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Die Alternative Streitbeilegung nach einem positiven Musterfeststellungsurteil

Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung von Massenschäden

von Stefan Gigl (Autor:in)
©2023 Dissertation 374 Seiten

Zusammenfassung

Die als Reaktion auf den VW-Abgasskandal eingeführte Musterfeststellungsklage endet mit einem Urteil, das keine konkreten Leistungsansprüche festsetzt. Die Verbraucher müssen im Anschluss eine weitere Klage auf Leistung erheben. Der Autor setzt sich mit der Frage auseinander, ob sich die als Leistungsklage strukturierte Phase nicht durch Methoden der Alternativen Streitbeilegung substituieren lässt. Bei der Untersuchung widmet er sich typischen Einigungshindernissen vor und nach dem Musterfeststellungsurteil, typischen Vergleichsinhalten bei Massenschadensfällen und ordnet die Instrumente der Alternativen Streitbeilegung als Handlungsoption ein. Schließlich befasst sich der Autor mit der Ausgestaltung eines konkreten AS-Verfahrens zur vergleichsweisen Beilegung von Massenschadensfällen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Vorwort
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis
  • Einleitung
  • § 1 Aktualität und Bedeutung des Themas
  • § 2 Gegenstand und Ziel der Untersuchung
  • § 3 Gang der Untersuchung
  • § 4 Begriffsbestimmungen
  • A. Alternative Streitbeilegung
  • B. Typisierung von Massenschäden
  • I. Der Begriff der Massenschäden
  • II. Abgrenzung zu Streu- und Bagatellschäden
  • III. Auswertung und Begriffsbestimmung
  • § 5 Verfahrensziele der Musterfeststellungsklage bei Massenschäden
  • A. Überwindung des rationalen Desinteresses
  • B. Rechtssicherheit
  • C. Entlastung der Justiz
  • D. Stärkung der außergerichtlichen Streitschlichtung
  • E. Schutz überindividueller Interessen
  • F. Die Bedeutung der einzelnen Verfahrensziele bei Massenschäden
  • 1. Kapitel: Einigungshindernisse im Musterfeststellungsverfahren
  • § 1 Die einvernehmliche Streitbeilegung als Verfahrensziel der Musterfeststellungsklage
  • § 2 Strukturelle Einigungshindernisse
  • A. Gerichtlicher Vergleich gem. § 611 ZPO
  • I. Zustandekommen des Vergleichs
  • 1. Gerichtliche Genehmigung
  • 2. Zustellung
  • 3. Quorum
  • II. Wirkung des Vergleichs
  • 1. Bindungswirkung des Vergleichs
  • 2. Vollstreckbarkeit
  • 3. Folgen des Vergleichsschlusses für ausgetretene Verbraucher
  • a) Anspruch auf Verfahrensfortführung
  • b) Zweite Musterfeststellungsklage
  • III. Zwischenergebnis
  • B. Der außergerichtliche Vergleich
  • I. Zulässigkeit des außergerichtlichen Vergleichs
  • II. Hindernisse während des Musterfeststellungsverfahrens
  • 1. Vertrag zu Lasten Dritter
  • a) Zulässigkeit eines Direktvergleichs
  • b) Zulässigkeit eines Eckpunktevergleichs
  • aa) Zulässigkeit der Verpflichtung des Verbands zur Klagerücknahme
  • bb) Zulässigkeit von mittelbaren Abgeltungsklauseln
  • cc) Zwischenergebnis
  • 2. Zweite Musterfeststellungsklage
  • III. Hindernisse nach rechtskräftigem Musterfeststellungsurteil
  • 1. Eingeschränkte Musterverfahrensfähigkeit
  • a) Die Anforderungen an die Musterverfahrensfähigkeit
  • b) Umfang der Musterverfahrensfähigkeit
  • aa) Der individuelle Nachweis der Kausalität
  • bb) Verwirkung und Verjährung
  • cc) Negative Feststellungsziele
  • dd) Reine Rechtsfragen
  • ee) Verfahrensrechtliche Fragen
  • ff) Anwendbares Recht
  • gg) Gruppenbildung
  • c) Zwischenergebnis
  • 2. Mehrzahl an Parteien und fehlendes Repräsentationsrecht des Verbands
  • 3. Gesetzlicher Genehmigungsvorbehalt
  • IV. Zwischenergebnis
  • § 3 Kognitive Einigungshindernisse
  • A. Überoptimistische Einschätzung der Prozessaussichten
  • B. Reaktive Abwertung
  • C. Nullsummenannahme
  • D. Kommunikationsstörungen
  • E. Zwischenergebnis
  • § 4 Strategische Einigungshindernisse – Die Interessen der Parteien
  • A. Interessen der Beklagten
  • I. Klärung von Grundsatzfragen oder Verfahrensverzögerung?
  • II. Kein kollektives Leistungsurteil
  • III. Eingeschränkter Erledigungsumfang
  • IV. Öffentlicher Vergleichsdruck
  • V. Zwischenergebnis
  • B. Interessen des Verbands
  • I. Verfolgung überindividueller Interessen oder Vergleich zur Befriedigung konkreter Einzelinteressen?
  • II. Das doppelte Prinzipal-Agenten-Problem im Musterfeststellungsverfahren
