Shakespeares republikanisches Ideengut und dessen Rezeption im deutschen politischen Theater
Lessing, Goethe, Schiller, Büchner und Brecht
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Abdeckung
- Titelseite
- Copyright-Seite
- Hingabe
- Danksagung
- Inhaltsverzeichnis
- Vorwort – Shakespeare und das republikanische Signum Europas
- 1. Einleitung: „The fault […] is not in our stars/But in ourselves“ (Julius Caesar, I.2.140f.) – literarische Konzepte von Herrschaft und Politik
- Teil I
- 2. Shakespeares Ideengeber – Politik und Politische Philosophie im frühneuzeitlichen England
- 2.1 Die Antike: Staatsphilosophien der Griechen und Römer
- 2.2 Die Neuzeit: Renaissancehumanismus und (Anti-)Machiavellismus
- 3. Analyse des politischen Ideenguts in Shakespeares Werk
- 3.1 „The true poetry of Rome lived in its institutions“ (Percy Shelley) – die radikal politisierte Welt der frühen römischen Republik in Coriolanus
- 3.2 „[T]he hollow crown“ (Richard II, III.2.160) – Herrschaft zwischen Natur und Konvention in Richard II und King Lear
- 3.3 „[S]et the murderous Machiavel to school“ – die Rezeption von Machiavellis Realpolitik in Henry IV (1), Henry V und Othello
- 3.3.1 Shakespeares machiavellistische Könige Henry IV und Henry V
- 3.3.2 Die Emergenz des Machiavels als Folge eines defekten Regimes am Beispiel der Iago-Figur in Othello
- 3.4 Terror, Gewalt und Tyrannei – Formen des Widerstandes bis hin zum Tyrannenmord in Macbeth, Julius Caesar und The Rape of Lucrece
- 3.5 „[N]ew heaven, new earth“ – Liebe als (a-)politische Kraft in Antony and Cleopatra
- 3.6 Fehlende Gewaltenteilung in der Monarchie und die Möglichkeit des Machtmissbrauchs am Beispiel von The Winter’s Tale
- 3.7 „The end crowns all“ (Troilus and Cressida, IV.5.224) – das Destillat von Shakespeares politischem Denken in seinem Alterswerk The Tempest
- 3.8 Fazit – Shakespeare zwischen Monarchie und Republik
- Teil II
- 4. Die literarische Rezeption des Ideenguts Shakespeares in politischen Krisen- und Umbruchzeiten in Deutschland
- 4.1 Eine kopernikanische Wende des Denkens – die Makroepoche der Aufklärung
- 4.1.1 Gotthold Ephraim Lessing als erster „deutscher Shakespeare“
- 4.1.2 Der Kaufmann von Jerusalem – Lessings Toleranzvision in Nathan der Weise (1779)
- 4.1.3 „Die innere Technik ist Shakespearisch, die äußere französisch“ (Otto Ludwig) – die Dialektik der Aufklärung in Emilia Galotti (1772)
- 4.2 Habe Mut, Deinen Gefühlen zu folgen – der Sturm und Drang auf dem Weg zu „poems unlimited“
- 4.2.1 Goethe, wie hast du’s mit der Politik? – Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand (1773) als literarisches Refugium für die Idee der Freiheit
- 4.2.2 „Daß die Zärtlichkeit noch barbarischer zwingt, als Tyrannenwut!“ (V.1) – der (Liebes-)Absolutismus in Kabale und Liebe (1784)
- 4.3 Zurück zu Maß und Mitte – der Weimarer Klassizismus
- 4.3.1 „O Sklaverei des Volksdiensts!“ (V. 3190) – die Bürde des Königsamtes und die Selbstentfremdung in Schillers Maria Stuart (1801)
- 4.3.2 „Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht“ (Wilhelm Tell, V. 1275) – die Legitimation des Widerstandsrechtes in Die Räuber (1781), Die Verschwörung des Fiesco zu Genua (1783) und Wilhelm Tell (1804)
- 4.3.3 Edel und gut sei der König – Schillers Don Carlos. Infant von Spanien (1787) und Goethes Egmont (1788)
- 4.3.4 Krieg und Frieden in Die Jungfrau von Orleans (1801) – die Marseillaise Schillers
- 4.4 Krieg den Monarchen in ihren Palästen – Staats- und Politikkritik im Werk Georg Büchners
- 4.4.1 Danton’s Tod (1835) – wenn die Revolution ihre eigenen Kinder frisst
- 4.4.2 Woyzeck (1879) oder Les Misérables einer hessischen Garnisionsstadt
- 4.4.3 Leonce und Lena (1836) – die politisch-revolutionäre Funktion des (Ver-)Lachens
- 4.5 Die politische Shakespeare-Rezeption bei Bertolt Brecht – Ausblick auf die Moderne
- 4.5.1 Brechts politische Theatertheorie – der (neue) Galilei der Ästhetik
- 4.5.2 Rezeptionsspuren von Shakespeares Werken in Brechts Stücken
- 5. Ergebnisse der komparatistischen Gegenüberstellung – „Deutschland ist Shakespeare!“
- 6. Bibliographie
- Primärliteratur
- Sekundärliteratur
Shakespeares republikanisches Ideengut und dessen Rezeption im deutschen politischen Theater
Lessing, Goethe, Schiller, Büchner und Brecht

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Zugl.: Marburg, Univ., Diss., gekürzte Fassung, 2024
Umschlagabbildung: Vitruvian Man von Leonardo da Vinci
© Fotoarchiv Marburg/Christian Pauls
D 4
ISSN 1863-219X
ISBN 978-3-631-92585-0 (Print)
E-ISBN 978-3-631-92586-7 (E-PDF)
E-ISBN 978-3-631-92587-4 (E-PUB)
DOI 10.3726/b22290
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Diese Publikation wurde begutachtet.
