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Das griechische Immobilienrecht

Eine rechtsvergleichende Darstellung in Bezug auf das deutsche Recht

von Panagiotis Kabolis (Autor:in)
©2019 Monographie 674 Seiten

Zusammenfassung

Das griechische Grundstücksrecht befindet sich heute im Umbruch. Vor allem führt die Einführung des Grundbuchsystems in Griechenland grundlegende Änderungen im veralteten Corpus des Sachenrechts mit positiven Auswirkungen auf die Rechtssicherheit herbei. Zugleich ist dies mit einer ganzen Reihe von neuen Rechtsinstituten und Herausforderungen verbunden, die die griechische Rechtsordnung zu bewältigen hat. Dieses Buch liefert eine Darstellung des modernen griechischen Sachenrechts der Immobilien auf neuestem Stand. Es befasst sich mit der Entwicklung und der Funktion der Rechtsinstitute betreffend die Begründung, Übertragung und Belastung von dinglichen Rechten an Grundstücken durch eine dialektische Gegenüberstellung der griechischen und der deutschen Vorschriften, so dass sich dem ausländischen Rechtsanwender eine gründliche theoretische wie auch praktische Einsicht in das Thema eröffnet.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Kapitel I – Einleitung
  • 1. Historischer Überblick
  • a) Die Geschichte des Privatrechts im griechischen Raum
  • aa) Archaische – klassische Zeiten
  • bb) Hellenistische Zeiten
  • cc) Römische Zeiten
  • dd) Byzantinische Zeiten
  • ee) Postbyzantinische Zeiten
  • ff) Neohellenische Zeiten
  • b) Die Entstehungsgeschichte des ZGB
  • aa) Die Entwürfe
  • bb) Bestrebungen der Kodifizierung
  • cc) Das System des ZGB und seine Entwicklung
  • dd) Der Geist des ZGB
  • 2. Grundsätze des griechischen Sachenrechts
  • a) Gesetzestext (Art. 973 ZGB)
  • b) Prinzipien des griechischen Sachenrechts
  • aa) Absolutheit – Unmittelbarkeit
  • bb) Typenzwang – Typenfixierung
  • cc) Publizität der dinglichen Rechte
  • dd) Spezialitätsgrundsatz
  • c) Besondere Grundsätze
  • aa) Absonderungs- und Vorzugsprinzip
  • bb) Vorrangsprinzip
  • cc) Grundsatz der wirtschaftlichen Nutzung
  • 3. Die dinglichen Rechte
  • a) Eigentum
  • b) Beschränkte dingliche Rechte
  • aa) Nutzungsrechte
  • aaa) Grunddienstbarkeiten
  • bbb) Nießbrauch
  • ccc) Beschränkte persönliche Dienstbarkeiten
  • ddd) Wohnungsrecht
  • eee) Erbbaurecht
  • fff) Reallast
  • bb) Verwertungsrechte
  • aaa) Pfandrecht an beweglichen Sachen und an Rechten
  • bbb) Hypothek
  • ccc) Grundschuld – Rentenschuld
  • cc) Erwerbsrechte – Vorkaufsrecht
  • 4. Vormerkung
  • 5. Besitz
  • 6. Rechtsvergleichende Anmerkungen
  • Kapitel II – Die Sachen
  • 1. Gesetzestext (Art. 947–972 ZGB)
  • 2. Begriff
  • 3. Kategorien der Sachen
  • a) Bewegliche – unbewegliche Sachen
  • b) Vertretbare Sachen
  • c) Verbrauchbare Sachen
  • d) Bestandteile
  • aa) Bestandteile des Grundstücks
  • bb) Rechtsfolgen
  • cc) Scheinbestandteile
  • e) Zubehör
  • aa) Rechtsfolgen
  • bb) Zubehör kraft Gesetzes
  • 4. Früchte und Nutzungen
  • a) Früchte
  • b) Nutzungen
  • 5. Dem Verkehr entzogene Sachen
  • a) Sachen, die allen gemeinsam sind
  • b) Dem Gemeingebrauch gewidmete Sachen109
  • aa) Gewässer
  • bb) Küsten – Häfen – Buchten – Ufer von schiffbaren Flüssen und von großen Seen
  • cc) Straßen – Plätze
  • c) Sachen im Dienst von öffentlichen, städtischen, gemeindlichen, religiösen Zwecken
  • d) Entstehung und Aufhebung des öffentlichen Charakters
  • e) Eigentum
  • f) Schutz
  • g) Konzession
  • 6. Herrenlose Sachen – Nachlass ohne Erben
  • 7. Rechtsvergleichende Anmerkungen
  • 8. Exkurs: Die historische Entwicklung und das Wesen des öffentlichen Grundvermögens in Griechenland
  • Kapitel III – Der Besitz
  • 1. Gesetzestext (Art. 974–998 ZGB)
  • 2. Begriff
  • 3. Besitzarten
  • a) Besitz – Detention
  • b) Rechtsbesitz
  • c) Mittelbarer – unmittelbarer Besitz
  • d) Teilbesitz
  • e) Mitbesitz
  • 4. Erwerb des Besitzes
  • a) Originärer Besitzerwerb
  • b) Abgeleiteter Besitzerwerb
  • c) Detentionserwerb
  • d) Rechtsvergleichende Anmerkungen
  • e) Andere Erwerbsarten
  • aa) Erwerb durch einen anderen
  • bb) Ausübung durch einen anderen
  • cc) Erbfolge
  • f) Besitzdiener
  • 5. Verlust des Besitzes
  • 6. Besitzschutz
  • a) Verletzung des Besitzes
  • aa) Entziehung – Störung
  • bb) Ohne den Willen des Besitzers
  • cc) Rechtswidrigkeit
  • dd) Fehlerhafter Besitz
  • ee) Rechtsvergleichende Anmerkungen
  • b) Schutzmittel
  • aa) Eigenmächtiger Schutz
  • bb) Herausgabeanspruch und Anspruch auf Beseitigung
  • cc) Deliktischer Schutz
  • dd) Bereicherungsrechtlicher Schutz
  • ee) Einstweilige Verfügung
  • ff) Drittwiderspruchsklage gegen die Zwangsvollstreckung
  • gg) Verfolgungsrecht
  • c) Verteidigung des Beklagten
  • d) Verjährung
  • e) Schutz des Teil- und des Mitbesitzers
  • f) Schutz des Rechtsbesitzers
  • g) Schutz des Detentors
  • h) Schutz des Besitzers gegen den Detentor
  • i) Schutz in mehrstufigen Detentionsverhältnissen
  • 7. Rechtsvergleichende Anmerkungen
  • Kapitel IV – Das Eigentum – Nachbarrecht
  • 1. Gesetzestext (Art. 999–1001 u. 1003–1032 ZGB)
  • 2. Inhalt und Beschränkungen des Eigentums
  • 3. Schranken des Eigentums
  • a) Enteignung
  • b) Raumordnungs- und baurechtliche Vorschriften
  • c) Denkmalschutz – Kulturerbe
  • d) Umweltrecht – Waldrecht
  • e) Nationalsicherheit
  • f) Sonstige Beschränkungen
  • g) Eigentumsschranken im ZGB außerhalb des Sachenrechts
  • h) Eigentumsschranken im Sachenrecht
  • 4. Nachbarrecht
  • a) Immissionen
  • b) Schädigende Anlagen – Gebäudeeinsturzgefahr – Vertiefung
  • aa) Schädigende Anlagen
  • bb) Gebäudeeinsturzgefahr
  • cc) Vertiefung
  • c) Überhang – Überfall
  • aa) Überhang
  • bb) Überfall
  • d) Überbau
  • e) Notweg
  • f) Duldung von Ausbesserungen
  • g) Grenzrecht
  • h) Wasserrecht
  • i) Verjährung
  • Kapitel V – Erwerb des Eigentums an Grundstücken
  • 1. Gesetzestext (Art. 1033, 1041–1057, 1069–1074 u. 1192–1208 ZGB)
  • 2. Einleitung
  • 3. Erwerb durch Vertrag
