Lade Inhalt...

Induktion und Beobachtung

Ansätze zur Rehabilitation der Erkenntnistheorie

von Dennis Graemer (Autor:in)
©2020 Monographie 164 Seiten

Zusammenfassung

Einst galt die Erkenntnistheorie als Königsdisziplin der Philosophie. Heute ist sie gegenüber der Ontologie und Sprachphilosophie in den Hintergrund getreten. Wenn wir aber das Programm der Aufklärung fortführen und in einer rationalen Gesellschaft leben wollen, müssen wir die Epistemologie wiederbeleben. In diesem Buch werden zwei Kernfragen der Disziplin beleuchtet.
Alle Wissenschaften setzen auf Schlüsse vom Speziellen auf das Allgemeine, von der Vergangenheit auf die Zukunft. Der erste Teil des Buches beschäftigt sich damit, wie solche Induktionsschlüsse gerechtfertigt werden können.
Im zweiten Teil geht um das Problem der empirischen Basis. Viele PhilosophInnen glauben, dass selbst die grundlegendsten empirischen Beobachtungen durch unsere theoretischen Hintergrundannahmen geprägt sind. Sind Wissenschaft und Erkenntnis also zirkuläre Unterfangen?

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltverzeichnis
  • Vorwort
  • Einleitung
  • Erster Teil Zum Problem der Induktion
  • Erstes Kapitel: Das Induktionsproblem bei David Hume
  • „A Treatise of Human Nature“
  • Kausalität und Induktionsschluss
  • Die Antwort Humes
  • Zweites Kapitel: Formen der Induktion
  • Induktion im weiteren und engeren Sinne
  • Extrapolative Induktion
  • Logische Induktion
  • Epistemische Induktion
  • Drittes Kapitel: Induktion und kritischer Rationalismus
  • Logik der Forschung
  • Die Methode der Falsifikation
  • Bewährungsgrade
  • Der Fehler der kritisch-rationalen Wissenschaftstheorie
  • Viertes Kapitel: Die Meta-Induktion bei Gerhard Schurz
  • Induktion und Optimalität
  • Die Meta-Induktion
  • Multiple FavoritInnen, multiple SpielerInnen
  • Auf der Suche nach Lösungen
  • Zweiter Teil Zum Problem der empirischen Basis
  • Sechstes Kapitel: Das Problem
  • Die Rolle der Hypothesen
  • Empirische Überprüfung von Hypothesen
  • Sind Beobachtungssätze theoriefrei?
  • Strikte und pragmatische Beobachtungssätze
  • Siebtes Kapitel: Die eigenpsychische Basis bei Carnap
  • Wissenschaftliche Weltauffassung
  • Eine Basis im Gegebenen
  • Carnaps System
  • Achtes Kapitel: Kritik an der eigenpsychischen Basis
  • Otto Neurath und die Protokollsatzdebatte
  • Popper und die Transzendenz der Darstellung
  • Hanson und die Theoriegeladenheit
  • Sellars und der Mythos des Gegebenen
  • Die These der Theoriegeladenheit
  • Neuntes Kapitel: Ostensive Erlernbarkeit der Erfahrungsbegriffe
  • Minimaler Empirismus
  • Ostensive Erlernbarkeit
  • Konsequenzen der Theorie der ostensiven Erlenbarkeit
  • Zehntes Kapitel: Epistemische Fundierung hybrider Beobachtungssätze
  • Hybride Beobachtungssätze
  • Die Falsifikation hybrider Beobachtungssätze
  • Verifikation reduzierter Beobachtungssätze
  • Intersubjektivität der Beobachtungssätze
  • Eine solide Grundlage
  • Schlusswort
  • Literatur
  • Reihenübersicht

←8 | 9→

Vorwort

Die vorliegende Monografie basiert auf Arbeiten, die während meines Bachelor- und Masterstudiums an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf entstanden sind. Sie fasst die Ergebnisse meiner Beschäftigung mit Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie zusammen.

Das Studium der Philosophie bleibt mir als Zeit voller belebender Entdeckungen in Erinnerung. Schon die Einführungsvorlesung der Erkenntnistheorie beeindruckte mich nachhaltig. Konfrontiert mit den fundamentalen Fragen der Philosophie sah ich mich dazu gezwungen, all meine Überzeugungen grundsätzlich zu überdenken. Nachdem ich mich von dem Schock erholt hatte, den diese neuen Horizonte bei mir hinterlassen hatten, stürzte ich mich voller Tatendrang und Neugier in die Seminare. Im Rahmen erregter Diskussionen und Streitereien eignete ich mir nicht nur wertvolles Fachwissen an, ich lernte auch die Praxis der argumentativen Auseinandersetzung kennen. Insbesondere die Seminare des kritischen Rationalisten Jan Malte Böhm prägten mich massiv – niemand war besser darin, den Advocatus Diaboli zu spielen und die SeminarteilnehmerInnen zum lebhaften Diskutieren aufzustacheln!