Wer eigentlich zuerst drauf gekommen ist, die Haupt- und Staatsaktionen aufs Theater zu bringen, weiß ich nicht, es gibt Gelegenheit für den Liebhaber zu einer kritischen Abhandlung. Ob Schäkespearen die Ehre der Erfindung gehört, zweifl ich; genug, er brachte diese Art auf den Grad, der noch immer der höchste geschienen hat, da so wenig Augen hinaufreichen und also schwer zu hoffen ist, einer könne ihn übersehen oder gar übersteigen.
– Johann Wolfgang von Goethe Zum Schäkespears Tag (1771) –
Danksagung
Ganz zuvorderst möchte ich meinen tief empfundenen Dank an Frau Prof. Dr. Sonja Fielitz aussprechen, die mich in ihrer Rolle als Doktormutter mit großer fachlicher Expertise sowie mit Empathie, Herzlichkeit und Humor von der ersten Projektskizze bis hin zur Veröffentlichung hervorragend begleitet hat. Es war mir eine Ehre, meine Dissertation unter der Betreuung von Frau Prof. Dr. Fielitz zu schreiben, die meine Begeisterung für Shakespeare im Studium erst entfacht hat. Durch ihre Kompetenzen und Kenntnisse habe ich ein Thema wählen können, das meine drei Studienfächer vereint. Mein Dank gilt ebenso Frau Prof. Dr. Marion Schmaus, welche bereitwillig die Zweitbegutachtung übernommen und durch ihre äußerst wertvollen Anregungen zur Überarbeitung der Dissertation einen entscheidenden Beitrag geleistet hat.
Für das Korrekturlesen einiger längerer Passagen dieser Arbeit und den damit verbundenen Austausch bin ich meiner hilfsbereiten Kollegin und guten Freundin Marzena Siemon zu besonderem Dank verpflichtet. Darüber hinaus danke ich aus meinem Salemer Kollegenkreis insbesondere Sabine Jasny für viele produktive Gespräche und Dieter Plate für die Überlassung bedeutsamer Forschungsliteratur. Auch danke ich Cord Siemon für eine methodische Diskussion und seine kritischen Nachfragen zu einigen Textstellen im Einleitungs- und Schlussteil. Mein aufrichtiger Dank gilt auch Paul A. Cantor von der University of Virgina, der leider viel zu früh verstorben ist, für dessen wertvolle und prägende Impulse. Claudia Suchatzki danke ich für die gemeinsame Freude an verschiedenen Theaterbesuchen und ihre bereichernden Buchgeschenke, ebenso Werner Hoppe für seine weisen Ratschläge und die Bestärkung in meinen Vorhaben. Durch seine Förderung und die von Andrea Sajak wurde mein Interesse für Literatur und Philosophie früh geweckt. Besonders herzlich danke ich Anke Mengert, Tanja Reinhardt, Katrin Becker und Kerstin Neis für die private Abwechslung, die manchmal gerade recht gekommen ist. Last but by no means least möchte ich der Carl und Charlotte Schott Stiftung für ihren großzügigen Zuschuss zu den Druckkosten meinen tiefen Dank aussprechen.
