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Die digitale Dimension des Strafprozessrechts

Zur Doppelnatur digitaler Beweise

von Laura Iva Savic (Autor:in)
©2020 Dissertation 354 Seiten

Zusammenfassung

Die Auswirkungen der Digitalisierung auf das strafprozessuale Beweisrecht sind im digitalen Zeitalter von besonderer Bedeutung. Die Autorin analysiert die Probleme, die mit der zunehmenden Einführung digitaler Beweismittel einhergehen und arbeitet diese unter Vergleich der bestehenden Regelungen auf. Informationstechnisch liegt der Fokus auf der Bewertung der Beweis- und Manipulationssicherheit, sowie der Darstellung der zunehmenden Rolle der IT-Forensik. Letztlich kommt sie zu dem Ergebnis, dass die spezifischen Beweisprobleme nur unter Berücksichtigung der Doppelnatur digitaler Beweise aufzuklären sind.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • A. Einführung
  • B. Grundlagen
  • I. Die gesellschaftliche Bedeutung der Digitalisierung
  • II. Begriff der digitalen Daten und der digitalen Beweisführung
  • 1. Digitale Daten und Beweismittel
  • 2. Digitale Beweisführung
  • III. Eigenarten und Charakteristika digitaler Beweismittel
  • IV. Abstraktes Bedürfnis zum Umgang mit digitalen Beweismitteln
  • 1. Rechtliche Relevanz digitaler Beweismittel (im Allgemeinen)
  • 2. Deliktsstruktur
  • 3. Aufgabe und Ziele des Strafverfahrens
  • 4. Die Prozessmaximen
  • a. (Amts-)Ermittlungsgrundsatz
  • b. Grundsatz der Unmittelbarkeit
  • c. Grundsatz der Mündlichkeit
  • d. Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung
  • e. Unschuldsvermutung und der Grundsatz „in dubio pro reo“
  • f. Recht auf ein faires Verfahren526 – Fair trial Grundsatz
  • 5. Fazit: Bestehende Notwendigkeit zur Hinzuziehung digitaler Beweismittel
  • 6. Momentaner Umgang mit digitalen Informationen als Beweismittel in der Praxis
  • 7. Fazit: Auswirkungen von Digitalisierung und Internet auf das Prozessrecht – digitale Dimension des Prozess- und Beweisrechts
  • C. Digitale Beweismittel in strafprozessualer Hauptverhandlung
  • I. Beweisführung mit digitalen Medien
  • 1. Die gesetzlichen Beweismittel (Kreis der Beweismittel)619
  • a. Zeugen
  • b. Sachverständige
  • c. Urkunden
  • d. Augenschein
  • e. Einlassung des Angeklagten
  • 2. Bestehende Rechtsnormen, -vorschriften
  • a. Zivilprozessordnung
  • b. Verwaltungsgerichtsordnung
  • c. Abgabenordnung
  • d. Strafprozessordnung
  • e. Ordnungswidrigkeitengesetz
  • f. Signaturgesetz
  • g. Europäisches Recht
  • 3. Rechtliche Einordnung digitaler Beweismittel in das System strafprozessualer Beweismittel – de lege lata802
  • 4. Überlegungen de lege ferenda857
  • a. Erweiterung des Urkundenbegriffs der Strafprozessordnung
  • b. Schaffen einer den §§ 371 Abs. 1 Satz 2, 371a ZPO oder § 110e OWiG904 nachgebildeten Vorschrift
  • c. Vorschlag zur Änderung der Strafprozessordnung908
  • d. Zusammenfassung und Bewertung der vorangestellten Überlegungen zur Einordnung digitaler Beweismittel
  • 5. Gleichstellung elektronischer Dokumente mit Urkunden – Rechtslage seit dem 01.01.2018
  • 6. Fazit zur Beweisführung mit digitalen Medien
  • II. Beweiswürdigung im Strafprozess
  • 1. Beweislast im Strafprozess
  • 2. Grundsätze der Beweislehre: Geltendes Beweismaß und freie Beweiswürdigung
  • a. Grundsatz der freien Beweiswürdigung
  • b. Richterliche Überzeugung(-sbildung)
  • c. Grenzen der freien Beweiswürdigung
  • aa. Beachtung der Denkgesetze, Erfahrungssätze und wissenschaftlichen Erkenntnisse
  • bb. Einschränkungen, Beweisverbote und Beweisvermutungen
  • 3. Anscheinsbeweis (im Strafprozess)1111
  • 4. Revisionsrechtliche Überprüfbarkeit
  • 5. Zwischenergebnis
  • III. Beweiswertermittlung – Anhaltspunkte und Kriterien
  • 1. Zulässigkeit von Beweismitteln1158
  • 2. Darstellbarkeit und Vollständigkeit
  • 3. Nachvollziehbarkeit
  • 4. Authentizität und Integrität
  • 5. Abhängigkeit des Sachbeweises vom Personalbeweis
  • 6. Glaubwürdigkeit von Zeugen und Sachverständigen
  • 7. Zwischenergebnis
  • 8. Forensic Readiness
  • IV. Beweissicherheit: Ansätze zur Erzeugung sicherer digitaler Beweismittel
  • 1. Organisatorische und systembezogene Sicherungsmittel
  • 2. Mathematische Methoden und technische Sicherungsmittel
  • a. Kryptographische Verschlüsselung und ihre Algorithmen
  • b. Kryptographische Hashfunktionen
  • c. Elektronische Signaturen
  • aa. Technische Grundlagen elektronischer Signaturen
  • bb. Rechtliche Grundlagen und Signaturstufen
  • cc. Beweissicherheit durch elektronische Signaturen
  • dd. Wirtschaftliche Bedeutung von Signaturverfahren
  • d. Elektronische Siegel
  • e. Elektronische Zeitstempel
  • f. Digitale Wasserzeichen
  • g. Blockchain
  • 3. Zwischenergebnis: Beweiswertsteigerung durch Sicherungsmittel
  • V. Manipulationsrisiko, -sicherheit
  • 1. Datenveränderungen
  • 2. Datenmanipulationen
  • 3. Strafrechtlicher Schutz digitaler Daten und ihrer technischen Sicherungsmittel – Strafbarkeitsrisiken
  • 4. Zwischenergebnis
  • VI. Beweisqualität digitaler Dateien
  • 1. Beweiswert einer E-Mail
  • 2. Beweiswert einer De-Mail
  • 3. Beweiswert einer digitalen Aufnahme
  • 4. Beweiswert von IP-Adressen
  • 5. Beweiswert beim ersetzenden Scannen
  • 6. Beweiswerterhalt
  • D. Doppelnatur der Beweise
  • E. Digitale Beweise in der Revisionsinstanz
  • F. Die Rolle digitaler Forensik im Strafverfahren
  • I. Strafrechtliche Ermittlungen mit IT-Forensik
  • II. IT-Forensik(er) im strafrechtlichen Gerichtsverfahren
  • III. Einbettung von IT-Forensik Standards in IT-forensische Untersuchungen
  • IV. Zwischenergebnis
  • G. Folgerungen für den Umgang mit digitalen Beweismitteln in der strafprozessualen Hauptverhandlung
  • I. Die Darstellung in den Urteilsgründen
  • II. Verlesbare elektronische Dokumente
  • 1. Protokollierung
  • 2. Elektronische Dokumente im Selbstleseverfahren1995
  • III. Beweisanträge und die Möglichkeit ihrer Ablehnung
  • 1. Beweisanträge vor Eröffnung des Hauptverfahrens
  • 2. Beweisanträge nach § 219 StPO
  • 3. Ablehnungsgründe
  • IV. Anforderungen an die Strafverteidigung
  • H. Schlussbetrachtung
  • Literaturverzeichnis

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A. Einführung

Das digitale Zeitalter ist längst im Recht angekommen, schaut man sich allen voran nur die Überschriften juristischer Zeitschriften an. Das BGB, das Verfassungsrecht, die Strafverfolgung, die deutsche Justiz – alles wird im Lichte der Digitalisierung neu betrachtet. Im Kontext des Strafprozesses wird sich im Bereich der Strafverfolgung am intensivsten mit den Auswirkungen der Digitalisierung auseinandergesetzt – samt umfangreicher Anpassungen des materiellen und prozessualen Rechts.1 Doch nicht nur die Strafverfolgungsbehörden, sondern auch die Strafgerichte werden sowohl in rechtlicher als auch technischer Hinsicht vor neue Herausforderungen gestellt; das Strafverfahrensrecht muss sich neu in der Digitalisierung bewähren. Betrachtet man das strafprozessuale Haupt- und Revisionsverfahren, so stößt man unweigerlich auf eine Vielzahl von Fragen, die – wenn überhaupt – dann nur sporadisch diskutiert werden. Angefangen bei der generellen Frage, ob Regelungen in der Strafprozessordnung bestehen, die sich explizit auf digitale Daten und deren Umgang beziehen, über die Frage, wie digitale Daten überhaupt dogmatisch in die Struktur des Strafprozessrechts eingeführt werden, hin zu ihrer individuellen Würdigung durch den Richter.

