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Zur individuell-subjektiven Prägung der Bedeutung am Beispiel ausgewählter Ess- und Trinkwaren

von Jolanta Mazurkiewicz-Sokolowska (Autor:in)
©2016 Monographie 347 Seiten

Zusammenfassung

Die Autorin greift die These des Hauptvertreters der Kognitiven Grammatik, Ronald Langackers über «die Bedeutung als Konzeptualisierung» auf. Die empirische Studie zeigt die Vielfalt und Verschiedenheit der Konzeptualisierungs- und Bedeutungsinhalte, die die ProbandInnen mit alltäglichen Ausdrücken verbinden und bietet einen Einblick in «die mentalen Welten» einzelner Menschen. Die introspektiv-intersubjektive Methode erlaubt es, die Domänen auszusondern, die im Laufe der Konzeptualisierungs- und Bedeutungsbildungsprozesse eröffneten mentalen Räume nachzuvollziehen sowie die repräsentationale und prozessuale Seite der Bedeutung mit zu beleuchten.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • 1. Grundprämissen
  • 1.1 Das Konzept der ‘erfahrungsbasierten Kognition’
  • 1.2 Repräsentationale und prozessuale Dimension kognitiver Organisation
  • 1.3 ‘Kognitive Domänen’ und ‘mentale Räume’ als Repräsentationsformate
  • 1.4 Zum Wesen und zur Rolle der Emotionen und Gefühle
  • 1.4.1 Hintergrundemotionen, primäre und soziale Emotionen
  • 1.4.2 Das Konzept der Homöostase
  • 1.4.3 Zur Differenzierung zwischen Emotionen und Gefühlen
  • 1.5 Zum Problemkomplex um Emotionalität, Selbstkonzept und Selbstwirksamkeit
  • 1.6 Zur Rolle der neuronalen Spiegelungen und der Intersubjektivität
  • 1.7 Implikationen für die nachfolgenden Erörterungen
  • 2. Zum Wesen der menschlichen Sprachfähigkeit und Sprache als mentaler Größen
  • 2.1 Bezug auf die Bedingung der mentalen Realität
  • 2.2 ‘Sprache und Bedeutung als Konzeptualisierung’
  • 2.3 Emotionen in der Sprache und im sprachlichen Verhalten des Menschen
  • 3. Überlegungen zum Gegenstand einer komplexen funktionalen kognitionsorientierten Sprachtheorie und zu den methodologischen Schwierigkeiten
  • 3.1 Gegenstand einer komplexen funktionalen kognitionsorientierten Sprachtheorie
  • 3.2 Methodologische Schwierigkeiten
  • 4. Ausgewählte Ausdrücke aus der Domäne der [Ess- und Trinkwaren] als Impulse zum Einblick in die mentalen Welten – eine empirische Studie
  • 4.1 Personen
  • 4.2 Ziele
  • 4.3 Material und Methode
  • 4.4 Ergebnisse
  • 4.5 Auswertung der Ergebnisse
  • 4.5.1 Domänenaussonderung und Konzeptualisierungszuordnung
  • 4.5.2 Domänenzentriertheit und die frequentesten Konzeptualisierungen
  • 4.5.3 Domänen- und Konzeptualisierungstaxonomien
  • 4.5.4 Überblick über die konzeptualisierten Bedeutungsinhalte der analysierten Ausdrücke
  • 4.5.5 Die emotionale Prägung der Ausdrücke und Bedeutungsinhalte
  • 4.5.6 Konklusionen
  • Schlusswort
  • Literatur
  • Tabellenverzeichnis