Mit Shakespeare: „I can no other answer make but thanks, and thanks, and ever thanks!“
Schloss Spetzgart (Überlingen), 30.10.2024Dustin Benett Runkel
Inhaltsverzeichnis
Vorwort Shakespeare und das republikanische Signum Europas
2. Shakespeares Ideengeber – Politik und Politische Philosophie im frühneuzeitlichen England
2.1 Die Antike: Staatsphilosophien der Griechen und Römer
2.2 Die Neuzeit: Renaissancehumanismus und (Anti-)Machiavellismus
3. Analyse des politischen Ideenguts in Shakespeares Werk
3.3.1 Shakespeares machiavellistische Könige Henry IV und Henry V
3.5 „[N]ew heaven, new earth“ – Liebe als (a-)politische Kraft in Antony and Cleopatra
3.8 Fazit – Shakespeare zwischen Monarchie und Republik
4.1 Eine kopernikanische Wende des Denkens – die Makroepoche der Aufklärung
4.1.1 Gotthold Ephraim Lessing als erster „deutscher Shakespeare“
4.1.2 Der Kaufmann von Jerusalem – Lessings Toleranzvision in Nathan der Weise (1779)
4.2 Habe Mut, Deinen Gefühlen zu folgen – der Sturm und Drang auf dem Weg zu „poems unlimited“
4.3 Zurück zu Maß und Mitte – der Weimarer Klassizismus
4.3.4 Krieg und Frieden in Die Jungfrau von Orleans (1801) – die Marseillaise Schillers
4.4 Krieg den Monarchen in ihren Palästen – Staats- und Politikkritik im Werk Georg Büchners
4.4.1 Danton’s Tod (1835) – wenn die Revolution ihre eigenen Kinder frisst
4.4.2 Woyzeck (1879) oder Les Misérables einer hessischen Garnisionsstadt
4.4.3 Leonce und Lena (1836) – die politisch-revolutionäre Funktion des (Ver-)Lachens
4.5 Die politische Shakespeare-Rezeption bei Bertolt Brecht – Ausblick auf die Moderne
4.5.1 Brechts politische Theatertheorie – der (neue) Galilei der Ästhetik
4.5.2 Rezeptionsspuren von Shakespeares Werken in Brechts Stücken
5. Ergebnisse der komparatistischen Gegenüberstellung – „Deutschland ist Shakespeare!“
Vorwort – Shakespeare und das republikanische Signum Europas
„Europa ist ein Kunstprodukt, ein Artefakt, das angemessen behandelt werden muss“ (Wertheimer 2020a, 9)1 – im Jahr 2024 ist es so fragil, wie schon lange nicht mehr. Wenn am Ende von Der gute Mensch von Sezuan im Stil von Morus’ Utopia (1516) die vage Vorstellung einer besseren Welt entworfen wird, kommt es nicht nur zu einem nostalgischen Rückbezug auf die aufklärerische Fortschrittsidee, sondern auch zu einem Appell an die Rezipienten, diesen ersehnten Zustand herbeizuführen oder wenigstens die „Brücke zu schlagen“ (Ueding 1995, 141). Damit ist das Erbe, welches es im 21. Jahrhundert anzutreten gilt, unmissverständlich benannt. Um eine solche Welt zu schaffen, können Impulse von Shakespeare und seinen politisch engagierten (deutschen) Nachfahren aufgegriffen werden. Cassius’ Sichtweise, dass die Verantwortung nicht in den Sternen, sondern bei uns selbst liege, teilen alle in dieser Studie behandelten Schriftsteller, z. B. Schiller expressis verbis in Die Braut von Messina (vgl. V. 344ff.) oder Brecht im Arturo Ui (vgl. Bild 15) sowie im Guten Menschen (vgl. Bild 8).
In Zeiten von Klimakatastrophen, Energiekrisen, Rechtsrucken, europäischen Kriegen und zahlreichen anderen Konfliktherden ist es bedeutender denn je, sich diese Botschaft bewusst zu machen. Shakespeares hier behandelte Werke stehen mit ihren politischen Ideen, bspw. der Säkularisierung oder der Gewaltenteilung, für den europäischen Wertekosmos resp. den in der Neuzeit aufkommenden Gedankenstrom der westlichen Zivilisation, an dem spätere Autoren immer wieder gerührt haben, z. B. an dem Liberalismus. Die deutschen Literaten haben den Begriff der Republik weiter demokratisiert. Ihre Bestrebungen münden 1949 in der Gründung der Bundesrepublik Deutschland als freiheitlich-demokratischer, sozialer Rechtsstaat. Die Republik bzw. (parlamentarische) Demokratie ist de facto zur Signatur des europäischen Westens geworden – gerade die Corona-Zeit hat mit ihren Demonstrationen und Ausschreitungen gezeigt, wie schnell große Teile der Gesellschaft zu Gewalt neigen, wenn sie sich ungehört und ausgeschlossen fühlen. Die Demokratie ist es also, die Europas Identität ausmacht, und sie ist es, die insbesondere in Krisenzeiten geschützt werden muss.
Zwar vermag es das Mantra einer „europäischen Wertegemeinschaft“ nicht, den „Flickenteppich“ (Wertheimer 2020a, 12) Europa, so das gängige Emblem, zusammenzubinden, aber durchaus gelingt dies den einzelnen fein verwebten Fäden der europäischen Kulturen. Das republikanische Gedankengut bildet das gemeinsame Muster über alle kulturellen Teilsysteme hinweg.