  • 1. Die Prinzipal-Agenten-Theorie
  • a) Grundlagen
  • b) Die Prinzipal-Agenten-Theorie im kollektiven Rechtsschutz
  • 2. Die Interessen der Prozessbevollmächtigten des Verbands
  • a) Die Anreizkompatibilität der anwaltlichen Vergütung
  • b) Handlungsoptionen der Prozessbevollmächtigten abseits der Vergütung nach RVG
  • c) Die Grenzen der Kooperation zwischen Verband und Prozessbevollmächtigten (BVerwG, Urteil v. 3.4.2019 – 8 C 4/18)
  • d) Die Haftung der Prozessbevollmächtigten
  • e) Zwischenergebnis
  • 3. Interessen der Anmelder als Geschädigte
  • a) Heterogenität der Verbraucherinteressen
  • b) Beteiligung der Verbraucher
  • aa) Unmittelbare Beteiligungsrechte
  • bb) Mittelbare Beteiligungsrechte
  • cc) Auswirkungen
  • c) Zwischenergebnis
  • III. Risiken des Verbands
  • 1. Die Haftung des Verbands
  • 2. Sonstige Risiken
  • a) Ökonomischer Schaden durch „Windhundrennen“
  • b) Finanziellen Risiken (oder Chancen?)
  • c) Gefahr politischer Einflussnahme am Beispiel der Organisation Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH)
  • IV. Zwischenergebnis
  • § 5 Anforderungen an AS-Verfahren
  • 2. Kapitel: Typizität möglicher Vergleichsinhalte
  • § 1 Methoden zur Berechnung und Verteilung des Schadensersatzes in der Leistungsphase
  • A. Individualschadensbeurteilung
  • B. Gesamtschadensbeurteilung
  • I. Typischer Ablauf des Gesamtschadenssystems
  • 1. Erste Stufe: Berechnung der Gesamtentschädigungssumme
  • a) Hypothetischer Durchschnittsschaden
  • b) Analyse des Inhalts vergangener und anhängiger Klagen
  • c) Bestimmung einer (willkürlichen) Gesamtsumme
  • 2. Zweite Stufe: Verteilungsverfahren
  • II. Die Gesamtschadensbeurteilung nach Musterfeststellungsurteil?
  • C. Schadenspauschalisierung
  • I. Exkurs: Das „damage scheduling“ des niederländischen WCAM
  • 1. Die Funktionsweise
  • 2. „Damage scheduling“ im deutschen Recht?
  • II. Das Insolvenzmodell
  • 1. Die Masseverteilung im Insolvenzverfahren
  • a) Das Prüfungs- und Feststellungsverfahren
  • b) Das Verteilungsverfahren
  • 2. Die Übertragung des Insolvenzmodells auf die Abwicklung von Massenschäden
  • D. Zwischenergebnis
  • § 2 Entschädigungs- und Verteilungsmechanismen bei Massenschäden in der Praxis
  • A. Dalkon Shield Claimants Trust
  • I. Sachverhalt
  • II. Entschädigungsmechanismus
  • B. Die Contergan-Fälle und die Stiftungslösung
  • I. Sachverhalt
  • II. Entschädigungsmechanismus
  • C. Das Musterfeststellungsverfahren gegen die Volkswagen AG
  • I. Sachverhalt
  • II. Entschädigungsmechanismus
  • 1. Die Rahmenvereinbarung
  • 2. Die Abwicklung durch die Volkswagen AG
  • 3. Die Ombudsstelle
  • D. Zwischenergebnis
  • § 3 Die Informationen über den Inhalt der Ansprüche im Musterfeststellungsverfahren
  • A. Informationen bei Klageerhebung und Anmeldung der Ansprüche
  • I. Beschreibung von Gegenstand und Grund
  • II. Angaben zur Höhe der konkreten Forderungen
  • III. Einflussfaktoren auf die Qualität der Anmeldung
  • 1. Kein Anwaltszwang
  • 2. Fehlende inhaltliche Prüfung der Anmeldedaten
  • 3. Informationspolitik der Klägerin
  • B. Missbrauchsgefahr und Trittbrettfahrerverhalten
  • C. Zwischenergebnis
  • § 4 Der Vergleichsinhalt im Musterfeststellungsverfahren
  • A. Die Anforderungen des § 611 Abs. 2 ZPO
  • B. Zweckmäßige Vergleichsinhalte
  • I. Die Rolle der Anwaltschaft und deren Vergütung als Vergleichsgegenstand
  • 1. Während des Musterfeststellungsverfahrens
  • a) Anwaltskosten der Verbraucher
  • b) Anwaltskosten der Parteien
  • 2. Nach einem Musterfeststellungsurteil
  • II. Sonstige zweckmäßige Vergleichsinhalte
  • C. Zwischenergebnis
  • § 5 Anforderungen an AS-Verfahren
  • 3. Kapitel: Die Alternative Streitbeilegung nach einem Musterfeststellungsurteil
  • § 1 Die Alternative Streitbeilegung im System weiterer Handlungsoptionen
  • A. Individualprozess
  • B. Mahnverfahren
  • C. Einziehungsklage durch den Verband (§ 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 ZPO)
  • D. Forderungseinziehung durch einen Inkassodienstleister
  • I. Vereinbarkeit mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz
  • II. Konkurrenz zur Musterfeststellungsklage
  • III. Durchsetzung der Ansprüche nach Musterfeststellungsurteil
  • E. Sonstige Bündelungsmöglichkeiten
  • F. Zwischenergebnis
