Lade Inhalt...

«Exaltare» und «Stabilire» – Legitimierungsstrategien der Medici im Übergang zum Herzogtum

von Christina Lentz (Autor:in)
©2017 Dissertation 486 Seiten

Zusammenfassung

Die Autorin untersucht den Aufstieg der Medici, die durch geschicktes Agieren in den Bereichen «Territorium, Dynastie und Diplomatie sowie Memoria» zu «Herzögen der Republik» avancierten. Insbesondere dem zweiten Herzog Cosimo I. (1537–1574) gelang es, die Stellung der Familie auf Dauer zu festigen. Die Autorin betrachtet Theorie und Praxis frühneuzeitlicher Legitimität und erweitert das bislang gebräuchliche methodisch-begriffliche Repertoire. Das Buch bereichert die primär kunstgeschichtlich orientierte Mediciforschung um neue Forschungsansätze und leistet einen Beitrag zum besseren Verständnis frühneuzeitlicher Herrschaftsstrukturen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • I. Einleitung
  • II. Legitimität, Legitimation und Souveränität als Probleme frühneuzeitlicher Herrschaft: methodische Vorüberlegungen und Forschungsüberblick
  • 1. Forschungsstand: Florenz und die Medici
  • 2. Begriffsklärungen: Legitimität und Legitimation als Gegenstände der (historischen) Forschung
  • 2.1 Legitimität und Legalität
  • 2.2 Souveränität
  • 2.3 Legitimität und Legitimation
  • 2.4 Geltungsgründe legitimer Herrschaft
  • 2.5 Herstellung und Darstellung von Legitimität
  • 3. Medici-Herrschaft und Legitimität: Zum Aufbau der Arbeit
  • III. Legitimitätsstufen
  • 1. Die erste Rangerhöhung: Von ‚ersten Bürgern‘ zu ‚Herzögen der Republik‘
  • 1.1 Input-Legitimität: Genese des mediceischen Herzogtums
  • 1.1.1 Die Erhöhung Alessandros zum ersten Herzog der Republik Florenz
  • 1.1.2 Die Übergabe der herzoglichen Vollmachten an Cosimo de’ Medici
  • 1.2 Legitimitätsdefizite
  • 1.2.1 Alternativen zum politischen System
  • 1.2.2 Personelle Alternativen zu Cosimo de’ Medici
  • 1.2.3 Souveränitätsdefizite
  • 2. Die zweite Rangerhöhung: Von ‚Herzögen der Republik‘ zu ‚Großherzögen der Toskana‘
  • 2.1 Transformationen im Herrschaftsverständnis
  • 2.2 Präzedenzkonflikte und Rangverhandlungen
  • 2.2.1 Ferrara
  • 2.2.2 Parma-Piacenza
  • 2.2.3 Das Avancement Cosimos I. zum toskanischen Großherzog (1569/70)
  • 3. Zwischenfazit: Konsequenzen für die Legitimitätskonstruktion
  • IV Legitimierungsstrategien
  • 1. Territorium
  • 1.1 Der Zusammenhang zwischen Territorium, politischem System und Legitimitätsgeltung
  • 1.1.1 Territorium und Sicherheit
  • 1.1.2 Territorium und Größe
  • 1.1.3 Territorium und Konkurrenz
  • 1.1.4 Territorium und Psychologie
  • 1.2 Elemente mediceischer Territorialpolitik: Der Fall Piombino
