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Strategische Marketingoptionen in regulierten Märkten

Das Management von Patentausläufen in pharmazeutischen Unternehmen

von Anna-Katharina Koenen (Autor:in)
©2019 Dissertation 270 Seiten

Zusammenfassung

Das Management von Patentausläufen in pharmazeutischen Unternehmen erfährt in Zeiten von stetig zunehmender Regulierung und geringer gefüllten Produktpipelines erneut große Aufmerksamkeit. Im Mittelpunkt dieses Bandes steht die Frage, welche der in der Literatur diskutierten Patentauslaufstrategien unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtslage und Weiterentwicklung der pharmazeutischen Branche noch anwendbar sind. Dabei erfasst die Autorin sowohl branchenspezifische Besonderheiten als auch konzeptionelle Grundlagen der Marketingforschung. Basierend auf diesen Erkenntnissen erstellt die Autorin ein neues Klassifikationsschema an Patentauslaufstrategien für die pharmazeutische Branche und gibt Handlungsempfehlungen für das Management des Patentauslaufs.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort der Herausgeberreihe
  • Vorwort des Herausgebers
  • Vorwort der Autorin
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis
  • 1 Einführung
  • 1.1 Problemstellung und Relevanz des Forschungsgegenstandes
  • 1.2 Beschreibung der Vorgehensweise und Darstellung des Forschungsstandes
  • 1.3 Zielsetzung dieser Arbeit und Herleitung der konkreten Forschungsfragen
  • 1.4 Einordnung in den wissenschaftlichen Kontext
  • 1.5 Aufbau der Arbeit
  • 2 Branchenspezifische Grundlagen
  • 2.1 Kennzahlen, Charakteristika, und Aufteilung des Marktes
  • 2.1.1 Produktlebenszyklus von Medikamenten
  • 2.1.2 Preisbildung von Medikamenten
  • 2.1.3 Vertriebswege von Medikamenten
  • 2.1.4 Vermarktung von Medikamenten
  • 2.2 Wichtigste Entscheider und Stakeholder im Fall des Patentauslaufs
  • 2.2.1 Wettbewerbsumfeld der Hersteller im Fall des Patentauslaufs
  • 2.2.2 Die möglichen Adressaten von Patentauslaufstrategien
  • 2.2.2.1 Die Patienten
  • 2.2.2.1.1 Die Anspruchshaltung von Patienten
  • 2.2.2.1.2 Modelle der Arzt-Patienten-Interaktion
  • 2.2.2.1.3 Patientenübergreifende Entwicklungen
  • 2.2.2.2 Die Ärzte
  • 2.2.2.2.1 Das Verschreibungsverhalten für chemisch-synthetische Medikamente
  • 2.2.2.2.2 Das Verschreibungsverhalten für Biopharmazeutika
  • 2.2.2.2.3 Übergreifende Einflüsse auf das Verschreibungsverhalten
  • 2.2.2.3 Die Apotheken
  • 2.2.2.3.1 Die Medikamentenausgabe für chemisch-synthetische Medikamente
  • 2.2.2.3.2 Die Medikamentenausgabe für Biopharmazeutika
  • 2.2.2.3.3 Der Entscheidungsspielraum des Apothekers
  • 2.2.2.4 Die Krankenkassen
  • 2.2.3 Rechtliche Restriktionen für die Nutzung von Patentauslaufstrategien
  • 2.2.3.1 Patentrechtliche und dem nahestehende Gesetzgebungen
  • 2.2.3.1.1 Das deutsche Patentrecht
  • 2.2.3.1.1.1 Voraussetzungen für einen Patentschutz
  • 2.2.3.1.1.2 Dauer des Patentschutzes
  • 2.2.3.1.1.3 Schutzumfang des Patents
  • 2.2.3.1.1.4 Sonderformen des Patentrechts der pharmazeutischen Branche
  • 2.2.3.1.1.5 Patente als Hemmnis oder Impulsgeber für Innovationen
  • 2.2.3.1.2 Das Gebrauchsmusterrecht
  • 2.2.3.1.3 Das ergänzende Schutzzertifikat
  • 2.2.3.1.4 Die Unterlagenverwertungs- und Vermarktungsexklusivität
  • 2.2.3.2 Vermarktungsbezogene Gesetzgebungen
  • 2.2.3.2.1 Das Heilmittelwerbegesetz in Verbindung mit dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb
  • 2.2.3.2.1.1 Schutzwirkung generiert durch das Heilmittelwerbegesetz und das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb
  • 2.2.3.2.1.2 Der Begriff der Werbung nach dem Heilmittelwerbegesetz
  • 2.2.3.2.1.3 Schutzwirkung des Heilmittelwerbegesetzes
  • 2.2.3.2.1.4 Besondere Vorschriften für die Vermarktung von verschreibungspflichtigen Medikamenten
  • 2.2.3.2.2 Das Markengesetz
  • 2.2.3.2.3 Das Arzneimittelgesetz
  • 2.2.3.2.4 Verhaltenskodizes zur Selbstkontrolle der Pharmaindustrie
  • 2.2.3.3 Das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz in Verbindung mit dem Sozialgesetzbuch V
