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Einkünfte aus Leistungen nach § 22 Nr. 3 EStG

Eine Untersuchung zum Belastungsgrund der Einkommensteuer

von Florian Wenk (Autor:in)
©2017 Dissertation 359 Seiten

Zusammenfassung

Die Studie untersucht die rechtshistorischen Hintergründe und die Entwicklung der Rechtsprechung zu den sonstigen Einkünften aus Leistungen nach § 22 Nr. 3 EStG. Insbesondere im Bereich der Vermögenssphäre fehlt es an dogmatisch gesicherten Kriterien und kommt es zu häufigen Rechtsprechungsänderungen. Dabei kann der Belastungsgrund des geltenden Einkommensteuerrechts die Auslegung anleiten. Der Autor entwickelt Lösungsansätze für die Falllösung anhand einer intensiven Auseinandersetzung mit den rechtshistorischen Wurzeln der Norm und der bis heute ergangenen Rechtsprechung.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhaltsverzeichnis
  • Kapitel 1 – Einleitung
  • A. Fragestellung
  • B. Gang der Untersuchung
  • Kapitel 2 – Genetische Analyse
  • A. Die Geschichte der Norm
  • I. Reichseinkommensteuergesetz vom 10. August 1925
  • 1. Auszug aus dem Gesetzeswortlaut
  • 2. Die Begründung des Gesetzesentwurfs
  • a) Einschränkung der steuerbaren Sachverhalte
  • b) Dualismus und Ausgabenabzug
  • 3. Resumee
  • 4. Weiterer Gang der Untersuchung
  • II. Vor 1920
  • 1. Überblick
  • 2. Entwicklungen in Preußen
  • a) Erste Gesetze zur Einkommensbesteuerung
  • b) Das preußische Einkommensteuergesetz von 1891
  • aa) Auszug aus dem Gesetzeswortlaut
  • bb) Quellentheoretischer Hintergrund
  • cc) Quellentheorie und das preußische EStG 1891
  • dd) Zwischenergebnis
  • III. Ausgewählte Regelungen in den Einzelstaaten vor 1920
  • 1. Sachsen
  • 2. Überblick über andere Staaten
  • 3. Stellungnahme
  • IV. Das Einkommensteuergesetz vom 29.03.1920
  • 1. Auszug aus dem Gesetzeswortlaut
  • 2. Anmerkung
  • a) Weiterungen durch die Erfassung sonstiger Einnahmen
  • b) Ergänzungen bei Einkünften aus Grundbesitz
  • c) Ergänzungen bei Einkünften aus Arbeit
  • d) Werbungskosten
  • 3. Zwischenergebnis
  • V. Einkommensteuergesetz von 1934 und nachfolgende Entwicklungen
  • 1. Auszug aus dem Gesetzeswortlaut des EStG 1934
  • 2. Gesetzesbegründung
  • 3. Stellungnahme
  • 4. Nachfolgende Änderung
  • 5. Zwischenergebnis
  • B. Ergebnis der historisch-genetischen Untersuchung
  • Kapitel 3 – Belastungsgrund der Einkommensteuer
  • A. Rechtfertigung der Einkommensteuer
  • I. Staatsrechtliche Implikationen bei der Erhebung der Einkommensteuer
  • 1. Steuern im staatlichen Finanzsystem
  • a) Der Steuerstaat als Produktivitätsgemeinschaft
  • b) Keine materiellen Vorgaben der Finanzverfassung des Grundgesetzes für die Besteuerung
  • 2. Steuerrecht und Belastungsgerechtigkeit
  • II. Grundrechtliche Implikationen für den Belastungsgrund
  • 1. Belastungsgleichheit – vom Leistungsfähigkeitsprinzip zum Zahlungsfähigkeitsprinzip
  • 2. Freiheitsrechtliche Implikationen für den Gleichheitssatz
  • a) Der Schutzbereich des Art. 14 GG und die Besteuerung des Einkommens
  • aa) Klassische Ansicht
  • bb) Kritik der klassischen Ansicht
  • cc) Steuern fallen in den Schutzbereich des Art. 14 GG
  • b) Rechtfertigung des Eingriffs der Besteuerung in die Grundrechte
  • c) Art. 14 GG als maßstabgebendes, spezielles Gleichheitsrecht
  • aa) Wertungsgesichtspunkte für die Schrankenbestimmung
  • bb) Zwischenergebnis
  • 3. Die bedarfsgerechte Umsetzung des Leistungsfähigkeitsprinzips und die Markteinkommenstheorie
  • a) Realitätsgerechte Erfassung der Wirklichkeit
  • b) Systemgerechtigkeit im engeren Sinne und Folgerichtigkeit
  • c) Systemgerechtigkeit im weiten Sinne
  • d) Markteinkommen
  • B. Zwischenergebnis
  • Kapitel 4 – Untersuchung und kritische Darstellung des Tatbestands der „sonstigen“ Leistung in Literatur und Rechtprechung
  • A. Der Begriff der Leistung im Spiegel der Literatur
  • I. Hintergrund und Kommentarliteratur
  • II. Monographien
  • 1. Harder
  • a) Fallgruppen
  • b) Stellungnahme
  • 2. Pönicke
  • a) Fallgruppen
  • b) Stellungnahme
  • 3. Krey
  • a) Fallgruppen
  • b) Stellungnahme
  • 4. Kubicki
  • a) Fallgruppen
  • b) Stellungnahme
  • 5. Zwischenergebnis
  • B. Grundlagen – Dogmatik und Problembereiche
  • I. Einkommensteuertatbestand
  • 1. Klassischer Tatbestand
  • 2. Dreigliedrige Erweiterung
  • a) Zustandstatbestand
  • b) Verhaltenstatbestand
  • c) Erfolgstatbestand