Die Stücke des Jahrtausenddichters Shakespeare werden an verschiedenen Orten in Europa gespielt, gleichwie die Werke Goethes oder Schillers. Es ist genau dieser permanente interkulturelle Transfer, durch den England ein Teil Europas bleibt, wenn auch nicht im institutionalisierten Verständnis der Europäischen Union. Dank der ins Pantheon der Kulturgeschichte eingegangenen literarischen Werke werden einzelne Denkbilder erst in ihrer Genese nachvollziehbar. Wie in Shakespeares Renaissance sollen deshalb in dieser Studie „Drähte zwischen dem Gestern und Heute“ (ebd., 186) gespannt werden; Kultur ist schließlich „nicht nur Gegenwartsereignis, sondern Zeitkonglomerat, archäologische Schichtung“ (ebd., 157), in der sich wertvolle Ideen, Gefühle oder Erfahrungen sedimentieren, die wiederum die Grundlage bilden, auf der Gegenwart und Zukunft gestaltet werden. Indem die Kunst sowohl räumliche als auch zeitliche Grenzen zu sprengen vermag, wird Europa ein „gewaltiger Klang- und Resonanzraum“ (ebd., 279).
Vor diesem Hintergrund können interdisziplinäre Ansätze dazu beitragen, Europa wieder näher zusammenzubringen, seine vielfältigen Kulturen zu explorieren, seine kommunikativen Fähigkeiten zu stärken und die zur Meinungsbildung anregende Polyphonie im Orchester der Kulturen – eine Stärke dieses Kontinents – fruchtbar zu machen. Europa steht seit den Dialogen Platons für Kommunikation, Kritik und Reflexion (vgl. ebd., 330); es steht seit dem antiken Drama mit seinen kunstvollen Streitgesprächen für eine hochwertige Streitkultur, die Kompromisse aushandelt und auf Konsens zielt und dabei imstande ist, Widersprüche auszuhalten.
Shakespeare demonstriert in seinen Tragödien die fatalen Folgen des Sturseins, um für gedankliche Flexibilität zu plädieren. Damit Europas altehrwürdige Qualitäten erhalten bzw. verbessert werden können, sind einzelne scharf gezogene Grenzen – sowohl disziplinär als auch topographisch – zu überwinden. Wie progressiv ein solch offener und wertschätzender Dialog der Kulturen wirken kann, vermag vielleicht die vorliegende Studie zum republikanischen Gedankengut in Shakespeares Œuvre und zur politischen Rezeption in Deutschland partiell zu belegen.
1. Einleitung: „The fault […] is not in our stars/But in ourselves“ (Julius Caesar, I.2.140f.) – literarische Konzepte von Herrschaft und Politik
Seit Ende der 1970er Jahre gibt es ein wieder erstarktes interdisziplinäres Interesse an Shakespeares Gesamtwerk und dessen politischer Dimension, und dies nicht nur in der anglistischen Literaturwissenschaft, sondern vor allem auch in anderen Fachdisziplinen. De facto gilt für seine Stücke: Die Politische Philosophie ist „the proper beginning for the elaboration of the comprehensive framework within which the problems of the Shakespearean heroes can be viewed“ (Bloom 1964, 4).2 Der Literaturwissenschaftler John E. Alvis hat gemeinsam mit dem Politologen Thomas G. West Pionierarbeit geleistet, als sie 1981 die Essaysammlung Shakespeare as Political Thinker herausgegeben haben. Inzwischen wird der Barde weitgehend als ein solcher anerkannt.3 Seine literarisch verarbeiteten Gedanken finden sogar Eingang in Darstellungen der politischen Ideengeschichte, z. B. bei Ottmann (2006).4 In der heutigen Zeit ist ebenjene politische Lesart von Shakespeares Werken abermals von größter Aktualität, lässt sich doch auf die sog. Flüchtlingskrise 2015/16 und die Corona-Politik zurückblicken, welche bisweilen zu Radikalismus und Extremismus geführt haben. Auch militärische Krisen wie die Einnahme Afghanistans im Sommer 2021, der Krieg in der Ukraine seit Februar 2022 oder der seit 2023 mit dem Terrorangriff auf Israel zunehmend eskalierende Nahostkonflikt haben die Menschen weltweit beschäftigt. Ebenso beginnen neue Regierungszeiten, z. B. mit der amerikanischen Präsidentenwahl 2024, die mit verschiedenen Hoffnungen und Befürchtungen verbunden sind. Außerdem – mit Blick auf das Heimatland des schöpferischen Genies – sind die wirtschaftlichen und bürokratischen Folgen des Brexits deutlich zu spüren, ebenfalls die immer stärker werdenden republikanischen Tendenzen nach dem Tod Elizabeths II am 08.09.2022. Wenn Stephen Greenblatt in Tyrant (2018) Parallelen zwischen Shakespeares Herrscherfiguren und modernen „Tyrannen“ wie Trump, Erdogan oder Putin herzustellen versucht5 und die deutsche Shakespeare-Gesellschaft „Shakespeare und Politik“ als Leitthema ihrer Jahrestagung im Herbst 2021 bestimmt, wird eines evident: In Zeiten politischer Irrungen und Wirrungen ist schon immer auf die großen Dichter und Denker unserer Kulturgeschichte zurückgegriffen worden. Die Auseinandersetzung mit jenen Stücken ermöglicht es bis heute, überzeitliche Einsichten in die Funktions- und Organisationsweise von politischen Systemen zu gewinnen, die eigenen Möglichkeiten in einem fiktionalen Handlungsspielraum zu eruieren und so eine Orientierung für das Tun zu gewinnen – ganz im Sinne des der Einleitung vorangestellten Zitates aus Julius Caesar. Wahrlich eignet sich für jenen politischen (Selbst-)Bildungsprozess niemand besser als der zu Recht als „Political Thinker“ bezeichnete William Shakespeare (1564–1616).