  • § 2 Die Eignung der jeweiligen Instrumente der Alternativen Streitbeilegung für die Leistungsphase
  • A. Einigungsverfahren
  • I. Einigungsverfahren ohne Einschaltung eines neutralen Dritten
  • 1. Verhandlung
  • a) Kompetitive (positionsorientierte) Verhandlung
  • b) Kooperative (interessenorientierte) Verhandlung
  • 2. Kooperatives Anwaltsverfahren
  • 3. Eignung für die Leistungsphase
  • II. Einigungsverfahren unter Einschaltung eines neutralen Dritten
  • 1. Konfliktmoderation
  • 2. Mediation
  • a) Die Aufgabe des Mediators in Abgrenzung zur Konfliktmoderation
  • b) Mediation als Rechtsbegriff
  • c) Ablauf der Mediation (Phasenmodell)
  • d) Der Anwendungsbereich der Mediation und die Besonderheiten der Gruppen- und Massenmediation
  • e) Exkurs: Der special settlement master in den USA
  • 3. Eignung für die Leistungsphase
  • B. Vorschlagsverfahren – Schlichtung
  • I. Der Schlichtungsbegriff
  • II. Abgrenzung zur evaluativen Mediation
  • III. Der Verfahrensablauf am Beispiel der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (söp)
  • IV. Eignung für die Leistungsphase
  • C. Entscheidungsverfahren – Das Verbraucherschiedsverfahren
  • I. Wesensmerkmale
  • II. Erfordernis der Schiedsvereinbarung
  • III. Eignung für die Leistungsphase
  • D. Hybridverfahren
  • I. Ombudsverfahren
  • 1. Entstehung und Ursprung
  • 2. Mechanismus und Verfahrensablauf am Beispiel des Versicherungsombudsmannes
  • 3. Der Ombudsmann beim ICE-Unglück von Eschede
  • II. Med-Arb
  • III. Eignung für die Leistungsphase
  • E. Zwischenergebnis zur Verfahrensauswahl
  • 4. Kapitel: Die Ausgestaltung des AS-Verfahrens nach Musterfeststellungsurteil
  • § 1 Gesetzliche Mindestanforderungen (de lege lata)
  • A. Anwendbarkeit der Quellen von Verfahrensgrundsätzen
  • I. ADR-Richtlinie
  • II. Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG)
  • III. Mediationsrichtlinie (MedRL)
  • IV. Mediationsgesetz (MediationsG)
  • V. Zwischenergebnis
  • B. Verfahrensgrundsätze
  • I. Unabhängigkeit und Unparteilichkeit
  • II. Verschwiegenheit
  • III. Rolle des Rechts
  • 1. Die Rechtsorientierung der Schlichtung und Mediation
  • 2. Der Eckpunktevergleich als Entscheidungsmaßstab?
  • IV. Verjährungsneutralität und -hemmung
  • 1. Schlichtungs- und Ombudsmannverfahren
  • 2. Mediation
  • 3. Verjährungshemmung bei Durchführung eines AS-Verfahren nach Musterfeststellungsurteil
  • a) Die Individualisierbarkeit der Ansprüche bei einem Schlichtungs- und Ombudsmannverfahren
  • b) Verjährungshemmung gegenüber den Anmeldern im Mediationsverfahren
  • V. Freiwilligkeit
  • VI. Zwischenergebnis
  • § 2 Steuerungskompetenzen des Musterfeststellungsgerichts (de lege ferenda)
  • A. Erteilung eines Verhandlungsmandats
  • I. Option 1: Auswahl des Verhandlungspartners durch die Beklagte
  • II. Option 2: Bestimmung des Verhandlungspartners durch das Musterfeststellungsgericht
  • 1. Bestimmung des Verhandlungspartners nach Eignungsaspekten
  • 2. Bestimmung des Verbands
  • B. Gesetzlicher Genehmigungsvorbehalt
  • C. Anordnung eines Schlichtungszwangs oder Schaffung von Anreizen zur Teilnahme?
  • 1. Aktuelle Anreize für die Durchführung eines AS-Verfahrens
  • 2. Die Pflichtteilnahme an einem AS-Verfahren nach Musterfeststellungsurteil
  • a) Schlichtungsverfahren
  • b) Mediationsverfahren
  • 3. Teilnahme nach einzelfallbezogener gerichtlicher Anordnung oder gerichtlichen Vorschlag
  • D. Zwischenergebnis
  • § 3 Das zweistufige AS-Verfahren nach Musterfeststellungsurteil
  • I. Ausgestaltung des Verfahrens
  • 1. Mediationsphase
  • a) Der Weg in das Verfahren
  • b) Auswahl und Qualifikation des Mediators
  • c) Rolle des Mediators
  • d) Finanzierung
  • e) Abschlussvereinbarung als Eckpunktevergleich
  • 2. Das Schlichtungs- und Ombudsmannverfahren
  • a) Zuständige Schlichtungsstelle
  • b) Finanzierung
  • c) Einsatz von Legal Tech
  • aa) Der Begriff „Legal Tech“
  • bb) Der Ablauf des digitalisierten Schlichtungsverfahrens
  • (1) Die automatisierte Sachverhaltsabfrage
  • (2) Die Kommunikationsphase
  • (3) Die automatisierte Entscheidungsfindung
  • 3. Die Rolle der Anwaltschaft
  • II. Erforderliche Änderungen der §§ 606 ff. ZPO
  • Schluss
  • § 1 Thesenartige Zusammenfassung
  • § 2 Ausblick
  • Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