  • 1.2.1 Schutz und Sicherheit
  • 1.2.2 Integration
  • 1.2.3 Erweiterung
  • 1.2.3.4 Erweiterung durch militärische Aktionen: Siena
  • 1.2.3.5 Erweiterung durch Diplomatie
  • 1.2.3.6 Gescheiterte Versuche territorialer Erweiterung
  • 1.3 Darstellung des Territoriums
  • 1.3.1 Herrscherporträts in Rüstung
  • 1.3.2 Cosimo als fürsorglicher Landesvater
  • 1.3.3 Das mediceische Herrschaftsverständnis in territorialen Bildmotiven: Die Sala dei Cinquecento
  • 1.4 Zwischenfazit: Von Florenz zur Toskana
  • 2. Diplomatie und Dynastie
  • 2.1 Der Zusammenhang zwischen Diplomatie, Dynastie und Legitimitätsgeltung
  • 2.1.1 Politische Komponente von Eheschließungen
  • 2.1.2 Dynastisch-habituelle Komponente von Eheschließungen
  • 2.1.3 Biologische Komponente von Eheschließungen
  • 2.2 Internationale Beziehungen
  • 2.2.1 Habsburg
  • 2.2.1.1 Cosimo I. und Eleonora de Toledo
  • 2.2.1.2 Francesco de’ Medici und Johanna von Österreich
  • 2.2.2 Frankreich
  • 2.2.3 Kurie
  • 2.2.4 Italienische Fürsten
  • 2.2.4.1 Cosimo I. als Ehestifter
  • 2.2.4.2 Inneritalienische Eheschließungen zum Abschluss neuer Bündnisse: Maria und Lucrezia de’ Medici
  • 2.2.4.3 Eheschließungen zur Festigung bestehender Bündnisse: Isabella de’ Medici und Paolo Giordano Orsini – Pietro de’ Medici und Dionora de Toledo
  • 2.3 Darstellung von Diplomatie und Dynastie
  • 2.3.1 Die mediceischen Hochzeiten
  • 2.3.1.1 Cosimo I. und Eleonora de Toledo
  • 2.3.1.2 Francesco de’ Medici und Johanna von Österreich
  • 2.3.2 Karl V. als Identitätsfigur
  • 2.3.3 Technischer Aufwand als Mittel der Legitimation
  • 2.4 Zwischenfazit: Das Haus Habsburg als Maß aller Dinge
  • 3. Memoria
  • 3.1 Der Zusammenhang zwischen Memoria und Legitimitätsgeltung
  • 3.2 Bezugslinien
  • 3.2.1 Die ältere Linie der Medici
  • 3.2.2 Die jüngere Linie der Medici
  • 3.3 Darstellung von Memoria
  • 3.3.1 Historia
  • 3.3.1.1 Vorbilder dynastischer Bildprogramme
  • 3.3.1.2 Die Hochzeit von Cosimo I. und Eleonora de Toledo
  • 3.3.1.3 Das Bildprogramm des Palazzo Vecchio
  • 3.3.1.4 Alessandro de’ Medici: Ein Fall von Delegitimation?
  • 3.3.2 Pietas
  • 3.3.2.1 San Lorenzo als Ort herzoglicher Pietas
  • 3.3.2.2 San Lorenzo als Ort republikanischer Pietas
  • 3.3.2.3 Familiäre und republikanische Pietas in der sakralen Landschaft von Florenz
  • 3.4 Zwischenfazit: Die Verschmelzung familiärer und städtischer Memoria
  • V. Resümee
  • VI. Personen- Orts und Sachregister
  • VII. Siglenverzeichnis
  • VII. Quellenverzeichnis
  • VIII. Bibliographie
  • IX. Abbildungsverzeichnis
  • Reihenübersicht