  • II. Problemfelder und ihre dogmatischen Ursachen
  • 1. Auffang- oder Ergänzungstatbestand
  • 2. Abgrenzung zu anderen Einkunftstatbeständen des EStG
  • 3. Sphärentrennung – Privat- vs. Erwerbssphäre
  • 4. Eigenständige Auslegung
  • 5. Abgrenzung zur Erbschaft- und Schenkungsteuer
  • 6. Leistung als Grundbebriff des Einkommensteuerrechts
  • 7. Zwischenergebnis
  • C. Die Tatbestandsmerkmale des § 22 Nr. 3 EStG
  • I. Steuerpflichtiges Verhalten
  • 1. Phänomenologische Betrachtung der Leistung
  • 2. Zivilrechtliche Implikationen des Leistungsbegriffs für die Handlung
  • 3. Handlung aus rechtstheoretischer Sicht
  • a) Renngewinne als Arbeitslohn
  • b) Verkaufsvergütungen
  • c) Aufgabe einer Mietwohnung
  • d) Karenzentschädigungen und Wettbewerbsverbote
  • 4. Der Handlungsbegriff in der Literatur
  • 5. Zwischenergebnis
  • II. Wirkbereich
  • 1. Erwerbstätigkeit als wirtschaftliches Verhalten
  • a) Wirtschaftliche Vorgänge
  • aa) Gegenansicht
  • bb) Zwischenergebnis
  • 2. Erwerbstätigkeit bei § 22 Nr. 3 EStG als Austauschverhältnis
  • a) Verwertungshandlung als marktoffenbarer Vorgang – Leistungsaustauschkriterium
  • aa) Exkurs zum Begriff des Leistungsaustauschs
  • bb) Weitere Aspekte des Leistungsaustauschs
  • b) Stellungnahme
  • 3. Entgeltlichkeit der Leistung
  • a) Rechtsprechung
  • aa) Standort der Prüfung – Entgeltlichkeit als Annahme einer Gegenleistung
  • bb) Exkurs – Entgeltlichkeit im Zivilrecht
  • cc) Exkurs – Entgeltlichkeit im Umsatzsteuerrecht
  • dd) Exkurs – Unentgeltlichkeit im Schenkungsteuerrecht
  • ee) Voraussetzungen der Entgeltlichkeit im Rahmen der Leistungseinkünfte
  • b) Literatur
  • c) Stellungnahme
  • aa) Exkurs zum Veranlassungsbegriff
  • bb) Allgemeines Kriterium
  • cc) Auswirkungen auf die Fallgruppen der Leistungseinkünfte
  • dd) Zwischenergebnis und Ausblick
  • 4. Einkünfteerzielungsabsicht oder Erwerbsgerichtetheit
  • a) Erwerbsgerichtetheit
  • aa) Liebhaberei
  • bb) Objektive Betrachtung
  • cc) Zwischenergebnis
  • b) Handlungswillen, Erwerbsaufnahme und Freiwilligkeit
  • aa) Rechtsprechung
  • bb) Literatur
  • cc) Stellungnahme
  • III. Privatsphäre
  • 1. § 12 EStG
  • a) Kernbereich
  • b) Aufteilungsgebot
  • 2. Liebhaberei als Privatsphärenschutz
  • 3. Typische private Tätigkeiten
  • a) Mögliche Beurteilungskriterien
  • b) Abgrenzung im Bereich typischer Freizeitbeschäftigungen
  • c) Zwischenergebnis
  • 4. Besondere private Tätigkeiten
  • a) Zufall und Geringfügigkeit als Kennzeichen der Privatsphäre
  • aa) Zufall, Spielcharakter und Sozialüblichkeit als mögliche Merkmale nicht-steuerbarer Tätigkeit?
  • bb) Geringfügigkeit der Gegenleistung
  • cc) Zwischenergebnis
  • b) Belohnung für Fund oder Aufklärung einer Straftat
  • c) Ehrenamtliche Betätigungen
  • d) Leistungen im engen Familienkreis
  • aa) Das Pflege-Urteil
  • bb) Stellungnahme
  • cc) Weitere Entscheidungen
  • dd) Zusammenfassung der Rechtsprechung
  • 5. Zwischenergebnis
  • IV. Vermögenssphäre
  • 1. Entwicklung des Begriffs der Vermögenssphären in der Rechtsprechung des RFH und BFH
  • a) Die Rechtsprechung des RFH
  • aa) Einwirkung auf Sachen im Eigentum des Steuerpflichtigen
  • bb) Einwirkung auf das Vermögen als solches durch Verpflichtungen
  • cc) Einwirkungen auf bestehende Rechtspositionen wie Forderungsrechte, Immaterialgüterrechte und deren Vorstufen
  • dd) Kritische Anmerkung von Enno Becker
  • b) Die Rechtsprechung des BFH
  • 2. Stellungnahme
  • a) Vermögensneutralitätsprinzip – ein Scheinargument
  • aa) Vorgebliche dogmatische Begründung der Vermögensneutralität
  • bb) Überprüfung des dogmatischen Unterbaus
  • b) Vermögensneutralität als Kennzeichen für alle Überschusseinkünfte – Substanzerhaltungsgrundsatz
  • c) Vermögensneutralität – Unbeachtlichkeit von Bestandsänderungen
  • d) Vermögensneutralität und Privatsphärenschutz
  • e) Ausblick
  • 3. Lösungsvorschlag
  • a) Nachhaltigskeitsfaktor
  • b) Spezialitätsgrundsatz
  • c) Bürgschaft als Beispiel einer Risikoübernahme in der Vermögenssphäre
  • d) Zwischenergebnis
  • Kapitel 5 – Ergebnisse
  • A. Zusammenfassung der Ergebnisse
  • I. Historische Grundlagen der Norm
  • II. Fallgruppenbildung
  • III. Dreigliediger Einkommensteuertatbestand
  • IV. Belastungsgrund
  • V. Nutzungstatbestand
  • VI. Erwerbsgrundlage
  • 1. Privatsphäre
  • 2. Vermögenssphäre
  • VII. Ausblick
  • B. Die Ergebnisse im Einzelnen
  • Literaturverzeichnis