  • 2.3 Zwischenfazit: Welche branchenspezifischen Besonderheiten haben einen Einfluss auf die Patentauslaufsituation?
  • 3 Konzeptionelle Grundlagen
  • 3.1 Das Konstrukt des Komparativen Konkurrenzvorteils
  • 3.2 Das Strategische Geschäftsfeld
  • 3.3 Klassische marketingstrategische Optionen für das Management von komparativen Konkurrenzvorteilen
  • 3.3.1 Die Ankerpunkte für das Management von Strategischen Geschäftsfeldern
  • 3.3.2 Strategische Handlungsoptionen für das Management von Geschäftsfeldern nach Meyer und Mattmüller
  • 3.3.2.1 Beibehaltung
  • 3.3.2.2 Diversifikation
  • 3.3.2.3 Reduktion
  • 3.3.2.4 Konversion
  • 3.3.2.5 Multiplikation und Kontraktion
  • 3.3.2.6 Kritische Würdigung der Strategischen Marketingoptionen unter Berücksichtigung der branchenspezifischen Besonderheiten
  • 3.3.3 Branchenneutrale, strategische Verteidigungsoptionen für den Eintritt von Konkurrenten in den Markt
  • 3.3.3.1 Präventionsstrategien
  • 3.3.3.2 Militärstrategische Verteidigungsmechanismen
  • 3.3.3.3 Verteidigungsstrategien nach dem Markteintritt von Konkurrenten
  • 3.3.3.4 Marketingbasierte Verteidigungsstrategien
  • 3.3.3.4.1 Lebenszyklusmanagement im Bereich F&E
  • 3.3.3.4.2 Lebenszyklusmanagement im Bereich des Wachstums und der Sättigung
  • 3.3.3.4.2.1 Rolle des Außendienstes
  • 3.3.3.4.2.2 Multichannel Marketing
  • 3.3.3.4.2.3 Einbindung neuer Zielgruppen
  • 3.3.3.4.3 Grundlagen für die erfolgreiche Nutzung von Kommunikationsmaßnahmen zur Verteidigung nach dem Patentauslauf
  • 3.3.3.4.3.1 Loyalität und die Markenfunktion
  • 3.3.3.4.3.2 „Loyalität“ von Ärzten
  • 3.3.3.4.3.3 „Loyalität“ von Patienten
  • 3.4 Zwischenfazit
  • 4 Patentauslaufstrategien in der Pharmabranche
  • 4.1 Bisherige Optionen
  • 4.1.1 Strategiesammlung nach Raasch
  • 4.1.2 Weitere in der Literatur diskutierte Patentauslaufstrategien
  • 4.1.2.1 Rabattverträge und Open-House-Verträge
  • 4.1.2.2 Geschäftsmodellinnovationen
  • 4.1.3 Übersicht der in der Literatur diskutierten Patentauslaufstrategien
  • 4.2 Thesenbildung für ein zeitgemäßes Patentauslaufmanagement
  • 4.2.1 Zusammenfassende, kritische Würdigung der vorgestellten Strategien
  • 4.2.2 Thesen für ein zeitgemäßes Patentauslaufmanagement
  • 4.2.2.1 These 1: Unterscheidung zwischen chemisch-synthetischen Medikamenten und Biopharmazeutika für das Management von Patentausläufen
  • 4.2.2.2 These 2: Ganzheitliches Lebenszyklusmanagement
  • 4.2.2.3 These 3: Ausgestaltung des Lebenszyklusmanagements durch Kommunikationsstrategien
  • 4.2.2.3.1 These 3a: Einbeziehung neuer subfinaler Zielgruppen
  • 4.2.2.3.2 These 3b: Außendienst in Kombination mit Multichannel Marketing
  • 4.2.2.4 These 4: Loyalität und Markenstärke als wesentliche Parameter für die Wahl des Managements von Patentausläufen
  • 5 Praktische Überprüfung der generierten Thesen für ein marketingbasiertes Patentauslaufmanagement
  • 5.1 Methodik der Interviews und Auswahl der Experten
  • 5.1.1 Methodik und Anspruch der explorativen Experteninterviews
  • 5.1.2 Die Auswahl der Interviewpartner
  • 5.2 Auswertung der Ergebnisse
  • 5.2.1 These 1
  • 5.2.2 These 2
  • 5.2.3 These 3a
  • 5.2.4 These 3b
  • 5.2.5 These 4
  • 5.3 Resümee der sonstigen Ergebnisse
  • 6 Implikationen für Theorie und Praxis
  • 6.1 Theoretische Implikationen: Einteilung in strategische Marketingoptionen
  • 6.1.1 Beibehaltungsstrategien
  • 6.1.2 Diversifikationsstrategien
  • 6.1.3 Reduktionsstrategien
  • 6.1.4 Konversionsstrategien
  • 6.1.5 Multiplikationsstrategien
  • 6.2 Handlungsempfehlungen für ein zeitgemäßes Patentauslaufmanagement
  • 6.2.1 Allgemeine Handlungsempfehlungen für die Hersteller und die Branche
  • 6.2.2 Handlungsempfehlungen für die Hersteller von chemisch-synthetischen Medikamenten
  • 6.2.3 Handlungsempfehlungen für die Hersteller von Biopharmazeutika
  • 6.3 Parameter für die Auswahl einer Patentauslaufstrategie
  • 7 Zusammenfassung und Ausblick
  • Anhang
  • Quellenverzeichnis