←12 | 13→

I. Einleitung

„Er sollte nicht vergessen, dass er ein Kaufmann ist“ – mit diesen Worten soll der französische König Franz I. die Eroberung Urbinos im Jahr 1516 durch Lorenzo de’ Medici kommentiert haben – eine Eroberung, durch die der Enkel des berühmten Lorenzo ‚il Magnifico‘1 nicht nur ein strategisch wichtiges Territorium, sondern auch einen Herzogstitel für sich erwerben konnte.2 Dieser Coup wäre ihm ohne die finanzielle und politische Rückendeckung seines Onkels, Papst Leo X., wohl kaum möglich gewesen. Ebenjener Leo X. wurde von Ulrich von Hutten im Kontext seiner Papst- und speziell Ablasskritik wiederum als regelrechter Krämer dargestellt.3

Die Medici waren eine Kaufmannsfamilie. Erst im 13. Jahrhundert waren sie als Homini Novi aus dem Mugello nach Florenz eingewandert, wo sie sich zunächst einen zweifelhaften Ruf als Kriminelle erwarben, im Verlauf des 15. Jahrhunderts durch erfolgreiche Bank- und Handelsgeschäfte zu sagenhaftem Vermögen kamen, immer größeren Einfluss auf die politischen Geschicke der Stadt Florenz und Italiens auszuüben vermochten und so schließlich zu Kryptosignori der Republik avancierten. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts stellten sie bereits Päpste, Kardinäle, Herzöge und Grafen.4 Die beiden genannten Familienmitglieder, Papst Leo X. und Lorenzo de’ Medici, der Herzog von Urbino, sind somit Exponenten eines rasanten Aristokratisierungsprozesses, der in einer Zeit, in der sozialem Aufstieg noch enge, vermeintlich gottgegebene Grenzen gesetzt waren, zwangsläufig das Misstrauen der ←13 | 14→althergekommenen Nobilität erwecken musste.5 Die Spitzen Franz I. und Ulrich von Huttens gegen die merkantilen Wurzeln der Familie zeigen denn auch deutlich die Unerhörtheit, die die Ambitionen der Medici in den Augen der Zeitgenossen darstellten – Ambitionen, die in den Jahren 1530 bis 1532 dessen ungeachtet mit der Verleihung des Herzogtitels an Alessandro de’ Medici durch Kaiser Karl V. ihren vorläufigen Höhepunkt erreichten.

Nichtsdestotrotz beeinflusste die kaufmännische Herkunft der Familie deren öffentliche Wahrnehmung auch weiterhin maßgeblich. Anna von Este kommentierte in einem Brief an ihren Bruder Alfonso II. 1558 angelegentlich dessen Heirat mit Lucrezia de’ Medici nicht nur die Hässlichkeit der Braut, nein, sie hebt auch hervor, dass es sich bei den Medici im Grunde um nichts anderes als ‚Kaufleute‘ handele.6 Auch vor Caterina de’ Medici, der Tochter ebenjenes Herzogs von Urbino, die ab 1533 mit dem französischen Herzog von Orléans verheiratet war und als dessen Gattin 1547 zur französischen Königin avancierte, machte der Spott nicht Halt: Diese entstamme einer Familie von Krämern und stehe damit weit unter der Würde der royalen Familie, in die sie eingeheiratet habe, so die französische Herzogin von Guise.7 Auch der venezianische Gesandte Giovanni Lorenzo Contarini bemerkte 1551 die Herablassung, mit der man Caterina de’ Medici, da war sie bereits Königin, begegnete: „(…) non è adoperata nè tanto stimata quanto meriterebbe per non esser eguale al re e di sangue regale8. 1561 stellte ein anderer venezianischer Gesandter, Michele Suriano, ebenfalls das Manko fest, dass es für Caterina bedeutete nicht von „(…) ecellente nobiltà, di gran principe o di re“ zu sein, „avendo avuto per padre un privato gentiluomo, che fu Lorenzo de’ Medici (…).“9

Aber nicht nur die weiblichen Familienmitglieder wurden mit Häme bedacht. Als Francesco de’ Medici, der florentinische Thronfolger, sich in den 1560er Jahren um die Hand Johannas von Spanien, der Witwe des portugiesischen Königs Johann Manuel und Schwester des spanischen Königs Philipp II., bemühte, habe, so berichtet der venezianische Gesandte Lorenzo Priuli, Johanna mehrfach geäußert „(…) che non piglierebbe per marito mai il figliolo di un mercante.“10 Als Francesco dann stattdessen 1565 Johanna von Österreich zur Frau nahm, weigerte sich der Herzog von Savoyen, Repräsentanten zur Hochzeit zu schicken, da er es nicht akzeptieren konnte, dass sich „Privatleute“ über den alten Adel erhoben.11 Und als bereits die dritte Generation Medici-Herzöge über Florenz herrschte und der Familie schon annähernd 30 Jahre der ranghöhere Titel von Großherzögen anerkannt worden ←14 | 15→war, wurde Maria de’ Medici, die im Jahr 1600 den französischen König Heinrich IV. ehelichte, noch abwertend als „dicke Bankiersfrau“ bezeichnet.12