Mit der vorliegenden Dissertation wird keineswegs prätendiert, das politische Gedankengut in Shakespeares Opus vollumfänglich herauszuarbeiten oder gar dessen Stücke umfassend zu analysieren und interpretieren; die einzelnen Werke werden vielmehr aspektorientiert untersucht, um einige bedeutsame politische Ideen zu abstrahieren. Der Schwerpunkt wird dabei auf die antimonarchischen und republikanischen Gedanken in Shakespeares Werk gelegt.6 Die Texte sind so ausgewählt worden, dass sie aus verschiedenen Schaffensphasen des Dramatikers stammen und in der Literaturkritik gemeinhin unterschiedlichen Gattungen zugeordnet sind, um möglichst differenzierte Antworten aus der Lektüre zu generieren.7 Gerade die Genrevielfalt ist vonnöten, um nicht die beachtliche Multiperspektivität und -dimensionalität, mit der sich Shakespeare der Frage: „Monarchie oder Republik?“ nähert, zu nivellieren.8 Denn zweifelsfrei vorhandene gattungseigentümliche Konzeptionen von Herrschern, Staatsformen und Regierungssystemen dürfen mitnichten generalisiert, gar unzulässigerweise als „pars pro toto“ für die Gesamtheit von Shakespeares Politikverständnis gewertet werden. Dies wäre wahrlich ein Affront gegen die Tiefe und Differenziertheit seines dramatisch-rhetorisch eingekleideten politischen Ideenguts, das, wie die vielfältigen Schauplätze suggerieren, „permanent und universal“ (Burns 2013, 2) ist.
In seinen Dramen setzt sich Shakespeare mit Machtstrukturen im Kontext der Staatsformendiskussion, mit Machtbeziehungen zwischen weltlichen und geistlichen Institutionen, mit der Abwägung von individueller Freiheit und staatlicher Machtbefugnis sowie der grundsätzlichen Frage nach der Rechtfertigung des staatlichen Machtmonopols auseinander. Macht wird in der vorliegenden Arbeit traditionell politisch-sozial nach Weber (1976, 28) definiert: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“ Eine Herrschaftsform wird hier nach der Person oder Gruppe, welche die Herrschaft ausübt und die politische Macht innehat, bestimmt, z. B. herrscht in der (absoluten) Monarchie eine meist von Gott autorisierte Einzelperson. Konkret leiten drei zentrale Fragen das Erkenntnisinteresse:
- Auf welche politischen Ideengeber – außerhalb der ideologischen Horizonte seiner Zeit – nimmt Shakespeare Bezug? Ferner: Lässt sich durch diese ideengeschichtliche Rekonstruktion das Bild des orthodoxen Shakespeares aus der historisierenden Literaturkritik dekonstruieren?
- Welche politische Tendenz – oder gar Vision für die Zukunft Englands – kann aus den dramatischen Werken Shakespeares abgeleitet werden, insbesondere aus der Darstellung der absoluten Erbmonarchie sowie antiker Staatsformen (z. B. der römischen Republik) und deren zeitgenössischer „Renaissance“ (bspw. in Form der modernen Handelsrepublik Venedig)?
- Inwiefern kann der im 18. Jahrhundert beginnende (und bis heute andauernde) Shakespeare-Enthusiasmus in Deutschland über das politische Ideengut (vor allem die republikanischen Ideen) in dessen Stücken begründet werden?
Den ersten beiden Fragen wird in Hauptteil I nachgegangen, der letzten in Hauptteil II. Beiden Teilen liegt eine eigene Oberthese zugrunde. Die These, welche für den ersten Teil der Arbeit leitend ist, lautet: Grundsätzlich stellt Shakespeare, der eher Praktiker als Theoretiker ist,9 in seinen Dramen unterschiedliche politische Regime mit ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen dar. Er präsentiert dabei die Monarchie als eine der geeignetsten Staatsformen, sieht aber durchaus deren Defizite. So entwickelt er die Idee, die Monarchie zu modifizieren, indem sich am Vorbild der römischen Republik orientiert werden soll, insbesondere an deren Mischverfassung, oder an dem Modell der modernen Handelsrepublik. In diesem Kontext wird ersichtlich, dass Shakespeare gewiss noch kein Demokrat ist, aber durchaus die republikanische Signatur unseres europäischen Westens mitgeprägt und dazu beigetragen hat, die orthodoxen Vorstellungen seiner Zeit (z. B. zur monarchischen Souveränität) zu dekonstruieren. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass England ca. 30 Jahre nach seinem Tod zu einer Republik geworden ist. So lautet die These für Teil II, dass Shakespeare in Deutschland auch (oder gerade) enthusiastisch rezipiert worden ist, weil sein republikanisches Gedankengut das kritische Interesse der Zeit getroffen hat. Die Idee des Gottesgnadentums wird in der Aufklärung verabschiedet, und republikanische Gedanken sind in dieser Epoche virulent. Shakespeare begleitet damit die Literatur in den verschiedenen Krisen- und Umbruchzeiten und bereitet so den Weg Deutschlands zum Nationalstaat, der später in die Demokratie geführt wird.