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Kapitel 1 – Einleitung

A.  Fragestellung

§ 22 Nr. 3 des aktuellen Einkommensteuergesetzes bestimmt, dass „Einkünfte aus Leistungen, soweit sie weder zu anderen Einkunftsarten (§ 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 6) noch zu den Einkünften im Sinne der Nummern 1, 1a, 2 oder 4 gehören, z. B. Einkünfte aus gelegentlichen Vermittlungen und aus der Vermietung beweglicher Gegenstände“, zu den Arten der sonstigen Einkünfte gehören. Der Wortlaut deckt sich beinahe vollständig mit § 41 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1925, der eine Besteuerung von Einkünften vorsah, „soweit sie infolge einer anderen Tätigkeit anfallen, die nicht zu den im § 6 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, 6 bezeichneten gehört, insbesondere Einkünfte aus gelegentlichen Vermittlungen und aus der Vermietung beweglicher Gegenstände“. Obwohl der Normtext der maßgeblichen Vorschrift somit über 90 Jahre nahezu gleich blieb, hat sich die Auslegung in Rechtsprechung und Literatur hingegen stark gewandelt.

Legte der Reichsfinanzhof in den zwanziger und dreißiger Jahren den Leistungstatbestand eher restriktiv aus, lässt sich in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs eine immer weitere Ausdehnung des Tatbestands feststellen. Dies wird auch in den Standarddefinitionen des Leistungsbegriffs deutlich. Der RFH führte noch aus, dass als sonstige Leistung nur eine Tätigkeit im einkommensteuerrechtlichen Sinne anzusehen sei. Vorgänge, die mit anderen Einkunftsarten in engem Zusammenhang stünden, könnten keine sonstige Leistung darstellen. Ferner sollten alle Einkünfte im Bereich des Vermögens nicht der Einkommensteuer unterliegen.1 Die Begriffe „enger Zusammenhang“ und „Vermögensbereich“ wurden dabei großzügig angewendet. Trotz der Gegenüberstellung eines einkommensteuerfreien Vermögensbereichs und einer einkommensteuerpflichtigen Einkommenssphäre unterließ der RFH eine Definition beider Sphären oder eine genaue tatbestandsmäßige Abgrenzung. Die Abgrenzung beschränkte sich auf die Tatsache, dass private Veräußerungsgeschäfte einer anderen Norm unterfielen und daher nicht vom Leistungsbegriff mit umfasst sein konnten. Dies kommentierte Enno Becker in den 1930er Jahren wie folgt: „Die Einkünfte aus sonstigen Leistungen sind nichts als ein Lückenbüßer, ein Behelf, aber keineswegs Kern und Grundlage des Einkommensbegriffs. […] Daraus folgt aber keineswegs, dass alles, was sonst durch irgendeine andere Tätigkeit erzielt war, wenn es sonst nicht unterzubringen war, jedenfalls als sonstiger Leistungsgewinn einkommensteuerpflichtig gewesen wäre.“2

Der BFH definiert in ständiger Rechtsprechung den Leistungsbegriff als „jedes Tun, Dulden und Unterlassen, dass Gegenstand eines entgeltlichen Vertrages sein kann und um des Entgeltes willen erbracht wird, sofern es sich nicht um Veräußerungen oder ← 15 | 16 → veräußerungsähnliche Vorgänge im privaten Bereich handelt, bei denen ein Entgelt für die endgültige Aufgabe eines Vermögenswertes in seiner Substanz erbracht wird“.3 Von einem normalen Wortverständnis ausgehend ließe sich unter diese Begriffsdefinition der Leistung grundsätzlich jedes Verhalten subsumieren. In einem Urteil aus dem Jahr 2004 hat der BFH das zuvor verwendete Element „um des Entgeltes willen erbracht“ in seiner Leistungsbegriffsdefinition aufgegeben.4

Diese Ambivalenz – weite und enge Auslegung – findet sich auch in den einschlägigen Kommentierungen wieder. Für die RFH-Richter Enno Becker und Georg Strutz war die Norm des § 22 Nr. 3 EStG eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift. Georg Strutz, seinerzeit Senatspräsident des RFH, hielt den Leistungsbegriff für unverständlich.5 Für Heinrich Weber-Grellet, gegenwärtig Richter am BFH, stellt § 22 Nr. 3 EStG die Grundnorm des Einkommensteuerrechts dar.6 Demgegenüber hält Leisner-Egensperger die Norm für grundaussagelos, weil ihr keine einheitlichen Tatbestände zugeordnet werden könnten.7

Die Rechtsprechung wird durch wechselnde Begründungen und unklare dogmatische Strukturen gekennzeichnet. So soll der Verzicht auf Ansprüche aus einem Mietvertrag oder die Verwertung von Erfindungen unterschiedlich steuerbar und nicht-steuerbar sein.8 Die Leistungsdefinition des BFH erweist sich als Leerformel, die sogar bei zeitlich nicht weit auseinander liegenden Fällen unterschiedliche Ergebnisse zulässt.

