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Deutschsprachige Literatur im universitären Deutschunterricht in China

Zu deren Rezeption und Einsatz unter besonderer Berücksichtigung von Lyrik

von Jin Huang (Autor:in)
©2022 Dissertation 360 Seiten

Zusammenfassung

Im Bachelorstudium Deutsch in China nimmt die Bedeutung der Literatur beständig weiter ab – eine Entwicklung, die unter dem Einfluss des pragmatischen Bildungskonzepts in den 1990er Jahren begann. Insbesondere die Lyrik nimmt in den chinesischen Lehrplänen und Lehrwerken für das Deutschstudium keinen Platz ein. Das Buch will dem entgegenwirken und plädiert für den verstärkten Einsatz von Literatur im Allgemeinen sowie Lyrik im Besonderen. Mit unterschiedlichen Unterrichtsmethoden sollen im Literaturunterricht pragmatische Bildungsziele – die Entwicklung fremdsprachlicher Kompetenzen – verwirklicht werden, und es soll die persönlichkeitsbildende Komponente genutzt werden, die aus dem Umgang mit literarischen Texten entsteht.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Einleitung
  • 2. Zur Rezeption der deutschen Literatur in China
  • 2.1 Zur Anfangsphase der Rezeption: Vom Ende der Qing-Dynastie bis zur Bewegung des 4. Mai 1919
  • 2.1.1 Epik
  • 2.1.2 Lyrik
  • 2.1.3 Dramatik
  • 2.2 Zur ersten Blütezeit der Übersetzungsliteratur: Von der Bewegung des 4. Mai 1919 bis zum Ende der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts
  • 2.2.1 Epik
  • 2.2.2 Lyrik
  • 2.2.3 Dramatik
  • 2.2.4 Zu chinesischer Sekundärliteratur der deutschen Literatur
  • 2.3 Zur Rezeption der deutschen Literatur in der Kriegszeit (1937-1949)
  • 2.3.1 Epik
  • 2.3.2 Lyrik
  • 2.3.3 Dramatik
  • 2.4 Zur Dominanz der DDR-Literatur in den 1950er Jahren
  • 2.4.1 Epik
  • 2.4.2 Lyrik
  • 2.4.3 Dramatik
  • 2.5 Zur Vermittlung der deutschen Literatur während der Kulturrevolution (1966–1976) – Zehnjähriger Winterschlaf
  • 2.6 Zur Rezeption der deutschen Literatur nach der Einführung der Reform- und Öffnungspolitik: Von 1978 bis zur Gegenwart
  • 2.6.1 Epik
  • 2.6.2 Lyrik
  • 2.6.3 Dramatik
  • 2.7 Zusammenfassung und Ausblick
  • 3. Zur Rolle der deutschsprachigen Literatur im Bachelorstudium des Faches Deutsch in China
  • 3.1 Exkurs: Ein historischer Überblick über die Rolle der Literatur im Fremdsprachenunterricht
  • 3.2 Ein historischer Überblick über das Bachelorstudium des Faches Deutsch in China: Vom Anfang bis zur Gegenwart
  • 3.2.1 Zum Anfang des Deutschstudiums in China
  • 3.2.2 Zum Deutschstudium in der Minguo-Zeit
  • 3.2.3 Zum Deutschstudium in China von 1949 bis 1978
  • 3.2.3.1 Zum Deutschstudium in China nach der Gründung der Volksrepublik China
  • 3.2.3.2 Zum Deutschstudium in China während der Kulturrevolution
  • 3.2.4 Zum Deutschstudium in China von 1978 bis zur Gegenwart
  • 3.3 Zum aktuellen Stand des Literatureinsatzes im Deutschunterricht des Bachelorstudiums im Fach Deutsch in China
  • 3.3.1 Zum Curriculum des Bachelorstudiums im Fach Deutsch in China
  • 3.3.2 Zu Lehrplänen und Leistungsanforderungen des Departments Germanistik an drei chinesischen Universitäten
  • 3.3.2.1 Die Universität Beijing
  • 3.3.2.2 Tongji-Universität
  • 3.3.2.3 Die Universität Nanjing
  • 3.4 Deutsche Lehrwerke in verschiedenen Perioden im Überblick
  • 3.4.1 Zum Lehrwerk „Daxue Deyu Keben“ aus den 1950er- und 60er Jahren
  • 3.4.2 Zum Lehrwerk „Grundstudium Deutsch“ aus den 1990er Jahren