a. F.

Alte Fassung

AAA

American Arbitration Association

Abs.

Absatz

ADR

Alternative Dispute Resolution

ADR-Richtlinie

Richtlinie 2013/11/EU über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten

AGB

Allgemeine Geschäftsbedingungen

Arb-Med

Arbitration-Mediation

AS

Alternative Streitbeilegung

AS-Verfahren

Verfahren der Alternativen Streitbeilegung

BehKiStiftG

Gesetz über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“

BfJ

Bundesamt für Justiz

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BORA

Berufsordnung für Rechtsanwälte

BW

Burgerlijk Wetboek; Bürgerliches Gesetzbuch der Niederlande

ContStifG

Gesetz über die Conterganstiftung für behinderte Menschen

(Conterganstiftungsgesetz)

Eg.

Erwägungsgrund

EGKTestV

Verordnung über Testmaßnahmen für die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte

EPA

United States Environmental Protection Agency

EU

Europäische Union

f.

folgende

ff.

fortfolgende

FRCP

Federal rules of civil procedure; Zivilprozessordnung der US.-amerikanischen Bundesgerichte

Fn.

Fußnote

ggf.

gegebenenfalls

i. S. d.

im Sinne des/der

i. V. m.

in Verbindung mit

IARC

Internationale Agentur für Krebsforschung

KapMuG

Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten

KHG

Krankenhausfinanzierungsgesetz

KMU

Kleine und mittlere Unternehmen

Legal Tech-Gesetz

Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt

m. w. N.

mit weiteren Nachweisen

Med-Arb

Mediation-Arbitration

MedRL

Richtlinie 2008/52/EG über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen (Mediationsrichtlinie)

Musterfeststellungsgericht

Das für ein Musterfeststellungsverfahren nach §§ 606 ff. ZPO zuständige Gericht.

n. F.

Neue Fassung

ODR-Verordnung

Verordnung (EU) Nr. 524/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2013 über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG

Rn.

Randnummer

Rv

Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering; Niederländische Zivilprozessordnung

söp

Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e.V.

TierSchG

Tierschutzgesetz

u. a.

unter anderem

Universalschlichtungsstelle

Universalschlichtungsstelle des Bundes

Verbandsklage-Richtlinie

Richtlinie über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG (Richtlinie (EU) 2020/1828)

VomVO

Verfahrensordnung des Versicherungsombudsmanns

VSBG

Gesetz über die alternative Streitbeilegung in Verbrauchersachen

VSBG Änderung 2019

Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen und zur Änderung weiterer Gesetze vom 30. November 2019

VW AG

Volkswagen AG

VW-Fälle

Die zahlreichen Individualklagen und das gegen die VW AG durchgeführte Musterfeststellungsverfahren vor dem OLG Braunschweig (Az. 4 MK 1/18) im Zusammenhang mit der Manipulation von Autoabgasen im Prüfstandmodus

vzbv

Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.

WCAM

Niederländische Gesetz über die kollektive Abwicklung von Massenschäden aus dem Jahr 2005 (Wet collectieve afwikkeling van massaschades)

WHO

Weltgesundheitsorganisation

ZPO

Zivilprozessordnung

Abbildungsverzeichnis

Einleitung

§ 1 Aktualität und Bedeutung des Themas

Angetrieben durch die sogenannten „Diesel-Verfahren“1,2 förderte der deutsche Gesetzgeber die Möglichkeiten des kollektiven Rechtsschutzes, indem er im Rahmen des Gesetzes zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage mit Wirkung zum 1. November 2018 eine zivilrechtliche Verbandsklage als neues Mittel der kollektiven Rechtsverfolgung einführte. Die Geltendmachung der Ansprüche erfolgt in Form eines zweistufigen Verfahrens.3 Im Musterfeststellungsverfahren auf erster Stufe ist nur eine qualifizierte Einrichtung4 i. S. d. § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO klageberechtigt, während sich die Verbraucher5 zu der Klage zwar mit verjährungshemmender Wirkung anmelden können,6 aber sonst weder als Partei noch als Beigeladene am Verfahren beteiligt sind.7 Das rechtskräftige Musterfeststellungsurteil entfaltet gem. § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO grundsätzliche Bindungswirkung.8 Auf der sich anschließenden zweiten Stufe müssen die Verbraucher ihre Ansprüche in einem selbstständigen zivilrechtlichen Erkenntnisverfahren grundsätzlich individuell durchsetzen.9

Ein Vorteil der Musterfeststellungsklage liegt darin, dass so eine abgrenzbare Gruppe geformt wird mit der eine vergleichsweise Einigung erzielt werden kann. Insbesondere Erfahrungen aus den USA zeigen, dass gerichtliche Massenverfahren selten zu einem (Leistungs-)Urteil führen, sondern sich beschleunigend im Hinblick auf Vergleichsverhandlungen auswirken.10 Vor allem bei Massenschäden, die meist deliktischer Natur sind, ist es für Unternehmen grundsätzlich schwer potentielle Anspruchssteller auszumachen und so das Haftungsrisiko abzuschätzen. Um diese ausfindig zu machen, müsste ohne ein kollektives Klageinstrument im Vorfeld entweder eine aufwändige ökonomische Analyse stattfinden oder die Gesamtzahl der Individualklagen bis zum Ende der Verjährung abgewartet werden.

Konsequenterweise besteht daher auch im Musterfeststellungsverfahren die Hoffnung des Gesetzgebers, dass es gar nicht mehr zu individuellen Leistungsklagen kommt, sondern dass durch die Entscheidung zentraler Tatsachen- und Rechtsfragen die Grundlage für eine einvernehmliche Lösung der Parteien geschaffen wird.11 Zur Erfüllung dieses Zwecks setzt die Bundesregierung auf die außergerichtlichen Streitschlichtung im Anschluss an ein Musterfeststellungsurteil.12 Obwohl es noch weitere prozessuale Möglichkeiten zur Beilegung der anschließenden Individualstreitigkeiten gibt,13 wird von einer Zunahme von Verfahren vor den zuständigen Verbraucherschlichtungsstellen ausgegangen, sobald in den ersten Musterfeststellungsverfahren die Klägerseite obsiegt hat.14 Dies im Blick, schaffte der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen und zur Änderung weiterer Gesetze vom 30. November 201915 schließlich auch die sogenannte Universalschlichtungsstelle des Bundes,16 welche sich seit dem in Kraft treten der Änderungen am 1. Januar 2020 der Streitigkeiten nach Abschluss eines Vergleichs gem. § 611 ZPO oder nach Musterfeststellungsurteil annehmen soll.17 Konkrete Ausführungen und Regelungen zur Ausgestaltung des Schlichtungsverfahrens unterließ der Gesetzgeber allerdings bislang. Dies verwundert vor allem vor dem Hintergrund, dass sich der Musterfeststellungsklage gegen die VW AG etwa 470.000 Verbraucher anschlossen18 und jährlich mit 450 neuen Musterfeststellungsverfahren gerechnet wird, in denen einer Schätzung des Bundes zufolge in etwa der Hälfte der Verfahren die Unternehmen unterliegen könnten.19 Zwar einigten sich die Parteien in den VW-Fällen im zweiten Anlauf auf eine außergerichtliche Rahmenvereinbarung,20 es erscheint allerdings weiterhin möglich, dass es wegen des Abschlusses anderer Musterfeststellungsverfahren zu dem vom Gesetzgeber erwarteten erhöhten Aufwand für die neu geschaffene Universalschlichtungsstelle kommt. Die vergleichsweise Beilegung als Teil der Durchsetzung von Ansprüchen aus Massenschäden ist nicht zuletzt wegen der Überlastung der Gerichte im Laufe der Diesel-Verfahren, sondern auch wegen der Annährung des deutschen und europäischen Gesetzgebers an die Instrumente des kollektiven Rechtschutzes in der juristischen und rechtspolitischen Diskussion ein Thema von zunehmender Bedeutung.