Gegenstand aktueller Rechtsprechung sind die Fälle der Besteuerung von Einnahmen aus Fernsehshows und die Abgrenzung von nicht-steuerbaren Gewinnen aus Gewinnspielen und Rateshows zu steuerbaren Einnahmen aus Fernsehsendungen, in denen zwar auch ein Geldbetrag gewonnen werden kann, dieser aber durch eine entsprechende Mitgestaltung der Show „verdient“ wird.9 Wo hier die Grenze zwischen Spiel, Glück und Leistung verläuft, ist unklar.10 ← 16 | 17 →

Ferner erreichen die Finanzgerichte immer wieder Fälle von Entschädigungen für die Aufgabe von Abwehrrechten, also die Beschränkung von dinglichen und schuldrechtlichen Rechtspositionen, ohne dass sich bislang eine einheitliche Rechtsauffassung herausgebildet hat.11

Insbesondere sind folgende fünf Punkte umstritten:

  • Welches Verhalten kann überhaupt den Tatbestand der Leistung erfüllen?
  • Kommt es darauf an, dass der Leistungserbringer freiwillig oder gezwungenermaßen handelt?
  • Setzt der Tatbestand einen Leistungsaustausch voraus?
  • Muss überhaupt ein wirtschaftlichen Verhalten vorliegen?
  • Wie bestimmen sich die Grenze der nichtsteuerbaren Vermögenssphäre?

Ziel der Arbeit soll die Untersuchung sein, ob und wie sich die Norm – auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten – dogmatisch eingrenzen lässt.12 Insbesondere sollen Wertungsgesichtspunkte sowie Vorschläge für geeignete Maßstäbe herausgearbeitet werden, um den Beurteilungsprozess transparent zu machen. Denn auch bei einer objektiven Auslegung handelt es sich selbstverständlich um eine wertende Rechtsanwendung. Insbesondere ist hierfür eine eingehende Diskussion des Begriffes der Vermögenssphäre erforderlich, da die Herleitung und der Umfang der nicht-steuerbaren Vermögenssphäre in der Rechtsprechung unklar scheinen. Für die Definition des Leistungsbegriffs ist auch die Abgrenzung von Privat- und Erwerbssphäre erforderlich. Sowohl die Vermögenssphäre als auch die Abgrenzung der Privatsphäre von der Erwerbssphäre betreffen grundlegende dogmatische Fragen der Einkommensbesteuerung, die sich beide am Belastungsgrund der Einkommensteuer messen lassen müssen.

B.  Gang der Untersuchung

Zunächst sollen in Kapitel 2 in einer genetischen Analyse die rechtshistorischen Hintergründe der Leistungseinkunftsbesteuerung beleuchtet werden. Diese sind von Interesse, da die Rechtsprechung sich bis heute auf Grundkonzepte der Besteuerung beruft, die bis zu den Einkommensteuergesetzen der Länder im 19. Jahrhundert zurückreichen. Sodann soll in Kapitel 3 auf den Belastungsgrund der Einkommensteuer eingegangen werden, wie er dem geltenden EStG zugrundliegt. Weiterhin ← 17 | 18 → sollen Wertungsgrundlagen für eine Auslegung des Tatbestands der sonstigen Einkünfte aus Leistungen gewonnnen werden. In den Kapiteln 4 und 5 werden die für die Leistungseinkünfte spezifischen dogmatischen Strukturen in Literatur und Rechtsprechung untersucht sowie Vorschläge für die Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale unterbreitet.


1 RFH, Urteil vom 02. Februar 1932, VI A 1330/31, RStBl. 1932, S. 511 f.; RFH, 17.07.1941, IV. 94/41, RStBl. 1941, S. 755.

2 Steuer und Wirtschaft, Teil 1, Band 56, S. 1671, li. Sp.

3 BFH, Urteil vom 14. September 1999 – IX R 88/95 – BFHE 189, 424 (426), BStBl. II 1999, 776.

4 BFH, Urteil vom 21. September 2004 – IX R 13/02 –, BFHE 207, 284 (286), BStBl II 2005, 44.

5 Georg Strutz, in: Eugen Schiffer, u. a. (Hg.), Kommentar zum Einkommensteuergesetz vom 10. August 1925 – Zweiter Band §§ 19–117, 1929, § 42, S. 700.

6 Heinrich Weber-Grellet, in: Heinrich Weber-Grellet (Hg.), Schmidt Einkommensteuergesetz, 33. Aufl., 2014, § 22, Rn. 130.

7 Anna Leisner-Egensperger, in: Paul Kirchhof/Rudolf Mellinghoff (Hg.), Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz Kommentar, 254. Ergl. 01.2015, Stand: 132. Ergl. 2003, § 22, Rn. D 5.

8 RFH, RStBl. 1933, S. 958, StuW 1933 II Nr. 789; BFH, Urteil vom 10. September 2003 – XI R 26/02 –, BFHE, 203, 448; BStBl. II 2004, 218.