  • a) Einigung
  • b) Rechtsgrund
  • c) Notarielle Beurkundung
  • d) Transkription
  • aa) Historischer Überblick
  • bb) Die Eintragung
  • cc) Das Transkriptionsregister
  • dd) Die Bücher des Transkriptionsregisters
  • ee) Das Verfahren
  • ff) Die Grundsätze des griechischen Transkriptionsrechts
  • aaa) Legalitätsprinzip
  • bbb) Vorrangsprinzip
  • ccc) Öffentlichkeitsprinzip
  • gg) Die problematische Eintragung
  • hh) Rechtsvergleichende Anmerkungen
  • 4. Andere Arten des derivativen Eigentumserwerbs an Grundstücken
  • 5. Originärer Eigentumserwerb an Grundstücken
  • a) Erwerb durch Ersitzung
  • aa) Einleitung
  • bb) Historische Entwicklung
  • cc) Ordentliche Ersitzung
  • dd) Außerordentliche Ersitzung
  • ee) Rechtsvergleichende Anmerkungen
  • 6. Andere Arten des originären Eigentumserwerbs an Grundstücken
  • a) Zuweisung – Zuerkennung
  • b) Verbindung
  • c) Aneignung
  • d) Anschwemmung – Anlandung – Flussinsel – verlassenes Flussbett – Flussarm
  • Kapitel VI – Das griechische Grundbuch
  • 1. Gesetzestext (Auszüge aus dem Grundbuchgesetz)
  • 2. Historischer Überblick
  • 3. Die Katastererrichtung
  • 4. Das griechische Grundbuch
  • a) Grundsätze des griechischen Grundbuchrechts
  • aa) Grundbezogene Organisierung (Art. 2 Nr. 1 GBG)
  • bb) Legalitätsprinzip (Art. 2 Nr. 2 GBG)
  • cc) Das Prinzip des öffentlichen Glaubens (Art. 2 Nr. 5 GBG)
  • aaa) Vor der Endgültigkeit der ersten Eintragungen
  • aaaa) Die Klage gem. Art. 6 Abs. 2 GBG
  • bbbb) Erleichterungen
  • bbb) Nach der Endgültigkeit der ersten Eintragungen
  • aaaa) Die unwiderlegbare Vermutung
  • bbbb) Der öffentliche Glaube des Grundbuchs (die widerlegbare Vermutung)
  • cccc) Reichweite der Vermutung
  • dddd) Inhalt der Bösgläubigkeit
  • eeee) Die Klage nach Art. 13 Abs. 2 S. 1 GBG
  • ffff) Offenkundige Fehler
  • dd) Grundsatz des zeitlichen Vorrangs (Art. 2 Nr. 3 GBG)
  • ee) Öffentlichkeitsgrundsatz (Art. 2 Nr. 4 GBG)
  • ff) Grundsatz des offenen Grundbuchs (Art. 2 Nr. 6 GBG)
  • b) Grundstücke „unbekannten Eigentümers“
  • c) Grundbuch und Ersitzung
  • d) Das Verfahren vor dem Grundbuchamt
  • aa) Das Grundbuchamt
  • bb) Die Grundbuchangaben
  • cc) Der Leiter des Grundbuchamts
  • dd) Das Verfahren im Grundbuchamt
  • e) Vergleich zum Transkriptionssystem und allgemeine Bewertung
  • f) Symbiose des Transkriptions- und des Grundbuchsystems
  • 5. Rechtsvergleichende Anmerkungen
  • Kapitel VII – Miteigentum – Stockwerkseigentum
  • 1. Miteigentum – Gesetzestext (Art. 1113–1116 ZGB)
  • 2. Das Miteigentum
  • a) Begründung
  • b) Belastung
  • c) Schutz
  • d) Gebrauch – Verwaltung
  • e) Aufhebung des Miteigentums
  • 3. Rechtsvergleichende Anmerkungen
  • 4. Stockwerkseigentum26 – Gesetzestexte
  • a) Art. 1002, 1117 ZGB
  • b) Auszüge aus dem Stockwerkseigentumsgesetz (G.3741/1929)
  • c) Auszüge aus der GV über das vertikale Eigentum (GV 1024/1971)
  • 5. Historische Übersicht
  • a) Horizontales Eigentum
  • b) Vertikales Eigentum
  • c) Weitere Arten und Rechtsnatur
  • 6. Horizontales Eigentum
  • a) Begründung
  • b) Aufbau und Funktion
  • c) Teilung – Vereinigung
  • d) Erweiterung
  • e) Sondernutzungsrechte – Veräußerungsbeschränkungen
  • f) Gemeinschaftsordnung – Versammlung der Miteigentümer – Verwalter
  • g) Aufhebung
  • 7. Vertikales Eigentum
  • a) Begründung
  • b) Aufbau und Funktion
  • c) Aufhebung
  • 8. Rechtsvergleichende Anmerkungen
  • 9. Exkurs: Bauträgervertrag
  • Kapitel VIII – Schutz des Eigentums
  • 1. Gesetzestext (Art. 1094–1112 ZGB)
  • 2. Einleitung
  • 3. Vindikationsklage
  • a) Antrag
  • aa) Verteidigung des Beklagten
  • bb) Rechtsvergleichende Anmerkungen
  • cc) Nutzungen / Verschlechterung – Untergang – Unmöglichkeit der Herausgabe
  • dd) Rechtsvergleichende Anmerkungen
  • b) Gegenansprüche des Besitzers/Detentors auf Verwendungen
  • aa) Rechtsvergleichende Anmerkungen
  • bb) Wegnahmerecht
  • cc) Erlöschen des Anspruchs
  • dd) Konkurrenzen
  • 4. Negatorische Klage
  • 5. Publizianische Klage
  • Kapitel IX – Grunddienstbarkeiten
  • 1. Gesetzestext (Art. 1118–1141 ZGB)
  • 2. Einleitung
  • 3. Die vereinzelten Grunddienstbarkeiten
  • a) Begründung
  • b) Ausübung der Grunddienstbarkeiten
  • c) Schutz der Grunddienstbarkeiten
  • d) Erlöschen der Grunddienstbarkeiten
  • 4. Rechtsvergleichende Anmerkungen
  • Kapitel X – Nießbrauch – Wohnungsrecht – Beschränkte persönliche Dienstbarkeiten
  • 1. Nießbrauch
  • a) Gesetzestext (Art. 1142–1182 ZGB)
  • b) Begriff
  • c) Begründung
  • d) Das Eigentümer-Nießbraucher-Verhältnis
  • e) Übertragung – Belastung – Erlöschen
  • f) Schutz
  • 2. Wohnungsrecht
  • a) Gesetzestext (Art. 1183–1187 ZGB)
  • b) Begriff
  • c) Begründung – Erlöschen – Schutz
  • 3. Andere beschränkte persönliche Dienstbarkeiten
  • a) Gesetzestext (Art. 1188–1191 ZGB)
  • b) Begriff
  • c) Begründung – Erlöschen – Schutz
  • 4. Rechtsvergleichende Anmerkungen
  • Kapitel XI – Die Hypothek
  • 1. Gesetzestext (Art. 1257–1345 ZGB)
  • 2. Einleitung
  • 3. Haftungsgegenstand
  • 4. Forderung
  • 5. Bestellung
  • a) Titel
  • b) Eintragung
  • c) Eintragungsmängel
  • d) Rangstelle
  • 6. Das Hypothekengläubiger-Hypothekenschuldner-Verhältnis
  • 7. Die Verwertung der Hypothek
  • 8. Erlöschen – Löschung der Hypothek
  • 9. Die Hypothekenvormerkung
  • a) Bestellung
  • b) Die Umwandlung der Vormerkung
  • c) Zwangsvollstreckung
  • d) Erlöschen – Löschung der Vormerkung
  • 10. Rechtsvergleichende Anmerkungen
  • Anhang I – Relevante Gesetzestexte
  • 1. Griechische Verfassung (auszugsweise)
  • 2. Einführungsgesetz zum griechischen Zivilgesetzbuch (EGZGB)
  • 3. Griechisches Zivilgesetzbuch (ZGB)
  • 4. Einführungsgesetz zur griechischen Zivilprozessordnung (EGgr.ZPO) (auszugsweise)
  • 5. Griechische Zivilprozessordnung (gr.ZPO) (auszugsweise)
  • 6. Griechisches Strafgesetzbuch (gr.StGB) (auszugsweise)
  • 7. Griechische Strafprozessordnung (gr.StPO) (auszugsweise)
  • Anhang II – Abbildungen
  • Bibliographie

