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Kognitive Aktivierung im projektorientierten Französischunterricht

von Beatrice von Gayl (Autor:in)
©2023 Dissertation 362 Seiten

Zusammenfassung

Die Frage nach Merkmalen gelingenden Unterrichts ist eine der bedeutendsten im Bereich Didaktik und Unterrichtsforschung. Die empirische Forschung zu den Basisdimensionen guten Unterrichts schließt das Konstrukt der kognitiven Aktivierung ein – fachspezifische Untersuchungen zu kognitiver Aktivierung im Bereich der Fremdsprachendidaktik sind allerdings noch rar. In dieser qualitativen Studie wird die Frage des kognitiven Aktivierungspotenzials im projektorientierten Französischunterricht untersucht. Damit wird eine Forschungslücke sowohl für das Fach Französisch als auch für eine zentrale offene Unterrichtsform im aufgabenorientierten Fremdsprachenunterricht gefüllt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis
  • Tabellenverzeichnis
  • 1 Einleitung
  • 1.1 Zielsetzung der Arbeit
  • 1.2 Aufbau der Arbeit
  • 2 Kognitive Aktivierung
  • 2.1 Theoretische Grundlagen
  • 2.1.1 Unterrichtsqualität- Merkmale ‚guten‘ Unterrichts
  • 2.1.2 Basisdimensionen von Unterrichtsqualität
  • 2.1.3 (Sozial) Konstruktivistische Lehr-Lern-Theorien
  • 2.1.4 Angebots-Nutzungs-Modell
  • 2.1.4.1 Modell des Lehr-Lernkreislaufs
  • 2.2 Kognitive Aktivierung als Unterrichtsqualitätsmerkmal
  • 2.2.1 Beschreibung von kognitiver Aktivierung und verwandter Konstrukte
  • 2.2.2 Möglichkeiten der Operationalisierung kognitiv aktivierenden Unterrichts
  • 2.2.3 Empirische Unterrichtsforschung und kognitive Aktivierung
  • 2.2.4 Bedeutung von fach- und domänenspezifischen Bezügen
  • 2.2.5 Kognitiv aktivierender Fremdsprachenunterricht
  • 2.3 Zusammenfassung und Bedeutsamkeit für die vorliegende Arbeit
  • 3 Projektorientierter Unterricht
  • 3.1 Theoretische Grundlagen
  • 3.1.1 Das Projekt in der Pädagogik: Überblick und Begriffsbestimmung
  • 3.2 Merkmale des projektorientierten Unterrichts
  • 3.2.1 Projektunterricht und empirische Unterrichtsforschung
  • 3.3 Projektlernen und sein Potenzial zur kognitiven Aktivierung
  • 3.4 Projektorientierter Unterricht in modernen Fremdsprachen und Projektverständnis der vorliegenden Arbeit
  • 4 Forschungsdesign
  • 4.1 Vorüberlegungen und Zielsetzung dieser Arbeit
  • 4.2 Datenerhebungsverfahren
  • 4.2.1 Typische Merkmale qualitativer Forschung
  • 4.2.2 Aktionsforschung und Reflexion der Rolle der Forscherin
  • 4.2.3 Gütekriterien der Forschung
  • 4.2.4 Transkriptionsverfahren
  • 4.2.5 Befragungsdesign
  • 4.2.5.1 Fragebogendesign
  • 4.3 Datenanalyseverfahren
  • 4.3.1 Grounded Theory
  • 4.3.1.1 Sampling Strategie
  • 4.3.2 Triangulation
  • 4.4 Zusammenfassung zum Forschungsdesign
  • 4.4.1 Zusammenfassender Überblick über das Forschungsdesign
  • 5 Allgemeine Voraussetzungen und Projektbeschreibungen