Dass ein besonderes Interesse im Umgang mit digitalen Daten besteht und die Bedeutung dieser als Beweismittel stetig steigt, zeigt sich zuletzt wieder an den Videoaufzeichnungen, die die „Hetzjagden“ in Chemnitz dokumentieren. Der – zu diesem Zeitpunkt amtierende – Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Maaßen2 hatte diesbezüglich die Vermutung geäußert, das gezeigte Video sei möglicherweise manipuliert worden. Auch wenn Maaßen seine Äußerung im Nachhinein relativiert hat und nach derzeitigem Stand der Experten keine Hinweise auf eine Fälschung des Videos bestehen, zeigt die darüber geführte Diskussion, dass wir längst im Zeitalter der Digitalisierung angekommen sind. Die Szenarien einer möglichen Datenmanipulation von Beweismitteln sind nicht mehr nur reine Fiktion. Insoweit gilt es neben der rechtlichen Bewertung auch technische Aspekte näher zu beleuchten. Man muss sich die Besonderheiten ←17 | 18→digitaler Daten, die nur unter Berücksichtigung der Technik zu verstehen und bewerten sind, vor Augen führen. In dieser Hinsicht spielt die IT-Forensik als Mittel zur Wahrheitsfindung in Ermittlungen und Gerichtsprozessen eine wegweisende Rolle.

Diese Arbeit entstand ausgehend von der allgemeinen Frage, wie mit digitalen Informationen rechtlich zu verfahren ist und ob die Strafprozessordnung in der Lage ist mit diesen als Beweismittel adäquat umzugehen.

Die Arbeit unterteilt sich in sieben weitere Kapitel (B–H). Zunächst werden die Grundlagen der Digitalisierung aufgezeigt sowie die zugrunde gelegten Begriffe („digitale Daten“, „digitale Beweisführung“) definiert. In Kapitel C werden die rechtlichen Rahmenbedingungen digitaler Beweismittel im strafprozessualen (Beweis-) Recht skizziert und bewertet, aufgegliedert in sechs Unterabschnitte (I–VI). Die rechtliche Analyse beginnt in Abschnitt I mit der Beweisführung digitaler Medien. Danach folgen die Abschnitte der Beweiswürdigung (II), der Beweiswertermittlung (III), der Beweissicherheit (IV) und der Manipulationssicherheit (V). Anhand der vorherigen Analysen und Bewertungen wird im letzten Abschnitt VI die Beweisqualität digitaler Daten bestimmt. Den rechtlichen Rahmenbedingungen folgt das Kapitel zur Doppelnatur der Beweise (D). Kapitel E behandelt digitale Beweismittel in der Revisionsinstanz und Kapitel F beleuchtet die Rolle digitaler Forensik im Strafverfahren. Das anschließende Kapitel G widmet sich dem Hauptverfahren und den Folgerungen. Abgeschlossen wird die Arbeit mit einer Zusammenfassung der gefundenen Ergebnisse (H).


1 Der rechtliche Rahmen für die Sicherung digitaler Spuren und Beweise (Datenerhebung) wird in dieser Arbeit nicht behandelt. Siehe dazu Ruppert, JA 2018, 994 und Blechschmitt, MMR 2018, 361.

2 Dr. Hans-Georg Maaßen war von August 2012 bis September 2018 Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

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B. Grundlagen

I. Die gesellschaftliche Bedeutung der Digitalisierung

Angesichts der zunehmenden Bedeutung digitaler Infrastrukturen, des Internets als globale Kommunikationsplattform und virtueller Marktplatz für Waren und Dienstleistungen,3 verwundert es nicht, dass der Prozess der Digitalisierung und Vernetzung in unserem Alltag immer schneller voranschreitet. Digitalität betrifft und verändert inzwischen fast alle Bereiche unserer Gesellschaft: Kultur, Medien, Wissenschaft, Politik, Recht und Wirtschaft.4 Dabei stellt sich die Digitalisierung nicht allein als ein technologisches Phänomen, sondern darüber hinaus auch als ein kulturelles Phänomen dar.5

In dem technischen Zusammenhang soll im Folgenden unter der Digitalisierung von Inhalten die Elektronifizierung aller Informationen, d.h. Umwandlung dieser in einen einheitlichen Binärcode verstanden werden.6 Die ursprünglich analogen Informationen und Größen werden in diskrete Werte überführt,7 und durch die in der Computerpraxis bedeutendste Form, der sog. Binärtechnik, in Form der Ziffern 1 und 0 dargestellt. Dem Konstrukt der Digitalisierung liegt der Grundgedanke zugrunde, Informationen in eine Form zu überführen, die eine Verarbeitung mittels eines Computers ermöglichen.8 Heutige Computer verwenden beinahe ausschließlich das binäre (duale, zweiwertige) System9, um Informationen durch Zahlen darzustellen; sog. „digitale Einheitssprache“10. Selbst vielfältige, komplizierte und multidimensionale Informationen lassen ←19 | 20→sich durch komplexe Sequenzen von Zahlen darstellen, elektronisch speichern und weiterverarbeiten.11 Die digitale Technologie ermöglicht es also, alle Informationen computerpraktikabel auszurichten. Unerheblich ist dabei, aus welcher Informationsquelle die zu bearbeitenden Daten stammen und welcher Art sie sind (Video- Audiosignale oder Daten).12 Die Digitalisierung ist die technologische Grundlage der Wissens- und Informationsgesellschaft.13 Weil die heutigen digitalen Systeme binär arbeiten, wird im Weiteren unter der digitalen Form von einer binären Darstellung ausgegangen. Nicht technisch ausgedrückt, wird mit der Digitalisierung der Prozess beschrieben, der „jedem Ding und jedem Vorgang der realen Welt eine digitale Hülle verpasst“14. Als kulturelles Phänomen wird die Digitalisierung durch die Kernmerkmale der Ubiquität, Multimedialität, Virtualität und Vernetzung geprägt,15 als Auswirkungen der verstärkten Nutzung von Computern und der Digitaltechnik.

Die vielfältige Nutzung moderner Kommunikationsmittel16 und die Digitalisierung als nunmehr weit verbreitetes Phänomen beeinflussen dabei nicht nur, dass Verhalten der sog. „Digital Natives“, diejenige Generation, die von Anfang an mit digitalen Medien aufwächst und nicht mehr umlernen muss,17 sondern prägen das Alltagsleben aller Altersschichten und Generationen.18 Die Zahl derer, die sich mit digitalen Technologien nicht auskennen oder diese ablehnen, verringert sich stetig.19 Ein Prozess, der aufgrund des immer schneller werdenden Datenaustausches, sowohl im privaten, wie auch im wirtschaftlichen Verkehr, nicht mehr aufzuhalten ist. Ein Alltag ohne Computer, Handy, Tablet sowie Breitband-Internet und drahtlosen Netzwerken ist kaum noch ←20 | 21→vorstellbar.20 Jederzeit und überall mit dem Internet verbunden zu sein, scheint keine Wunschvorstellung mehr, sondern Realität. Der Trend21 geht dazu, dass dies nicht nur mit Smartphones und Computern durchgeführt wird, sondern auch mittels smarter Technologien22 und des Einsatzes sog. „intelligenter Endgeräte“ wie beispielsweise Kühlschränke, Fernseher, Kraftfahrzeuge, robotische Systeme oder auch digitale sprachgesteuerte Assistenten. Diese sind permanent mit dem Internet verbunden und leiten Daten an Dritte weiter.23 Dabei dienen die smarten Objekte als Schnittstelle zwischen der realen und virtuellen Welt. Sie sind auf einen steten Datenfluss angewiesen, was Unmengen an digitalen Daten produziert.24 Seitdem die Informationstechnologie den Massenmarkt in den Neunzigern eroberte und das Internet zum Massenmedium wurde, ist es mehr üblich als selten Daten elektronisch via E-Mails oder unter Zuhilfenahme sozialer Medien (engl. social media) auszutauschen und Aufgaben im wirtschaftlichen und privaten Bereich digital zu erledigen.