  • 3.4.3 Zu den gängigen Lehrwerken für das Bachelorstudium im Fach Deutsch
  • 3.4.3.1 Studienweg Deutsch – Ein Lehrwerk für Grundstudium
  • 3.4.3.2 Exkurs: Zur Prüfung für das Germanistische Grundstudium
  • 3.4.3.3 „Einblick – Deutsch für das Hauptstudium“
  • 4. Zur Begründung eines intensiven Lyrikeinsatzes im Deutschunterricht des Bachelorstudiums im Fach Deutsch in China
  • 4.1 Zu speziellen Bedeutungen der Lyrik für Chinesen
  • 4.2 Zu Lehrzielen des Bachelorstudiums im Fach Deutsch in China
  • 4.2.1 Zu den fünf kommunikativen Kompetenzen
  • 4.2.1.1 Leseverstehen
  • 4.2.1.2 Hörverstehen
  • 4.2.1.3 Schreiben
  • 4.2.1.4 Sprechen
  • 4.2.1.5 Sprachmittlung
  • 4.2.2 Landeskunde
  • 4.2.3 Haltungen und Einstellungen
  • 4.2.4 Kenntnisse über deutsche Literatur
  • 4.3 Zu Funktionen der lyrischen Texte im fremdsprachlichen Deutschunterricht
  • 4.3.1 Zu Begriffen und Merkmalen der deutschen Lyrik
  • 4.3.2 Zu den Argumenten für Lyrikeinsatz im fremdsprachlichen Deutschunterricht
  • 4.3.2.1 Zu den Argumenten für Literatureinsatz im Fremdsprachenunterricht
  • 4.3.2.2 Zu den besonderen Vorteilen der Lyrik im Fremdsprachenunterricht
  • 4.3.3 Zum Erreichen der fremdsprachlichen Lehrziele durch Lyrik mit Beispielen
  • 4.3.3.1 Zur Entwicklung der sprachlichen Kompetenzen durch Lyrik
  • 4.3.3.1.1 Erweiterung des Wortschatzes durch Lyrik
  • 4.3.3.1.2 Vermittlung der Grammatik durch Lyrik
  • 4.3.3.1.3 Ausspracheschulung durch Lyrik
  • 4.3.3.1.4 Training der Rechtschreibung durch Lyrik
  • 4.3.3.2 Zur Vermittlung der landeskundlichen Kenntnisse durch Lyrik
  • 5. Zur Methodik des fremdsprachlichen Lyrikunterrichts
  • 5.1 Rezeptionsästhetik als didaktische Grundposition
  • 5.2 Zum handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht
  • 5.2.1 Zur Begriffsbestimmung und zum Leitprinzip des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts
  • 5.2.2 Zu Methoden des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts
  • 5.2.2.1 Lücken in einem Gedicht ergänzen
  • 5.2.2.2 Parallelgedichte schreiben
  • 5.2.2.3 Texte nach verschiedenen Gedichtformen schreiben
  • 5.2.2.4 Ein Gedicht umformen
  • 5.2.2.5 Entfaltung eines Gedichts aus einem Sprachkern
  • 5.2.2.6 Umgestellte Versfolgen rekonstruieren
  • 5.2.2.7 Gedichte szenisch darstellen
  • 5.2.2.8 Gedichte fotografisch illustrieren
  • 5.2.3 Zu den Grenzen eines handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts
  • 5.3 Zum integrativen Ansatz
  • 5.3.1 Zum Konzept und Grundansatz eines integrativen Deutschunterrichts
  • 5.3.2 Ein Beispiel für den integrativen Deutschunterricht
  • 5.3.3 Überlegung für einen integrativen fremdsprachlichen Literaturunterricht
  • 6. Zur Auswahl von lyrischen Texten im DaF-Unterricht des Bachelorstudiums im Fach Deutsch in China
  • 6.1 Zur Bestimmung des Schwierigkeitsgrades bei lyrischen Texten
  • 6.1.1 Objektiver Schwierigkeitsgrad
  • 6.1.2 Subjektiver Schwierigkeitsgrad
  • 6.2 Zu Auswahlkriterien für fremdsprachliche lyrische Texte
  • 6.2.1 Zur Rolle der Gegenwartslyrik und historischen Lyrik im fremdsprachlichen Lyrikunterricht
  • 6.2.2 Anpassung des Textes an das Rezeptionsvermögen der Lernendenden
  • 6.2.3 Literarisches Interesse der Lernenden
  • 6.3 Das Gießener Modell
  • 7. Zusammenfassung
  • Literaturverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis
  • Tabellenverzeichnis
  • Reihenübersicht