  • 5.1 Setting
  • 5.1.1 Allgemeine institutionelle Voraussetzungen
  • 5.1.2 Grundlegende Vorüberlegungen zum Bildungsgang
  • 5.1.3 Erwachsenenbildung und ihre Besonderheiten
  • 5.2 Untersuchungsgruppen
  • 5.2.1 Einführungsphase
  • 5.2.2 Qualifikationsphase
  • 5.3 Projektbeschreibungen
  • 5.3.1 Das Projekt Strasbourg I
  • 5.3.1.1 Vorkenntnisse und allgemeine Voraussetzungen für das Projekt StrasbourgI
  • 5.3.1.2 Projektdesign
  • 5.3.1.3 Actionbound
  • 5.3.1.4 Aufbau und Ablauf des Projekts StrasbourgI
  • 5.3.1.5 Biografien der Lernenden aus Q3
  • 5.3.2 Das Projekt Strasbourg II
  • 5.3.2.1 Vorkenntnisse und allgemeine Voraussetzungen für das Projekt Strasbourg II
  • 5.3.2.2 Projektdesign
  • 5.3.2.3 Aufbau und Ablauf des Projekts StrasbourgII
  • 5.3.2.4 Biografien der Lernenden aus E1
  • 5.3.3 Das Paris-Projekt
  • 5.3.3.1 Vorkenntnisse und allgemeine Voraussetzungen für das Paris-Projekt
  • 5.3.3.2 Projektdesign
  • 5.3.3.3 Aufbau und Ablauf des Paris-Projekts
  • 5.3.3.4 Biografien der Lernenden aus Q2
  • 5.4 Zusammenfassung und Bedeutung für die Datenerhebung
  • 6 Kognitive Aktivierung im projektorientierten Französischunterricht aus Sicht der Lernenden
  • 6.1 Auswahl der Datensätze und Begründung
  • 6.2 Beschreibung, Analyse und Interpretation der empirischen Daten
  • 6.2.1 Struktur des Unterrichts
  • 6.2.1.1 Zielklarheit, Fixpunkte und Klassenführung
  • 6.2.1.2 Autonome Strukturierung durch die Lernenden
  • 6.2.1.3 Zeiteinteilung und effektive Lernzeit
  • 6.2.1.4 Zusammenfassendes Zwischenfazit zur Unterrichtsstruktur
  • 6.2.2 Authentischer Bezug
  • 6.2.2.1 Interessenorientierung, Kreativität und Motivation
  • 6.2.2.2 Transkulturelle Begegnung in Frankreich
  • 6.2.2.3 Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung der Projektarbeit
  • 6.2.2.4 Zusammenfassendes Zwischenfazit zum authentischen Bezug
  • 6.2.3 Sprache und Kommunikationsfähigkeit
  • 6.2.3.1 Einsatz und Vernetzung von sprachlich-kommunikativem Vorwissen und -kenntnissen
  • 6.2.3.2 Anspruch der Kommunikationsaufgaben
  • 6.2.3.3 Sprachumsatz
  • 6.2.3.4 Zusammenfassendes Zwischenfazit zu Sprache und Kommunikationsfähigkeit
  • 6.2.4 Gruppendynamik
  • 6.2.4.1 Ko-Konstruktion innerhalb der Projektarbeit
  • 6.2.4.2 Positive Effekte von Gruppenarbeit auf die Projektarbeit
  • 6.2.4.3 Konflikte innerhalb der Gruppen und ihre Auswirkungen auf die Projektarbeit
  • 6.2.4.4 Zusammenfassendes Zwischenfazit zur Gruppendynamik
  • 6.3 Zusammenfassende Betrachtung zur Analyse und Interpretation der Daten
  • 7 Ergebnisse der Untersuchung
  • 7.1 Zusammenfassung des theoretischen Hintergrunds der Studie
  • 7.2 Reflexion der methodologischen Vorgehensweise
  • 7.3 Zusammenfassende Darstellung und Reflexion der Forschungsergebnisse
  • 7.4 Ausblick und Desiderate
  • 8 Literaturverzeichnis
  • 9 Anhang