In unserem Alltagsleben ist die fortschreitende Digitalisierung in verschiedenen Bereichen bereits sichtbar, beispielhaft seien elektronische Ausweise mit der Biometrie-Technik, das Cloud Computing25, E-Commerce26 (z.B. Online Shopping), die elektronische Signatur und das De-Mail27 Verfahren zu nennen. Die Allgegenwärtigkeit der Digitalisierung macht sich auch in der Arbeitswelt bemerkbar und prägt sie.28 Waren früher Computer und Internet in einem ←21 | 22→Haushalt nur selten aufzufinden, ist das Notebook heutzutage selbstverständlich geworden. Das dadurch ermöglichte ortsunabhängige Arbeiten zu nicht mehr festgelegten Zeiten (z.B. Home-Office) wird für Arbeitnehmer und Arbeitgeber immer beliebter. Kollaborative Werkzeuge wie Wikis, die ein effektives Wissensmanagement fördern, werden in naher Zukunft zum Unternehmensalltag gehören.29 So ist es heutzutage gängige Praxis, dass Personalverantwortliche ihre Stellenbewerber „googeln“ und sich unter Zuhilfenahme der Suchmasche im Internet über sie informieren.30 Auch in den Wissenschaften macht sich Digitalisierung bemerkbar: Die im Internet angebotenen Dienste bieten für alle Wissenschaftler eine kaum überschaubare Vielzahl an Recherchemöglichkeiten,31 eine schier unerschöpfliche „Erkenntnisquelle“. Des Weiteren werden Publikationen heute so gut wie ausschließlich über das Internet verbreitet und ermöglichen es ganz unterschiedlichen Gruppen global auf Ergebnisse anderer Wissenschaftler zuzugreifen.

Dass die Digitalisierung längst Einzug in unser soziales, wie auch politisches Leben gefunden hat, lässt sich bereits dem vielfältigen Diskurs in den sozialen Netzwerken und dem Bedeutungszuwachs für die Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen32 entnehmen. Unsereins benutzt zur Kommunikation regelmäßig soziale Medien33 und hat heute neben der realen auch eine digitale Identität34.35 IT Nutzer legen Profile in sozialen Netzwerken an und geben dort in großem Umfang Informationen über ihr persönliches Leben preis, die bislang allenfalls einem Tagebuch offenbart wurden. Die Digitalisierung der Medien wird hingegen nicht nur an den wesentlichen Veränderungen im Bereich des Hör- und Rundfunks sichtbar (analoges Fernsehen wird bald der Vergangenheit ←22 | 23→angehören), ferner verstärkt im Verlagswesen. Bücher werden durch E-Books ausgetauscht, Inhalte werden online vertrieben. Selbst der Staat treibt die Entwicklung der Digitalisierung auf das Rechts- und Verwaltungssystem unter der Bezeichnung E-EGovernment36 voran. Es umschreibt den Einzug der elektronischen Datenverarbeitung in die öffentliche Verwaltung. Bearbeitungsabläufe innerhalb der Verwaltung sollen bei gleichzeitiger Kostenersparnis gestrafft und immer effizienter gestaltet werden. Bestes Beispiel dafür ist das Online-Dienste Portal „Elster“37, das Dienstleistungsportal der Finanzverwaltung, welches dem Bürger ermöglicht seine Einkommenssteuererklärung komplett papierlos zu erledigen, d.h. diese online auszufüllen und abzugeben – ganz ohne Ausdruck, Formulare und Postversand.38 Zwei weitere wichtige Meilensteine in dem Prozess der Digitalisierung der Justiz39 stellen das Justizkommunikationsgesetz40 und das eJustice-Gesetz41 dar.42 Der Gesetzgeber bestückte die Prozessordnungen mit den erforderlichen Normen zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und ermöglichte gleichzeitig die Einführung einer elektronischen Gerichtsakte.43 Auf diese Weise wurde auch in der Justiz die digitale Zeitwende eingeläutet.44 Erst das „Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der ←23 | 24→Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs“45 vom Juli 2017 ermöglichte die elektronische Aktenführung im Strafverfahren und passte die Strafprozessordnung an alle anderen Prozessordnungen an. Damit wurde im Januar 201846 der elektronische Rechtsverkehr auch im Strafverfahren und im Ordnungswidrigkeitenverfahren bundesweit eröffnet. Dabei soll die elektronische Akte (E-Akte) auch im Strafprozessrecht die Weiterentwicklung der in den Prozessordnungen vorherrschenden Papierakte sein.47 Auch hier erwartet man sich Einsparungen bei Raum-, Personal-, Porto- und Versandkosten im Vergleich zu dem herkömmlichen papiergestützten System48 sowie eine generelle Verfahrensbeschleunigung im stark formalisierten Verfahren.49 Denn die elektronischen Akten müssen nicht verschickt, getragen oder gesucht werden; „sie sind immer und überall präsent“50.

Die sich aus dem Prozess der Digitalisierung ergebenden Möglichkeiten stellen jedoch zeitgleich Politik, Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung vor neue Herausforderungen.51

Die neuen und grenzenlosen Möglichkeiten lassen Skepsis aufkommen, was zunehmend zu Unsicherheiten führt, gerade im rechtlichen Bereich. Schliesky redet gar von dem „Unwohlsein des analog geborenen Menschen“52 als Ausdruck eines spezifischen subjektiven Unsicherheitsgefühls in der Gesellschaft. Diese Befürchtungen und Unklarheiten werden durch die Möglichkeiten der digitalen Welt ausgelöst.53 Aufgabe sei es, Verfassung, Rechtsordnung und Gesellschaft in ←24 | 25→die digitale Welt einzuführen,54 um bereits vorhandene Abhängigkeiten, Verletzbarkeiten und Bedrohungsszenarien wie Entgrenzung55, Entfremdung, Maßlosigkeit und Verrohung entgegenzuwirken.56

Eine weitere konsequente Folge der gestiegenen Nutzung elektronischer Medien und der Digitalisierung ist der enorme Zuwachs an Daten.57 Dabei werden Daten in der Informationstechnik als beobachtbare Unterschiede,58 die in codierter Form festgehalten werden können, beschrieben.59 Bereits seit Jahren wächst die Datenmenge exponentiell und nicht linear. In den Jahren 2000 bis 2002 wurden genauso viele Daten wie in 2000 Jahren davor produziert.60 Laut einer Statistik des Statista Research Department soll sich das jährliche digitale Datenaufkommen im Jahre 2018 auf 33 Zettabyte belaufen und bis zum Jahre 2025 auf 175 Zettabyte vergrößern.61 Nahezu das gesamte Leben wird heutzutage digital abgebildet, von persönlichen Bildern, Dokumenten und Musik zu Verträgen, Bestätigungen und sonstigen Nachweisen, die entweder vermehrt oder ausschließlich digital gespeichert werden.62 Das weltweit vorhandene Datenvolumen und dessen Wachstum sind unter anderem auch Grundlagen der beiden facettenreichen Erscheinungen Big Data und Cloud Computing, die in unserer digitalen Gesellschaft bereits eine erhebliche Rolle spielen. Sie sind längst in vielen Bereichen zum Standard avanciert63. Unternehmen, soziale Netzwerke und Anwendungen wie alltagstaugliche Applikationen (Software, Apps) sind im Wettbewerb darauf angewiesen (personenbezogene) Daten zu erfassen, zu verarbeiten, zu verknüpfen und zu übermitteln. Datenverarbeitung bestimmt unseren Alltag, sei es durch bewusste oder unbewusste Verwendung des Internets.64

Cloud Computing ermöglicht die (annähernd komplette) Verlagerung von Infrastruktur („infrastructure as a service“ (IaaS)), Plattformen („platform as ←25 | 26→a service“ (PaaS)) und Software („software as a service“ (SaaS)) auf entfernte Server, in die sog. Cloud („in der Wolke“).65 Es ermöglicht dem Nutzer Daten, Dokumente, Fotos, Filme und Anwendungen nicht mehr auf dem heimischen PC, dem Smartphone oder mobilen Datenträgern bearbeiten oder speichern zu müssen, sondern mithilfe eines Cloud Dienste Anbieters und seines Netzwerkes auszulagern. Mit der Masse der Daten und dem dementsprechend steigenden Volumen werden alternative Speichermöglichkeiten für den Benutzer somit immer reizvoller.66

Für das Phänomen Big Data67 ist entscheidend, dass eine immer größere Masse an Daten zur Analyse verfügbar ist und damit Aussagen über immer mehr Lebensbereiche möglich werden.68 Es beschreibt die Möglichkeit gewaltige Mengen an Daten in hoher Geschwindigkeit (ggf. in Echtzeit) und aus unterschiedlichen Quellen zu sammeln, zu analysieren und auszuwerten, mit dem Ziel hierauf unternehmerische Entscheidungen zu stützen.69 Grundlage dessen ist weiterhin eine neue Form der Komplexität der Daten, die durch die vier Eigenschaften des Datenvolumens (engl. volume), der Datengeschwindigkeit (engl. velocity), der Datenvielfalt (engl. variety) und Datenqualität (engl. veracity), wie Richtigkeit, Vollständigkeit und Verlässlichkeit der Dateninhalte,70 charakterisiert wird.71