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Kapitel I – Einleitung

1. Historischer Überblick

a) Die Geschichte des Privatrechts im griechischen Raum

Vor jedem Versuch der Analyse des griechischen Sachenrechts ist eine kurze Darstellung der historischen Entwicklung des Privatrechts im griechischen Raum unvermeidlich. Nur dadurch kann der Leser – besonders der ausländische – das griechische Privatrecht von heute in einen historischen, politischen und sozialen Kontext stellen wie auch die Eigenheiten des griechischen Rechtsdenkens und -lebens verstehen.

Die Analyse einer Zivilisation von solch historischer und räumlicher Breite wie der griechischen vom juristischen Standpunkt aus verlangt im Vorfeld einige Klarstellungen: Unter dem Begriff „griechischer Raum“ sind rechtshistorisch der weitere Raum des östlichen Mittelmeers sowie Teile der balkanischen Halbinsel und Asiens wie auch westwärts Sizilien und Süditalien zu verstehen. Es wird das Recht dargestellt, das von den Griechen zu gegebener Zeit am gegebenen Ort angewandt wurde. Die Darstellung wird sich auf das Vertrags- und das Sachenrecht beschränken. Den relativ unbekannten altgriechischen Rechten wird eine ausführlichere Behandlung gewidmet. Aus dem römischen Recht werden nur für dieses Werk relevante Aspekte an der entsprechenden Stelle analysiert.

Die griechische Rechtsgeschichte lässt sich in die folgenden Perioden aufteilen:

a) archaische – klassische Zeiten bis zu den hellenistischen Zeiten (7. Jh.–332 v.Chr.)

b) hellenistische Zeiten bis zur Eroberung Griechenlands durch die Römer (332 v.Chr. –168 v.Chr.)

c) römische Zeiten bis zur justinianischen Kodifizierung (168 v.Chr.–565)

d) byzantinische Zeiten (565–1453)

e) postbyzantinische Zeiten (1453–1821)

f) neohellenische Zeiten (1821 bis heute).

Diese Kategorisierung ist konventionell, da keine deutliche Grenzlinie zwischen den historischen Perioden gezogen werden kann. Sie dient der besseren Darstellung der Materie.

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aa) Archaische – klassische Zeiten

Die Existenz eines einheitlichen „altgriechischen Rechts“ – im Gegensatz zum römischen Recht – ist umstritten.1 Das in Stadtstaaten zersplitterte politische System spricht dafür, dass jede Stadt ihre eigenen Gesetze je nach historischer Entwicklung, Tradition und besonderen Bedürfnissen hatte.2 Trotzdem lässt sich aus Gemeinsamkeiten in den Regelungen auf gemeinschaftliche Grundzüge des griechischen Rechts schließen.3

Das Bestehen von ungeschriebenen, gottgegebenen Gesetzen4 war bei den Griechen eine feste Überzeugung. Das 7. und 6. vorchristliche Jahrhundert war die Zeit der großen Gesetzgeber wie Lykourgos von Sparta, Drakon und Solon von Athen, Zaleukos von Lokroi Epizephyrioi in Süditalien und Charondas von Catania in Sizilien.5 Zugleich begann die Bestrebung zur Fixierung schriftlicher Gesetze.6 Diese ersten schriftlichen Formulierungen von Normen waren keine systematischen Kodifizierungen, sondern eher Katalogisierungen von wichtigen ad hoc Regelungen. Diese Regelungen galten parallel zum Sittenrecht.7 Spätere ←26 | 27→Kodifizierungen aus klassischen und nachklassischen Zeiten sind literarisch überliefert und durch archäologische Funde bestätigt.8

Das Recht wurde in Griechenland nicht, wie im Fall des römischen Rechts, von Juristen entwickelt.9 Aus der tatsächlichen gesetzgeberischen Produktion der Griechen sind nur Fragmente zu uns gekommen.10 Die meisten Informationen über das klassische attische Recht haben wir aus den Werken von Philosophen, Rednern, Historikern, Dichtern und aus späteren, nicht immer zuverlässigen Quellen wie die Lexikographen des 2. Jh. n.Chr.11 Am ausführlichsten waren Ehe-, Familien-, Erb- und Adoptionsrecht geregelt, da sie zusammen mit dem Bürgerrecht das Schicksal des familiären Vermögens bestimmten.