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1 Einführung

1.1 Problemstellung und Relevanz des Forschungsgegenstandes

Eines der wichtigsten Ziele von Unternehmen fast aller Branchen1 ist es, langfristig die größtmöglichen Gewinnmargen bei bestmöglicher Kundenzufriedenheit durch ein als höherwertig angesehenes Leistungsangebot zu erzielen2 – wenn auch die Anreize hierfür, sei es etwa um den Aktionären gerecht zu werden oder um Reinvestitionen in Forschung und Entwicklung zu ermöglichen, durchaus unterschiedlich sein können. Dies kann allerdings nur dann erreicht werden, wenn ein komparativer Wettbewerbsvorteil3 im ersten Schritt geschaffen werden kann, und es dann weiterhin gelingt, diesen so lange wie möglich zu halten oder sogar, wenn nötig, auch gegen konkurrierende Unternehmen zu verteidigen4. Solange die letzteren beiden Punkte von Unternehmen umgesetzt werden können, sprich einen komparativen Wettbewerbsvorteil zu halten und sogar im Konkurrenzkampf zu wahren, können – zumindest theoretisch und in den meisten Branchen – bspw. höhere Preise oder ein besseres Image erzielt werden, was so wiederum zu der eingangs erwähnten Erfüllung der übergreifenden Unternehmensziele führt5. Kann ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil allerdings nicht effektiv genug gehalten werden, hat dies meist erhebliche Auswirkungen auf die Profitabilität des Unternehmens, da das Angebot im Vergleich zur Konkurrenz als nicht mehr höherwertig angesehen wird, was oftmals in sinkender Kundenzufriedenheit resultiert und so den übergeordneten Unternehmenszielen ←29 | 30→entgegenwirkt. In solchen Fällen sollten schnellstmöglich gegensteuernde Schritte eingeleitet und entweder ein neues, auf der Markenstärke basierendes Angebot mit neuem komparativen Konkurrenzvorteil geschaffen werden oder der alte Konkurrenzvorteil bestmöglich verteidigt werden.