Die Unternehmen bedienen sich mit der wachsenden Datenflut also eines Rohstoffs, der für ihre Ziele nutz- und gewinnbringend eingesetzt werden kann.72 Ermöglicht wird dies neben dem bereits dargestellten Datenreichtum, der Geschwindigkeit und Komplexität des Internets,73 auch durch die Unvergänglichkeit der Daten („das Internet vergisst nicht(s)“),74 die im Internet weit verstreut oder von Nutzern bereitwillig herausgegeben werden, um angebotene ←26 | 27→Anwendungen und Dienste von Unternehmen nutzen zu können.75 Damit werden umfangreiche Profile von Nutzern erstellt, die sich zu umfassenden Persönlichkeitsbildern verdichten können,76 verschiedenste Muster erkannt und gewinnbringend77 nutzbar gemacht. Für die Nutzer selbst handelt es sich bei dem „Ob“ und „Wie“ der Datenpreisgabe meist um undurchsichtige und unverständliche Vorgänge; Daten kann man gerade nicht sehen. Oftmals wissen sie nicht genau, was mit ihren Daten passiert – also ob und in welchem Umfang die von ihnen zur Verfügung gestellten Daten erhoben, verarbeitet und gespeichert wurden, um sie anschließend an Dritte weiterzugeben und mit anderen externen Datensätzen zu verknüpfen.78 „Der Einzelne weiß nicht, was welche staatliche Behörde über ihn weiß, weiß aber, dass die Behörden vieles, auch Höchstpersönliches über ihn wissen können.“79 Dasselbe gilt für die von den Unternehmen gesammelten Daten.80 Es mehren sich Fragen zur Datenherrschaft und Beherrschbarkeit, sowie dem Daten- und Persönlichkeitsschutz als Konsequenz bzw. Folge permanenter Daten-verknüpfung.81 Somit verwundert es nicht, wenn Daten heutzutage als Ware gehandelt werden und aufgrund ihrer Werthaltigkeit eine Art Währung darstellen;82 sog. Datenökonomie83. Der Internetnutzer zahlt häufig ohne sich dessen wahrhaftig bewusst zu sein mit seinen ←27 | 28→personenbezogenen und/oder persönlichen Daten.84 Hinzu kommt, dass neue Formen des weltweiten Informationsaustausches, der Kommunikation häufig anonym sind.85 Nutzer können gänzlich anonym Seiten aufrufen, Inhalte herunterladen oder öffentlich kommunizieren.86 Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Verdächtige zurückverfolgt werden können, indem die IP-Adresse87 identifiziert wird, welche die beteiligten Rechner technisch eindeutig identifizierbar und damit erreichbar macht.88 Denn im Regelfall können die Informationen dem Urheber tatsächlich unmöglich oder wesentlich erschwert zugeordnet werden.89 Die (vermeintliche) Anonymität kombiniert mit dem rasanten Fortschritt in der Informationstechnologie gibt Nutzern als Kehrseite der geschaffenen, neuen Chancen in der digitalen Welt, auch ein breites Spektrum neuer Möglichkeiten des Missbrauchs90. Beispielhaft seien nur Urheberrechtsverletzungen, geistiger Diebstahl, Identitätsdiebstahl und das Kriminalitätsphänomen des Cybermobbings91 zu nennen. Mit dem Voranschreiten der Informationstechnologien steigen die kriminellen Aktivitäten im Bereich Cybercrime92 deutlich. Unter Cybercrime (lat. crimen: Beschuldigung, Anklage, Schuld, Verbrechen; engl. cyber: auf das Internet bezogen) wird, ganz allgemein formuliert, jedwede Straftat bezeichnet, bei der in irgendeiner Form auf Informations- bzw. Kommunikationstechnologien zurückgegriffen wird.93

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Die Hemmschwelle zu Rechtsverletzungen im virtuellen Raum vermag durch die Charakteristika des Internets (zu nennen sind nur Anonymität94 und Unkörperlichkeit, Globalität und Ubiquität95)96 scheinbar erheblich zu sinken.97 Folglich ist davon auch die Strafverfolgung (im Internet) betroffen, die dadurch nicht unwesentlich erschwert wird.98 Um den negativen Folgen der Automatisierung, Digitalisierung und Vernetzung entgegenzuwirken, sah sich der Gesetzgeber gezwungen neue Straftatbestände in das Strafgesetzbuch aufzunehmen bzw. Gesetzesänderungen zu bewirken. Diese sollen den Berechtigten speziell vor Angriffen gegen die Integrität, Vertraulichkeit und Verfügbarkeit von informationstechnischen Systemen99 und Daten schützen.100 Angefangen beim Ausspähen und Abfangen der Daten (§§ 202a, 202b StGB), dem Vorbereiten des Ausspähens und Abfangens von Daten (§ 202c StGB), der Datenhehlerei (§ 202d StGB) über die Datenveränderung (§ 303a StGB) und Computersabotage (§ 303b StGB) hin zum „klassischen“ (Computer-)Betrug (§§ 263, 263a StGB).101 Die meisten der Vorschriften bzw. Änderungen dieser setzten den Rahmenbeschluss der EU über Angriffe auf Informationssysteme und des Übereinkommens des Europarates über Computerkriminalität102 (Nr. 185) um.103 Dies verwundert nicht, wenn man ←29 | 30→sich vergegenwärtigt, dass die Kontrolle des Internets durch das Recht den nationalen Gesetzgeber allein vor erhebliche Schwierigkeiten stellen kann.104 Neben der bereits erwähnten Anonymität der Nutzer105, agieren diese immer häufiger grenzüberschreitend. Hinzukommen die beträchtlichen Probleme der fehlenden sozialen Kontrolle,106 aufgrund des mangelnden physischen Kontaktes im Netz,107 und der fehlenden Bindung an staatliche Grenzen108.

Fest steht, dass das Internet und die voranschreitende Digitalisierung der Gesellschaft bereits jetzt erheblichen Einfluss auf das Rechtssystem ausüben. Beide Phänomene als technische Fortschritte können und werden tiefgreifende Änderungen im Recht bewirken. Die Digitalisierung fördert die Entgrenzung, die Virtualität und die Komplexität von rechtlich zu beurteilenden Sachverhalten.109 Anders als in der analogen Welt orientieren sich Rechtshandlungen, die im Zusammenhang mit der Digitalisierung und des Internets stehen, nicht an (Staats-) Grenzen. Vielmehr spielen diese für digitale Inhalte längst eine untergeordnete bis gar keine Rolle mehr.110 Die Ermittler werden mit virtuellen Tatorten konfrontiert, die selten an nationalen Grenzen enden bzw. auf diese Rücksicht nehmen.111 Es ist nicht mehr erforderlich, dass der Täter an dem Ort, an dem die Konsequenzen seiner Straftat eintreten, anwesend sein muss.112 Materiell gewinnt das sog. innerstaatliche Strafanwendungsrecht, das die Reichweite der deutschen Strafgewalt bestimmt (§§ 3–9 StGB) besondere Bedeutung.113 Die fehlende Bindung des Internets an nationale Grenzen, rückt das Problem der Zuständigkeit der deutschen Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte und die daraus resultierenden Schwierigkeiten der Beweissicherung, -erhebung und des Beweistransfers aus Sicht der Ermittlungsbehörden, sowie die Gefahren von Parallelermittlungen (shadow proceedings, forum shopping) in den Mittelpunkt ←30 | 31→juristischer Diskussionen.114 Das alles lässt den Ruf nach einem länderübergreifenden Zugriff auf elektronische Beweise wie E-Mails oder Surfprotokolle lauter werden.115

Neben der Entgrenzung wirft die Virtualität für das Recht neue Fragen auf. Besonders deutlich wird dies anhand des Merkmals der Immaterialisierung. Tatsächliche, materielle Verkörperungen in der „realen Welt“ werden immer unbedeutender.116 Grundsätzlich wird aber verkörperten, also körperlich greifbaren Dingen mehr Vertrauen entgegengebracht,117 als immateriellen Dingen, wie etwa Behauptungen oder Ideen.118 Eindrückliche Beispiele sind der „Rechtsschein des Besitzes“, der das Sachenrecht prägt, und die Beweisvorschriften für Urkunden nach §§ 415 ff. ZPO.119 Die danach für Urkunden bestehenden Beweisvermutungen basieren auf dem Umstand, dass Urkunden Gedankenerklärungen verkörpern und aus sich heraus verständlich sind – was auf elektronische Daten gerade nicht zutrifft.120 Aufgrund der langen Tradition verkörperter schriftlicher Erklärungen wird den Urkunden, als verkörperte Information, im Prozess ein besonders hoher Beweiswert beigemessen.121

Des Weiteren tritt ein neuer Grad an Komplexität hinzu, welches insbesondere die Strafverfolgung erschwert. Die Täter können auf immer komplexere ←31 | 32→Mittel und moderne Technologien zur Begehung von Straftaten zugreifen, wie etwa Hard- und Software, Dienste und Anwendungen. Ähnliche Probleme stellen sich, wenn digitale Spuren gerichtsfest gesichert und analysiert werden.122 Von der enormen Geschwindigkeit beflügelt,123 in der sich die Technologien entwickeln, können die Strafverfolgungsbehörden bei der Strafverfolgung, aber auch der Gesetzgeber bei der Entwicklung neuen Rechts, nicht Schritt halten.