Die leitende These für Teil I ließe sich in mehrere Unterthesen auffächern, und der Argumentationsstrang sowie die Ergebnisse können wie folgt zusammengefasst werden:
- Zunächst wird in Shakespeares Werken eine antike Anthropologie aufgegriffen, da
- der Mensch aristotelisch als „gemeinschaftsbezogenes Lebewesen“ („Zoon politikon“), das in einer kleinen Polis beheimatet ist, definiert und der Naturzustand über Zivilisation bestimmt wird, während gleichzeitig eingeräumt wird, dass das Leben – anders als in der frührömischen Republik – mehr sein muss als nur Politik, da es sonst von zu vielen Entbehrungen gekennzeichnet ist (z. B. mit Blick auf Liebe und Erotik)
- in der politischen Tätigkeit im Staat die Möglichkeit der menschlichen Selbstoptimierung gesehen wird, ohne zu bestreiten, dass Herrscher zumeist unglückliche Menschen sind
- die Auffassung geteilt wird, dass das jeweilige Regime die Menschen, die unter diesem leben, prägt (Spannungsfelder: Monarchie/Republik, Polis/Weltreich).
- Vor dem Hintergrund der Anthropologie des „Zoon politikon“ wird die Notwendigkeit einer Staatsform – entgegen libertärer oder gar anarchistischer Denkweisen – bei Shakespeare konstatiert. Es schließt also die Frage an, wie die Menschen friedlich und harmonisch zusammenleben können. Das demokratische Staatsmodell wird jedoch abgelehnt, da das Volk in den Massenszenen überwiegend als gedankenlos, korrupt, manipulierbar und unzuverlässig dargestellt wird. Die Monarchie wiederum wird grundsätzlich zwar als geeignete Staatsform bewertet, die christliche absolute Erbmonarchie wird aber kritisiert, denn
- sie löst zumeist das Problem der Sukzession, ist jedoch – anders als die Wahlmonarchie – kein Garant dafür, dass der Thronfolger auch geeignet, d. h. pragmatisch und effizient ist (wie schon Aristoteles in seiner Verfassungslehre beleuchtet)
- die dahinter stehende tradierte staatsphilosophische Idee des Gottesgnadentums überzeugt nicht mehr, das Königtum wird zunehmend demystifiziert, sodass erkennbar wird, dass der König auch nur ein Mensch ist
- eine absolute Monarchie kann sich gemäß Platons Staatsformenlehre potentiell aufgrund der unbegrenzten Machtfülle des Regenten in eine Tyrannis verwandeln, weshalb dem Volk ein Widerstandsrecht zugebilligt wird, wenn das herrschaftliche Handeln vom Begehren des Potentaten und nicht mehr vom Allgemeinwohl geleitet wird und gegen jedwedes Recht verstößt (Ablehnung des Alleinherrschertums und Befürwortung einer gemischten Souveränität)
- gegenüber dem Absolutismus werden erste liberale Prinzipien stark gemacht, schließlich gilt der Mensch in der Philosophie der Renaissance (z. B. bei Pico della Mirandola)10 als frei, selbstbestimmt und vernunftbegabt.
- Bei der näheren Auseinandersetzung mit der Monarchie als Staatsform nimmt der Barde – anders als in den Römerdramen – vor allem eine personalisierte Sicht auf Politik ein, d. h., er arbeitet unterschiedliche Qualitäten eines Monarchen heraus, die bisweilen von der (christlichen) Fürstenspiegelliteratur seiner Zeit abweichen, z. B.