9 BFH, Urteil vom 28. November 2007 – IX R 39/06 –, Tz. 12, juris, BFHE 220, 67 (70), BStBl II 2008, 469 (70); BFH, Urteil vom 19. Juli 1990 – IV R 82/89 –, BFHE 161, 144 (146), BStBl II 1991, 333.

10 So seien Gewinne aus Preisausschreiben nicht steuerbar, außer es werde eine Leistung erbracht – so Peter Fischer, in: Paul Kirchhof (Hg.), Kirchhof, Einkommensteuergesetz, 13. Aufl., 2014, § 22, Rn. 71. Hier bleibt also unklar, was die Leistung konkret auszeichnet.

11 Vgl. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 02. Juli 2014 – 3 K 3338/10 –, juris, EFG 2014, 1674 und FG Düsseldorf, Urteil vom 20. November 2013 – 7 K 1301/13 E –, juris, nicht rkr.

12 Bei alldem gilt die Prämisse, dass die Norm grundsätzlich verfassungsgemäß ist, vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. August 1986 – 1 BvR 587/86 –, juris und BVerfG, Beschluss vom 30. September 1998, 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88 – Verlustabzug.

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Kapitel 2 – Genetische Analyse

In diesem Kapitel werden die rechtshistorischen Hintergründe des heutigen § 22 Nr. 3 EStG beleuchtet und Entwicklungslinien der Gesetzgebung aufgezeigt.

Eine eingehende Untersuchung zur Entstehungsgeschichte des § 22 Nr. 3 EStG findet sich bei Harder, von dem auch die erste Monographie zum Tatbestand der „Einkünfte aus Leistungen“ aus dem Jahr 1990 stammt.13 Die heutige Norm des § 22 Nr. 3 EStG geht unmittelbar auf § 41 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1925 zurück.

§ 22 Nr. 3 EStG aktuell:

„§ 22 Arten der sonstige Einkünfte
Sonstige Einkünfte sind
[…]
3. Einkünfte aus Leistungen, soweit sie weder zu anderen Einkunftsarten (§ 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 6) noch zu den Einkünften im Sinne der Nummern 1, 1 a, 2 oder 4 gehören, z. B. Einkünfte aus gelegentlichen Vermittlungen und aus der Vermietung beweglicher Gegenstände. Solche Einkünfte sind nicht einkommensteuerpflichtig, wenn sie weniger als 256 Euro im Kalenderjahr betragen haben. […].“

§ 41 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1925:

„[…] 2. Einkünfte, soweit sie infolge einer anderen Tätigkeit anfallen, die nicht zu den im § 6 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, 6 bezeichneten gehört, insbesondere Einkünfte aus gelegentlichen Vermittlungen und aus der Vermietung beweglicher Gegenstände einschließlich der Schiffe, die nicht ins Schiffregister eingetragen sind.“

Harder kommt zu dem Ergebnis, dass der Norm, so wie sie heute im Gesetz zu finden ist, bei der Verabschiedung des Einkommensteuergesetzes von 1925 kein „Vorbild“ zu Grunde lag.14 Aufbauend auf seinen Forschungsergebnissen wird sich die Darstellung auf die wesentlichen gesetzgeberischen Akte beschränken. Das Einkommensteuergesetz von 1925, das in seinen wesentlichen Teilen bis heute Bestand hat, bildet daher Anfangs- und Endpunkt der genetischen Darstellung, welche sodann um Untersuchungen zu den späteren und früheren Entwicklungslinien ergänzt wird.

In der nachfolgenden Darstellung sollen zunächst die Grundlagen zum heutigen § 22 Nr. 3 EStG, dem § 41 Abs. 1 EStG 1925, und die nachfolgenden gesetzgeberischen Veränderungen dargestellt werden. Hierdurch wird die Grundlage für das Verständnis für die sich dann anschließende Diskussion der vorherigen Gesetzgebungsakte geschaffen, die dann in gewohnter chronologischer Abfolge die maßgeblichen Einkommensteuergesetze behandelt: ausgehend von den einzelstaatlichen ← 19 | 20 → Einkommensteuergesetzen des 19. Jahrhunderts bis hin zum ersten Reichseinkommensteuergesetz aus dem Jahr 1920.15

A.  Die Geschichte der Norm

I.  Reichseinkommensteuergesetz vom 10. August 1925

1.  Auszug aus dem Gesetzeswortlaut

§ 6 EStG 192516 definierte das Einkommen durch eine abschließende Aufzählung von acht Einkunftsarten und entsprach damit der heutigen Grundnorm des § 2 EStG:

„II. Einkommen
§ 6
(1) Der Besteuerung des Einkommens nach diesem Gesetz unterliegen nur
1. Einkünfte aus dem Betrieb von Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Gartenbau und sonstiger nicht gewerblicher Bodenbewirtschaftung (Einkommen aus Land- und Forstwirtschaft);
2. Einkünfte aus Gewerbebetrieb;
3. Einkünfte aus sonstiger selbständiger Berufstätigkeit;
4. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (Arbeitslohn);
5. Einkünfte aus Kapitalvermögen;
6. Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung von unbeweglichen Vermögen, Sachinbegriffen und Rechten einschließlich des Mietwerts der Wohnung im eigenen Hause;
7. andere wiederkehrende Bezüge;
8. sonstige Leistungsgewinne nach Maßgabe der §§ 41, 42.
(2) Welche Einkünfte den einzelnen Einkommensarten (Abs. 1 Nr. 1 bis 8) zuzurechnen sind, bestimmt sich nach der Verkehrsauffassung, soweit nicht in den §§ 26 bis 45 eine besondere Regelung getroffen ist.
(3) Der Besteuerung des Einkommens unterliegen insbesondere nicht einmalige Vermögensanfälle, wie Schenkungen, Erbschaften, Aussteuern, Ausstattungen, Lotteriegewinne, Kapitalempfänge auf Grund von Lebensversicherungen, Kapitalabfindungen, die als Entschädigung für Unfälle und Körperverletzungen gezahlt werden, ferner Kapitalabfindungen auf Grund der Reichsversicherung, der Militärversorgung und der Beamtenpensionsgesetze.“