§ 2 Gegenstand und Ziel der Untersuchung

Die vorliegende Arbeit untersucht die Möglichkeit der sach- und interessengerechten Verzahnung der Musterfeststellungsklage mit Verfahren der Alternativen Streitbeilegung (AS-Verfahren) nach einem positiven Musterfeststellungsurteil. Nach den Empfehlungen der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2013 sollen die Mitgliedstaaten Anreize schaffen, dass die Parteien eine Streitsache, die ein Massenschadensereignis zum Gegenstand hat, durch ein außergerichtlicher Verfahren beilegen können.21 Die Abstimmung der Regelungen des kollektiven Rechtsschutzes mit denen der alternativen Streitbeilegungen könnte somit zur Entwicklung eines systematisch konsistenten Ansatzes im Sinne der Europäischen Kommission beitragen.

Die Bundesregierung sieht die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens im Anschluss an ein Musterfeststellungsurteil als am besten geeignet an.22 Da noch keinerlei praktische Erfahrungen mit der Durchführung eines AS-Verfahrens im Anschluss an ein Musterfeststellungsurteil vorliegen, steht die Diskussion in Deutschland noch ganz am Anfang. In der Folge scheint die Methodik zur konsensualen Streitbeilegung im Musterfeststellungsverfahren noch nicht durchdacht.23 Jeder einzelne Streitfall muss typischerweise analysiert werden, um herauszufinden, welches AS-Verfahren für den konkreten Einzelfall die geeignetste Methode darstellt.24 Obwohl ein für alle Streitigkeiten geltender Königsweg im Sinne eines „one size fits all25 wegen der mannigfaltigen Fallgestaltungen kaum möglich erscheint, sollen im Rahmen der Arbeit verschiedene AS-Verfahren, die im Anschluss an ein Musterfeststellungsurteil in Frage kommen, im Hinblick auf ihre Geeignetheit und Rechtmäßigkeit untersucht werden. Ziel ist es, durch die Darstellung und Einordnung der vorhandenen Kenntnisse wesentliche Problempunkte herauszuarbeiten. Die Arbeit erhebt keinen Anspruch darauf, eine letztverbindliche Lösung für sämtliche Fallkonstellationen, die Massenschäden zum Gegenstand haben und bei denen eine Musterfeststellungsverfahren anhängig ist, zu bieten. Ziel ist es vielmehr, eine Struktur zur Verzahnung der Feststellungs- mit der Leistungsphase zu entwickeln, welche eine fruchtbare Auseinandersetzung mit der Thematik erlaubt. Dadurch soll nicht nur eine zielorientierte Verfahrensauswahl erleichtert werden, sondern es sollen auch konkrete Vorschläge zur Ausgestaltung des Verfahrens gemacht werden.

Das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG) ist grundsätzlich methoden- und verfahrensoffen. Es bietet daher einen weiten Spielraum, ein Streitbeilegungsverfahren den konkreten Bedürfnissen der Parteien anzupassen.26 Die Methodik zur konsensualen Beilegung von Streitigkeiten sowohl während als auch im Anschluss an ein Urteil im Musterfeststellungsverfahren scheint noch nicht vollständig durchdacht.27 Die vorliegende Arbeit setzt sich mit entsprechenden Alternativen zu der Durchführung einer hohen Anzahl von Einzelprozessen28 auseinander und versucht neue Wege zum Umgang mit dieser Problematik aufzuzeigen.

Der Ansatzpunkt der Untersuchung im Anschluss an ein Musterfeststellungsurteil ist bewusst gewählt. Zum einen können einem Vergleichsschluss während des Musterfeststellungsverfahrens mehrere Einigungshindernisse entgegenstehen29 und zum anderen soll durch den gewählten Ansatzpunkt ein Ausgleich zwischen allgemeinwohlorientierter Rechtsfortbildung und interessenorientierter Konfliktbeilegung geschaffen werden. Die Durchführung eines staatlichen Gerichtsverfahrens ist im Allgemeininteresse zunächst vorzugswürdig. Es fördert die Rechtsfortbildung, sorgt für eine Rechtsvereinheitlichung und legt fest, was Recht ist.30 Zudem kann die Verteidigung des angegriffenen Rechts in gewisser Weise als Pflicht gegenüber dem Gemeinwesen angesehen werden.31 Allerdings können sich Gerichtsverfahren durch einen hohen Grad an Formalisierung und Generalisierung nicht immer an den Bedürfnissen und Interessen der jeweiligen Konfliktparteien orientieren. Ein effizientes AS-Verfahren wäre in der Lage diese Defizite aufzufangen.32 Ein Kollektivvergleich während des Musterfeststellungsverfahrens würde jede Auseinandersetzung der Gerichte mit der zugrundeliegenden Thematik verhindern und kann im Hinblick auf die objektive Bedeutung des Rechts nicht das vorrangige Anliegen sein. Die Kombination aus Musterfeststellungsklage und der anschließenden Durchführung eines AS-Verfahrens ist ein gangbarer Mittelweg, der auch dem berechtigten Allgemeininteresse an Rechtsfortbildung gerecht wird.