Dieses allgemeingültige, branchenübergreifende Wirtschaftsphänomen kann ebenso und vielleicht sogar in zugespitztem Maße in der forschenden, pharmazeutischen Branche in Deutschland beobachtet werden. Eine dieser Situationen, in denen der Verlust eines komparativen Wettbewerbsvorteils auftreten kann, ist der Wegfall eines Patents für ein verschreibungspflichtiges Medikament, da dieses den Rang eines verteidigungs-würdigen6, komparativen Wettbewerbsvorteils einnimmt7. Während in den meisten anderen Branchen die Einführung eines neuen Produkts, also die Schaffung eines neuen Konkurrenzvorteils, nur wenige Monate oder Jahre in Anspruch nimmt und außerdem oftmals von einer starken Marke profitiert wird, ist dies in der Pharmabranche nicht ohne weiteres umsetzbar. Der Verlust eines Wettbewerbsvorteils kann entsprechend nicht ohne immense zeitliche Verzögerung kompensiert werden. Weiterhin stehen den meisten anderen Branchen eine Vielzahl möglicher Verteidigungsmechanismen zur Verfügung, die im Falle des Angriffs auf den Wettbewerbsvorteil eingesetzt werden können, so z.B. die kurzfristige Entwicklung eines neuen komparativen Wettbewerbsvorteils. In der forschungsintensiven und stark rechtlich regulierten Pharmabranche hingegen gibt es andere, deutlich striktere Limitationen, welche besonders die typischen Verteidigungsmechanismen einschränken. Diese Mechanismen zur Verteidigung eines Konkurrenzvorteils sind oft primär in den Marketing- oder Strategieabteilungen angesiedelt. Sowohl intensivere Vermarktung des Produktes auf multiplen, kundenspezifischen Kanälen als auch eine kurzfristige Anpassung des Preises erlauben es den meisten Unternehmen, auf vergleichsweise einfache Art und Weise den Kunden – meist gleichzeitig auch den Konsumenten – direkt zu erreichen8. Bedingt durch die Natur eines pharmazeutischen, verschreibungspflichtigen Produktes, das den menschlichen Körper auf weitreichendere Art beeinflusst als der Kauf eines einfachen Konsumguts, ist eine staatliche Regulierung des Marktes unumgänglich, um den Konsumenten –in diesem Fall konkret den Patienten – vor körperlichem Schaden und ←30 | 31→missbräuchlichem Handeln zu schützen9. Dies bedeutet allerdings auch, dass die beispielhaft angesprochenen Verteidigungsoptionen im Falle eines zumindest geschwächten Wettbewerbsvorteils nach dem Patentauslauf in der pharmazeutischen Branche so nicht einfach verwendet werden können, da – dem Beispiel entsprechend – weder Preisanpassungen einfach durchgeführt, noch die Patienten in einer ähnlichen Weise direkt angesprochen werden können10. Vielmehr müssen die forschenden Pharmahersteller unter Berücksichtigung einer Vielzahl von rechtlichen Restriktionen versuchen, ihren Vorteil gegenüber der Konkurrenz mit branchenspezifischen Methoden zu verteidigen11.