Von prägender Bedeutung war auch meine Zeit bei Gerhard Schurz am Lehrstuhl für theoretische Philosophie. Schurz beförderte meine intellektuelle Entwicklung maßgeblich und stand mir während meiner Studien immer mit wertvollen Ratschlägen zur Seite. Ohne den Einfluss seiner Vorlesungen und seines Forschungsseminars wäre meine Begeisterung für die Probleme der Erkenntnistheorie zweifelsohne nicht entfacht worden. Ich möchte ihm meinen aufrichtigen Dank aussprechen.

Meine Entwicklung wurde nicht nur durch das offizielle Lehrpersonal, durch ProfessorInnen, DozentInnen und TutorInnen befördert – eine ebenso wichtige Rolle spielte der Austausch mit meinen KommilitonInnen. Ältere Semester dienten mir als Vorbilder und vermittelten praktische und theoretische Einsichten. Das Netzwerk enger Freundschaften und persönlicher Rivalitäten, in dem ich mich bewegte, erzeugte ein stimulierendes Klima des permanenten Austauschs. Diese Erfahrungen haben mich davon überzeugt, dass die Philosophie eine offene, zwanglose Studienordnung braucht. Ein ←9 | 10→philosophisches Institut muss ein Ort des freien Austauschs unter Gleichen sein, keine Schule, an denen LehrerInnen die „Kinder“ auf Multiple-Chocie-Tests vorbereiten.

Dieses Buch ist Kulminationspunkt meiner Studienzeit und zugleich Ausgangspunkt für weitere Arbeiten im Bereich der theoretischen Philosophie. Es stellt den Versuch dar, entscheidende Erkenntnisse meiner Studienzeit auf verständliche Weise zum Ausdruck zu bringen.

←10 | 11→

Einleitung

Die sogenannte „analytische Philosophie“ der Gegenwart konzentriert sich, wo sie sich überhaupt mit theoretischer Philosophie beschäftigt, auf Probleme der Ontologie, der Sprachphilosophie und der Philosophie des Geistes. Die Frage nach den Grundlagen der Erkenntnis und die Suche nach den richtigen Methoden des Urteilens sind erkennbar in den Hintergrund geraten. Die Erkenntnistheorie ist das Stiefkind der Gegenwartsphilosophie.

Das war nicht immer so. In der Vergangenheit setzte die Philosophie ihre Prioritäten anders. Der Suche nach den Grundlagen des Wissens wurde zur Zeit der Aufklärung noch entschiedene Bedeutung beigemessen. So besteht ein erheblicher Anteil des anerkannten Kanons der Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts aus erkenntnistheoretischer Literatur. Von Francis Bacons Novum Organon und René Descartes Meditationes über John Lockes An Essay Concerning Human Understanding bis hin zu Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft – die theoretische Philosophie der Aufklärung beschäftigt sich mit der Suche nach Wissen und der Begründung der Urteile.

Das Primat der Epistemologie resultiert aus ihrer formellen Stellung im System des Wissens. Die Ontologie fragt nach der Natur des Seienden. Die Philosophie des Geistes untersucht den Bereich des Mentalen und sein Verhältnis zu Materie und Körper. Die Ethik beschäftigt sich mit moralischen Fragen, die politische Philosophie mit gesellschaftlichen Entscheidungsstrukturen. Alle Teilbereiche der Philosophie fällen Urteile über ihren jeweiligen Gegenstand. Nun ist der Gegenstand der Erkenntnistheorie das Urteilen selbst. Sie geht den anderen Bereichen der Philosophie und jeder wissenschaftlichen Tätigkeit voraus, da sie adressiert, wie überhaupt erkannt werden kann. Epistemologie und die daraus abgeleitete Wissenschaftsphilosophie schaffen das Fundament aller Erkenntnis. Wenn etwa die Ontologie glaubt, über das Seiende gehaltvolle Aussagen machen zu können, also Wissen zu generieren, dann ist sie abhängig von jener Disziplin, welche die Kriterien des Wissens untersucht. Dies haben Bacon und Descartes, Leibnitz und Kant verstanden. Der herausragende Status der Erkenntnistheorie geht auf die Tatsache zurück, dass sie die Methodologie ←11 | 12→für die Beantwortung aller anderen philosophischen und realwissenschaftlichen Probleme bereitstellt.