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1. Einleitung

Mit der Umsetzung der chinesischen Reform- und Öffnungspolitik seit Ende der 1970er Jahre nehmen die kulturellen, wirtschaftlichen sowie politischen Beziehungen zwischen China und Deutschland allmählich zu, was die rasche Entwicklung des Studienfaches Deutsch in China gefördert hat. Diese Entwicklung spiegelt sich nicht nur in der zunehmenden Ausweitung des Studienfaches Deutsch wider, sondern auch in der kontinuierlichen Verbesserung des Lehrmodells. Anders als das vorherige Lehrmodell,1 worin die deutsche Sprache und Literatur den gesamten Inhalt des Deutschstudiums bilden, haben einige chinesische Universitäten seit Beginn des 21. Jahrhunderts versucht, das Studienfach Deutsch mit anderen Disziplinen wie Wirtschaftswissenschaften, Interkulturelle Kommunikation, Rechtswissenschaft und Diplomatie zu verknüpfen, um den Absolventen bessere Beschäftigungsaussichten zu bieten. Und dieses interdisziplinäre Unterrichtsmodell wurde auch in dem 2006 publizierten „Gaodeng Xuexiao Deyu Zhuanye Deyu Benke Jiaoxue Dagang“ (deutsch: Rahmenplan für das Deutschstudium im Bachelor-Studiengang an Hochschulen und Universitäten)2 vorgeschrieben, bei dem es sich um das bisher neueste staatliche Curriculum für das chinesische Deutschstudium handelt. Tatsächlich haben Absolventen, die in diesem interdisziplinären Modell ausgebildet sind, mehr Berufschancen in unterschiedlichen Bereichen, aber die Durchführung dieses Modells bringt auch einige Nachteile mit sich. Die Integration anderer Disziplinen führt zwangsläufig zur Reduzierung des germanistischen Fachunterrichts. Betrachtet man den Lehrplan und die Ausbildungsprojekte für das Bachelorstudium Deutsch an verschiedenen chinesischen Hochschulen und Universitäten, ist es nicht schwer festzustellen, dass gerade der wichtigste Teil der traditionellen germanistischen Inhalte – die deutsche Literatur – komprimiert oder sogar davon ausgeschlossen wird. Der Hauptgrund lässt sich auf das pragmatische Bildungskonzept zurückführen.3 Unter dessen Einfluss steht ←13 | 14→die Kommunikative Kompetenz im Fokus des Deutschstudiums, die deutsche Literatur, insbesondere die deutsche Lyrik gilt aber als weit entfernt vom Alltag. Es wird davon ausgegangen, dass der Umgang mit Literatur die Entwicklung der kommunikativen Kompetenz nur bedingt fördere, weswegen sie nur einen geringen Anteil des gesamten Lehrplans ausmacht.