Neben besagten starken Einschränkungen, besonders für die Verteidigungssituation, sind allerdings auch die positiven Aspekte der Rechtslage für pharmazeutische Unternehmen zu beleuchten. Die Legislative ermöglicht es so bspw. auch, durch ein detailliertes Patentrecht mit angegliederten Rechtsbereichen, eine nahezu monopolartige Alleinstellung für maximal 20 Jahre im Markt einzunehmen, auch wenn diese in der Praxis meist deutlich kürzer ausfällt. Der Hersteller gerät deshalb in eine nahezu monopolartige Alleinstellung, da auch ein Patent nicht vor permanentem Innovationswettbewerb durch andere forschende Pharmahersteller, welche einen ähnlichen Wirkstoff für die gleiche Indikation auch während der Patentlaufzeit entwickeln könnten, schützt12. Genau dieser Innovationswettbewerb bedingt außerdem die Drucksituation, welche zur reduzierten tatsächlichen Nutzungsdauer eines Patents von sieben bis neun (statt 20) Jahren führt, da es mittlerweile gängige Praxis geworden ist, ein Medikament so früh wie möglich und trotz ausstehender wesentlicher Forschungsarbeit zu patentieren, damit dies kein Konkurrent tun kann. Grund hierfür ist, dass die jahrelange Forschungsarbeit und die damit verbundenen extrem hohen Kosten abgesichert werden sollen, bevor ein anderer forschender Hersteller ein Patent auf einen sehr ähnlichen oder sogar fast gleichen Wirkstoff anmelden könnte. Ein Nebeneffekt der, wenn auch reduzierten, Laufzeit des Patents ist, dass den Herstellern von Nachahmerprodukten somit Jahre Zeit bleiben, die vorliegende Forschungsleistung fast in Perfektion nachzubilden, auch ohne auf die letztendliche Veröffentlichung der das Patent beschreibenden Dokumente zu warten. Dieser hochgradig komplexe wettbewerbliche Konkurrenzkampf, die ←31 | 32→stetig hohen Anforderungen von unterschiedlichen Aktionären sowie die extrem vielschichtige und restriktive Natur der staatlichen Kontrolle der Branche unterstreichen die Brisanz des Themas dieser Dissertation.

Zur politisch-rechtlich besonderen Situation der Branche kommt außerdem die weitere charakteristische, besonders aus Marketingsicht äußerst relevante Trennung zwischen Entscheider und Käufer sowie zwischen Käufer und letztendlichem Konsument. Während die letztgenannte Situation ebenso gut auch für Konsumgüter zutreffen kann – ein klassisches Beispiel hierfür ist Babynahrung13 – führt die Trennung von Entscheider (in diesem Fall dem verschreibenden Arzt), dem Käufer oder Kostenträger (bei den in dieser Dissertation behandelten verschreibungspflichtigen Medikamenten demnach gesetzlichen und privaten Krankenkassen), und letztendlich dem Konsumenten (der das Medikament einnehmende Patient), zu einem hohen Grad an Komplexität für potenzielle Marketingmaßnahmen zur Verteidigung eines Wettbewerbsvorteils14. Bedingt durch die Informationsasymmetrie zwischen den Ärzten und Patienten15 ist die Entscheidungshoheit in der Regel nicht anders zu operationalisieren, allerdings erschwert dies die angesprochenen, klassischen Marketingaktivitäten zur Verteidigung eines Wettbewerbsvorteils – sollten diese denn erlaubt sein.