Die Erkenntnistheorie zeichnet sich dadurch aus, dass sie einen radikalen Bruch vollzieht mit den Gewissheiten des Alltagsverstandes. Eine Disziplin, die den Schlüssel zur Beurteilung aller (synthetischen) Urteile liefern soll, darf sich selbst nicht in Abhängigkeit vom Wahrheitswert eines zweifelhaften Urteils begeben. Auf der Suche nach einer allgemein gültigen Methode der Rechtfertigung des Wissens stellt die Erkenntnistheorie notwendigerweise auch die selbstverständlichsten Annahmen des Common Sense in Frage. Wie rechtfertigen wir das Urteil, dass morgen die Sonne aufgehen wird, wie begründen wir unseren Glauben an die Außenwelt, woher wissen wir, dass wir nicht in einer virtuellen Realität gefangen sind? Auf den ersten Blick erscheinen derartige Fragen als nutzlose Gedankenspiele. Tatsächlich aber stoßen wir bei ihrer Beantwortung auf die grundlegenden Probleme der Begründung von Urteilen über die Welt. Nur wenn die trivialsten Erkenntnisse des Alltags gegen skeptische Einwände verteidigen können, ist es uns möglich, den anderen Disziplinen der Philosophie wie der Realwissenschaft rationale Methoden zur Gewinnung von Wissen und Rechtfertigung von Urteilen zur Verfügung zu stellen.

Erkenntnistheorie und Wissenschaftstheorie sind eng miteinander verwoben – letztendlich ist die Wissenschaftstheorie nichts anderes als die Anwendung erkenntnistheoretischer Ergebnisse auf den sozialen Prozess, den wir „Wissenschaft“ nennen. Der kritische Rationalismus Karl Poppers konnte einen großen Teil der wissenschaftlichen Gemeinschaft von der elementaren Bedeutung des Kriteriums der Falsifizierbarkeit überzeugen. Die Methoden der Humanwissenschaften sind geprägt durch den Gegensatz von „quantitativen“ und „qualitativen“ Methoden, die auf unterschiedliche Auffassungen über die Rolle der Empirie bei der Gewinnung und Begründung des Wissens zurückgehen. Die epistemologische Lehrmeinung kann die Praxis der Realwissenschaften also entscheidend beeinflussen. Besonders einflussreich ist sie dort, wo die Forschungsgemeinschaft des jeweiligen Feldes keinen Konsens erzielen kann. Innerhalb der Realwissenschaften sind wir immer wieder mit Problemen der Theoriewahl konfrontiert. Oftmals stehen zwei oder mehr Theorien in Konkurrenz zueinander, ohne dass auf den ersten Blick ersichtlich wäre, welche die richtigen Antworten liefert. In der Psychologie streiten sich beispielsweise die AnhängerInnen behavioristischer ←12 | 13→und kognitivistischer Lerntheorien: Während der Behaviorismus das Lernen durch den Prozess der Konditionierung erklärt, modelliert der Kognitivismus unsere Informationsverarbeitung analog zu einem Computerprogramm. Die eine Schule sieht Reiz und Reaktion, die andere komplexe mentale Prozesse. Uns werden also zwei unterschiedliche, sich grundsätzlich widersprechende Erklärungen des menschlichen Lernens präsentiert. In solchen Fällen steht die wissenschaftliche Gemeinschaft vor dem Problem, sich zwischen einer Reihe konkurrierender Theorien entschieden zu müssen. Anhand welcher Kriterien kann eine solche Entscheidung getroffen werden? Diese Frage ist epistemologischer Natur.

Details

Seiten
164
Jahr
2020
ISBN (PDF)
9783631831984
ISBN (ePUB)
9783631831991
ISBN (MOBI)
9783631832004
ISBN (Hardcover)
9783631829301
DOI
10.3726/b17405
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (August)
Schlagworte
Induktionsproblem Empirie Erkenntnistheorie Wissenschaftstheorie Induktionsschluss Empirische Basis
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 164 S., 4 s/w Abb.

Biographische Angaben

Dennis Graemer (Autor:in)

Dennis Graemer studierte Philosophie und Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität zu Düsseldorf. Daraufhin begann er seine Promotion an der Universität Manchester.

Zurück

Titel: Induktion und Beobachtung