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Einleitung

Sprache als mentales Phänomen funktioniert in der Linguistik bereits über eine Jahrhunderthälfte. Seit der von Chomsky aufgeworfenen Frage nach der mentalen Organisation der Sprache auf interdisziplinären Konferenzen zu Problemkreisen der Linguistik und Psychologie Anfang der 50er Jahre des 20. Jhs.1 und seinem ersten Versuch der Lösung dieser Frage in dem Werk „Syntactic structures“ aus dem Jahre 1957 entstehen unzählige Arbeiten, in denen diesem Phänomen von verschiedenen Perspektiven nachgegangen wird. So teilt sich die kognitive Linguistik, die im weiten Sinne die mentalen2 Fragen der Sprache erforscht, in die generative, formale, mit Chomsky als Hauptvertreter, und die kognitive im engen Sinne, erkenntnisbezogene und funktionalorientierte, die in Opposition zu einander stehen (vgl. Taylor 2002). In der letzten finden sich: Metapherntheorie (Lakoff, Johnson 1980), Theorie der mentalen Räume (Fauconnier 1985, Fauconnier, Turner 1998, 2002), Kognitive Grammatik (Langacker 1987, 1991), Konstruktionsgrammatik (Fillmore 1988), Begriffssemantik (u.a. Wierzbicka 1996, Talmy 2000a, b, Tyler, Evans 2003), pragmatische Diskursanalysen (u.a. Hopper, Thompson 1980, Chafe 1994, Lambrecht 1994, Verhagen 2005), Untersuchungen zur Grammatikalisierung (u.a. Traugott 1982, Heine 1997), vergleichende typologisch-universelle Arbeiten (u.a. Croft 1990, Talmy 1991, Haspelmath 1997) (Überblick nach Langacker 2009: 22).

Mit der Sprache als mentalem Phänomen verbinden sich neben den allgemeinsprachtheoretischen auch Spracherwerbs- und Sprachverarbeitungsfragen theoretischer und empirischer Art. So gehören in den Bereich der kognitiven Linguistik im weiten Sinne auch psycholinguistisch (u.a. Szuman 1955, Piaget 1966, Kurcz 1976, 1987, 2000, Rayner 1978, Frazier 1979, Grimm, Engelkamp 1981, Hörmann 1981, 1994, Aitchison 1994, Pinker 1994, 1997, 2000, Dietrich 2002, Rickheit et al. 2003, Sadownik 2010, Höhle 2012), neurolinguistisch (u.a. ← 7 | 8 → Friederici 1984, Blanken 1991, Dittmann, Tesak 1993, Höhle 1995, Stemmer, Whitaker 1998, Ahlsén 2006, Gerdes 2008, Müller 2013), soziolinguistisch (u.a. Bernstein 1961, Fishman 1970, Hymes 1972, 1974, Dittmar 1996, Veith 2002, Milroy, Gordon 2003, Meyerhoff 2006, Chambers 2009), pragmalinguistisch (Austin 1962, Searle 1969, Halliday 1970, Rossi 2014), ethnolinguistisch (u.a. Whorf 1956, Wierzbicka 1992, 1996, 1997, 1999, Underhill 2012), biolinguistisch (u.a. Milikan 2005, Bickerton 1981, 2009, 2014, Boeckx 2012, Balari 2013, Sanz 2013) orientierte Ansätze und Arbeiten.3

Sprache als mentales Phänomen bildet also ein komplexes, mehrdimensionales Forschungsfeld, auf dem detaillierte Untersuchungen spezifischer Fragen und Versuche der Erarbeitung einer einheitlichen Sprachtheorie vorherrschen. Die einen und anderen sind trotz der verkündeten Interdisziplinarität nach wie vor stark disziplinorientiert wie die obige Auflistung der Forschungsrichtungen allein zeigt. Dementsprechend sind auch die bisher vorgeschlagenen Theorien und Ansätze in der jeweiligen Forschungsperspektive stark verankert: in der generativen (Chomsky 1957, 1965, 1981, 1995, Bickerton 1981, Pinker 1994, 1997, 2000), soziokulturellen (Vygotskij 1934/2002), konstruktivistischen (Piaget 1966), kognitiven (Langacker 1987, 1991, Fillmore 1988), interaktiven (Snow, Ferguson 1977, Bates, MacWhinney 1981, Anders 1982 für L1, Long 1980, Hatch 1983 für L2), konnektionistischen (Elman et al. 1997), sozialpragmatischen (Tomasello 2005, 2008).

Dabei scheint gerade bei dem Bestreben nach der Erarbeitung einer einheitlichen Sprachtheorie ein allgemeinkognitionsorientierter, nicht auf die Erkenntnis reduzierter, sondern die Kognitionsleistung übergreifender Blick, notwendig zu sein. Solches Vorhaben setzt allerdings die Zusammenarbeit der VertreterInnen aller genannten Richtungen voraus (vgl. Mazurkiewicz-Sokołowska 2010).