Logische Konsequenz ist, dass sich das Recht von seinem (westlichen) Ideal der Schärfe124 entfernen muss, um den Anforderungen einer effektiven Strafverfolgung gerecht zu werden. Zwar führt Unschärfe zwangsläufig zu mehr (Rechts-) Unsicherheit, und das Recht so zunehmend an Wirkungs- und Steuerungskraft.125 Angesichts der bereits beschriebenen Phänomene und Auswirkungen ist eine Anpassung des Rechts hin zum Unscharfen (wohl) alternativlos, um den realen Gegebenheiten gerecht zu werden. Ob mit zunehmender Unschärfe das Recht an Effektivität einbüßt mag bezweifelt werden, und kann derzeit noch nicht beantwortet werden. Denn trotz der Tatsache, dass Unschärfe ein großes Risiko für das Recht birgt, bietet es als Methode auch ein erhebliches Potenzial, was sich das Recht zunutze machen könnte. Neben der Entwicklung neuer Deliktsformen hat die rasante und komplexe Entwicklung der Informationstechnologie auch dazu beigetragen, dass sich die technischen Möglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden i.R.d. Ermittlungstätigkeit – in Form von neuen Überwachungs- und Kontrollmöglichkeiten126 – weitreichend erweitern und verbessern konnten.127 Sowohl das Internet als auch andere informationstechnische Systeme (etwa Computer128, Smartphones129 und Kraftfahrzeuge130) ←32 | 33→dienen als neue Informationsquellen von denen die Staatsanwaltschaft durchaus profitiert,131 auch weil Staatsanwaltschaft und Polizei bei ihren Ermittlungen „auf die gesteigerte Leistungsfähigkeit der Computer und auf hoch effektive Softwareprodukte aus dem Bereich der Computerforensik zurückgreifen“132 können. Die neuen Ermittlungsansätze und teilweise auch -befugnisse dürfen aber nicht dazu führen, dass der Staat sämtliche irgendwie verfügbaren Daten – auf Kosten der Bürger – erhebt, sichert und nutzt.133 Denn auch die Durchsetzung des Strafrechts durch das rechtsförmige Verfahren des Strafprozesses unterliegt verfassungsrechtlichen Grenzen,134 stets muss hierbei der Kernbereich privater Lebensgestaltung geschützt bleiben.135 Insoweit bieten neben den Grundrechten die seit Mai 2018 geltende Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und das neue Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) weitere Regularien und Mechanismen, die dem Verlust von Rechten Einzelner gegensteuern.136

Ob und wie bzw. an welchen Stellen das strafprozessuale Beweisrecht auf das empirisch faktische Phänomen der Digitalisierung – mit all seinen Risiken und Chancen – reagieren sollte oder gar muss, wird im Weiteren zu untersuchen ←33 | 34→sein. Nachfolgend wird daher die digitale Dimension der Beweismittel für den Strafprozess im Fokus stehen.

II. Begriff der digitalen Daten und der digitalen Beweisführung

Digitale Daten besitzen ein erhebliches Potenzial, verschiedene Kommunikationsformen, wie den Strafprozess als individuell verkörperte Kommunikationsplattform, zu ändern.137 Zu Recht spricht Kochheim von der heutigen Welt als „duale Welt“, in der die Ausschlag gebende reale Welt und die von ihr abhängige digitale Welt durch Kommunikationsbeziehungen, Webdienste, E-Commerce, Onlinebanking und smarte Geräte vielfach und eng miteinander verbunden sei.138 Die digitale Welt kann (in der realen Welt) umfangreiche Spuren bzw. Abdrücke hinterlassen, die auf Sachverhalte aus der körperlichen (realen) Welt schließen lassen und erhebliche Veränderungen bewirken können. Beispielhaft seien nur E-Mails und digitale Fotos im Rahmen einer Beweisaufnahme zu nennen. Ist eine E-Mail der einzige Nachweis für die Täterschaft oder eine Teilnahme einer Person an einer Straftat oder ergibt die Auswertung der Handydaten allein oder in Kombination mit einem anderen Beweis, dass der Beschuldigte in einer Funkzelle in der Nähe des Tatortes eingeloggt war und damit in den Kreis der Verdächtigen rückt, so wird mehr als deutlich, dass diese Informationen für ein (Straf-)Verfahren relevant, wenn nicht sogar essentiell sein können. So lässt es sich schwer leugnen, dass diese Spuren als Beweismittel in Betracht kommen.139 Ein gewisser Anteil von menschlichen Handlungen bleibt allein auf elektronischem Wege sichtbar,140 sodass kein Weg daran vorbeiführt, diese Lücke zu schließen.141

1. Digitale Daten und Beweismittel

Durch die anwachsende Verbreitung von Digitaltechnik entstehen Beweismittel bereits zu großen Anteilen in digitaler Form,142 was erhebliche Auswirkungen auf das Prozessrecht haben kann. Im Bereich des Strafverfahrens befassen sich ←34 | 35→die Parteien (die Beteiligten des Strafverfahrens) längst in einem steigenden Umfang mit digitalen Beweismitteln,143 ohne dass der Begriff „digitales Beweismittel“ neben den klassischen Beweismitteln144 im Gesetz Eingang gefunden hat. Dem geltenden Recht ist nicht einmal einheitlich zu entnehmen, was unter dem elementaren Begriff „Daten“ zu verstehen ist;145 dem Prozessrecht ist er sogar gänzlich fremd.146 Einen einheitlichen juristischen Datenbegriff gibt es nicht. Trotz einer fehlenden Definition,147 knüpfen verschiedene Vorschriften und Gesetze an diesen Begriff an,148 und arbeiten mit teilweise unterschiedlichen Datenbegriffen.

Der Datenbegriff wird primär im Bundesdatenschutzgesetz149 und in der neuen Datenschutz-Grundverordnung150 verwendet. Danach sind Daten jede Form der Speicherung von Informationen, unabhängig vom Dateityp,151 aber immer im Zusammenhang der Personenbezogenheit der Daten, d.h. bezogen auf identifizierte oder identifizierbare natürliche Personen, vgl. § 1 BDSG, Art. 1 und 4 Nr. 1 DSGVO. Im Strafgesetzbuch taucht der Begriff in folgenden zehn Paragraphen auf: §§ 202a, 202b, 202c, 202d, 268, 269, 263a, 274 Abs. 1 Nr. 2 sowie §§ 303a und b StGB, in jeweils verschiedenen Abschnitten des besonderen Teils und mit unterschiedlicher Bedeutung152. Nach § 202a Abs. 2 StGB sind Daten i.S.d. § 202a Abs. 1 StGB „nur solche, die elektronisch, magnetisch oder sonst nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert sind oder übermittelt werden“. Eine nicht unmittelbare Wahrnehmbarkeit ist dann gegeben, wenn die Wahrnehmung der Daten erst eine Umsetzung in optisch oder akustisch wahrnehmbare Signale voraussetzt.153 Dies stellt jedoch keine Definition des eigentlichen Datenbegriffs dar,154 sondern die Norm setzt den Begriff vielmehr ←35 | 36→voraus.155 § 202a StGB schränkt den Begriff lediglich ein.156 Die §§ 202a, 202b, 202c, 202d und 303a StGB nehmen auf § 202a Abs. 2 StGB Bezug. § 269 StGB hingegen spricht gar von „beweiserheblichen Daten“ und erfasst laut Wortlaut und Regelungstechnik lediglich visuell nicht unmittelbar wahrnehmbare Daten157. Ebenso wie bei § 268 und § 263a StGB handelt es sich bei diesen „Daten“ um kodierte Informationen, die eine automatisierte Verarbeitung zulassen,158 unabhängig davon, ob und in welcher Form sie verarbeitet werden.159 In der Rechtspraxis wird von einer weiten Definition ausgegangen, die nicht nur an das Element des Verarbeitungszwecks knüpft, sondern auch alle Informationen einschließt, die sich kodieren160 und im Computer verarbeiten lassen. Es soll nicht auf den konkreten Dateninhalt ankommen. Im Bürgerlichen Gesetzbuch wurde neben den Regelungen zur elektronischen Form gem. § 126a BGB161 der Begriff „digitale Inhalte“ eingeführt und in § 312f Abs. 3 BGB als „Daten, die in digitaler Form hergestellt und bereitgestellt werden“ legal definiert. In den Prozessordnungen selbst ist nur die Rede von einem „elektronischen Dokument“, etwa in §§ 32a162 ff., 249 Abs. 1 Satz 2 StPO und in §§ 130a163, 371a und b ZPO. Diesen Begriff verwendet auch die Verordnung über die elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt (eIDAS-VO), vgl. Art. 3a.