Trotz der Entwicklung des Handels hat sich kein Vertragsrecht im heutigen Sinn herausgebildet. Es gab kein juristisches Pendant zu der römischen stipulatio. Aus den literarischen Quellen lässt sich jedoch ein allgemeines Prinzip der Verbindlichkeit mancher Verhältnisse ausmachen. Aristoteles hat diese Verhältnisse (συναλλάγματα – synallagmata) in gewollte (εκούσια – ekousia) und ungewollte (ακούσια – akousia) unterschieden.12 Das heutige Rechtsdenken hätte darin die Unterscheidung zwischen ex contractu und ex delicto Obligationen gesehen. In Wirklichkeit wurden Vereinbarungen nicht im Sinn der heutigen gegenseitigen Eingehung von Verpflichtungen abgeschlossen.13 Es handelte sich eher um Verbindlichkeiten im weiten Sinn, die sich aus „zwischenmenschlichen Beziehungen“ ergaben.14 Es scheint, dass Vereinbarungen Obligationen insoweit erzeugen konnten, als ein Athener Gericht bereit war, über sie Recht zu sprechen.15

Das attische Recht unterschied zwischen beweglichen und unbeweglichen Sachen. Im Gegensatz zu beweglichen Sachen durfte ein Nichtbürger keine ←27 | 28→Immobilien in Athen erwerben, es sei denn, ihm war das Privileg „des Erwerbs von Land und Haus“ (έγκτησις γης και οικίας – enktesis gis kai oikias) zuerkannt worden.16 Einen juristisch konstruierten Begriff des Eigentums gab es nicht.17 Zweifelhaft ist die Anerkennung des Besitzes als selbständige Rechtslage.18 Eine Unterscheidung zwischen Eigentum und Besitz im heutigen Sinn kann im altgriechischen Recht nicht festgestellt werden. Die Griechen verstanden das Herrschaftsrecht an einer Sache als einen von Ansprüchen Dritter freien Besitz.19 Die Eigenschaft des „Eigenseins“ (οικείος – oikeios) war mit der Befugnis verbunden, die Sache zu benutzen und über sie zu verfügen.20 Der Übergang des Eigentums erfolgte Zug um Zug ohne Einhaltung einer Form.21 Beim Kauf (πράσις/ωνή – prasis/one) erhielt der Erwerber das Eigentum mit der Zahlung des Kaufpreises.22 Überlassungen des Gebrauchs der Sache wie Miete (μίσθωσις – misthosis) oder Verwahrung (παρακαταθήκη – parakatatheke) sind überliefert.23

Besonderen Wert legten die griechischen Rechtssysteme auf die Publizität von Rechten an Immobilien. Theophrast zählt einige der von manchen Städten angewandten Systeme auf,24 wie die öffentliche Ankündigung des beabsichtigten Kaufs durch einen Herold und den Abschluss des Kaufvertrags in Anwesenheit des Stadtoberhaupts oder von Zeugen. Diese Vorgänge erübrigten sich im Fall des Vorhandenseins eines Registrierungssystems von Grundstücken und von Verträgen.

Rechtsinstitute zur Kreditsicherung sind bei den Griechen bekannt.25 Die Kredite konnten persönlich durch Bürgschaft (εγγύη – engye) oder real durch Pfand (ενέχυρον – enechyron), durch Übertragung des Eigentums an den Gläubiger ←28 | 29→unter Vorbehalt des Rechts auf Rückübertragung (πράσις επί λύσει – prasis epi lysei) oder durch die Bestellung einer Hypothek (υποθήκη – hypotheke) gesichert werden.26 Die Immobilienbelastungen wurden mit der Errichtung einer entsprechenden Hinweistafel auf dem belasteten Grundstück (όρος – horos) publik gemacht.27

Der Schutz des Eigentums erfolgte durch den gerichtlichen Prozess der διαδικασία – diadikasia. Diese hatte mit der römisch-rechtlichen rei vindicatio nichts Gemeinsames. Es handelte sich eher um unterschiedliche Formen von Rechtsmitteln, deren Erhebung von der Art des Vermögensgegenstands abhängig war.28 Bei Immobilien wurde das Eigentum mittelbar im Rahmen eines anderen Verfahrens festgestellt,29 z. B. über die Erzeugnisse aus einem Feld (δίκη καρπού – dike karpou) oder über das Wohnrecht an einem Haus (δίκη ενοικίου – dike enoikiou). Der Streitsieger konnte den Verlierer aus dem Grundstück entfernen (εμβατεία – embateia). Im Fall des Widerstands konnte er die Herausgabeklage (δίκη εξούλης – dike exoules) erheben.30

bb) Hellenistische Zeiten

Die Gründung der hellenistischen Königreiche nach den Eroberungen Alexanders des Großen brachte die Verbreitung griechischer Rechtsinstitute außerhalb der Grenzen Griechenlands mit sich. Die meisten Informationen haben wir aus dem ptolemäischen Ägypten (332 v.Chr.–30 v.Chr.). Das Recht der Neuankömmlinge kam mit dem lokalen ägyptischen Recht in Berührung wie auch später nach der römischen Eroberung Ägyptens mit dem römischen Recht. Die ←29 | 30→verschiedenen Rechtskreise haben jedoch im Bereich des Privatrechts mit einigen Ausnahmen keine Osmose erfahren.31

Das griechische Recht wurde grundsätzlich unverändert in die neuen Königreiche übertragen. Außerdem hat die neue wirtschaftliche und soziale Umgebung neue Arten des Rechtsverkehrs geschaffen. Die alte Zug-um-Zug-Sachübertragung blieb bestehen. Dazu erschienen neue Arten von Transaktionen wie der Kaufvertrag mit gestundetem Kaufpreis oder das Rechtsinstitut der αντίχρησις – antichresis.32

Charakteristisch für das hellenistische Ägypten war die Dokumentierung von Vereinbarungen. Dies kam üblicherweise in der Form der syngraphe (schriftliche Vereinbarung) vor. Vertragliche Vereinbarungen wurden als private Niederschriften (cheirographon) oder von Beamten in Form von Urkunden (agoranomoi) verfasst.