Der chinesische Germanist Wei Maoping verweist in seinem Beitrag4 in Anlehnung an Schillers Antrittsrede als Geschichtsprofessor an der Universität Jena am 26. Mai 1789 unter dem Titel „Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?“ auf diese Tendenz. Wei Maoping macht darauf aufmerksam, dass der Hauptzweck der Hochschulausbildung nicht in der Ausbildung von „Brotgelehrten“, sondern in der Ausbildung von „philosophischen Köpfen“ bestehe und die Literatur dabei eine wichtige Rolle spiele.5 Entsprechend schlägt er vor, den Status der Literatur im Deutschstudium zu verbessern und die literarischen Klassiker in das Deutschstudium einzubeziehen, damit „die Studenten einerseits exquisite und schöne Fremdsprachen kennenlernen und andererseits im humanistischen Geist erzogen werden.“6

Der Standpunkt von Wei ist selbstverständlich ideal, aber die Reform des chinesischen Deutschstudiums unter Berücksichtigung des pragmatischen Trends ist auch als eine Reaktion auf die aktuelle Situation der raschen wirtschaftlichen Entwicklung Chinas zu sehen. Beide Ansätze lassen sich begründen. Eine Art Gleichgewicht zwischen einer – wie man pointiert sagen könnte – „idealen“ Hochschulausbildung wie auch der pragmatischen Position, die auf Wirtschaftlichkeit zielt und die aktuellen Bildungspläne Chinas dominiert, das ist das Hauptziel dieser Arbeit. D.h., die vorliegende Arbeit widmet sich der Verbesserung des Anteils von deutschsprachiger Lyrik im Rahmen des aktuellen Lehrplans für das Deutschstudium in China. Die Argumentation zielt darauf, dass lyrische Texte in den wenigen Literatur-Seminaren, die erst im dritten Studienjahr beginnen, auch einen Platz im Grundstudium – die ersten vier Semester – einnehmen kann. Durch den Einsatz deutschsprachiger Lyrik im Grundstudium sollten die Lehrziele erreicht werden, sowohl sprachliche als auch literarische und landeskundliche Kenntnisse zu erwerben. Es ist auch zu ←14 | 15→erhoffen, durch ihren Einsatz das Interesse der Studenten an deutscher Lyrik und sogar an der gesamten deutschen Literatur zu wecken und die Studenten durch die humanistischen Ideen, die die Lyriker durch ihre Gedichte vermitteln wollen, persönliche Entwicklung realisieren zu können.

Insgesamt besteht die vorliegende Arbeit aus sieben Kapiteln. Der Hauptteil der Arbeit beginnt mit der Rezeptionsgeschichte der deutschen Literatur in China, dafür gibt es hauptsächlich zwei Gründe. Erstens ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Vermittlung fremdkultureller Literatur deren Rezeptionsgeschichte im jeweiligen Ausgangland. China und Deutschland sind zwei Länder mit ganz unterschiedlichem kulturellem Hintergrund, somit weist die Rezeption der deutschen Lyrik in China und in Deutschland auch unterschiedliche Merkmale auf. Infolgedessen wird der Lektürekanon für chinesische Deutschstudenten entwickelt und begründet, der weniger an der deutschen Literaturkritik und Literaturgeschichte als an thematischen Interessen, an den Perspektiven und Rezeptionstradition Chinas ausgerichtet. Zweitens lassen sich beim Durchkämmen der Rezeptionsgeschichte der deutschen Literatur in China mögliche Rezeptionslücken herausfinden, die von zukünftigen chinesischen Germanisten geschlossen werden müssen. Es ist sinnvoll, diejenigen deutschen Gedichte, die in China noch nicht bekannt sind, bei der Lyrikauswahl im Unterricht mit zu berücksichtigen, damit die Deutschstudenten bzw. die zukünftigen Germanisten ein gewisses Verständnis dafür entwickeln können.

Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt zwar auf der deutschsprachigen Lyrik, im zweiten Kapitel wird aber zunächst die Rezeptionsgeschichte der gesamten deutschen Literatur dargestellt, dafür gibt es ebenfalls zwei Gründe. Einerseits ist es schwierig, die Vermittlung deutscher Lyrik in China von der Vermittlung deutscher Epik und deutscher Dramatik in China zu trennen. Da ein Lyriker oft auch ein Erzähler und ein Dramatiker ist, der Grund für die Vermittlung seiner Gedichte in China könnte wahrscheinlich darin liegen, dass seine epischen oder dramatischen Werke in China bereits weithin anerkannt wurden. Oder manche Gedichte sind selbst Teile von Romanen oder Dramen, beispielsweise ist Goethes „Mignon-Lied“ ein Teil des Bildungsromans „Wilhelm Meisters Lehrjahre“. Andererseits unterliegt die Rezeptionsgeschichte der deutschen Literatur in China bestimmten Regeln, sie ist nämlich eng mit der Geschichte Chinas verbunden. Allein aus der Rezeptionsgeschichte der deutschen Lyrik sind die Regeln aber nicht offensichtlich.

Schließlich ist zum zweiten Kapitel anzumerken, dass einige Vorgänger die Rezeptionsgeschichte der deutschen Literatur in China schon studiert haben. Dazu gehören die im Jahre 1995 publizierte Dissertation „Die Rezeption ←15 | 16→deutschsprachiger Literatur in der Volksrepublik China 1949–1990“7 von Ding Na, die im Jahre 2000 veröffentlichte Dissertation „Rezeptionsgeschichte der deutschsprachigen Literatur in China von den Anfängen bis zur Gegenwart“8 von Zhang Yi, sowie der chinesische Beitrag „Deguo Wenxue Hanyishi Kaobian. Wanqing he Minguo Shiqi“9 (Ein Studium der Übersetzungsgeschichte der deutschen Literatur ins Chinesische. Späte Qing-Dynastie und Minguo-Zeit) von Wei Maoping, der im Jahre 2004 erschien wurde. Diese wissenschaftlichen Arbeiten haben wertvolle Informationen für die vorliegende Darstellung geliefert. Mit den Daten der genannten Arbeiten sowie mit den weiteren Arbeiten wie „A History of Translated Literature in Modern China – 1898–1949“10 sowie den von Übersetzern verfassten Vorworten der ins Chinesische übersetzten deutschen Literatur – sei nachfolgend der Versuch gemacht, einen Überblick über die Rezeptionsgeschichte der deutschen Literatur von Anfang an bis zur Gegenwart in China nach den drei literarischen Gattungen – Epik, Lyrik und Dramatik zu geben.

In diesem Rahmen ist zu betonen: Seit 1903 gibt es die Möglichkeit, Deutsch als akademisches Studienfach in China zu studieren. Das ist zwar später als die erste Vermittlung der deutschen Literatur in China, gleichwohl steht dahinter nunmehr bereits eine Geschichte von mehr als hundert Jahren. In dieser langen Geschichte hat sich die Deutschabteilung in China ständig entwickelt, die Lehrmodelle wie die Lehrrichtlinien wurden in verschiedenen Phasen unter dem Einfluss der Geschichte Chinas ständig verändert, dementsprechend hat sich auch die Rolle von Literatur im Deutschunterricht verändert. Während die Literaturwissenschaft in den frühen Phasen eine wichtige Rolle im Deutschstudium in China spielte, nimmt sie in der Gegenwart eher eine untergeordnete Rolle ein. Da die Literaturwissenschaft der Hauptbereich des ←16 | 17→Faches Germanistik ist, muss in diesem Zusammenhang bedacht werden, ob es sinnvoll ist, das Studienfach Deutsch an chinesischen Universitäten und Hochschulen weiterhin als „Germanistik“ zu bezeichnen und ob die Bezeichnung „DaF“ nicht besser geeignet ist. Die chinesische Germanistin Qian Minru geht auf die Benennungsdifferenzierung zwischen Germanistik und DaF ein und wendet sich gegen eine einheitliche Bezeichnung aller Deutschabteilungen an chinesischen Hochschulen und Universitäten unter dem Schwerpunkt „Germanistik“, da