Bei der Auseinandersetzung mit dem möglicherweise zentralen (neuen) Beweisstück des Strafprozesses werden häufig die Begriffe „digitales Beweismittel“ und „elektronisches Beweismittel“ verwendet. Um sich in der digitalen Dimension der Beweisrechte zurecht zu finden, bedarf es einer einheitlichen ←36 | 37→Definition, die das Recht bisher vermissen lässt.164 Deswegen wird zunächst der Frage nachgegangen, ob beide oben genannten Begriffe synonym verwendet werden können oder es zu unterscheiden gilt.

Schaut man in die einschlägige Literatur, wird schnell klar, dass die Begriffe nicht immer einheitlich verwendet werden. Beide Termini, „digitale Beweise/Beweismittel“ und „elektronische Beweise/Beweismittel“ sind weit verbreitet und gleichstark akzeptiert bzw. werden teilweise synonym verwendet.165

Nähert man sich dem Ganzen aus technischer Sicht, umfassen elektronische Beweismittel all jene potentiell beweiskräftigen Daten, die auf Elektrotechnik basieren. Demnach sind digitale Beweismittel all jene, die auf Digitaltechnik basieren. Unter digitalen Daten sind dann – unter Berücksichtigung der verwendeten Datenbegriffe und der Definition der Digitalisierung – „die jeweils existenten, auf einem Binärcode beruhenden Anordnungen von Binärzeichen“166 zu verstehen. Zu den analogen Beweismitteln unterscheiden sich die digitalen Daten also in der Art der Informationsübertragung und -speicherung.

In der englischsprachigen Literatur werden digitale Beweismittel meist als all jene Daten beschrieben, die durch Computerbenutzung gespeichert oder übertragen werden, die dazu dienen die Theorie über die Entstehung eines Tathergangs zu belegen oder zu entkräften oder die sich mit kritischen Voraussetzungen/Elementen des Angriffes167 wie Vorsatz, Motiv oder Alibi befassen.168 Diese Definition stellt digitale Spuren in den Kontext eines Verbrechens.169 Die von der wissenschaftlichen Arbeitsgruppe für digitale Beweise170 vorgeschlagene Definition umfasst all jene Informationen von beweiskräftigem Wert, die entweder in digitaler Form gespeichert oder übermittelt wurden. Eine weitere aufgestellte Definition von der International Organization for Computer Evidence (IOCE), welche auch von dem Justizministerium der Vereinigten Staaten verwendet wird, umfasst alle Informationen, die in binärer Form gespeichert oder ←37 | 38→übermittelt werden, welche möglicherweise vor Gericht verwendet werden können.171

Im Allgemeinen umfassen die meisten Definitionen den technischen Grundgedanken, dass digitale Beweismittel auf Digitaltechnik – meist Binärtechnik, wie sie Computer verwenden, beruhen, und mit deren Hilfe festgestellt oder widerlegt werden kann, ob eine Straftat begangen wurde. Problematisch bei diesen Definitionen ist jedoch, dass sie sich zu stark daran orientieren Beweis für Computerstraftaten (im Allgemeinen: Verbrechen)172 zu erbringen und solche Daten vernachlässigen, die eine Untersuchung fördern.173 Des Weiteren wäre es unpräzise, nur solche Daten in binärer Form zu erfassen. Die binäre Digitaltechnik ist zwar die in der Praxis bedeutsamste Form, jedoch existieren auch nichtbinäre digitale Schaltungen.174 Es bedarf demzufolge einer weitgehenderen Definition, die auch die oben aufgeworfene Frage beantworten kann.

Elektronische Beweismittel sind daher solche potentiell beweiskräftigen Daten, welche aus der Ausgabe von analogen und/oder digitalen Geräten resultieren, die mittels elektronischer Geräte erzeugt, verarbeitet, gespeichert oder übertragen wurden.175 Digitale Beweismittel sind zunächst all jene elektronischen Beweismittel, die in numerischem Format erzeugt wurden (typischerweise als Binärcode), d.h. solche die von Anfang an ein digitales Format/die digitale Form aufweisen.176 Sie bilden eine originäre elektronische und zugleich digitale Datei, weil sie gewissermaßen digital „geboren“ sind. Es lässt sich demnach feststellen, dass von den elektronischen Beweismitteln auch die Digitalen erfasst werden. Der Begriff ist also umfassender, denn er bezieht auch potenzielle analoge, elektronische Beweise, die kein digitales Format aufweisen, mit ein. Was nach den hiesigen Erläuterungen auch bedeutet, dass beide Begriffe im Folgenden nicht synonym verwendet werden (können).177 Im Weiteren wird ←38 | 39→der Blickpunkt speziell auf den Beweismitteln liegen, die ein digitales (binäres) Format aufweisen.

Deshalb muss geklärt werden, ob auch analoge und/oder nicht elektronische (herkömmliche) Daten nach erfolgter Digitalisierung ebenfalls als digitales Beweismittel erfasst werden können. Beispielshaft sei ein ursprünglich in Papierform vorliegendes Dokument zu nennen, das eingescannt wird. Durch den Scan wird das Schriftstück in die elektronische Form umgewandelt; es entsteht also ein digitales Abbild oder eine Abschrift des (analogen) Originals.178 Die Datei beruht daher auf Daten, die zuvor digitalisiert worden sind. Fest steht, dass die Daten nach dem Digitalisierungsprozess zu „elektronischen“ werden, auch wenn sie vorher analog und/oder nicht elektronisch waren. Die Frage, ob diese dann aber zu potenziell beweiskräftigen digitalen Beweismitteln werden, ist zumindest dann erheblich, wenn das Original – unabhängig von den Gründen – vernichtet wird (z.B. durch sog. „ersetzendes Scannen“, wenn Papierdokumente für ihre elektronische Weiterverarbeitung oder Aufbewahrung digitalisiert werden und das papiergebundene Original anschließend vernichtet wird)179. In einem solchen Fall wäre es fatal, dass potenziell beweiskräftige elektronische Dokument nicht für die gerichtliche Beweiswürdigung heranzuziehen,180 unabhängig von dem – im Folgenden noch zu bestimmenden – Beweiswert.

Um die Frage zu beantworten, sollte der in den Prozessordnungen verwendete Begriff „elektronisches Dokument“ herangezogen werden, aber auch die im Strafprozessrecht neuen Normen zur Aktenführung und Kommunikation im Verfahren, §§ 32 ff. StPO. Eine Legaldefinition des elektronischen Dokuments findet sich in keiner nationalen Verfahrensordnung, obgleich der Terminus vom Gesetzgeber einheitlich verwendet wird.181 Laut Art. 3 Nr. 35 eIDAS-VO ist elektronisches Dokument, „jeder in elektronischer Form, insbesondere als Text-, Ton-, Bild- oder audiovisuelle Aufzeichnung gespeicherte Inhalt“. Wagner definiert das „elektronische Dokument“ im Rahmen der zivilprozessualen Normen als ein solches, welches aus elektronischen Daten bestehe, die dauerhaft in einem Schriftträger verkörpert seien, der ohne technische Hilfsmittel nicht gelesen werden könne.182 Danach wird aber nur deutlich, dass das Beweismittel eine zum ←39 | 40→Zeitpunkt der Verhandlung elektronische Form aufweisen muss, nicht ob davon nur originär elektronische Beweismittel erfasst sind.