Diese Niederschriften dienten ausschließlich als Nachweis der vorgenommenen Vereinbarung. Die Einhaltung der schriftlichen Form war für die Wirksamkeit belanglos.33 Der staatlichen Kontrolle über Vermögensrechte diente ihre Registrierung in der bibliotheke enkteseon. Es handelte sich um ein Vermögensregister, in dem die Übertragung, Begründung und Aufhebung von Vermögensrechten eingetragen wurden. Voraussetzung für die Eintragung war die staatliche Beurkundung der Vereinbarung.34

cc) Römische Zeiten

Die Unterwerfung Griechenlands unter die römische Herrschaft (168 v.Chr. Anschluss der Provinz Macedonia, 146 v.Chr. Anschluss der Provinz Achaea) hat nicht zugleich die Abschaffung der lokalen Rechte herbeigeführt. Die Weltmacht Rom war eher an einer Kontrolle des politischen Lebens interessiert. Die Unterworfenen durften in ihren privaten Angelegenheiten ihr eigenes Recht ←30 | 31→gebrauchen, soweit es von den Römern geduldet wurde.35 Das ius civile fand nur bei römischen Bürgern Anwendung. Die Verleihung des römischen Bürgerrechts an alle freien Rechtsuntertanen (constitutio Antoniana, 212 n.Chr.) hat nicht viel daran geändert. In den Ostprovinzen wurde die Anwendung hellenistischen Rechts fortgesetzt.36

Den Übergang von griechisch-hellenistischen Rechten zum römischen Recht hat die Verlegung des Verwaltungszentrums des Imperiums von Westen nach Osten nach Konstantinopel (330) herbeigeführt. Schon seit den Zeiten Konstantins (306–337) und Theodosius II (408–450) wird die seltenere Anwendung griechischer Rechte und die zunehmende Anwendung römischen Rechts festgestellt.37 Die endgültige Geltung des römischen Rechts im griechischen Raum kennzeichnet das von Justinian unternommene Kodifizierungswerk (530–533): Corpus juris civilis (Institutiones, Codex Iustinianus, Digesta, Novellae Constitutiones).

Aus dem griechischen Recht haben jedoch Rechtsinstitute und Prinzipien im römischen Recht überlebt, wie z.B. das Institut des arrabon (im römischen Recht: arra, ahra, arrabo).38 Der griechischen Philosophie verdankt das römische Rechtsdenken die Herausbildung des Begriffs der aequitas (επιείκεια – Billigkeit),39 wie auch die Konzeption eines für alle Lebewesen geltenden Naturrechts.40

dd) Byzantinische Zeiten

Als römisch-byzantinisches Recht wird in der Lehre das während der Zeit des byzantinischen Reichs (Ostteil des römischen Imperiums) angewandte römische Recht bezeichnet.41 Das inzwischen teilweise vulgarisierte42 römische Recht ←31 | 32→rezipiert mehr und mehr Rechtsgut aus dem griechischen Osten, wie z.B. das Recht der emphyteusis, das als ein vom Eigentum gesondertes Recht an fest mit dem Boden verbundenen Sachen (z. B. Bäume) herausgebildet wird und eine Abweichung von dem römisch-rechtlichen Prinzip superficies solo cedit ist.43 Diese Zeit wird von der allmählichen Ersetzung des Lateins als Amtssprache durch das Griechische,44 wie auch von dem zunehmenden Einfluss der Kirche in der Rechtsfindung geprägt. Schon Konstantin hatte für die Christen eine freiwillige bischöfliche Gerichtsbarkeit in ihren Privatangelegenheiten vorgesehen.45 Die episcopalis audientia wurde von Justinian durch Novella 86 von 539 auf Zivil- und Strafsachen erweitert.46

Der Einfluss der Kirche nimmt auch bei der Gesetzgebung zu. Das kanonische Recht regelt kirchliche wie auch private Angelegenheiten und wächst mit dem säkularen zusammen. Die staatlich geförderte Kultivierung der Rechtswissenschaft lässt nach. Ab dem 14. Jh. erscheinen private Gesetzessammlungen (Νομοκανόνες – Nomokanones), die als Zusammenfassungen des kanonischen und des Privatrechts dienen. Die wichtigsten sind das Σύνταγμα – Syntagma (Verfassung) von Matthaios Vlastaris (1335) und das Πρόχειρον Νόμων – Prochiron nomon (Gesetzeshandbuch) oder die Εξάβιβλος – Hexabiblos (sechs Bücher) von Konstantin Armenopoulos (1345).47

Der seit dem 11. Jh. begonnene Zerfall des byzantinischen Kaiserreichs erfährt seinen tiefsten Punkt in der Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzritter (1204). Außer einigen Gebieten, die unter byzantinischer Herrschaft blieben, teilten die Anführer des 4. Kreuzzugs die Länder des byzantinischen Reichs unter sich auf (Partitio Terrarum Imperii Romaniae). Aus dem Territorium des byzantinischen Reichs entstanden das Lateinische Kaiserreich in Konstantinopel, das Königreich Thessaloniki und weitere Fürsten- und Herzogtümer. Die neuen Herrscher haben aus ihren Ländern mit Abweichungen ←32 | 33→das feudalistische System mitgebracht. Das Land wurde in Herrschaftsbereiche aufgeteilt. Die Untertanen (villani) hatten keinerlei Rechte am Grund. Sie waren an den zu bestellenden Boden gebunden und dem Grundherrn zur Abgabe von Erzeugnissen oder von Steuern verpflichtet.

Ein ähnliches System war auch in Byzanz schon seit dem 10. Jh. in Form der πρόνοια – pronoia (Rücksichtnahme) bekannt. Der Staat wies Privaten oder Soldaten gegen Dienste oder Geld Land zu. Das Eigentum blieb beim Staat. Die besitzlosen Bauern (πάροικοι – paroikoi) bestellten das Land für die Rechtsinhaber (προνοιούχοι – pronoiouchoi).48

ee) Postbyzantinische Zeiten

Ab dem 15. Jh. fing die osmanische Herrschaft an, sich im griechischen Raum zu verbreiten.49 Die eroberten Länder unterfielen der Geltung der sharia, des heiligen Rechts des Korans, einschließlich des Privatrechts. Den Unterworfenen (raya) wurden nicht die gleichen Rechte wie den Moslemen zuerkannt. Der griechische Patriarch von Konstantinopel wurde von den Osmanen als das Oberhaupt der Christen anfänglich in religiösen Angelegenheiten anerkannt. Später haben die kirchlichen Gerichte Bereiche des Privatrechts eingenommen. Sie waren aber bloße Schiedsgerichte.50 Diese Gerichte haben das römisch-byzantinische Recht angewandt, wie es aus der Hexabiblos von Armenopoulos zu entnehmen war.51