Auch die Preisbildung als klassische Maßnahme des Marketing-Mix‘ eines Produkts, ist hier als reguliertes Charakteristikum der Branche zu nennen – die Preise für ein verschreibungspflichtiges Medikament können nicht einfach wie in anderen Branchen halbwegs willkürlich bestimmt werden. Stattdessen folgt die Preisbildung einem komplizierten Verfahren gemäß des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG), welches nach Abschluss der Preisverhandlungen meist in deutlich restriktiverer Preisgestaltung endet als im Vergleich zur freien Preisbestimmung der Hersteller. Da Patienten grundsätzlich erwarten sollten, die beste Medizin zu erhalten, diese allerdings nur durch konstante Forschungsleistung der Industrie gewährleistet werden kann, kommt hier unweigerlich die Frage auf, wie die bestmögliche Gesundheitsversorgung sozialverträglich finanziert werden kann und gleichzeitig den Pharmaherstellern genügend Anreize und Möglichkeiten gibt, in eben dazu notwendige Forschung zu investieren. Deutschland liegt im internationalen Vergleich mit 633USD bereits im oberen ←32 | 33→Mittelfeld der Pro-Kopf-Ausgaben für Arzneimittel16. Somit wird die Frage, was ein Sozialsystem für ein hochinnovatives Medikament finanziell zu leisten in der Lage ist, eine zunehmend relevantere: die in Zukunft mögliche Entwicklung innovativer Wirkstoffe durch pharmazeutische Unternehmen könnte entsprechend stattdessen in einem Innovationsdefizit enden, sollte das Sozialsystem keine ausreichende Honorierung dieser immens kapital- und ressourcenintensiven Leistung gewährleisten17. Dies erhöht abermals den Druck auf das Herstellerunternehmen, mit einem besonders erfolgreichen Präparat auch nach dem Patentauslauf Gewinne zu realisieren, da sich die Einführung neuer Produkte zunehmend schwieriger gestaltet und sich somit nicht einfach auf die Entwicklung eines neuen Konkurrenzvorteils verlassen werden kann.

Es kann zusammenfassend festgehalten werden, dass das Management eines Patentverlusts, also die Verteidigung eines insbesondere auch rechtlich abgesicherten Konkurrenzvorteils, einen hohen Stellenwert für forschende, pharmazeutische Unternehmen einnimmt. Bedingt jedoch durch die bereits angesprochene wenig Freiräume bietende Rechtslage und durch die Trennung von Verschreiber, Payer und Patient, zeigt dies einmal mehr, welche außerordentlich prekäre Situation für pharmazeutische Originalhersteller im Falle des Verlusts eines so speziellen Wettbewerbsvorteils entsteht. Ein Blick auf die Zahlen unterstreicht die starke Relevanz und den hohen Praxisbezug dieser Dissertation: die forschenden Hersteller erwirtschaften ca. 60% des Gesamtgewinns der Branche, welcher für das Jahr 2018 auf ca. 49,9 Mrd. EUR18 prognostiziert wird und daher ca. 29,9 Mrd. EUR auf die forschenden Pharmaunternehmen entfallen. Hiervon allein sind 1,3 Mrd. EUR19 durch auslaufende Patente20 bedroht.

Vor diesem Problemhintergrund ordnet das nächste Kapitel diese Dissertation in den wissenschaftlichen Kontext ein und zeigt auf, wo wesentliche Forschungslücken bestehen, welche die Ansatzpunkte dieser Arbeit darstellen.

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1.2 Beschreibung der Vorgehensweise und Darstellung des Forschungsstandes

An dieser Stelle wird eine Beschreibung der Vorgehensweise vorgenommen. Hierbei ist es von besonderer Bedeutung, die bisherigen Forschungslücken darzulegen, an denen die vorliegende Arbeit konkret ansetzt.

In einem ersten Schritt vertieft die vorliegende Arbeit das Verständnis des komparativen Konkurrenzvorteils für die pharmazeutische Industrie in Deutschland. Während die bisherigen Veröffentlichungen rund um das Thema des Patentauslaufs eines verschreibungspflichtigen Medikaments von einem vollständigen Verlust des Konkurrenzvorteils eines Unternehmens ausgehen, wird diese Dissertation aufzeigen, dass dies oftmals tatsächlich nur teilweise der Fall ist und weiterhin Ansatzpunkte für die Nutzung des Konkurrenzvorteils bestehen bleiben können.