Das kaiserliche Diplom von 1532 erhob die Medici zwar offiziell zu Herzögen von Florenz, es machte sie aber ganz offensichtlich nicht automatisch zu vollwertigen Mitgliedern der europäischen Nobilität. Die Tatsache, dass sich in allen Phasen des mediceischen Aufstiegs Anspielungen auf die kaufmännische Herkunft der Familie finden, zeigt dies klar und deutlich. Diese Herkunft galt als Makel beziehungsweise als ein Defizit und bedingte eine nur mit Widerwillen erfolgende Akzeptanz der Familie im Kreis des europäischen Hochadels. Dieser verfügte über einen dezidierten und exklusiven Kodex, dem die Casa Medici erst genügen musste, wollte sie auf der internationalen Bühne als „Gleiche unter Gleichen“ anerkannt werden. Herzog Cosimo I., der schon 1537 als zweiter Herzog von Florenz auf den ermordeten Alessandro I. folgte, strebte diese Anerkennung mit besonderem Nachdruck und in einem langwierigen Prozess an, in dem er unter anderem die bürgerlich-merkantilen Wurzeln der Familie und den Mangel an dynastischer Tradition vergessen zu machen suchte. Dieser Prozess soll in vorliegender Arbeit als Prozess der Legitimierung begriffen und in all seinen Facetten untersucht werden.

Die Frage, wie Fürstenherrschaft Legitimität erlangt, ist freilich keine, die sich nur für die Medici stellen ließe. Jakob Burckhardt bescheinigte dem Italien der Renaissance eine geradezu pauschale „Illegitimität der Dynastien“, die für ihn an der Tatsache ersichtlich war, dass sich auf der Halbinsel kein fürstliches Haus fand, das nicht „in der Hauptlinie irgendeine unechte Deszendenz gehabt und ruhig geduldet hätte.“13 Dennoch ist der Aufstieg der Medici selbst für italienische Verhältnisse außergewöhnlich, so dass die Anwendung dieses Forschungsparadigmas gerade auf die Florentiner Medici besonderen Ertrag verheißt. Mit Beginn der Frühen Neuzeit setzte, wenn auch vom alten Adel misstrauisch beäugt, verstärkt vertikale Mobilität ein.14 Während der politische ‚Seiteneinstieg‘ über militärische Leistungen im Italien der Frühen Neuzeit durchaus möglich und üblich war und in der Regel vergleichsweise rasch und meist gewaltsam vonstatten ging – so bekanntlich der Fall beim ehemaligen Condottiere Francesco Sforza, der 1450 zum Herzog von Mailand avancierte – bilden die Medici mit ihrem merkantilen Hintergrund und dem über mehrere Generationen vollzogenen Aufstieg einen Präzedenzfall in der Geschichte der kaiserlichen Erhebungen in den Rang souveräner Fürsten.15 Anders ←15 | 16→als kriegerischer Ruhm war vorrangig über Kreditgeschäfte erworbener Reichtum als ruchlos verpönt, wurde gleichsam kriminalisiert und konnte gemäß den Moralvorstellungen der Zeit schwerlich als Ausgangspunkt für eine fürstliche Karriere dienen.16 Die aus politischem Kalkül erfolgte Nobilitierung von Seiten des Kaisers indes war keinesfalls mit der Akzeptanz der neuen Standesgenossen gleichzusetzen, für die der kaiserliche Akt von eher nachrangiger Bedeutung war.17 Hinzu kommt die Tatsache, dass die Medici nicht in einem bereits bestehenden fürstlichen System installiert wurden, sondern dieses System vielmehr eigens für sie eingerichtet werden musste, so dass nicht nur die Nobilitierung der Familie, sondern auch der damit verbundene Systemwechsel legitimierungsbedürftig waren. Damit unterscheiden sich die Medici von anderen aufstrebenden Kaufmannsfamilien wie beispielsweise den Fuggern, die durch enge wirtschaftliche Verbindungen zum Kaiser ebenfalls, freilich wesentlich niedriger zu verortende, statusmäßige Vorteile bezogen, die aber nichts am politischen System der Heimatstadt veränderten, in der sie nach wie vor als normale Bürger lebten.18 Nicht zuletzt besitzt auch die außergewöhnliche Größe und die damit verbundene internationale politische und strategische Bedeutung des den Medici überlassenden Herrschaftskomplexes sowie die Tatsache, dass die Medici diesen nicht nur von der Republik ‚ererbten‘, sondern auch erweiterten, Ausnahmecharakter. Angesichts dieser speziellen Konstellation will die vorliegende Arbeit die Strategien untersuchen, mittels derer die Florentiner Medici im Spezifischen ihre Herrschaft legitimierten, und versteht sich somit gleichermaßen als ein Beitrag zum besseren Verständnis von Legitimationsprozessen im Allgemeinen.