Eine Definition des Begriffes „elektronisches Dokument“ findet sich in dem Regierungsentwurf zu § 32a StPO n.F. Mit den neuen Vorschriften der §§ 32–32f StPO zur Aktenführung und Kommunikation im Verfahren wird nunmehr die Möglichkeit eröffnet Akten im Strafverfahren elektronisch zu führen, § 32 Abs. 1 StPO.183 Alles was bisher in schriftlicher Form (Schriftstück) bei Gericht und den Strafverfolgungsbehörden eingereicht werden musste, kann auch als elektronisches Dokument184 übermittelt werden.185 Laut der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 32a StPO ist unter einem elektronisches Dokument, „jegliche Form von elektronischer Information (z.B. Text-, Tabellen-, Bilddatei) zu verstehen, die ein Schriftstück beziehungsweise eine körperliche Urkunde ersetzen soll und grundsätzlich zur Wiedergabe in verkörperter Form (z.B. durch Ausdruck) geeignet ist. Reine Audio- und Videodateien sowie sonstige Informationen, die nicht zur Wiedergabe in verkörperter Form geeignet sind, gelten nicht als elektronisch Dokumente im Sinne der Vorschrift“.186 Laut Entwurfsbegründung wird der Begriff des elektronischen Dokuments auf solche Dokumente beschränkt, die Urkunden ersetzen können.187 § 32e StPO n.F. macht aber deutlich, dass nicht nur originäre digitale Dokumente erfasst werden, sondern auch solche, die erst digitalisiert wurden.188

Betrachtet man in diesem Kontext die neue Vorschrift des § 249 Abs. 1 Satz 2 StPO189, die Vorschriften aus dem Zivilrecht (§ 126a BGB und § 130a ZPO) sowie die eIDAS-VO, so spricht einiges dafür den Begriff des „elektronischen Dokuments“ weit auszulegen und Dateien jeden Inhalts zu erfassen – entgegen der Begründung zu § 32a StPO, die im Wortlaut des Gesetzes keine Stütze findet.190 Das bedeutet, dass Schrift, Bild und Ton nun auf die gleiche Weise, d.h. ←40 | 41→in digitaler – und damit gleichzeitig in elektronischer – Form, gespeichert werden können,191 und unter dem in den Gesetzen einheitlich verwendeten Begriff „elektronisches Dokument“ zu fassen sind.192

Aus der weiten Auslegung des Begriffs kann jedoch nicht gleichsam die Frage beantwortet werden, ob unter elektronischen Dokumenten auch nachträglich digitalisierte Dokumente gefasst werden. Dazu ist neben dem Wortlaut „Dokument“ auch der Sinn und Zweck des Begriffs durch Auslegung zu ermitteln.

Dem Dokument im Allgemeinen wird ein konkreter Bezug zu Schriftstücken beigemessen und mit den zentralen Eigenschaften einer Urkunde gleichgesetzt.193 Abhängig vom jeweiligen Rechtsgebiet und deren Zielrichtungen haben sich folgende Merkmale des Urkundenbegriffs innerhalb von Rechtsprechung und Literatur als wesentlich herausgestellt: Die dauerhafte schriftliche Verkörperung des Inhalts, die unmittelbare Wahrnehmbarkeit, die Erkennbarkeit des Ausstellers und die Beschränkung auf die Erklärung.194 Für den strafprozessualen Urkundsbegriff ist die Verlesbarkeit das entscheidende Merkmal.195 Bei digitalen Daten sind die unmittelbare Wahrnehmbarkeit und somit auch die Verlesbarkeit des Inhalts nicht herkömmlich möglich. Ermöglicht wird dies erst durch die (technische) Präsentation der Daten unter Zuhilfenahme technischer Hilfsmittel wie Hard- und Software sowie die anschließende Interpretation dieser Präsentation durch den Menschen.196 Daher entsprechen digitale Daten nicht dem im allgemeinen Sprachgebrauch zugrundeliegenden Verständnis eines Dokuments, sodass eine durch digitale Daten dargestellte Erklärung kein Dokument im „klassischen Sinne“ ist.197 Demzufolge muss der Begriff des Dokuments weiter gefasst werden, was von der Informationstechnik bereits entsprechend gehandhabt wird. „Ein Dokument bezieht sich auf alle Arten von Informationen, die zur Wahrnehmung durch den Menschen bestimmt sind und als Einheit zwischen Systemen und/oder Benutzern ausgetauscht werden können“198. Für die ←41 | 42→Wahrnehmbarkeit reicht es aus, wenn die Informationen für den Menschen in einer visuell verständlichen und interpretierbaren Form – in Schriftzeichen199 – präsentiert werden können.200 Das entscheidende Kriterium für das Dokument ist dementsprechend die dauerhaft auf dem Schriftträger enthaltene Information, und nicht mehr die physische Eigenschaft, in der sie vorliegt.201 Dass das Dokument nunmehr als Oberbegriff für Papierdokumente und elektronische Dokumente benutzt wird, zeigen die sprachlichen Gesetzesveränderungen durch den Gesetzgeber in der Zivil- und Strafprozessordnung.202 Dort wurde der an vielen Stellen eng mit der Papierform verknüpfte Begriff „Schriftstück“ durch den umfassenden Begriff des „Dokuments“ ersetzt.203

Ein weiteres Wesensmerkmal sind die vielfältigen Möglichkeiten der Speicherbarkeit auf einem Medium, wobei sowohl Papier als auch alle Arten von elektronischen, optischen, magnetischen oder magneto-optischen Speichermedien davon umfasst sind.204 Diese weite Bestimmung des Begriffs „Dokument“, muss erfolgen, um die Normen der §§ 32a ff. StPO nicht ad absurdum zu führen. Denn diese beziehen sich auf elektronische und damit auch digitale Dokumente. Hinzu kommt, dass solche Dokumente „die nicht der Form entsprechen, in der die Akte geführt wird (Ausgangsdokumente), in […] die entsprechende Form zu übertragen“ sind, sog. Medientransfer nach § 32e StPO. Konkret geht es also darum ein nicht elektronisches Ausgangsdokument in ein elektronisches Dokument zu Aktenführungszwecken zu übertragen. Daher müssen, unter Berücksichtigung von § 32e StPO, von den digitalen Beweismitteln auch solche Beweismittel erfasst werden, die nicht als originär digitale Datei entstanden sind, sondern zuvor digitalisiert wurden und dann erst als Beweismittel im Verfahren präsentiert wurden (sog. sekundäre digitale Beweismittel). Unschädlich für die Einordnung als digitales Beweismittel ist ebenfalls die Transformation205 von Dokumenten. Das meint den Vorgang, bei dem ein Ausgangsdokument in ein anderes technisches Format übertragen bzw. umgewandelt wird,206 was auch ←42 | 43→rein elektronisch erfolgen kann,207 wenn die Dokumente letztendlich ein digitales Format aufweisen.

Maßgebend ist demnach, dass ein Beweis auf der Basis digitaler Daten erstellt worden ist,208 unabhängig zu welchem Zeitpunkt und unabhängig davon, ob es sich um eine originär nicht elektronische und/oder analoge Datei handelt. Zusammengefasst und in Ergänzung der obigen Definition sind digitale Beweismittel demnach all jene elektronischen Beweismittel, die in numerischen Format erzeugt (und gespeichert) oder in ein numerisches Format konvertiert wurden. Des Weiteren ist ein elektronisches Dokument weit auszulegen und darunter ist jegliche Form von elektronischer Information zu fassen, die nur mit Hilfe von informationstechnischer Systeme (allgemein: Informationstechnik) gelesen werden kann.

In welcher Form die Informationen später im Verfahren präsentiert werden, ist dabei für die Klassifizierung als digitales Beweismittel bedeutsam. In der Regel werden von eingescannten Dokumenten oder E-Mails Ausdrucke oder Verschriftungen erstellt, um diese im Verfahren in analoger Form zu präsentieren.209 Die Umwandlung von E-Dokument zu Papierdokument führt dazu, dass dieses nicht mehr als digitale Datei angesehen werden kann. Die spätere technische Präsentation ändert aber nichts an der Tatsache, dass es sich bei dem eingescannten Dokument bzw. der E-Mail als Urprodukt um ein Beweismittel handelte, das auf Basis digitaler Daten gegründet worden ist.

Von den digitalen Beweismitteln werden also nicht nur elektronische Dokumente mit Erklärungsinhalten erfasst, sondern auch solche Inhalte, die gerade keine Schriftzeichen enthalten, wie es beispielsweise bei digitalen Fotos und Aufnahmen der Fall ist, weil digitale Beweismittel ebenso in Audio- oder Bildformat dargestellt werden oder gar multimedial sein können, vgl. Art. 3 Nr. 35 eIDAS-VO.210 Das liegt daran, dass alle Formen von Informationen – Texte, (bewegte) Bilder, Töne und Daten – auf derselben technischen Basis, nämlich der digitalen Technologie dargestellt und gespeichert werden können.211 Das entspricht auch dem allgemeinen Sprachgebrauch von digitalen Daten, als Basis potenziell beweiserheblicher Beweismittel. Ist von diesen die Rede, wird sowohl von einzelnen Bits, verschiedenen Dokumenten wie PDF oder Microsoft Word-Dateien, als auch von Foto-, Video-, und/oder Audioaufnahmen gesprochen.212 Digitale Daten können ←43 | 44→solche Inhalte umfassen, diese sind aber nicht abschließend. Als digitale Inhalte und somit potenzielle digitale Beweismittel müssen ebenso technisch lesbare Auszüge/Inhalte aus Computerprogrammen, Anwendungen (Apps), Spiele, Telefon-, und Ortungsdaten, Inhalte aus elektronischen und Online-Datenbanken, Blog- und Foreneinträge sowie Inhalte in sozialen Netzwerken wie etwa facebook, Twitter, WhatsApp, Viber oder in einer Cloud gespeicherte Daten in Erwägung gezogen werden, solange sie in einem digitalen, hier binären Format vorliegen.