Parallel dazu erlaubte das Recht der Duldung (aman) die Verleihung von Privilegien an die Untertanen, vorausgesetzt, dass die Steuereinnahmen nicht beeinträchtigt waren. Aufgrund solcher Privilegien haben die Gemeinden der unterworfenen Völker eine gewisse Autonomie von der osmanischen Verwaltung erzielt. Gemeindegerichte haben die Fälle der Bewohner in Privatsachen aufgrund lokalen Gewohnheitsrechts entschieden.52

Freilich konnte jede Partei zu den osmanischen Gerichten als letzte Instanz rekurrieren. Außerdem war die Vollstreckung von Entscheidungen durch die ←33 | 34→Einbeziehung der osmanischen Behörden möglich wie auch die Wirksamkeit mancher Rechtsgeschäfte von der obligatorischen Zustimmung der osmanischen Gerichte abhängig. Die Kirche verhängte jedoch gegen diejenigen, welche die Entscheidungen eines Kirchengerichts nicht respektierten, geistliche Strafen wie die Exkommunikation.53

Der Grund gehörte grundsätzlich dem Sultan und war Staatsbesitz (arazi-i emiriye). Eine eigene Kategorie bildeten die Grundstücke, die Stiftungen gehörten (vakf). Privateigentum konnte nur an Häusern, Gebäuden, gewerblich genutzten Flächen, Gärten und Bäumen möglich sein (mülk).54 Normalerweise handelte es sich um Grundstücke, die sich in Ländern befanden, die dem Eroberer keinen Widerstand geleistet hatten. Die Eigentümer durften ihr Eigentum behalten.55 In den eroberten Ländern war das Timar-System durchgesetzt, das in manchen Aspekten mit dem feudalistischen System vergleichbar ist. Der Sultan hatte zur Entlohnung von Diensten an Beamte oder Mitglieder des Militärs Grundstücke verteilt. Das Urrecht (rekabe), vergleichbar mit dem modernen Eigentum, blieb bei ihm. Die Timarioten erhielten nur Gebrauchs- und Nutzungsrechte (tessaruf) an den Timaren. Dies diente sowohl der Versorgung der Timarioten durch Verpachtung der Timare an die Bauern als auch fiskalischen Zwecken, da die Timar-Inhaber auch als Steuereintreiber fungierten. Das Timarrecht war nicht vererblich. Ein Übergang auf die Person des Erben des Inhabers war vom Willen des Sultans abhängig. Ab Mitte des 16. Jh. fing das Timar-System zu zerfallen an. Allmählich sammelte sich das Land in Form von Landgütern (çiftlik) in den Händen von wenigen wohlhabenden Großgrundbesitzern.

ff) Neohellenische Zeiten

Der 1821 begonnene Freiheitskampf der Griechen gegen die osmanische Herrschaft mündete 1830 in die offizielle internationale Anerkennung der Unabhängigkeit Griechenlands (Protokoll von London vom 22.1./3.2.1830).

Schon in Revolutionszeiten haben die Griechen in verschiedenen Nationalversammlungen die Gesetze der byzantinischen Kaiser zu geltendem Zivilrecht ←34 | 35→in Griechenland gemacht.56 Der erste Gouverneur Griechenlands, Ioannis Kapodistrias, hat durch die Verordnung von 15.12.1828 (Art. 38) spezifiziert, dass die Gesetze der Kaiser in Zivilsachen anzuwenden seien, wie sie sich in der Fassung der Hexabiblos von Armenopoulos befanden.57

Die erste Regierung des Königreichs Griechenland unter Otto von Bayern (1832–1862) unternahm keinen Kodifizierungsversuch des Zivilrechts. Der Münchener Professor von Maurer, der König Otto nach Griechenland begleitet hatte, hatte den Erlass eines griechischen Zivilgesetzbuchs als verfrüht angesehen, da ein solches Werk eine lange Vorbereitungsperiode vorausgesetzt hätte.58 Die am 7.3./19.3.1835 erlassene Verordnung „das Gesetzbuch des Armenopulos betreffend“ (Art. 1 Abs. 1) hat, wie ihre Vorgänger, die Anwendung der Zivilgesetze der byzantinischen Kaiser in der Fassung der Hexabiblos angeordnet. Des Weiteren hatten laut der Verordnung „Gewohnheitsrechte, welche langjähriger und ununterbrochener Gebrauch oder richterliche Beschlüsse geheiligt haben, da, wo sie vorkommen, den Vorzug“.59 Sie hat zugleich den Erlass eines Zivilgesetzbuchs in der Zukunft angekündigt. Erlassen wurden jedoch 1834 (auf Griechisch wie auf Deutsch) das Gesetzbuch über das Zivilverfahren, Gesetzbuch über das Strafverfahren, Strafgesetzbuch und die Gerichts- und Notariatsordnung.

Während dieser Zeit pflegten die griechischen Juristen das römisch-byzantinische Recht, aber nicht nur in der Fassung der Hexabiblos. Sie vertraten die Ansicht, dass unmittelbare und wichtigste Quelle des in Griechenland angewandten Rechts die Gesetzgebung von Justinian war. Diese Meinung hatte sich darauf gestützt, dass die Hexabiblos eigentlich eine Kurzfassung der Basiliken war, die wiederum wesentlich eine Übersetzung der justinianischen Gesetzgebung auf Griechisch waren.

Diese Entwicklung war darauf zurückzuführen, dass diese Periode mit der Blütezeit der Pandektenwissenschaft in Deutschland koinzidierte, die auch die ←35 | 36→römisch-justinianische Gesetzgebung pflegte. Die ersten griechischen Professoren des Zivilrechts der Athener Universität hatten in Deutschland studiert. Eine Auslegung der Verordnung von 1835 in diese Richtung hat ihnen die Einführung der ihnen schon vertrauten Pandektenlehre in die Rechtsordnung des neu gegründeten griechischen Staates ermöglicht.60

Vereinzelte Gesetze wie G.390/1856 „Über die Transkription“ oder G.391/1856 „Bürgerliches Griechisches Gesetz“ regelten Teilbereiche des Zivilrechts. Zugleich blieben lokale zivilrechtliche Kodifizierungen in Kraft, wie das Ionische Zivilgesetzbuch von 1841 auf den Ionischen Inseln, das Kretische Zivilgesetzbuch von 1904 auf Kreta und das Zivilgesetz von Samos von 1899, sogar nach der Annexion des jeweiligen Gebiets in den griechischen Staat. Diese Zersplitterung des Zivilrechts in unsystematische Gesetze und in Lokalrechte wie auch die veralteten Vorschriften des römisch-byzantinischen Rechts haben die Notwendigkeit für eine einheitliche, griechenlandweite Kodifizierung des Zivilrechts immer dringender erscheinen lassen.