Bei dieser Diskussion soll sich in Abgrenzung zu Streu- und Bagatellschäden auf Massenschäden33 fokussiert werden. Zwischen den unterschiedlichen Schadensarten wird im Rahmen der Diskussion zu Instrumenten des kollektiven Rechtsschutzes oftmals nicht hinreichend differenziert.34 Aus diesem Grund sollen zunächst die entsprechenden Ziele der Musterfeststellungsklage unter besonderer Würdigung der Besonderheiten von Massenschäden herausgearbeitet werden. Diese Zielvorstellungen fließen schließlich in die Beurteilung von Mechanismen der Alternativen Streitbeilegung im Anschluss an ein Musterfeststellungsurteil mit ein.

Das Phänomen der Massenschäden und seiner vergleichsweisen Beilegung ist nicht länderspezifisch, weshalb sich der Blick nicht per se auf Sachverhalte aus dem Geltungsbereich der eigenen Rechtsordnung beschränken muss. Trotz gravierender struktureller Unterschiede und ohne den Anspruch einer rechtsvergleichenden Arbeit zu erheben, wird im Laufe der folgenden Ausarbeitung teilweise auf die Vergleichspraxis der US-amerikanische class action Bezug genommen. Gerade weil sich in der deutschen Rechtspraxis die Erfahrungen mit Vergleichen in Kollektivverfahren in Grenzen halten, werden vereinzelt Probleme aus den USA thematisiert, die auch aus deutschem Blickwinkel von Interesse sein können. Eine ebenso lebhafte akademische Diskussion wird auf europäischer Ebene und in anderen EU-Mitgliedstaaten zum Abschluss von Massenvergleichen geführt. Ausgangspunkt ist meist das 2005 in Kraft getretene niederländische Gesetz über die kollektive Abwicklung von Massenschäden (WCAM)35, auf das ebenfalls gelegentlich Bezug genommen wird.36

Die Arbeit soll einen Beitrag zur aktuellen Diskussion rund um die Umsetzung der Richtlinie über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG (RL (EU) 2020/1828)37 liefern. Diese hat mit der Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union (EU) am 4. Dezember 2020 das europäische Gesetzgebungsverfahren vollständig durchlaufen. Durch sie soll sichergestellt werden, dass den Verbrauchern in allen Mitgliedstaaten und auf Unionsebene mindestens ein wirksames und effizientes Verbandsklageverfahren, das sowohl auf Unterlassen als auch auf Abhilfe38 gerichtet sein kann, zur Verfügung steht.39 Nach Artikel 24 der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten bis 25. Dezember 2022 die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie zu schaffen. Die bestehenden verfahrensrechtlichen Mittel zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher können nach Erwägungsgrund 11 beibehalten werden, sofern mindestens ein nationales Verbandsklageverfahren dieser Richtlinie entspricht. Fraglich ist nunmehr, wie sich die Umsetzung der Richtlinie auf die Musterfeststellungsklage auswirken könnte und wie der deutsche Gesetzgeber reagiert. Die Frühjahrskonferenz der Justizministerinnen und Justizminister sprach sich am 16. Juni 2021 mit Blick auf die Umsetzung der Verbandsklage-Richtlinie dafür aus, ein Vorlageverfahren zum BGH im Zivilprozess zu prüfen.40 Ausweislich des Koalitionsvertrag soll die Umsetzung „in Fortentwicklung der Musterfeststellungsklage“ erfolgen.41 Unabhängig davon für welches Instrument sich letztendlich entschieden wird, so besteht jedenfalls die Möglichkeit, dass dieses unter Umständen die Musterfeststellungsklage ersetzen oder zumindest in Konkurrenz zu dieser treten könnte. Da die Verbandsklage-Richtlinie den Mitgliedstaaten als Verfahren Klagen auf „Abhilfeentscheidungen“ vorgibt (Art. 1 Abs. 2), genügt die (bloße) Feststellung von Anspruchsvoraussetzungen nicht den Anforderungen.42

Insgesamt verlangt das Zeitalter der Massenproduktion, der Digitalisierung und Standardisierung vieler Unternehmensabläufe nach neuen prozessualen Wegen und Durchsetzungsmechanismen.43 Schließlich ist es das Ziel der Arbeit einen mit groben Strichen skizzierten Weg zur Verzahnung von AS-Verfahren mit der Musterfeststellungsklage darzustellen, der mit hoher Wahrscheinlichkeit einen interessengerechten Vergleichsschluss im Anschluss an ein Musterfeststellungsurteil herbeiführt. Gleichzeitig soll der europäischen Vorgabe entsprochen werden, wonach „ein effektives System des kollektiven Rechtsschutzes und der leichte Zugang zu der Alternativen Streitbeilegung […] einander ergänzende und nicht sich gegenseitig ausschließende Verfahren sein (sollten)“.44