1 Zur besseren Unterscheidbarkeit der verschiedenen ‚Cosimos‘‚ ‚Lorenzos‘ und ‚Pieros‘ in der Familienlinie werden im Folgenden die Medici des 15. und frühen 16. Jahrhunderts zusätzlich mit ihren Beinamen identifiziert. Für Lorenzo de’ Medici (1449–1492) ist das ‚il Magnifico‘, für Cosimo de’ Medici (1389–1464) ist das ‚il Vecchio‘ und für Lorenzo de’ Medici (1492–1519) sein Herrschaftstitel ‚Duca d’Urbino‘. Der ältere Piero de’ Medici (1416–1469) wird durch seinen Beinamen ‚il Gottoso‘ von seinem Enkel, dem jüngeren Piero (1471–1503), genannt ‚lo Sfortu-nato‘, unterschieden werden. Giuliano de’ Medici (1453–1478) wird durch seinen Titel ‚Duca di Nemours‘ näher identifiziert. Da die italienischen Namen weitaus bekannter und gebräuchlicher sind als deren deutsche Übersetzung, wurde hier bewusst die Entscheidung für die italienische Benennung getroffen, und damit eine gewissen Inhomogenität in Kauf genommen, die sich dadurch ergibt, dass andere Protagonisten der Arbeit mit ihren – bekannteren – deutschen Namen bezeichnet werden.

2 Zitiert nach Hale, Florence, S. 86: „He should remember that he is a merchant“.

3 Siehe hierzu insbesondere Huttens Gesprächsbüchlein, Bd. 4, Kapitel 7: Badiscum oder die römische Dreifaltigkeit. Zur diesbezüglichen Papstkritik, vgl. auch Wulfert, Kritik, insbesondere Kapitel 3.3: Huttens Kritik am Papsttum in seinen Dialogen, S. 150–203.

4 Vgl. Reinhardt, Guicciardini, S. 16–29.

5 Die angesichts einer steigenden Zahl bürgerlicher Aufsteiger klare Maßnahmen zur Statussicherung ergriff, vgl. Sikora, Adel, S. 106–139.

6 Vgl. Ricci, Prigioniera, S. 221, respektive Milano, Casa d’Este, S. 77.

7 Zitiert nach Hale, Florence, S. 166: „Family of ‚tradesmen who are not fit to call themselves our sevants‘“.

8 Relazione di Lorenzo Contarini, 1551, in: Albèri (Hg.), Relazioni I.IV, S. 72.

9 Relazione di Giovanni Michiel, 1561, in: Albèri (Hg.), Relazioni I.III, S. 433.

10 Relazione di Lorenzo Priuli, 1566, in: Albèri (Hg.), Relazioni II.II, S. 82.

11 Vgl. ebd., S. 84.

12 Zitiert nach Hale, Florence, S. 166: „Fat she-banker“.

13 Burckhardt, Kultur, S. 50. So auch jüngst Martin Warnke, der beobachtet, dass höfische Strukturen im königlosen Italien selten selbstverständlich und mit einer historischen Legitimität versehen waren, was mittels höfischer Repräsentationstechniken zu verbergen gesucht wurde, vgl. Warnke, Hofkünstler, S. 39.

14 Zu gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen in der italienischen Renaissance, insbesondere in der Schicht der Kaufleute, siehe Martin, Soziologie, insbesondere ‚Einleitung‘, S. 19–22.