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Projektschritte und -merkmale exploriert nach Gudjons (2009, S. 5 f)

Tabelle 2: Lernerbiografien

Tabelle 3: Lernerbiografien

Tabelle 4: Lernerbiografien

Tabelle 5: Lernerbiografien

Tabelle 6: Interessenorientierung, Kreativität, Motivation

Tabelle 7: Transkulturelle Begegnung

Tabelle 8: Sprachumsatz

Tabelle 9: Soziale Eingebundenheit

Tabelle 10: Effekte der Gruppenarbeit

1 Einleitung

Man kann einen Menschen nichts lehren; man kann ihm nur helfen, es in sich selbst zu finden.

Galileo Galilei1

Die Frage danach, was ‚guten‘ Unterricht ausmacht, ist in der empirischen Unterrichtsforschung keineswegs neu. Ebenso ist die auf Empirie gestützte Suche nach Kriterien für Unterrichtsqualität kein neues Phänomen. Einige Merkmale zur Bestimmung von Unterrichtsqualität sind bereits empirisch gesichert. Die Basisdimensionen guten Unterrichts (vgl. Klieme et al., 2001) schließen das in der Unterrichtsforschung spätestens seit der TIMSS2- Videostudie (vgl. z.B. Stigler et al., 1999) etablierte Konstrukt der kognitiven Aktivierung mit ein. Dieses Unterrichtsqualitätsmerkmal beinhaltet in seiner positiven Ausprägung einen „Unterricht, der Schüler zum vertieften Nachdenken und zu einer elaborierten Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand anregt“ (Lipowsky, 2006, S. 60). Die sich nun unweigerlich stellende Frage danach, wie die kognitive Aktivierung der Lernenden effektiv angeregt werden kann, beziehungsweise welche Variablen Einfluss auf das kognitive Aktivierungspotenzial haben, wurde bereits in einigen, vorwiegend auf den mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich bezogenen Studien untersucht.3 Einige dieser Studien zeigten auch Zusammenhänge zwischen einer positiven Ausprägung der kognitiven Aktivierung und Schülerleistungen (vgl. z.B. Neubrand et al., 2011; Fauth et al., 2014; Lipowsky, 2009). Da jedoch kognitive Aktivierung als Qualitätsmerkmal von Unterricht domänenspezifisch äußerst unterschiedlich konkretisiert werden kann, ist eine fachspezifische Konzeptualisierung und Operationalisierung des Konstrukts angezeigt (vgl. z.B. Klieme & Rakoczy, 2008). Diese steht für das Fach Französisch und spezifisch für den projektorientierten Französischunterricht noch aus. Gerade offene Unterrichtsformen, in denen sich Lernende durch explorative Herangehensweisen an einen Lerngegenstand annähern, sind besonders interessant im Kontext von kognitiver Aktivierung. Der Schluss liegt hierbei zunächst nahe, dass durch freie, selbstgesteuerte Elaborationen autonomer Lernender gleichzeitig tiefergehende Verstehensprozesse in Gang gesetzt werden und somit das kognitive Aktivierungspotenzial angeregt wird. Jedoch ist dies lediglich eine Vermutung, bisher ohne jegliche empirische Evidenzbasierung.

1.1 Zielsetzung der Arbeit

Das übergeordnete Ziel dieser Arbeit ist es, einen Beitrag dazu zu leisten, die domänenspezifische Lücke bezüglich des Konstrukts der kognitiven Aktivierung und des projektorientierten Französischunterrichts zu schließen. Indem das kognitive Aktivierungspotenzial von ebendieser spezifischen Unterrichtsform näher untersucht wird, kann das Konstrukt als Unterrichtsqualitätsmerkmal für das Fach Französisch und den projektorientierten Unterricht konkretisiert und schließlich konzeptualisiert und operationalisiert werden. Einen Anfang soll diese Arbeit leisten, indem sie spezifisch den projektorientierten Französischunterricht in den Blick nimmt. Hierbei werden sowohl fachspezifische als auch der Unterrichtsform zugeschriebene Besonderheiten auf ihren kognitiven Aktivierungsgehalt hin qualitativ untersucht, indem diese aus Sicht der Lernenden selbst reflektierend beurteilt werden und im direkten Unterrichtsgeschehen beobachtet werden. Diese Vorgehensweise soll Aufschluss über die Frage geben, ob und in welchem Maße projektorientiertes Arbeiten im Französischunterricht die kognitive Aktivierung der Lernenden beeinflusst, um somit als nächsten Schritt mögliche Interventionsstrategien entwickeln zu können, die zu einer Optimierung des projektorientierten Arbeitens im Französischunterricht beitragen, aber auch die kognitive Aktivierung besser fassen und fördern zu können. Diese tragen gleichzeitig zu einer generellen Verbesserung der fachspezifischen Unterrichtsqualität bei, machen kognitive Aktivierung auch domänenspezifisch zugänglich und bilden den Grundstein für weitere Forschung.