§ 41 Abs. 1 EStG 1925 behandelte die sonstigen Leistungsgewinne:

„8. Sonstige Leistungsgewinne
(1) Sonstige Leistungsgewinne sind: ← 20 | 21 →
1. Einkünfte aus Veräußerungsgeschäften in den Grenzen des § 42, es sei denn, dass es sich um Gegenstände handelt, deren Wert bei einer Gewinnermittlung nach §§ 12, 13 oder bei Einkünften der im § 6 Abs. 1 Nr. 4 bis 7 bezeichneten Art als Einnahme in Ansatz gebracht wird;
2. Einkünfte, soweit sie infolge einer anderen Tätigkeit anfallen, die nicht zu den im § 6 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, 6 bezeichneten gehört, insbesondere Einkünfte aus gelegentlichen Vermittlungen und aus der Vermietung beweglicher Gegenstände einschließlich der Schiffe, die nicht ins Schiffregister eingetragen sind.“

Damit unterteilte das Gesetz die „sonstigen Leistungsgewinne“ in zwei Gruppen. Die sonstigen Leistungsgewinne nach Abs. 1 waren die Veräußerungsgeschäfte in den Grenzen des § 42 Nr. 1 EStG 1925 und die Einkünfte aus „anderen“ Tätigkeiten im Sinne des § 41 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1925. Bei letzteren handelte es sich ausdrücklich nicht um alle sonstigen Einnahmen, sondern nur um die „Leistungsgewinne“, die nicht schon bei den anderen Einkunftsarten zu berücksichtigen waren.17 Zu den „anderen“ Tätigkeiten des § 6, auf die § 41 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1925 bezug nahm, gehörten die den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus sonstiger selbständiger Berufstätigkeit, aus nicht selbständiger Arbeit und aus Vermietung und Verpachtung zugrunde liegenden Betätigungen. In der Aufzählung fehlen die Nr. 5 und 7, mithin die Einkünfte aus Kapitalvermögen und andere wiederkehrenden Bezüge. Hieraus lässt sich – vorläufig – der Schluss ziehen, dass diesen beiden Einkunftsarten aus der Sicht des Gesetzgebers keine „Tätigkeiten“ zugrunde lagen und eine Konkurrenzsituation zu den sonstigen Leistungsgewinnen nicht denkbar war.18

2.  Die Begründung des Gesetzesentwurfs

Von seiner gesetzgeberischen Konzeption her handelt es sich bei § 41 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1925 um einen Ergänzungstatbestand für die erwähnten Einkünftegruppen und somit weder um den Grundtatbestand aller Einkunftsarten noch um einen Auffangtatbestand im Sinne einer „catch-all-Klausel“.19 Die Begründung zum damaligen ← 21 | 22 → Gesetzesentwurf stellt ausdrücklich klar, dass „die letzte Einkommensart (§ 6 Abs. 1 Nr. 8) nicht alle sonstigen Einkünfte, sondern nur die Leistungsgewinne, die nicht schon bei Einkünften anderer Art in Ansatz zu bringen sind“ umfasse. Dies muss im Zusammenhang mit der Grundentscheidung des Gesetzgebers gesehen werden, das Einkommen im Gegensatz zum vormaligen Recht positiv zu definieren und eine abschließende Aufzählung der Einkunftsarten vorzunehmen. Ausdrücklich wurde deshalb das Wort „nur“ der Aufzählung in § 6 EStG 1925 vorangestellt.20 Sodann betont die Begründung bereits damals schon die Unbestimmtheit dieser Norm, indem beiläufig festgestellt wird, dass eine erschöpfende Aufzählung der „anderen Tätigkeiten“ nicht möglich sei und als Beispiele die auch heute noch im Gesetz benannten gelegentlichen Vermittlungen und die Vermietungen beweglicher Gegenstände genannt werden. In den allgemeinen Ausführungen der Gesetzesbegründung findet sich als weiteres Beispiel noch das des Industriellen, der einen Verdienst aus einer gelegentlichen schriftstellerischen Tätigkeit bezieht.21 An dieser Stelle wird in aller Klarheit festgestellt, dass auch das neue Einkommensteuergesetz die Steuerpflicht einmaliger Einnahmen grundsätzlich bejahe, indem zum einen bestimmte Veräußerungsgeschäfte und zum anderen „sonstige Einkünfte aus Leistungen einmaliger Art“ erfasst würden.22 Hinsichtlich der Besteuerung der einmaligen Einnahmen wird in der Begründung ausgeführt, dass diese nach den auf den Quellentheorien fußenden Einkommensteuergesetzen grundsätzlich nicht steuerbar gewesen seien, jedoch unter den Begriff der „sonstigen Einnahmen“ im Sinne des § 11 EStG 1920 fielen, das auf der Schanz’schen Reinvermögenszugangsheorie fußte.23 Als Beispiele für einmalige Einnahmen werden das Entgelt aus der entgeltlichen Vermietung eines Klaviers, das einmalige Konzerthonorar eines Industriellen, Einkünfte aus gelegentlicher schriftstellerischer Tätigkeit und generell die Vermietung beweglicher Gegenstände und die gelegentliche Vermittlung genannt.24 Nach der Begründung war Zweck des § 41 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1925 daher hauptsächlich die Besteuerung solcher einmaligen Einkünfte, die nach quellentheoretischen Überlegungen nur deshalb keiner Besteuerung unterlägen, weil diese dem Kriterium der „Regelmäßigkeit“ ← 22 | 23 → nicht entsprechen würden und eine Besteuerung neben den einmaligen Spekulationsgewinnen geboten sei.25