15 Zur Bedeutung des italienischen Condottiere, siehe Mallett, Condottiero, Sikora, Adel, S. 55–58; Endres, Adel, S. 43–46 sowie Asch, Europäischer Adel, Kapitel 6: Wirkungsfelder des Adels: Schlachtfeld und höfisches Parkett, S. 193–234. Zur Besonderheit des mediceischen Aufstiegs indes siehe Reinhard, Lorenzo, S. 3 und Aretin, Lehensordnungen, S. 54.

16 Siehe Tenenti, Mercante, S. 205–236.

17 Vgl. Asch, Europäischer Adel, S. 34.

18 Im diesem Zusammenhang hat Olaf Mörke den Begriff der ‚Sonderstruktur‘ geprägt, vgl. Mörke, Sonderstruktur, 141–162.

←16 | 17→

II. Legitimität, Legitimation und Souveränität als Probleme frühneuzeitlicher Herrschaft: methodische Vorüberlegungen und Forschungsüberblick

1. Forschungsstand: Florenz und die Medici

Seit vielen Jahrzehnten stellt Florenz einen wesentlichen Fokus der historischen und kunsthistorischen Renaissance- und Italienforschung dar und wird von selbiger in seiner Bedeutung als „Wiege“ der Renaissance, Inkubator des Humanismus und „political laboratory“19 eines „modernen“ Europas analysiert. Abgesehen von der fraglos exzeptionellen Stellung sowohl der Republik als auch später des Herzogtums Florenz im italienischen Kontext lässt sich durch ein Studium florentinischer Phänomene dank der außergewöhnlich guten Überlieferungslage in den städtischen Archiven und Bibliotheken auch Aufschluss über allgemeine Trends im frühmodernen Italien und Europa gewinnen, was die Florenzforschung noch zusätzlich befeuert hat.20 Der Status als „first city of the Renaissance“21 hat darüber hinaus auch zur Etablierung neuer Forschungsmethoden beigetragen.22

Obwohl Florenz nur in einem Kapitel behandelt wird, stellt Jacob Burkhardts Italien der Renaissance in vielerlei Hinsicht die Initialzündung für die heutige Auseinandersetzung mit Florenz dar.23 Es folgten einzig der florentinischen Geschichte gewidmete Standardwerke, unter denen vor allem die von Robert Davidsohn24, ←17 | 18→Gaetano Salvemini25, Nikola Ottokar26, Antonio Panella27, Niccolò Rodolico28, Bernardino Barbadoro29 und Hans Baron30 hervorzuheben sind.

Erst nach 1945 jedoch wuchs die Florenzforschung dank des Interesses US-amerikanischer Forscher wie David Herlihy, Marvin Becker, Lauro Martines, Donald Weinstein, Gene Brucker, Ferdinand Schevill sowie dem Briten Nicolai Rubinstein zu einem in einer Vielzahl an Publikationen resultierenden „large scale enterprise“31 an, welches das, was zu jeder anderen vergleichbaren Stadt im vormodernen Europa geforscht und publiziert wurde, bei Weitem übertraf. Dabei interessierten vor allem kritische „Wendepunkte“ der Stadtgeschichte, in denen sich entscheidende Veränderungen in der Erfahrung der Menschen und politischen Ordnung vollzogen.32 In der Folgezeit fokussierte sich das Forschungsinteresse dann verstärkt auch auf die Entwicklung vom Stadt-zum Territorialstaat33, das Kräfteverhältnis der verschiedenen politischen Interessensgruppen (Aristokraten, Oligarchen etc.)34 sowie das Phänomen des florentinischen „Civic spirit“.35 Besondere Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang Hans Barons „The crisis of the Early Italian Renaissance“, dessen Theorie zum Bürgerhumanismus36 zu „one of the most influential of all concepts in the history of ideas“37 avancierte und eine ganze Reihe von Folgearbeiten ←18 | 19→beeinflusst hat.38 Daneben gibt es freilich auch eine Vielzahl von Arbeiten die sich allgemein mit Phänomenen der Renaissance, wie beispielsweise dem Verhältnis von Gesellschaft und Individuum, auseinandersetzen.39