1.2 Aufbau der Arbeit

Neben einer theoretischen Einführung zum Konstrukt der kognitiven Aktivierung und zu bereits bestehenden Forschungsprojekten im Bereich Unterrichtsqualität wird in Kapitel 2 zunächst auf verwandte Konstrukte und theoretische Rahmenmodelle von kognitiver Aktivierung Bezug genommen. Hierbei werden unter anderem das Angebots-Nutzungs-Modell und (ko-) konstruktivistische Lehr-Lerntheorien erläutert. Ebenfalls bilden ausführlichere Erläuterungen zu den Basisdimensionen von Unterricht einen wichtigen Teil des zweiten Kapitels. Auch wird auf die Notwendigkeit einer domänenspezifischen Konkretisierung des Konstrukts näher eingegangen und ein erster, theoretischer fach- und domänenspezifischer Bezug hergestellt. Zusätzlich erfolgt die Vorstellung zentraler empirischer Studien zu kognitiver Aktivierung.

In Kapitel 3 steht der projektorientierte Unterricht im Vordergrund. Hier werden theoretische Grundlagen wie eine kurze historische Einordnung des Projektbegriffs ebenso beschrieben wie Merkmale projektorientierten Unterrichts. Außerdem erfolgt eine theoretische Verknüpfung mit dem Konstrukt der kognitiven Aktivierung auf Basis in Kapitel 2 bereits vorgestellter, empirisch gesicherter Forschungsbefunde. Auch eine fachspezifische theoretische Verknüpfung mit modernen Fremdsprachen im Allgemeinen und Französisch im Speziellen wird in Kapitel 3 erfolgen.

Kapitel 4 widmet sich dem Forschungsdesign der vorliegenden Arbeit. Auf Basis des im Rahmen dieser Forschungsarbeit zentralen Erkenntnisinteresses und der dazugehörigen Forschungsfragen werden in diesem Kapitel sowohl das methodische Vorgehen als auch die Datenerhebung und die Methodologie der Datenauswertung mithilfe von Grounded Theory erläutert. Auch die Forschungsmethodik der Aktionsforschung, welche im Rahmen dieser Arbeit eingesetzt wurde, wird in Kapitel 4 erläutert und diskutiert.

In Kapitel 5 liegt der Fokus auf allgemeinen Voraussetzungen und den allgemeinen Beschreibungen der im Rahmen der Forschung für diese Arbeit durchgeführten Projekte. Ebenfalls werden in Kapitel 5 die Untersuchungsgruppen anhand ihrer individuellen Voraussetzungen und Lernerbiografien vorgestellt.

Schließlich widmet sich Kapitel 6 den erhobenen empirischen Daten zu kognitiver Aktivierung von projektorientiertem Französischunterricht. Hierbei wird anhand von Beschreibungen, Analysen und Interpretationen im Rahmen von insgesamt vier Hauptkategorien und ihren Unterkategorien das kognitive Aktivierungspotenzial des in der vorliegenden Studie untersuchten, projektorientierten Französischunterrichts analysiert und anhand von ausgewählten Ausschnitten und Sequenzen aus dem Datenmaterial konkretisiert. Kapitel 6 enthält daher teils umfangreiche Auszüge aus dem im Rahmen der Untersuchung erhobenen Datenmaterial. Diese wurden den Kategorien zugeordnet, analysiert und hinsichtlich ihres spezifischen und individuellen kognitiven Aktivierungspotenzials interpretiert. Bezugnehmend auf die in Kapitel 5 bereits vorgestellten Rahmenbedingungen, sowie auf theoretische Grundlagen aus den Kapiteln 2 und 3 wird innerhalb des Forschungsprozesses die Selektion besonders aussagekräftiger Sequenzen und Auszüge vorgenommen.

In Kapitel 7 erfolgt eine abschließende Reflexion und Diskussion der Forschungsergebnisse der vorliegenden Arbeit in synoptischer Form. Diese mündet schließlich in weiterführenden Forschungsdesideraten, die zu einer tiefergehenden Konkretisierung und Konzeptualisierung von kognitiver Aktivierung im Bereich moderner Fremdsprachen und Projektdidaktik beitragen können.


1 Galileo Galilei (1564–1642), italienischer Mathematiker, Philosoph und Physiker, zitiert nach: https://www.aphorismen.de/zitat/27424 (zuletzt aufgerufen: 27.04.2021).

2 TIMSS = Third International Mathematics and Science Study.

3 Ausgewählte Studien werden in Kapitel 2.2.3 vorgestellt.

2 Kognitive Aktivierung

We do not learn from experience. We learn from reflecting on experience.