2. Digitale Beweisführung

Im Strafprozess muss jede Verurteilung eines Angeklagten auf einer schlüssigen Beweisführung beruhen. Der Nachweis der begangenen Straftat kann verständlicher Weise nur mit erlaubten Beweisen geführt werden, d.h. mit solchen die keinem Beweisverbot unterliegen. Dafür erfolgt in der Hauptverhandlung eine Beweisaufnahme, in der die potentiellen Beweise in der vorgeschriebenen Form der geltenden Prozessordnung erhoben werden. Auch wenn durch die Anhörung von Zeugen Tatverdächtige identifiziert werden können, so gelten greifbare und handfeste, mithin verkörperte Beweise einer individuellen Beteiligung bei einer Tat als überzeugender und verlässlicher. Generell müssen überzeugende und nachvollziehbare Verbindungen zwischen Angreifer, Opfer und dem Tatort hergestellt/festgestellt werden. Dafür suchen Ermittler nach hinterlassenen physischen Spuren am Tatort.213 Denn erst Spuren ermöglichen die Rekonstruktion eines Tathergangs. Sie bilden damit die Grundlage jeder forensischen Untersuchung, und dienen als Beweismittel im weiteren Verlauf als Grundlage des strafprozessualen Beweisverfahrens, wo sie letztlich dem Tatrichter helfen sich von einer bestimmten Tatsache zu überzeugen oder diese zu widerlegen.214

Basierend auf dem Locard´schen Austauschprinzip215 führt ein Kontakt zwischen mindestens zwei „Parteien“ zwangsläufig zur Entstehung von physischen Spuren und damit zu einem Beweisaustausch bzw. -transfer,216 denn es ist annähernd unmöglich, Handlungen auszuführen, ohne irgendwelche physische Spuren zu hinterlassen.217 Der Austausch gilt für jeglichen Kontakt am Tatort, ←44 | 45→einschließlich dem zwischen Verdächtigem und Opfer (Verletzten/Geschädigten), zwischen einer waffentragenden Person, und zwischen einem Dritten (auch Ermittlern) und dem Tatort.218 Dies geschieht einerseits durch Übertragung von Materie, andererseits von Mustern.219 In der körperlichen Welt wird der Täter gewöhnlicherweise unbeabsichtigt Spuren organischer (etwa Blut, Haare, Sperma oder Speichel), daktyloskopischer (Finger- oder Fußabdrücke) oder auch anorganischer Art (etwa Fasern) am Tatort hinterlassen und selbst solche von dem Tatort mitnehmen. Das bedeutet, dass es immer eine zu beweisende Interaktion gibt, auch wenn diese manchmal praktisch unmöglich belegbar ist. Ziel muss es sein, diesen Beweisaustausch zu finden und für die Beweisführung im Prozess zu nutzen.

Versucht man das oben erwähnte Austauschprinzip auf die digitale Welt zu übertragen, zeigt sich, dass eine digitale Interaktion keine Materie am Tatort hinterlässt, da alle Zustände weiterhin diskret bleiben. Weil die digitale Straftat im virtuellen Raum stattfindet, findet dort für gewöhnlich keine physische Interaktion zwischen Täter und Opfer statt,220 wie wir es bei einem realen Tatort gewohnt sind. Trotz dessen entstehen die sozialschädigenden Effekte notwendigerweise in der realen Welt, sodass der Beziehung zwischen den handelnden Personen eine wesentliche Bedeutung zukommt.221 In der digitalen Welt werden aber ebenso Muster übertragen, wenn Informationen von einem Objekt zum anderen übertragen werden,222 etwa beim Austausch von E-Mails. Diese Übertragung kann somit als Basis für den Nachweis eines Kontakts zwischen zwei Objekten im Cyberspace dienen,223 sog. digitales Austauschprinzip224 nach Locard (siehe Abbildung 1). Hinzu kommt, dass auch rein digitale Straftaten physische Spuren am Tatort hinterlassen können, etwa wenn ein Schalter oder eine Taste physisch betätigt und dadurch Software gestartet wird.225 Ein Beweistransfer findet demnach sowohl in der realen als auch in der virtuellen Welt statt,226 sei es durch Übertragung von Materie oder von Mustern. Daraus ist nach Basar ein neues „digitales Spurennetz“ entstanden, welches in nahezu jedem Strafrechtsfall von ←45 | 46→Belang sein kann.227 Dieser Austausch oder Transfer führt zu Verbindungen oder auch Anknüpfungspunkten für die Beweissicherung und -führung, die im Zusammenhang mit einem Sachverhalt im Allgemeinen und mit einem Delikt im Speziellen stehen.

Aus forensischer Sicht kann man zwei Typen von sog. (Digital-228 oder Magnet-229) Spuren unterscheiden: erstens digitale Spuren, die direkt mit physischen Datenträgern verbunden bzw. verknüpft sind, und zweitens digitale Spuren, die rein virtuell sind.230 Rein virtuelle digitale Spuren können von IT-Nutzern auf verschiedenste Art hinterlassen werden, beispielsweise auf Webseiten, E-Mail- und social Media-Konten, auf Blogs, mittels verschiedener Internet-Identitäten, als PayPal-Guthaben oder Cloud Daten, bei Onlinegeschäften, in virtuellen Adressbüchern und Kontakten oder über Telekommunikationsverträge.231

Spuren des ersten Typs treten bei der Speicherung oder Veränderung unterschiedlichster elektronischer Instrumente oder Komponenten auf.232 Beispielhaft seien nur Computerfestplatten, digitale Speichermedien (USB-Stick, CD, DVD, GPS, SIM-Karte etc.), Kommunikationsgeräte (Smartphone, Mobiltelefon), Activity Tracker (Fitnessband), Haushalts- und Home-Entertainment Geräte (TV, Recorder, Receiver) oder die in Kraftfahrzeugen enthaltenden Steuergeräte samt Steuerungstechnik (Motormanagement, Airbag, Antiblockierungssystem, Diebstahlsschutz, GPS-System usw.)233 zu nennen.234 Digitale Beweismittel können dann Kommunikationsbeziehungen zwischen Tatverdächtigen und Opfern, Aufenthaltsorte, (Online-)Aktivitäten zur Tatzeit und andere Informationen aufdecken, die die digitale Dimension der Ermittlungen liefern.235

←46 | 47→

Dabei darf, unabhängig von den Fragen, wie digitale Beweismittel in die Hauptverhandlung eingeführt werden und welcher Beweiswert ihnen zukommt, nicht außer Acht gelassen werden, dass auch das digitale Beweismittel, wie es auch das analoge, zur Entlastung von einem Vorwurf im Strafverfahren dienen kann.236 Mit dem gewonnen digitalen Beweismittel soll unter Umständen eine entscheidungserhebliche Tatsache im Prozess bewiesen werden, denn erforderlich für die Sachverhaltsermittlung im realen oder digitalen Raum sind Beweise. Diese Art von Beweisführung, d.h. mittels Beweisen (Spuren) digitaler Natur bzw. in digitaler Form, wird im Folgenden als digitale Beweisführung bezeichnet.237

Details

Seiten
354
Jahr
2020
ISBN (PDF)
9783631807477
ISBN (ePUB)
9783631807484
ISBN (MOBI)
9783631807491
ISBN (Hardcover)
9783631802342
DOI
10.3726/b16364
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (November)
Schlagworte
Digitalisierung Strafverfahren Digitale Daten/Beweise Beweisqualität Beweissicherheit Manipulationsrisiko IT-Forensik/-Standards Beweisrecht Sicherungsmittel Beweiswürdigung
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020., 354 S., 2 s/w Abb.

Biographische Angaben

Laura Iva Savic (Autor:in)

Laura Iva Savić studierte Rechtswissenschaften an der Leibniz Universität Hannover mit dem Schwerpunkt Strafverfolgung und Strafverteidigung. Danach war sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Strafrecht, Strafverfahrensrecht, Wirtschafts- und Umweltstrafrecht der Freien Universität Berlin tätig, wo auch ihre Promotion erfolgte.

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Titel: Die digitale Dimension des Strafprozessrechts
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