§ 3 Gang der Untersuchung

Im ersten Kapitel sollen Vergleichs- und Einigungshindernisse vor und nach dem Musterfeststellungsverfahren deskriptiv dargestellt werden. Dies erfolgt unter besonderer Berücksichtigung des Ziels der Musterstellungsklage, eine einvernehmliche Streitbeilegung herbeizuführen. Selbst wenn die Beteiligten im Laufe oder im Anschluss an das Musterfeststellungsverfahren vergleichsbereit wären, begegnen sie typischerweise zahlreichen Vergleichshindernissen struktureller, kognitiver und strategischer Natur. Diese stellen die Ausgangslage dar, welche die Geeignetheit eines AS-Verfahren zur Beilegung der Streitigkeiten im Anschluss an ein positives Musterfeststellungsurteil beeinflusst. Aus den dargestellten Strukturproblemen und Interessenlagen der Beteiligten sollen Kriterien zur Auswahl eines geeigneten und effizienten AS-Verfahrens im Anschluss an ein Musterfeststellungsurteil abgeleitet und entwickelt werden. Im Rahmen der Darstellung soll auch deutlich werden, warum eine vergleichsweise Einigung vor allem in der Phase nach einem positiven Musterfeststellungsurteil sinnvoll wäre.

Das zweite Kapitel setzt sich mit dem Inhalt des Vergleichs auseinander. Hierbei werden die verschiedenen Methoden zur Typisierung des Vergleichsinhalts sowie Entschädigungs- und Verteilungsmechanismen bei Massenschäden in der Praxis beschrieben. Die verschiedenen Berechnungsmethoden und Anwendungsbeispiele zum Umgang mit Massenschäden sollen Hinweise für einen geeigneten Verfahrensablauf im Anschluss an ein Musterfeststellungsurteil liefern. Entscheidend zur Bestimmung des Inhalts eines Vergleichs im Musterfeststellungsverfahren sind zudem die Informationen, die den Verhandlungspartnern über die Verbraucher zur Verfügung stehen sowie die gesetzlichen Vorgaben zur Ausgestaltung des Vergleichsinhalts. Hieraus sollen nicht nur die für Massenschadensfälle besonders zweckmäßige und typische Regelungsinhalte dargestellt, sondern wiederum konkrete Anforderungen für die Ausgestaltung eines AS-Verfahren herausgearbeitet werden.

Das dritte Kapitel knüpft an die in Kapitel 1 und 2 gewonnenen Kriterien an. Zunächst werden die AS-Verfahren in die Systematik weiterer Handlungsoptionen, die im Anschluss an ein Musterfeststellungsurteil typischerweise zur Verfügung stehen, eingeordnet und voneinander abgegrenzt. Die AS-Verfahren werden nach einem positiven Musterfeststellungsurteil oftmals mit eben diesen weiteren Handlungsoptionen konkurrieren. Eine Analyse hinsichtlich der Geeignetheit muss somit auch unter besonderer Berücksichtigung der Vor- und Nachteile dieser Mechanismen stattfinden. Im Anschluss erfolgt eine begriffliche Abgrenzung der relevanten AS-Verfahren sowie die Darstellung der typischen Verfahrensabläufe, was gerade wegen der sporadischen gesetzlichen Regelungen sinnvoll erscheint. Dabei sollen die verschiedenen AS-Verfahren in Anbetracht der in den ersten beiden Kapiteln ausgearbeiteten Kriterien und Anforderungen sowie unter Berücksichtigung der Vor- und Nachteile weiterer Handlungsoptionen hinsichtlich ihrer Geeignetheit analysiert und beurteilt werden. Ziel von Kapitel 3 ist, konkrete AS-Verfahren zu identifizieren, welche zur Herbeiführung eines Vergleichs in einem Massenschadensfall im Anschluss an ein positives Musterfeststellungsurteil am geeignetsten sind.

Das vierte Kapitel beschäftigt sich schließlich mit der konkreten Ausgestaltung des AS-Verfahren. Die Verfahren, die in Kapitel 3 als am geeignetsten identifiziert wurden, sollen näher beleuchtet werden. Dabei werden zunächst die gesetzlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Verfahrens de lege lata dargestellt. Bei der Prüfung der Anwendbarkeit der Rechtsquellen sollen vor allem die Besonderheiten von Massenschäden Berücksichtigung finden, während anschließend aus diesen die relevanten Verfahrensgrundsätze extrahiert werden. Auch soll sich mit Steuerungsmöglichkeiten des Musterfeststellungsgerichts45 de lege ferenda auseinandergesetzt werden, welche die Beilegung eines Massenschadensfalls positiv beeinflussen könnten. Schlussendlich wird ein konkretes AS-Verfahren zur vergleichsweisen Beilegung eines Massenschadensfalls im Anschluss an ein Musterfeststellungsurteil unter Einbezug relevanter Verfahrensgrundsätze und möglichen Steuerungsoptionen des Musterfeststellungsgerichts vorgeschlagen und dargestellt.

Die Erkenntnisse dieser Arbeit werden am Ende thesenartig zusammengefasst. Weiterhin werden konkrete gesetzliche Änderungsvorschläge zu einer besseren Implementierung des Verfahrens gemacht.

§ 4 Begriffsbestimmungen

A. Alternative Streitbeilegung

Die Begrifflichkeit „Alternative Streitbeilegung“ ist im Wesentlichen auf das aus den USA stammende Akronym „ADR“ zurückzuführen. Die „Alternative Dispute Resolution“ wurde Ende der 1960ern in den USA im Rahmen der „access to justice“-Bewegung geprägt, als man in den USA nach neuen Formen der Konfliktbeilegung abseits der staatlichen Gerichtsbarkeit suchte.46 Der Sprachgebrauch innerhalb des Gebiets der Alternativen Streitbeilegung ist uneinheitlich. So wird beispielsweise oftmals die Schlichtung als Oberbegriff für AS-Verfahren („Schlichten statt richten“) oder als Synonym für Mediation verwendet.47 Allen AS-Verfahren ist gemeinsam, dass sie zu einer Beilegung des Konflikts außerhalb der staatlichen Gerichtsbarkeit führen sollen.48 Daher wird in der älteren deutschen Literatur49 und teilweise in Gesetzestexten50 auch der Begriff „Außergerichtliche Streitbeilegung“ verwendet. Diese Begrifflichkeit soll im Folgenden nicht als Oberbegriff für AS-Verfahren verwendet werden. Sowohl die AS-Richtlinie als auch das VSBG verwenden den Begriff „Alternative Streitbeilegung“ in ihren amtlichen Titeln. Auch wird in Erwägungsgrund (Eg.) 5 der deutschen Übersetzung der Richtlinie „Alternative Streitbeilegung“ als feststehender Begriff mit „AS“ abgekürzt.