John Dewey4

Das Konstrukt der kognitiven Aktivierung ist spätestens seit internationalen Vergleichsstudien wie der TIMSS-Studie in die Diskussion über Unterrichtsqualität und über die Lernwirksamkeit von Unterricht eingegangen. Dabei ist das Phänomen, sich kognitiv aktiv mit einem Lerngegenstand auseinanderzusetzen und somit Wissen nachhaltig aufzubauen, sicherlich nicht neu. Vergleichsstudien5, zunächst hauptsächlich im Bereich der Mathematikdidaktik, sorgten im vergangenen Jahrzehnt nach und nach für eine zunehmende Evidenzbasierung des Konstrukts. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass kognitive Aktivierung die Anregung „…zum vertieften Nachdenken und die Anregung zu einer elaborierten Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand“ (Lipowsky, 2009, S. 93) bedeutet. Das übergeordnete Ziel hierbei ist der Aufbau von konzeptuellem und vor allem anwendbarem Wissen (z.B. Kunter et al., 2005). Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, im Unterricht Lerngelegenheiten zu schaffen, welche das Potenzial besitzen, die Lernenden dazu anzuregen, sich elaboriert mit dem Unterrichtsgegenstand auseinanderzusetzen. Hierbei kommt man grundsätzlich nicht umhin, die schon seit den 1960er Jahren in der Unterrichtsforschung empirisch geleitete Frage nach ‚gutem‘ Unterricht zu thematisieren, aus der zahlreiche Kriterienkataloge für Unterrichtsqualität hervorgegangen sind (vgl. z.B. Hanisch, 2018, S. 13). Das Konstrukt der kognitiven Aktivierung, welches in Kapitel 2.2 und 2.2.1 näher erläutert werden wird, bietet hierbei stets ein verbindendes Element, welches sowohl im Bereich Unterrichtsqualität als auch in konstruktivistischen Lehr-Lerntheorien und dem Angebots-Nutzungs-Modell eine bedeutsame Rolle spielt.

2.1 Theoretische Grundlagen

Da das Konstrukt der kognitiven Aktivierung nicht nur eng verknüpft ist mit der Thematik der Unterrichtsqualität, sondern auch als Merkmal qualitätsvollen Unterrichts in verschiedenen Merkmalskatalogen direkt oder indirekt Beachtung findet (vgl. z.B. Hanisch, 2018; Lipowsky & Hess, 2019; Lotz, 2016), wird in den folgenden Kapiteln der Aspekt Unterrichtsqualität ebenso beleuchtet wie die Basisdimensionen guten Unterrichts. Darüber hinaus wird kognitive Aktivierung häufig mit (sozial-) konstruktivistischen Lehr-Lerntheorien verbunden (vgl. z.B. Hanisch, 2018; Lipowsky & Hess, 2019; Lotz, 2016) und es lassen sich ebenfalls enge Verbindungen zum Angebots-Nutzungs-Modell (vgl. z.B. Fend, 2000; Helmke, 2002) nicht von der Hand weisen. Diese Verbindungen sind naheliegend, da sowohl das Angebot einer anregenden Lernumgebung als auch die Vorstellung, Wissen aktiv und in Verknüpfung mit bereits Bekanntem auf- und auszubauen, kognitive Prozesse fördern und erfordern.

Auch von großer Bedeutung ist ein Blick auf Unterricht und seine Beschaffenheit an sich. So lässt er sich mit der Klassifikation von Sicht- und Tiefenstrukturen näher beschreiben (vgl. z.B. Kunter & Voss, 2011). Als Sichtstruktur lassen sich methodische Aspekte, wie beispielsweise Formen von Instruktion, Lehrer-Schüler-Interaktion, Sozialformen oder Methoden direkt im Unterrichtsgeschehen beobachten. Diese sind aufgrund ihrer direkten Beobachtbarkeit somit sichtbar. Nicht direkt beobachtbar, aber für die Unterrichtsqualität entscheidend, sind die Tiefenstrukturen wie der individuelle Lehr-Lernprozess, die Verarbeitungstiefe der Inhalte und die Intensität der Auseinandersetzung der individuellen Lernenden mit dem Lerngegenstand, eben alle „…diejenigen Merkmale, welche Intensität und Tiefe der Beschäftigung der Lernenden mit den Lerninhalten direkt beeinflussen“ (Hess & Lipowsky, 2016, S. 153). Kognitive Aktivierung kann als Teil dieser Tiefenstrukturen angesehen werden, somit ist auch das Konstrukt nicht unmittelbar zu beobachten. So ist es ebenfalls wichtig klarzustellen, dass kognitive Aktivierung nicht mit allgemeiner Schüleraktivität gleichzusetzen ist (vgl. z.B. Fauth & Leuders, 2018, S. 1). Bevor auf diese Punkte in den folgenden Kapiteln näher eingegangen wird, soll nun zunächst das Thema Unterrichtsqualität in den Blick gerückt werden.