a)  Einschränkung der steuerbaren Sachverhalte

Dieser gesetzgeberischen Unschärfe kann der Grundtenor der Gesetzesbegründung gegenübergestellt werden: Dem Einkommensteuergesetz liege zunächst weder die Schanz’sche Reinvermögenszugangstheorie26 noch die einkommensteuerliche Quellentheorie zugrunde; das Gesetz stelle eine Definition des wirtschaftlichen Begriffs des Einkommens dar, indem es eine abschließende Aufzählung vornehme, „was als Einkommen überhaupt herangezogen werden kann“.27 In § 6 Abs. 3 enthielt das Gesetz zudem eine deklaratorische Aufzählung all derjenigen Einkünfte, die gerade keine Leistungsgewinne darstellten. Ausdrücklich handele es sich nicht um eine erschöpfende Auflistung, sondern um Beispiele einmaliger Einkünfte, die außerhalb der Betätigungen anfielen, die in § 6 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 genannt seien.28 Und daneben seien eben nicht alle sonstigen Einkünfte, sondern nur die Leistungsgewinne zu besteuern, die sich wiederum aufspalteten in die „andere“ Tätigkeiten und Veräußerungen. Und zu letzteren sollten auch nur die Spekulationsgeschäfte zählen, bei denen der Fruchtziehungsgedanke in den Hintergrund trete. „Mit dem Grundgedanken des Entwurfs ist es nicht vereinbar, alle Veräußerungsgewinne, die außerhalb einer Erwerbs- und Berufstätigkeit anfallen, zu besteuern.“29 Ausdrücklich erwähnt die Begründung, dass die Nichtsteuerbarkeit der „einmaligen Vermögensanfälle“ sich bereits aus der Systematik des § 6 Abs. 1 EStG 1925 ergebe. Diese seien auch bereits nach dem REStG 1920 nicht steuerbar gewesen, lediglich hinsichtlich der Lotteriegewinne sei eine ausdrückliche Klarstellung erforderlich gewesen.30

b)  Dualismus und Ausgabenabzug

Im Entwurf der Gesetzesbegründung findet sich auch eine Ausführung zum Dualismus der Einkunftsarten.31 Bei den hier interessierenden Überschusseinkunftsarten ← 23 | 24 → könne unterschieden werden zwischen Einkommen aus Tätigkeiten und Erträgen aus Vermögen. Im ersten Falle seien diesen Tätigkeiten regelmäßig keine Vermögensgegenstände irgendwelcher Art gewidmet, im zweiten Falle würden die Erträge ohne Arbeit oder lediglich aus einer begrenzten Verwaltungstätigkeit aus Vermögen bezogen und es käme nicht auf die Veränderung der Vermögensgegenstände, sondern lediglich auf die Erträge an, die sie abwürfen.32 Jedoch wurde zugleich klargestellt, dass Ausgaben, die von Buchführungspflichtigen abgezogen werden dürften, nach allgemeinen Grundsätzen von allen Steuerpflichtigen berücksichtigt werden dürften.33 Denn gewisse Erträge könnten nur durch Einsatz eines bestimmten Vermögens erzielt werden – dem Anlagekapital.34 Und selbstverständlich könnten daher auch Überschussrechner gemäß § 16 EStG 1925 Absetzungen für Abnutzungen geltend machen.35 Nach § 18 EStG 1925 zählten aber Aufwendungen zur Verbesserung und Vermehrung des Vermögens (also nicht Reparaturen, AfA, Verluste) zur unerheblichen Einkommensverwendungssphäre des Steuerpflichtigen, wenn die betroffenen Gegenstände nicht zuvor bei der Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich berücksichtigt wurden.36 Der Vermögensvergleich betraf zum einen bilanzierende Steuerpflichtige, § 13 EStG 1925 und zum anderen die sonstigen selbständigen Steuerpflichtigen, bei denen der Gewinn besteuert wurde, § 12 Abs. 1 EStG 1925. Der Gewinn setzte sich aus zwei Elementen zusammen, einmal dem Überschuss der Einnahmen über die Ausgaben und zum anderen aus einem Betriebsvermögensvergleich, § 12 Abs. 1 EStG 1925 in Verbindung mit den Bewertungsvorschriften der §§ 19–21 EStG 1925.37 ← 24 | 25 →

3.  Resumee

Eine eingehende Herleitung des Leistungsbegriffs findet sich in den Gesetzesmaterialen zum EStG 1925 nicht. Nach der Konzeption des Gesetzgebers handelte es sich bei den Einkünften aus Kapitalvermögen nicht um eine tätigkeitsbezogene Einkunftsart38, im Gegensatz zu den Vermietungs- und Verpachtungseinkünften, denen eine Überlassung von Anlagekapital zugrunde lag. Ungeachtet dessen hat die Rechtsprechung und Literatur den Tätigkeitsbegriff stets weiter verstanden.39