b) Die Entstehungsgeschichte des ZGB

aa) Die Entwürfe

Seit der Verordnung von 1835 haben die Bemühungen der griechischen Juristen um ein Zivilgesetzbuch viele fehlgeschlagene Versuche61 erfahren. 1930 hat die griechische Regierung eine fünfköpfige Redaktionskommission mit der Aufgabe zusammengestellt, einen Entwurf des künftigen griechischen Zivilgesetzbuchs zu erarbeiten. Die Entwürfe der fünf Bücher des Zivilgesetzbuchs wurden in dem Zeitraum von 1933 bis 1936 veröffentlicht. Der endgültige Entwurf des ganzen Zivilgesetzbuchs wurde von dem Kommissionsmitglied Georgios Balis weiterbearbeitet und 1939 der Regierung vorgelegt. Dieser Entwurf wurde durch G.2250/1940 als das griechische Zivilgesetzbuch veröffentlicht. Es sollte am 1.7.1941 in Kraft treten. Das Inkrafttreten wurde aber durch den Ausbruch ←36 | 37→des zweiten Weltkriegs und die darauffolgende Verwicklung des Landes in die Kriegsereignisse auf ungewisse Zeit ausgesetzt.

Nach der Beendigung des Kriegs wurde 1945 eine Revisionskommission zusammengestellt, um den Entwurf des Zivilgesetzbuchs angesichts der in der Zwischenzeit ausgeübten Kritik zu bearbeiten. Der revidierte Entwurf wurde durch G.777/1945 veröffentlicht und trat am 23.2.1946 in Kraft. Dieses Zivilgesetzbuch von 1945 hat sich als extrem kurzlebig erwiesen. 1946 wurde das Zivilgesetzbuch von 1945 abgeschafft und das Zivilgesetzbuch von 1940 (daraufhin ZGB) wurde durch Gesetzesverordnung vom 7./10.5.1946 mit Rückwirkung vom 23.2.1946 wieder ins Leben gerufen.

bb) Bestrebungen der Kodifizierung

Die Einflüsse der großen Kodifikationswerke Europas auf das Rechtsdenken der Griechen waren schon in der Zeit der Revolution evident. Großen Widerhall haben die Ideen der französischen Revolution sowie der volkstümliche Geist und die Sprache des Code Civil gefunden.62 Entscheidende Einwirkung auf die Gestaltung des ZGB haben jedoch die seit 1888 veröffentlichten Entwürfe und das Inkrafttreten des deutschen BGB am 1.1.1900 ausgeübt. Die tiefgreifende Einwirkung des deutschen BGB kommt nicht überraschend. Unabhängig von seiner innovativen rechtstechnischen Leistung wurden die griechischen Juristen davon am meisten beeinflusst, da das BGB der ihnen vertrauten römisch-byzantinischen Gesetzgebung am nächsten stand.63 Der griechische juristische Boden war bereit durch die jahrelange Kultivierung der Pandektenlehre.64 Nicht zu unterschätzen war auch die direkte Berührung des griechischen politischen Wesens mit Deutschland während der Amtszeit von Otto, die in kurzer Zeit gesetzgeberische Früchte trug.

←37 | 38→

Wie sich aus den Ausführungen der Redaktionskommission (1930) ergibt, war eine vollständige Rezeption einer ausländischen Kodifizierung von vornherein ausgeschlossen.65 Auf der anderen Seite durften die Errungenschaften ausländischer Gesetzgebungen nicht verkannt werden.66 Ausgangspunkt der neuen Kodifizierung sollte das bisher geltende Zivilrecht (vor allem römisch-byzantinisch), ergänzt von den Rechtsfindungen der Rechtsprechung und von den Erkenntnissen der griechischen und der ausländischen Wissenschaft und Erfahrung, sein.67 Die Vorschriften sollten auf einfache und klare Weise ausgedrückt sein. Erwünscht war ein „harmonisches Zusammentreffen des Reformgeistes mit dem konservativen Geist“.68 Das einzuführende Zivilrecht sollte sozialempfindlicher im Vergleich zum früheren Recht – vor allem in den Bereichen des Sachen- und des Schuldrechts – sein. Heikle und „der Änderung anfällige“69 Bereiche wie das Arbeitsrecht wurden bewusst ausgelassen. Beim Familienrecht wurde ein konservativer Weg eingeschlagen.70

cc) Das System des ZGB und seine Entwicklung

Das griechische ZGB erstreckt sich auf 2035 Artikel und ist, wie das BGB,71 in fünf Bücher aufgeteilt: Allgemeiner Teil, Schuldrecht, Sachenrecht, Familienrecht und Erbrecht.

Allgemeiner Teil

Der allgemeine Teil des ZGB erfüllt rechtstechnisch die gleiche Aufgabe wie sein deutsches Gegenstück. Der griechische Gesetzgeber hat sich im Bereich des Schutzes des sozial Schwächeren progressiv gezeigt, indem er nicht nur allgemeine Vorschriften wie Art. 178, 179, 200 ZGB einbezog (vgl. §§ 138, 157 BGB), sondern auch direkt die soziale und wirtschaftliche Dimension der Rechte mit einem allgemein geltenden Rechtsmissbrauchsverbot adressierte (Art. 281 ←38 | 39→ZGB).72 Vorschriften wie die von Art. 197, 198 ZGB über Schadensersatzpflicht bei schuldhaftem vorvertraglichem Verhalten73 bezeugen die Anpassungsbereitschaft der Verfasser des ZGB an die modernen Rechtsverkehrsbedürfnisse.74 Eine weitere Innovation war der ausdrückliche Schutz des Persönlichkeits- und des Namenrechts (Art. 57–59 ZGB) vor Eingriffen. Im Laufe der Zeit fanden sich im allgemeinen Teil nur wenige Änderungen. Das Volljährigkeitsalter wurde viel später als im BGB, im Jahr 1983, vom 21. auf das 18. Lebensjahr herabgesetzt (Art. 127 ZGB, abgeändert durch Art. 3 des Gleichberechtigungsgesetzes G.1329/1983).75

Schuldrecht

Das Recht der Schuldverhältnisse wird im zweiten Buch geregelt, das wiederum in einen allgemeinen und einen besonderen Teil eingeteilt ist. Die ursprüngliche Fassung des griechischen Schuldrechts basiert, wie die meisten europäischen Kodifikationen der Neuzeit, auf den Prinzipien des wirtschaftlichen Liberalismus. Vertragsfreiheit (Art. 287 ZGB) und prinzipielle Formfreiheit (Art. 158 ZGB) sind die leitenden Grundsätze. Konzepte wie die einheitliche Regelung der Unmöglichkeit der Leistung (Art. 335 ff. ZGB), die Schaffung von Generalklauseln wie das allgemeine Verschuldensprinzip (Art. 330 ZGB) und die deliktische Generalklausel von Art. 914 wie auch die Vorschrift über die Störung der Geschäftsgrundlage (Art. 388 ZGB)76 belegen den Zugänglichkeits- und Modernisierungsgeist des Gesetzbuchs.77