2.1.1 Unterrichtsqualität- Merkmale ‚guten‘ Unterrichts

Bezüglich der Qualität von Unterricht existiert eine Vielzahl von Merkmalskatalogen, die sich oftmals stark unterscheiden. In einigen Fällen handelt es sich um normative Merkmalslisten, basierend auf theoretischen Annahmen (vgl. z.B. Meyer, 2004, 2007, 2010). An diesen Listen wird oft kritisiert, dass ihnen eine empirische Evidenzbasierung fehle, da sie ausschließlich theoriebasiert sind. Die Hauptkritik fußt darauf, dass die Annahmen, auf denen sie basieren, eine fehlende Verknüpfung zwischen Theorie und Praxis aufweisen, da diese rein theoriebasiert und somit nicht empirisch gesichert sind.

Wiederum andere Merkmalskataloge basieren hingegen auf Metaanalysen und verfügen somit über eine empirische Grundlage (vgl. z.B. Hattie, 2009; Helmke et al., 2007). Diesen wird wiederum vorgeworfen, zu wenig theoriegeleitet zu sein. Ditton (2002) macht diesen Unterschied deutlich, indem er feststellt: „Modelle der (Allgemeinen) Didaktik betrachten vorwiegend den Unterricht in sich selbst, vor allem seine Stimmigkeit im Hinblick auf das zugrunde gelegte Modell, in der (empirischen) Unterrichtsforschung steht dagegen die Effektivitätsbetrachtung im Vordergrund“ (Ditton, 2002, S. 199).

Oft ist im Bereich der empirischen Unterrichtsforschung vom sogenannten Prozess-Produkt Paradigma die Rede (vgl. z.B. Ditton, 2002, S. 201), welches die Beziehungen zwischen verschiedenen Instruktionsvariablen, den Merkmalen des Unterrichts, und verschiedenen Effektvariablen, den (fachlichen) Leistungen der Lernenden, in den Blick nimmt. Als Prozess wird hierbei die Instruktion gesehen, welche zum Produkt, dem Lernerfolg führt. Diese Sichtweise wird oft dafür kritisiert, dass alle Prozesse, die zwischen der Instruktion und dem messbaren Lernerfolg liegen, ausgeblendet, beziehungsweise vernachlässigt werden (vgl. Ditton, 2002, S. 201). Gerade aber ebendiese, nicht unmittelbar beobachtbaren Prozesse sind es, die weiteren, äußerst interessanten Aufschluss geben können, wie Lernende effektiv und verständnisorientiert zu einem Lernerfolg gelangen. Es handelt sich um die zuvor bereits erwähnten Tiefenstrukturen des Unterrichts, die Aufschluss darüber geben können, ob und in welchem Maße vertieftes und elaboriertes Lernen und somit auch kognitive Aktivierung stattfindet. Diese nicht unmittelbar beobachtbaren Prozesse sind Kern des Forschungsinteresses dieser Arbeit.

Details

Seiten
362
Jahr
2023
ISBN (PDF)
9783631901458
ISBN (ePUB)
9783631901465
ISBN (Hardcover)
9783631901441
DOI
10.3726/b21026
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (November)
Schlagworte
Fremdsprachendidaktik Projektunterricht Qualitiative Unterrichtsforschung Aktionsforschung Grounded Theory
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2023. 362 S., 7 farb. Abb., 7 s/w Abb., 10 Tab.

Biographische Angaben

Beatrice von Gayl (Autor:in)

Beatrice von Gayl hat an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg promoviert und ist seit 2014 an einer Schule für Erwachsene in Hessen tätig. Sie lehrt dort die Fächer Französisch, Englisch und Kunst. Ihre Schwerpunkte in Lehre und Forschung liegen in den Bereichen qualitative Unterrichtsforschung und Projektdidaktik, mit einem Fokus auf explorativem Fremdsprachenlernen im Fremdsprachenunterricht

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Titel: Kognitive Aktivierung im projektorientierten Französischunterricht