- muss der König (machiavellistischer) Realpolitiker, Rhetor, Philosoph und Schauspieler zugleich sein, womit Shakespeare Platons Konzept des „Philosophenkönigs“ erweitert; vor allem sollten Thymos und Logos in Allianz herrschen
- sollte er sich der transpolitischen Perspektive des Christentums auf die Politik bewusst sein, da es aufgrund seiner Jenseitsorientierung eine politische Passivität begünstigt; aus diesem Grund sind antike und alttestamentarische Tugenden (z. B. martialische Tapferkeit) zu fördern; gerade der Monarch sollte militärisch stark sein und christliche sowie antik-klassische Ethiken vereinen (also ein „römischer Caesar mit Christi Seele“ werden)
- muss er lernen, in Friedens- und Kriegszeiten situationsadäquat Politik zu betreiben, vor allem in Hinblick auf den klugen Umgang mit Kriegshelden (nach Art des Earl of Essex) in Friedenszeiten, von deren „māgnanimitās“ die Staatsgemeinschaft in Krisenzeiten abhängig ist
- sollte er versuchen, die Kirche unter die nationale Souveränität zu stellen, wenn schon eine Rückkehr zur Zivilreligion nicht mehr möglich ist; so muss er mit dieser nicht um die Loyalität des Volkes konkurrieren, die er vor allem gewinnt, wenn er Kontakt zu den Menschen hat, also im Sinne einer Mischverfassung eine „populare Politik“ betreibt (ohne die aristokratische Perspektive zu verlieren)
- sollte er ebenso in einem feudalen System die „barons“/„lords“ hinter sich versammeln, sodass er mit diesen genauso wenig um die Treue des Volkes buhlen muss, denn nur dessen ungeteilter Gehorsam kann Bürgerkriege verhindern
- sollte er stets tüchtig sein und dem Land dienen wollen, wobei er „Nation Building“ betreibt, also nach einer modernen Nation, einem Vereinigten Königreich, strebt
- sollte er den (anarchischen) Energien und Leidenschaften der jungen Menschen Raum bieten und sie konstruktiv nutzen, bevor sie destruktiv wirken und z. B. innere Auf- oder Widerstände herbeiführen, welche die Ordnung bedrohen
- muss ein König klug mit dem Ehrgeiz seiner Standesgenossen umgehen, z. B. indem er deren Verdienste angemessen würdigt, bevor sich Verschwörungen bilden
- sollte er seine familiäre Rolle (z. B. als Vater oder Ehemann) von seinem Königsamt trennen
- darf er trotz Schmeichler und Intriganten den Zugang zur Wahrheit nicht verlieren.
- Für die Ablehnung der Hofkultur (mit all ihren Bräuchen und Sitten) wird in Shakespeares Werken zwar nicht plädiert, aber durchaus dafür, dass die Konventionen natürlicher werden müssen. In diesem Kontext wird insbesondere die (politische) Macht der Liebe untersucht,
- denn sie kann die Menschen zwar harmonisch zusammenbringen, setzt der Politik zugleich aber Grenzen, sie entzieht sich sogar der politischen Kontrolle
- weil – inspiriert von dem antiken Liebesbegriff – die Liberalisierung der Begierden befürwortet wird, da ein christlicher Absolutismus (z. B. das Keuschheitsgebot) die Zeugung von Nachkommen erschwert; indem das Christentum mit seiner Jenseitsvorstellung innerweltliche Liebesbeziehungen transzendiert, wird der Fortbestand der Gesellschaft zusätzlich gefährdet, sodass die „courtly love“ (z. B. durch die Ehe) zu zivilisieren ist
- Shakespeare kritisiert aber nicht bloß die Monarchie und das Leben am Hof, sondern bietet auch ein politisch-staatliches Alternativmodell an – er ist nicht nur destruktiv, sondern auch konstruktiv. So wird in seinem dramatischen Werk die Idee fassbar, die Monarchie umzugestalten, indem republikanische Ideen implementiert werden (wie die Mischverfassung). Als Vorbild fungieren die zivile, militärische und pagane römische Republik sowie die moderne Handelsrepublik (z. B. in Venedig), da
- sie eine Mischverfassung aufweisen, in der idealerweise Logos und Thymos herrschen und selbst der Eros, welcher potentiell mit einer politischen Passivität und Verantwortungslosigkeit einhergeht, produktiv genutzt wird
- die Politik hier popular-demokratische Elemente (z. B. die Tribune) enthält
- durch die Gewaltenteilung ein Umschlag in die Tyrannis verhindert wird
- in der frührömischen Zivilgesellschaft eine hohe politische Partizipation und eine aktive Orientierung aller Bürger am Kollektivwohl („general welfare“) erreicht wird, z. B. durch die adäquate Würdigung von Verdiensten für das Land (bspw. durch die Verteilung von Ämtern), wodurch der Ehrgeiz und das Temperament aller Bürger auf politisch fruchtbare Weise kanalisiert werden
- sie ein recht friedlich-tolerantes Zusammenleben (auf Basis von Kommerz) in multikulturellen resp. diversen Gesellschaften (mit Muslimen und Juden) ermöglichen, weil Kosmopolitismus eine Voraussetzung für einen weltweit florierenden Handel ist und die Handelsrepublik schließlich keine Kriegsgesellschaft ist, weswegen sie zum Zweck der Wehrhaftigkeit ausländische Soldaten anheuern muss; die nationale Einheitsbildung stellt den jeweiligen Herrscher dabei vor das Problem der Sprengkraft von kultureller Vielfalt.
