch einmal begegnen wird.

Dass den Filmen um Dr. Mabuse durchaus eine zeitdiagnostische Qualität eignet, wird spätestens dann offensichtlich, wenn man sich die Nachfolgefilme vergegenwärtigt. DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE entsteht kurz vor der endgültigen Machtergreifung der Nationalsozialisten. Die Stimmung und die Inhalte vermitteln diesen Schwebezustand, sogar Joseph Goebbels muss sich des Subtextes klargeworden sein, hatte er doch den Film offiziell verboten. Lang sagte 1943 bei der US-Premiere des Films, dass der Film ← 10 | 11 →

Mabuse kehrt im Deutschland Konrad Adenauers zurück. DIE 1000 AUGEN DES DR. MABUSE (1960) von Fritz Lang über ein von den Nazis ersonnenes Hotel, das seine Gäste per Video überwacht, markiert den Beginn einer von Artur Brauner produzierten sechsteiligen Filmreihe, die mit Horst Wendlandts Edgar-Wallace-Filmen konkurrieren sollte. In diesen Filmen ist Mabuse endgültig körperlos geworden, ein Geist, der die Korrumpierbaren befällt und Verbrechen im Geheimen begeht. Lang wurde wieder von realen Geschehnissen beeinflusst, von

„zwei Zeitungsberichte[n], der erste über ein von der US-Armee entwickeltes Geschoß, das angeblich keine Spuren im Körper der Getroffenen hinterließ, der zweite über ein von den Nazis geplantes Prominentenhotel, in dessen Zimmern versteckte Mikrophone eingebaut werden sollten. Unsichtbare Zeugen, unsichtbare Projektile: dahinter erkannte Lang Mabuses Geist“.11

Die verschwörerischen Kräfte, die immer wieder in den Mabuse-Filmen wirken, verweisen auf das Genre des Spionagethrillers. Das Prinzip allumfassender Überwachung, wie es in DIE 1000 AUGEN DES DR. MABUSE zum Ausdruck kommt, erinnert jedoch an die Dystopie, etwa an George Orwells 1984 (1949). Moderne Technik und ihr zerstörerisches Potential sind von Beginn an ein fester Bestandteil der Romane (man denke an das Amphibienfahrzeug in Jacques’ erstem Mabuse-Roman) wie auch der späteren Mabuse-Filme. Für letzteres gibt es eine Vielzahl von Gründen. Zum einen war es ein Versuch, den amerikanischen James-Bond-Filmen (zumindest im Inland) Konkurrenz zu machen. Vor allem der sechste Film der Reihe, DIE TODESSTRAHLEN DES DR. MABUSE (1964), mit seiner international angelegten Geschichte und seinen Science-Fiction-Anleihen macht dies deutlich. Zum anderen zeigt sich hier das Bemühen, modern und auf der Höhe der ← 11 | 12 → Zeit zu sein, mit anderen Worten: zukunftsorientiert. Doch entpuppt sich diese Zukunft als beängstigend, da sie nichts als neue Wege für das Verbrechen aufzeigt. Daher steckt in der Darstellung moderner und mitunter zerstörerischer Technik ein Skeptizismus, ein konservativer Reflex, der auf die Ursprünge der Figur Mabuse verweist. Jacques zeigt sich in seinem Roman sehr skeptisch gegenüber neuen Entwicklungen, zum Beispiel dem Expressionismus in Kunst und Musik, die er als „Farbenklatsche“12 und „moderne Geräusche“13 beschreibt. Doch ist seine Umdeutung des Schurken in Dr. Mabuse, der Spieler, dessen ‚Beförderung‘ zum Protagonisten ein Akt, der ironischerweise ganz im Sinne des Expressionismus geschieht.14 Zudem folgt er damit dem Zeitgeist, denn auch Fantômas in Frankreich wurde seit seinem ersten Erscheinen 1911 zum negativen Helden, Dr. Fu-Manchu seit 1912 in Großbritannien. Was zunächst nur in der Romantik (Der Sandmann, 1816) und der Horrorliteratur (Dracula, 1897) üblich war, findet jetzt Verbreitung in der populären Unterhaltungskultur. Von der Faszination für seinen Titelhelden wird sich Jacques jedoch im Laufe des Romans distanzieren, lässt er doch durch die Figur des Staatsanwalts Wenk eine moralische Instanz auftreten, die sich den Plänen Mabuses entgegenstellt. Dennoch zeigt sich Jacques zweifellos mehr an Mabuse als an Wenk interessiert, den er als gewaltige, schillernde, extrovertierte Gestalt zeichnet, die in der Öffentlichkeit nur in Masken auftritt, was auf eine aufrichtige, aber auch leicht verschämte Faszination schließen lässt. Mabuse existiert im Roman und in den späteren Filmen vor allem als ‚kontagiöse Präsenz‘, als Geist, von dem man besessen wird. Gerade dieser Einfall macht die These, Mabuse sei ein Indikator für gesellschaftspolitische Umwälzungen oder den jeweiligen Zeitgeist, so naheliegend wie einleuchtend: Spätestens wenn er das Körperliche hinter sich lässt, wird er zur Stimmung, zur Atmosphäre des Schreckens.

Details

Seiten
114
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653062403
ISBN (ePUB)
9783653953657
ISBN (MOBI)
9783653953640
ISBN (Hardcover)
9783631670323
DOI
10.3726/978-3-653-06240-3
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (März)
Schlagworte
Deutscher Film Wiedergänger Hitlers Weimarer Republik Literaturverfilmung
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 114 S.

Biographische Angaben

Sven Safarow (Autor:in)

Sven Safarow hat Germanistik, Anglistik und Musikwissenschaft studiert. Er schreibt Artikel und Essays für diverse Print- und Online-Medien.

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