Zu den allgemeinkognitionsorientierten Fragen gehört u.a. das Problem der genetisch vererbbaren bzw. erkenntnisgestützten Sprachfähigkeit, das die Opposition der modularen und holistischen Ansätze zur Folge hat. In enger Beziehung zu diesem Problem stehen: i. das Postulat, in der Sprachtheorie neben der mentalen Repräsentation der Sprache, stärker ihre prozessuale Seite hervorzuheben (u.a. Bartsch 2002), ii. die Auffassung der Kognition selbst (u.a. Bierwisch 1983, Schwarz 1992, 1994, Dölling 1997, 2005) sowie iii. die seit der Jahrtausendwende diskutierte Relation: Kognition – Emotionen (u.a. Schwarz-Friesel 2007).

Das Phänomen der Emotionen, das bis um die Jahrtausendwende in linguistischen Arbeiten kaum angesprochen wird, weil die Emotionen eher als Belastung ← 8 | 9 → der zwischenmenschlichen Beziehungen betrachtet werden, und weil die neurowissenschatlichen Erkenntnisse über die Verflechtung der kognitiven und emotionalen Mechanismen in die Linguistik noch nicht ausreichend implementiert werden (vgl. Schwarz-Friesel 2007: 8–10)4, gewinnt allmählich am Interesse der LinguistInnen. Es findet in Gesprächs- und Diskursanalysen, pragmatisch-kommunikativen, semantisch-lexikalischen, grammatischen, stilistisch-rhetorischen, schließlich, in den kognitiven Ansätzen seinen Niederschlag. Untersucht werden, laut Schwarz-Friesel (2007: 12–14), „Emotionen als das Sprechen begleitende und/oder beeinflussende Phänomen“, „Emotionen als das Potential expressiver Mittel“, „Emotionen als öffentliche Phänomene in Kommunikationssituationen und als Teil der interpersonellen Interaktion“ (u.a. Fiehler 1990, 2002, Caffi, Janney 1994, Kehrein 2002, Drescher 2003, Weigand 2004), „das Emotionsvokabular (…) um Gefühlskategorien zu benennen“, die Zerlegbarkeit „einzelne[r] Emotionslexeme (…) in ihre (mutmaßlich elementaren) Komponenten“, ihre Beschreibung „als kognitive[r] Prototypen oder Szenen“ (u.a. Kövecses 1990, Wierzbicka 1999, Hermanns 2002, Fries 2003, 2004), die Frage, „wie und warum Emotionen bevorzugt durch Metaphern thematisiert und ausgedrückt werden“ (u.a. Heringer 1999, Rössler 2001), die Frage nach „morpho-syntaktischen Aspekten (z. B. Diminutivmorphemen, Interjektionen, Exklamativsätzen)“ (u.a. Fries 1996, Hübler 1998), „Textsorten [mit] den darin enthaltenen verbalen Emotionsmanifestationen“ (u.a. Bamberg 1997), „[k]ognitionswissenschaftliche Fragen nach dem Verhältnis von Kognition, Gehirn und Emotionen“ (Fries 2000). Schwarz-Friesel (2007) resümiert: „Die meisten linguistischen Untersuchungen zum Thema Emotion stellen nach wie vor lexikalische Detailanalysen dar“ (Schwarz-Friesel 2007: 14).

Das Anliegen der vorliegenden Arbeit ist es, auf den bislang kaum berücksichtigten, bereits im Titel angedeuteten Faktor der individuellen und subjektiven Prägung von Sprache5, Spracherwerbs- und Sprachverarbeitungsprozessen, größere Aufmerksamkeit zu lenken und aus der allgemeinkognitiven Sicht Implikationen ← 9 | 10 → für eine funktionale, kognitionsorientierte, komplexe Sprachtheorie darzustellen.

Deshalb konzentrieren sich die theoretischen Ausführungen auf die folgenden, für die Konstituierung einer solchen Sprachtheorie relevanten Probleme: i. des Kognitionskonzeptes, ii. des repräsentationalen und prozessualen Charakters der Sprache, iii. der Relation: Kognition – Emotionen, iv. des Wesens und der Rolle der Emotionen und Gefühle, v. der Rolle der Spiegelneurone, vi. des Wesens der menschlichen Sprachfähigkeit, vii. des Problemkomplexes um Emotionalität, Selbstkonzept und Selbstwirksamkeit des Menschen, viii. der Rolle der Intersubjektivität, um vor diesem Hintergrund den Gegenstand einer übergreifenden funktionalen kognitionsorientierten Sprachtheorie zu skizzieren.