In den darauffolgenden Jahrzehnten wurde das anfängliche bahnbrechende Potential des ZGB gehemmt. Die erste nennenswerte Gesetzesänderung fand erst im Jahre 2002 im Bereich des Kaufrechts statt78. Freilich ist der Gesetzgeber ←39 | 40→der internationalen Entwicklung des Rechts in Richtung des erhöhten Schutzes des Verbrauchers und der schwächeren Vertragspartei im Allgemeinen gefolgt. Dies geschah jedoch in Form von Regelungen außerhalb der Materie des ZGB.79

Sachenrecht

Das griechische Sachenrecht geht vom Prinzip der Privatautonomie und des Privateigentums aus. Das Besitzrecht ist vor allem im Bereich des Aufbaus des Besitzbegriffs überwiegend vom römischen Recht geprägt. Der Begriff des Eigentums und seiner Einschränkungen folgt dem deutschen Vorbild.80 Die Übertragung des Eigentums an beweglichen Sachen entspricht dem deutschen Vorbild (Art. 1034 ZGB /§ 929 Abs. 1 BGB). Der dingliche Vertrag über die Eigentumsübertragung von Immobilien ist vom schuldrechtlichen Vertrag getrennt, jedoch kausal (Art. 1033 S. 1 ZGB).

Es werden grundsätzlich die gleichen beschränkten dinglichen Rechte wie im BGB anerkannt. Die Weiterbegründung der Rechte der Erbpacht (εμφύτευσις – emphyteusis) und des Erbbaurechts (επιφάνειαepifaneia) römisch-byzantinischer Herkunft wie auch von anderen Rechten, die gesondertes Eigentum an Pflanzen und Gebäuden verschaffen, wurde abgeschafft (Art. 973 ZGB).81

Das Pfandrecht an beweglichen Sachen und das einzige Grundpfandrecht, die Hypothek, sind nach dem römisch-rechtlichen Vorbild streng akzessorisch zu der gesicherten Forderung geblieben. Das griechische Zivilrecht kennt also kein nichtakzessorisches Grundpfandrecht wie die deutsche Grundschuld. Darüber hinaus ist die Eintragung einer Vormerkung ins Register nur im Falle der Hypothek und nur als eine gerichtlich angeordnete Einstweilige Verfügung möglich.

Von großer Tragweite war die Entscheidung des griechischen Gesetzgebers, im Grundstücksrecht als Publizitätssystem das Transkriptionssystem französischer Provenienz beizubehalten. Seine Durchsetzung wurde trotz seiner inhärenten Unzulänglichkeiten von pragmatischen Gründen jener Zeit diktiert.82 Seit 1995 ist ein legislatives und kartographisches Werk panhellenischen Ausmaßes zur Ersetzung des Transkriptionssystems durch das Grundbuchsystem im Werden. Die entsprechenden Vorschriften finden bisher parallel zu den Vorschriften des ZGB über Transkription je nach Geltungsgebiet Anwendung. Als ←40 | 41→Innovation zur Zeit des Erlasses des ZGB galt die Einbeziehung des Instituts des Stockwerkeigentums (Art. 1002, 1117 ZGB).

Familienrecht

Das Familienrecht war von Anfang an der heikelste – und daher umstrittenste – Bereich des Zivilrechts. Das ZGB, stark von religiösen und patriarchalischen Vorbildern geprägt, erkannte die kirchliche Trauung als einzige gültige Eheschließung an, unterwarf die Kinder der väterlichen Gewalt und hielt das Dotalsystem des römischen Rechts aufrecht. Der Mann war Oberhaupt der Familie und traf alle Entscheidungen, die das Familienleben betrafen. Für eine Scheidung war das Verschulden zumindest eines der Ehegatten nachzuweisen. Eheliche und uneheliche Kinder waren nicht gleichgestellt, da der Erbteil des unehelichen Kindes beim Zusammentreffen mit dem des ehelichen sich auf die Hälfte beschränkte. Im Fall der sogenannten „unvollständigen“ gerichtlichen Anerkennung der Vaterschaft, die in der Praxis die übliche war,83 beschränkten sich die väterlichen Verpflichtungen dem Kind gegenüber nur auf den Unterhalt.

Inmitten heftiger Kritik von der wissenschaftlichen Welt84 wurde eine allgemeine Reform des Familienrechts nicht früher als 1975 durch die neue Verfassung veranlasst. G.1250/1982 über die Einführung der Zivilehe und das umfassendere G.1329/1983 über „die Anwendung des Verfassungsgrundsatzes der Gleichberechtigung von Männern und Frauen…“ brachten die weitestgehenden Änderungen im ZGB zustande: die Einführung der Zivilehe als Alternativform der Eheschließung (Art. 1367 ZGB), die Beseitigung der Alleinherrschaft des Mannes und ihre Ersetzung durch die gemeinsame Regelung des ehelichen Zusammenlebens beider Ehegatten (Art. 1387 Abs. 1 ZGB), die Einführung des Begriffs der „elterlichen Sorge“ anstelle der väterlichen Gewalt (Art. 1510 ZGB), die Normierung des verschuldensunabhängigen Zerrüttungsprinzips bei der Ehescheidung (Art. 1439 ZGB) und die Einführung der einverständlichen Scheidung (Art. 1441 ZGB), die Abschaffung des archaischen Dotalsystems85 und die Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Kindern. Die Entwicklung des Familienrechts schreitet fort. Die vor einigen Jahren erfolgte gesetzliche Anerkennung und ←41 | 42→Regelung von nicht ehelichen Lebensgemeinschaften86 regelt eine der längst offenen Fragen87 des Familienrechts in Griechenland. Der Abschluss eines Ehevertrags ist nach griechischem Recht immer noch nicht möglich.

Erbrecht

Details

Seiten
674
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783631795507
ISBN (ePUB)
9783631795514
ISBN (MOBI)
9783631795521
ISBN (Hardcover)
9783631794708
DOI
10.3726/b15876
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Juli)
Schlagworte
Griechenland Sachenrecht Grundstücke Eigentum Grundbuch Besitz Ersitzung Dienstbarkeit Hypothek Erwerb
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019. 671 S., 4 farb. Abb., 3 s/w Abb.

Biographische Angaben

Panagiotis Kabolis (Autor:in)

Panagiotis Kabolis absolvierte sein Studium an der Fakultät der Rechtswissenschaften der Universität Athen. Nach seinem Rechtsreferendariat in Athen setzte er sein Studium in England an der University of Northumbria und in Deutschland an der Universität Heidelberg fort. 1998-2003 war er Anwalt in Athen. Seit 2004 ist er als Notar in Athen tätig.

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Titel: Das griechische Immobilienrecht
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