„nicht alle Fakultäten, die Deutsch als Hauptfach anbieten, sich auch als germanistische Abteilung oder Lehrgruppe verstehen wollen bzw. können. Dieses Phänomen steht darüber hinaus in Verbindung mit dem Zustand junger Abteilungen oder Lerngruppen, die zwar Deutsch als Hauptfach anbieten, aufgrund mangelhafter Bedingungen jedoch das Niveau einer Germanistik in vieler Hinsicht nicht erreichen können. Die Abteilungen oder Lehrgruppen, die eher das Ziel Bildung anstrebten, bauten in die Unterrichts- und Studiengangskonzepte überwiegend germanistische Komponenten ein. Im Unterschied dazu konzipierten die in Richtung Ausbildung orientierten Abteilungen oder Lehrgruppen ihre Lehrpläne mehr oder minder nach dem DaF-Muster, was ein Ergebnis ihrer Motivation oder aber ihrer Fähigkeiten ist.“11

An dieser Stelle ist zu betonen, dass die Rede von „Deutsch als Fremdsprache“ an chinesischen Universitäten und Hochschulen sich auf die Lern- und Lehrpraxis und nicht auf ein wissenschaftliches Fach bezieht, wie auch Claus Altmayer betont.12 Unter Berücksichtigung der obengenannten Tatsache erscheint es sinnvoll, die Deutschausbildung an chinesischen Universitäten und Hochschulen in der vorliegenden Arbeit einheitlich mit dem Lexem „Deutschstudium“ anstatt mit dem Wort „Germanistikstudium“ oder „DaF-Studium“ zu bezeichnen. Doch trotz der unterschiedlichen fachlichen Qualifikation und der verschiedenen angestrebten Profile stimmen die Deutschabteilungen an chinesischen Universitäten und Hochschulen in Bezug auf den Unterrichtsaufbau und die Lehrziele im Grundstudium überein. Da an den meisten chinesischen Schulen keine Fremdsprache außer Englisch gelehrt wird, soll das ←17 | 18→Grundstudium, das sich über vier Semester erstreckt, hauptsächlich mit reiner Sprachausbildung gefüllt werden. Gemäß dem stattlichen Curriculum „Gaodeng Xuexiao Deyu Zhuanye Deyu Benke Jiaoxue Dagang“ besteht die Hauptaufgabe des Grundstudiums darin, die vier grundlegenden Kompetenzen – Lesen, Schreiben, Hören, Sprechen sowie die Kompetenz der Sprachmittlung zu entwickeln, außerdem sind auch landeskundliche Kenntnisse zu erwerben.13 Die Ausbildungsschwerpunkte des Grundstudiums liegen überwiegend im Bereich Deutsch als Fremdsprache, infolgedessen lässt sich der Deutschunterricht des Grundstudiums an chinesischen Hochschulen und Universitäten als „DaF-Unterricht“ bezeichnen.

Details

Seiten
360
Jahr
2022
ISBN (PDF)
9783631882375
ISBN (ePUB)
9783631882382
ISBN (Hardcover)
9783631877326
DOI
10.3726/b19955
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (Juli)
Schlagworte
Rezeptionsgeschichte Lyrikeinsatz DaF-Unterricht HPLU Integrativer Deutschunterricht Rezeptionsästhetik
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 360 S., 7 s/w Abb., 26 Tab.

Biographische Angaben

Jin Huang (Autor:in)

Jin Huang studierte Germanistik und Betriebswirtschaftslehre an der Technischen Universität Chemnitz. Die Promotion im Fach Germanistik erfolgte an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Literaturrezeption und Literaturdidaktik.

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