Die nachfolgend präsentierte selbst durchgeführte Studie, in der konzeptualisierte Bedeutungsinhalte, ihre Verbalisierungen und die ihnen zugeschriebenen emotionalen Verbaleinschätzungen und Einschätzungswerte untersucht werden, bildet die Basis für die Rekonstruktion der bei den ProbandInnen abgelaufenen, vermeintlichen, Konzeptualisierungsprozesse und Analyse der prozessualen Seite der Konzeptualisierungen und Bedeutungen mit einer besonderen Hervorhebung deren emotionaler Prägung.

Zum Schluss wird auf die Notwendigkeit der Anerkennung der nicht reliablen Faktoren wie die individuell-subjektive, zugleich emotionale, Prägung der Sprache6, der Sprachprozesse und des sprachlichen Verhaltens des Menschen verwiesen und für deren Berücksichtigung als relevanter Faktoren in einer angestrebten komplexen, funktionalen, kognitionsorientierten Sprachtheorie argumentiert.


1 siehe: Konferenzen in den Jahren 1951 und 1953 in Ithaka (Staat NY) und in Bloomington (Staat Indiana), entsprechend.

2 Mit dem Adjektiv ‘mental’ ist der allgemeine Bezug auf die Kognition gemeint. Es steht für: ‘kognitiv’ im weiten Sinne. Der bereits im Inhaltsverzeichnis benutzte Begriff ‘mentale Realität’ scheint, im Gegensatz zu den oft benutzten Termini: ‘psychologische’ bzw. ‘kognitive’ Realität die Bedingung der hirnfunktionalen Realität am vollkommensten zu erfassen, weil mit ihm die psychischen, kognitiven (im Sinne: erkenntnisbezogenen) und emotionalen sowie die ihnen zugrundeliegenden neuronalen Mechanismen und Prozesse miterfasst werden.

3 Wegen unzähliger Abhandlungen und Beiträge wird hier nur auf ausgewählte einzelne Arbeiten verwiesen, vor allem allgemeine Bearbeitungen und Sammelbände.

4 „Kam der Linguistik in der frühen Phase des Kognitiven Paradigmas eine dominante Rolle bei der Etablierung der Kognitionswissenschaften zu, so hinkt sie nun als Disziplin dem Disziplinenverbund nach, den sie in den 60ern stark beeinflusste und vorantrieb. Mit beharrlicher Resistenz gegenüber den jüngsten Veränderungen in den Kognitionswissenschaften, die zunehmend die Relevanz der neuronalen Basis des Geistes sowie seine Interaktion mit emotionalen Kategorien entdecken, und dem damit verbundenen Wandel des Kognitionsbegriffes steckt insbesondere die theoretische Linguistik den Rahmen ihres Untersuchungsgegenstandes oft noch immer (zu) eng ab (…)“ (Schwarz-Friesel 2007: 10).

5 Sprache als mentale Größe.

6 Gemeint ist die Sprache, als mentale Größe, funktional im individuellen Gebrauch.

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1. Grundprämissen

Details

Seiten
347
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653060706
ISBN (ePUB)
9783653954814
ISBN (MOBI)
9783653954807
ISBN (Hardcover)
9783631669594
DOI
10.3726/978-3-653-06070-6
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Dezember)
Schlagworte
Kognition Sprachfähigkeit Emotionen Spiegelneurone
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 347 S., 118 Tab.

Biographische Angaben

Jolanta Mazurkiewicz-Sokolowska (Autor:in)

Jolanta Mazurkiewicz-Sokołowska ist außerordentliche Professorin am Institut für Germanistik der Universität Szczecin (Polen). Ihre Forschungsbereiche sind kognitive Linguistik, sprachliches Verhalten des Menschen, Erst- und Zweitspracherwerb, Zweisprachigkeit, Konzeptualisierungen und Emotionen in der Sprache.

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