Des Weiteren wird die bestehende Literatur zu Patentausläufen der Pharmabranche aktualisiert und durch die Einbeziehung der neusten Gesetzeslage – insbesondere des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes – komplettiert. Damit bietet die Autorin den forschenden Pharmaunternehmen die Möglichkeit, die eigenen Handlungsoptionen bestmöglich zu reflektieren und anhand der Auflistung die sinnvollste Strategie oder Strategiekombination für die individuelle Patentauslaufsituation zu wählen.

Hierbei wird besonders auf das bis dato kaum untersuchte Forschungsfeld zum Thema Rolle von Marken für den Patentauslauf eingegangen21. So sollen sowohl wesentliche Erkenntnisse für die (Gesundheits-)Marketingforschung als für die pharmazeutische Branche generiert werden.

Aufbauend auf dem Ansatz der Funktion von Marken im Gesundheitswesen, haben Autoren auf das zu wenig vorliegende Wissen über das Vorhandensein und mögliche Auswirkungen von (Kunden-)Loyalität in Bezug auf verschreibungspflichtige Medikamente hingewiesen22. Daher wird nun die spezifische Rolle von Loyalität, wie diese üblicherweise in anderen Branchen in einem ähnlichen Szenario wie dem Patentauslauf verwendet werden könnte, und deren mögliche Anwendung auf den konkreten Fall der Patentauslaufstrategien untersucht. Hierbei wird außerdem auf die möglichen Unterschiede zwischen Patienten- und Arztloyalität eingegangen, sowie grundsätzlich eine Reihe neuer ←34 | 35→Adressaten von Patentauslaufstrategien diskutiert, wie dies bis dato in der relevanten Literatur kaum der Fall ist.

Weiterhin werden mögliche Ausgestaltungsoptionen der in der Literatur bisher kaum beachteten Kommunikationsstrategie als Teil des Marketing nach dem Patentauslauf diskutiert23. Da die bisherigen Veröffentlichungen regelmäßig nicht auf konkrete Möglichkeiten der Kommunikation für die pharmazeutische Branche eingegangen sind, wird diese Dissertation genau hier ansetzen.

Abschließend wird eine wesentliche Änderung der Produktseite in der pharmazeutischen Branche erstmals vor dem Hintergrund von Patentausläufen untersucht. Neben den klassischen, chemisch-synthetisch produzierten Medikamenten traten in den vergangenen Jahren mehr und mehr die Biopharmazeutika in den Fokus der Forschung. Das Besondere an biopharmazeutischen Medikamenten ist, dass sich deren Preisniveau signifikant über dem der chemisch hergestellten Medikamente befindet und sie schon heute einen Großteil der umsatzstärksten Medikamente darstellen. Auch in Zukunft scheint sich der Trend in der Erforschung neuer Wirkstoffe primär in Richtung der Biopharmazeutika zu entwickeln, da in den Anwendungsbereichen der chemisch-synthetischen Medikamente die wesentlichen Durchbrüche erreicht scheinen. Da sich die meisten Ausarbeitungen zum Thema Patentausläufe heutzutage allerdings noch auf die klassische Problematik des Eintritts von Generika in den Markt der chemisch-synthetischen Medikamente beziehen, soll die vorliegende Arbeit einen Beitrag für die bisher ungenügende Forschungsleistung im Bereich der Vermarktung von Biopharmazeutika liefern24.