Der Begriff der „sonstigen Leistungsgewinne“ umfasste sowohl Spekulationsgeschäfte als auch tätigkeitsbezogene Einkünfte, wobei als Tätigkeit im Bereich vermögensbezogener Geschäfte (Vermögensnutzung) nur das Überlassen von Gegenständen (Anlagekapital) angesehen wurde. Das Überlassen von Wertpapieren und anderen Kapitalformen stellte hingegen aus Sicht des Gesetzgebers keine Tätigkeit dar.40 Jedoch enthält die Entwurfsbegründung keine eindeutige Aussage, inwiefern andere Nutzungen der eigenen Vermögensausstattung sich als „andere“ Tätigkeit im Sinne des § 42 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1925 erweisen konnten, insbesondere dann, wenn keine gewöhnliche Überlassung von Vermögensgegenständen vorliegt (Grenzabstandsverzicht, Nutzungseinschränkungen, Bürgschaftsübernahmen). Hierbei helfen dem Gesetzesanwender die Tatsache, dass auch wiederkehrende Bezüge keine tätigkeitsbezogenen Einkünfte darstellten, und der deklaratorische Hinweis in § 6 Abs. 3 EStG 1925, dass einmalige Vermögensanfälle, wie zum Beispiel Lotteriegewinne und Entschädigungen, nicht versteuert werden sollten.

Bei einer Auslegung des § 22 Nr. 3 EStG ist mithin die Feststellung wichtig, dass § 41 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1925 nicht alle Arten von denkbaren Einkünften erfassen sollte, sondern „nur“ die Leistungsgewinne, die auf anderen Tätigkeiten beruhten. Vor dem Hintergrund dieses Telos lässt sich auch die nachfolgende Behutsamkeit und Zurückhaltung erklären, mit der die Norm anfangs in der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs behandelt und von der Literatur kommentiert wurde.41

Überdies soll noch nachfolgende Überlegung in Betracht gezogen werden: In Abs. 2 des § 41 EStG 1925 legte bereits das damalige Gesetz eine Freigrenze von 500,- Reichsmark fest. Die heutige Freigrenze beträgt € 256,-. Setzt man diesen Betrag in das Verhältnis zu den 600,- Reichsmark, die nach § 51 EStG 1925 bei der Veranlagung abzuziehen und mithin nicht steuerpflichtig waren, so ergebe sich heute ein Betrag von über € 8.000,-. Und selbst bei einem Kaufkraftvergleich ergäbe sich ein heutiger ← 25 | 26 → Betrag von ca. € 2.000,-.42 Der Gesetzgeber, aufbauend auf die Arbeiten der Experten der Finanzverwaltung und deren Erfahrung aus dem Vollzug des EStG 1920, hatte diese großzügige Freigrenze ausdrücklich aus Vereinfachungsgründen eingeführt.43 Dies verdeutlicht darüber hinaus, dass unwesentliche Zuflüsse als Leistungseinkünfte nicht abgeschöpft werden sollten.

4.  Weiterer Gang der Untersuchung

Da das Gesetz sich erkennbar von seinem unmittelbaren Vorgängerwerk abgrenzte und zugleich nicht beabsichtigte, einfach nur die Dogmatik der vorherigen Ländereinkommensteuergesetze weiter fortzuführen, ist es erforderlich, diese wenigstens in ihren Grundzügen darzustellen, um die (dogmatischen) Intentionen des Gesetzgebers besser verstehen zu können.

Hierzu sollen die Einkommensteuergesetze herangezogen werden, die dem Gesetz von 1925 voraus gingen. Auf Reichsebene ist dies das REStG aus dem Jahr 1920. Wie oben ausgeführt, ordnete der Entwurf der Regierung von 1925 dieses der Reinvermögenszugangstheorie zu. Als Gegenentwürfe hierzu gelten die auf der Quellentheorie fußenden Einkommensteuergesetze in den meisten deutschen Ländern vor 1920. Beispielhaft soll hier auf die preußische Einkommensteuergesetzgebung eingegangen werden, da dieser eine Vorbildfunktion über die Landesgrenze hinaus für das gesamte Reich zukam.44 Zudem ist eine auffallende Kontinuität hinsichtlich der handelnden Personen, sowohl was die Regierung und damit die Gesetzgebung anbelangt als auch in der maßgeblichen Rechtsprechung des Preußischen OVG und dem RFH feststellbar.

Details

Seiten
359
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631714782
ISBN (ePUB)
9783631714799
ISBN (MOBI)
9783631714805
ISBN (Hardcover)
9783631714775
DOI
10.3726/b10615
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (November)
Schlagworte
Vermögenssphäre Privatsphäre Quellentheorie Reinvermögenszugangstheorie Einkommensteuerrecht Veranlassungszusammenhang Liebhaberei
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 359 S., 3 s/w Graf.

Biographische Angaben

Florian Wenk (Autor:in)

Florian Wenk hat Rechtswissenschaften in Heidelberg und San Francisco studiert und wurde an der Universität Heidelberg promoviert. Er ist als Rechtsanwalt in Hamburg tätig.

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Titel: Einkünfte aus Leistungen nach § 22 Nr. 3 EStG
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