Um die Thesen zu verifizieren, werden in der vorliegenden Arbeit zunächst die Römerdramen von der neu gegründeten kleinen Republik in Coriolanus (ca. 1609)11 bis hin zum großen Weltreich der beginnenden Kaiserzeit in Antony and Cleopatra (ca. 1606/07), untersucht. Shakespeare erforscht in dieser Werkgruppe die Ursachen für den Erfolg und Niedergang des politischen Systems Roms, wobei er detailliert einzelne Institutionen analysiert. Obendrein vollzieht er am Beispiel der Entwicklung von der Republik zum Imperium Romanum das Phänomen nach, dass ein bestimmtes Regime die Lebensweise derer, die unter diesem leben, prägt – eine straussianische Grundannahme.12
Der erste Teil der Dissertation beginnt mit einem Kapitel zu Coriolanus (3.1), in welchem die militärisch-politischen Prinzipien und Werte der römischen Republik erarbeitet werden, die Shakespeare offenbar partiell zu einer Vision von England als einer Republik angeregt haben. Die neuen Möglichkeiten, die sich im Römischen Reich vor allem auf erotisch-sinnlicher Ebene den Menschen eröffnen, werden anhand von Antony and Cleopatra (ca. 1607) im Kapitel 3.5 thematisiert, das die Liebe in einen politischen Kontext stellt. Julius Caesar (ca. 1599) wird im Zusammenhang mit dem Widerstandsrecht beleuchtet (3.4), da die Entscheidung für oder gegen den politischen Mord an dem Staatsmann die Zukunft Roms bestimmt. Ein Seitenblick auf die Verserzählung The Rape of Lucrece (ca. 1594) am Ende desselben Kapitels verdeutlicht die Entstehungsbedingungen der Republik, mit der die Hoffnung verbunden gewesen ist, ein gegen tyrannische Willkürherrschaft immunisiertes System geschaffen zu haben.
Darüber hinaus wird die sog. Zweite Tetralogie der Historien in den Blick genommen. In ihr porträtiert der britische Dichter drei englische Könige und deren Politiken. Dabei zeichnet er den Übergang von der Monarchie des mittelalterlichen Feudalismus zum modernen zentralisierten Königtum nach. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung werden der Ursprung, die Legitimität und die Funktionen von politischer Macht am Beispiel des Hauses Lancaster herausgearbeitet. Aus dem Vergleich zwischen Richard II (ca. 1595), Henry IV (1) (ca. 1597) und Henry V (ca. 1599/1600) lässt sich abstrahieren, was für Shakespeare einen effizienten „statesman-king“ (Ellis-Fermor 2005, 99) auszeichnet. An dieser Stelle werden signifikante Parallelen zu Machiavellis Idealfürsten aufgezeigt. Der italienische Philosoph orientiert sich in seiner Theorie bezeichnenderweise am Vorbild der römischen Republik und deren paganer Moral.
Da nicht nur in Richard II, sondern auch in King Lear (ca. 1605) die Spannung zwischen Natur und Konvention tragisch inszeniert wird, werden diese Stücke in einem Kapitel (3.2) zusammen behandelt. Auf diese Weise kann das Verhältnis der menschlichen Natur zur politischen Ordnung genauer untersucht und das Verständnis der Henry-Dramen, denen das Folgekapitel (3.3.1) gewidmet ist, vertieft werden. Um sich des Missverständnisses zu erwehren, dass Henry IV und Henry V unter dem verflachten Charaktertyp des skrupellosen Herrschers nach Machiavelli’schem Vorbild, dem „Machiavel“, subsumiert werden können, schließt dieses Kapitel mit einer Deutung der ruchlosen Iago-Figur, einem Bühnenteufel (3.3.2). Überdies erfährt in Othello (ca. 1603/04) der Republikanismus eine Renaissance, und zwar in der Form der modernen Handelsrepublik. So lassen sich in diesem Kapitel die antike römische Republik sowie die englische Monarchie der Organisationsform Venedigs gegenüberstellen (vgl. Cantor 2017b, 197)13 und sowohl Vorzüge als auch Defizite der jeweiligen Staatsformen extrahieren. Es wird erkennbar, dass die (Handels-)Republik von dem Dramatiker als eine genuine Alternative zur Monarchie dargestellt wird. Besonders der hohe Grad an Partizipation am politischen Leben, die hiermit verbundene Vitalisierung des Gemeinwesens und die Förderung des Allgemeinwohls werden als Stärken dieser Staatsform akzentuiert; durch das Aufzeigen eines verengten Toleranzbegriffs weist der Literat zugleich aber auch auf die Grenzen jenes Systems hin.
Details
- Seiten
- 492
- ISBN (PDF)
- 9783631925867
- ISBN (ePUB)
- 9783631925874
- ISBN (Hardcover)
- 9783631925850
- DOI
- 10.3726/b22290
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2025 (Mai)
- Schlagworte
- Europa Renaissance Frühe Neuzeit Komparatistik Rezeption politisches Theater Brecht Büchner Schiller Goethe Shakespeare politische Literatur Republik Monarchie
- Erschienen
- Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, New York, Oxford, 2025. 492 S.
- Produktsicherheit
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