1.3 Zielsetzung dieser Arbeit und Herleitung der konkreten Forschungsfragen

Basierend auf dem im ersten Unterkapitel dargestellten Problemhintergrund dieser Dissertation, sowie unter Einbeziehung der im zweiten Unterkapitel elaborierten Einordnung in den wissenschaftlichen Kontext – und hiermit verbunden auch die Herausstellung von bisherigen Forschungsdefiziten – lässt sich zunächst ein allgemeines, übergeordnetes Erkenntnisziel formulieren: die vorliegende Arbeit soll eine kritische Überprüfung des Status Quo ←35 | 36→der Patentauslaufstrategien in der pharmazeutischen Branche in Deutschland durchführen und auf dieser Basis Möglichkeiten für ein zeitgemäßes Patentauslaufmanagement unter Zuhilfenahme von strategischen Marketingoptionen erarbeiten. Für die Beantwortung dieses übergreifenden Forschungsziels wird dasselbe durch die Formulierung von deskriptiven, explikativen, und praktisch-normativen Erkenntniszielen konkretisiert.

Wie bereits der Problemhintergrund im ersten Unterkapitel aufzeigt, weist die pharmazeutische Branche in Deutschland einige Marktbesonderheiten auf, welche sie fundamental von anderen Branchen – besonders im Bereich Marketing – unterscheidet. Es besteht nicht nur ein extrem enges juristisches Geflecht von unterschiedlichen Regulierungen, dem die Branche unterliegt und das besonders die Vermarktung von verschreibungspflichtigen Medikamenten stark einschränkt, sondern auch eine aus Marketingsicht schwierige Trennung zwischen Verwender, Entscheider und Kostenträger, die sich zusätzlich durch eine oftmals starke Informationsasymmetrie zwischen den Parteien auszeichnet. Vor dem Hintergrund der Abgrenzung der pharmazeutischen Branche zu anderen Branchen und einer Charakterisierung der – besonders für den Patentauslauf – wesentlichen Marktteilnehmer, sowie unter Einbeziehung der relevanten Literatur zum Thema Patentauslaufstrategien kann das erste, deskriptive Erkenntnisziel dieser Dissertation als die Bestimmung des Status Quo der Patentauslaufstrategien in der pharmazeutischen Industrie in Deutschland bezeichnet werden.

In einem zweiten, explikativen Ziel sollen diese gesammelten Erkenntnisse der deskriptiven Zielsetzung einer kritischen Überprüfung unterzogen und so auf deren Anwendbarkeit hin überprüft werden. Aufgrund der neusten juristischen Veränderungen könnten einige der bisherigen Strategien so heute gar nicht mehr anwendbar, nur unter bestimmten Voraussetzungen anwendbar, oder einfach nicht mehr sinnvoll bzw. zeitgemäß sein. Weiterhin soll in diesem Abschnitt herausgestellt werden, ob und wenn ja, welche wesentlichen Unterschiede zwischen chemisch-synthetisch hergestellten und biotechnologisch produzierten Medikamenten im Fall des Patentauslaufs vorliegen. Unter Einbeziehung von bis dato noch nicht derart in der Literatur behandelten Ausgestaltungsoptionen für das Marketing bzw. konkret für die Kommunikation nach dem Patentauslauf, soll die Grundlage für die darauffolgenden praktisch-normativen Handlungsempfehlungen gelegt werden.

Details

Seiten
270
Erscheinungsjahr
2019
ISBN (PDF)
9783631804902
ISBN (ePUB)
9783631804919
ISBN (MOBI)
9783631804926
ISBN (Hardcover)
9783631793077
DOI
10.3726/b16259
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Oktober)
Schlagworte
Strategische Marketingoptionen Gesundheitsmarketing Pharmamarketing Strategisches Marketing Patentauslauf Patentauslaufstrategien
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019. 270 S., 13 s/w Abb.

Biographische Angaben

Anna-Katharina Koenen (Autor:in)

Anna-Katharina Koenen studierte Betriebswirtschaftslehre an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Oestrich-Winkel, der Universita Bocconi in Mailand und der National ChengChi University in Taipeh. Anschließend promovierte sie an der EBS und übernahm die Geschäftsführung des IMMF e.V.

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