B. Typisierung von Massenschäden

I. Der Begriff der Massenschäden

Der Begriff des Massenschadens ist bislang unscharf.51 Er bedarf daher der Abgrenzung und Definition. Wagner definiert einen Massenschaden als ein Phänomen, bei dem eine große Zahl von Geschädigten einen erheblichen individuellen Schaden erlitten hat. Der Individualschaden ist bei jeweils gleicher Schadensursache hoch und oftmals tragen die Geschädigten auch Verletzungen des Körpers und der Gesundheit davon.52

Der Begriff des Massenschadens wird teilweise auch deutlich weiter verstanden. Müller bezeichnet auch massenhaft auftretende Schadensereignisse wie beispielsweise Kfz-Unfälle als Massenschäden und stellt dabei auf die Gleichförmigkeit der einzelnen Geschehensabläufe ab.53 Folgt man dem Begriffsverständnis von Müller könnte man auch Ansprüche wegen Flugverspätung aus der EU-Fluggastrechte-Verordnung oder solche bei Verstoß gegen die sog. „Mietpreisbremse“ dazu zählen. Diese Art von Schäden wird vorliegend allerdings nicht als Massenschaden verstanden. Massenschäden sind nur solche, die aufgrund einer Ursache zu mehreren Individualschäden führen, wobei die Anspruchsvoraussetzungen weitgehend einheitlich beurteilt werden können. Bei Verkehrsunfällen stellen sich zwar oftmals gleichartige Rechtsprobleme, diese können wegen der Individualität des Schadensereignisses allerdings nicht kollektiv geltend gemacht werden. Auch sind bei Verkehrsunfällen die Geschädigten häufig gleichzeitig Schädiger, was eine prozessuale Bündelung zusätzlich erschwert.54

Charakteristisch für Massenschäden ist nach Haß auch die Tatsache, dass sich die Einzelkläger einer immensen Verteidigung durch die Beklagte gegenübersehen. Für die Beklagte gilt es eine Präzedenzwirkung zu verhindern, was zu einem hohen Aufwand bei der Rechtsdurchsetzung für die Kläger führt.55

Zu Massenschäden werden teilweise auch Schäden an Kollektivgütern gezählt. Von Bar zählt auch ökologische Schäden zu Massenschäden. Dies sind „Schadensereignisse mit gravierenden Auswirkungen auf Natur und Landschaft“. Sie werden „unabhängig davon als Massenschaden verstanden, ob individuelle Rechtspositionen des Privatrechts berührt sind oder nicht. Es geht hier auch um Schäden an den freien Naturgütern und ökologischen Wirkungszusammenhängen.“56 In ähnlicher Weise fügt Alexander zur „Massenbetroffenheit“ und den Streu- und Bagatellschäden die Kategorie der „Beeinträchtigung von kollektiven und öffentlichen Interessen“ hinzu. Dabei handele es sich um Kollektivinteressen einer Gruppe von Personen und nicht um gebündelte Einzelinteressen mehrerer Individuen. Umfasst seien davon etwa die Schutzinteressen der Verbraucher im Wettbewerb oder die Interessen der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb.57 Sinnvoll erscheint in diesem Zusammenhang jedenfalls die von Wagner vorgenommene Abgrenzung zu Gemeinschaftsgüterschäden. Dies seien Schäden, „die dem Kollektiv und nicht einem Individuum oder einer Gruppe von Individuen entstehen“. Es handele sich um echte Kollektivschäden, die unter dem Begriff der Gemeinschaftsgüterschäden zu führen seien. Diese echten Kollektivschäden seien jedenfalls dann nicht ersatzfähig, wenn sie keinem Individualrechtsgut zugeordnet werden können.58 Der Abgrenzung von Wagner zwischen Kollektiv- und Individualschäden ist zu folgen. Im Rahmen des kollektiven Individualrechtsschutzes müssen Schäden einem bestimmten Rechtssubjekt individuell zugeordnet werden können. Dies ist bei abstrakten Umweltschäden ohne Bindung an Eigentum oder Besitz oder bei einem abstrakten Vorgehen gegen AGBs nicht gegeben.

Details

Seiten
374
Jahr
2023
ISBN (PDF)
9783631906590
ISBN (ePUB)
9783631906606
ISBN (Paperback)
9783631905302
DOI
10.3726/b21079
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (Oktober)
Schlagworte
Musterfeststellungsklage Massenschaden Alternative Streitbeilegung Einigungshindernisse Vergleich
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2023. 374 S.

Biographische Angaben

Stefan Gigl (Autor:in)

Der Autor Dr. Stefan Gigl studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Bayreuth und São Paulo, Brasilien. Sein Referendariat absolvierte er im Bezirk des Oberlandesgerichts Düsseldorf und in Shanghai, China. Neben seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt in Düsseldorf promovierte er an der Juristischen Fakultät der Leibniz Universität Hannover bei Prof. Dr. Volker Wiese, LL.M. (McGill).

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Titel: Die Alternative Streitbeilegung nach einem positiven Musterfeststellungsurteil