Das mitunter statische Bild der Renaissance, das von diesen Gelehrten gezeichnet wurde, wurde dann in den 1970ern und 80ern von einer neuen Generation von Historikern, angeführt von Giorgio Chittolini40, Elena Fasano Guarini41, David Herlihy42 und Anthony Molho43, aufgeweicht, die einen „pluralistic approach“ verfolgten, auf die Innovationskraft politischer Machtausübung in der Renaissance hinwiesen und insbesondere die dynamische Entwicklung vom Stadt zum Territorialstaat in das Zentrum ihrer Forschung stellten.44

Neben Florenz-spezifischen Fragen spiegelt die Stadthistoriographie indes auch allgemeine Trends der Geschichtsforschung wider. So wurde Florenz dank der ausgezeichneten Quellenlage zu einem regelrechten El Dorado für Sozialhistoriker.45

Ungeachtet der breiten Aufstellung der Florenzforschung und der zahlreichen Anknüpfungspunkte, welche die florentinische Überlieferungslage ermöglicht, ist dennoch seit jeher ein besonderer Interessensschwerpunkt auf die Geschichte der Medici ←19 | 20→gelegt worden. Mit ihrem Aufstieg im 15. Jahrhundert unter der Führung von Cosimo il Vecchio und Lorenzo il Magnifico avanciert florentinische Historiographie geradezu zur Medici-Familiengeschichtsschreibung; kaum eine in dieser Zeit und den folgenden Jahrhunderten in Florenz angesiedelte Studie kann sich einer Auseinandersetzung mit der einflussreichen Familie entziehen, und es stellt sich mitunter die berechtigte Frage nach einer florentinischen Geschichte der Renaissance jenseits der Medici.46

Das muss gerade auch für die ältere Beschäftigung mit den Medici gelten, die den Aufstieg der Familie in umfassenden Überblickswerken und insbesondere unter politik- und verfassungsgeschichtlichen Aspekten nachvollziehen. Neben den dynastischen Familienchroniken, die bereits im 16. Jahrhundert unter Ägide der Medici von Hofhistoriographen verfasst wurden,47 stellt bis heute besonders die „Istoria del Granducato di Toscana“ von Rinuccio Galuzzi aus dem Jahr 1775 dank detaillierter Schilderungen eine lohnenswerte Lektüre dar.48 Ebenfalls im Kontext des florentinischen Hofes verfasst, bietet das Überblickswerk nicht nur einen Einblick in die zeitgenössische Einschätzung mediceischer Herrschaft, sondern ist auch mit einer Reihe wertvoller, wenn auch nicht belegter Wiedergaben von Quellen versehen. Zeitlich am nächsten hierzu und von Galuzzi klar beeinflusst ist die 1924 veröffentlichte Studie Gaetano Pierracinis zu den Mitgliedern der Medici-Familie, die eine ähnliche Fülle an unbelegten Zitaten und Details bietet, die allerdings entsprechend ihrer Entstehungszeit eine mitunter fragwürdige genetisch-biologische Herangehensweise verfolgt.49

←20 | 21→

Weitere, in den folgenden Jahrzehnten entstandene, umfassendere Arbeiten zur Geschichte der Medici stammen unter anderem von Furio Diaz50 Eric Cochrane51, John Hale52, Elena Fasano Guarini,53 und Christopher Hibbert54. Einen ersten, sehr allgemein gehaltenen Einstieg in die Materie bieten auch die Beiträge von James Cleugh55 und von Volker Reinhardt, nicht nur zur Casa Medici, sondern auch zum Florenz der Renaissance.56 Während alle genannten Studien einen mehr oder weniger wissenschaftlich fundierten Überblick über die politischen Geschicke der gesamten Familie bieten, gibt es auch eine ganze Reihe an Monographien die einzelne – männliche – Exponenten der Familie in ihren Mittelpunkt stellen.57

So finden sich zu Cosimo I., anders als zu seinem Vorgänger Alessandro58, gleich mehrere Biographien, die episodisch Leben und Regierungsleistung des zweiten Mediciherzogs analysieren. Die ältesten Biographien stammen bereits aus dem 19. Jahrhundert, von Lorenzo Cantini (1805)59 und Luigi Alberto Ferrai (1882)60. Eine besonders ausführliche Analyse in zwei Bänden hat Luigi Carcereri im Jahr 1926 veröffentlicht.61 Ähnlich detailliert wie Carcereri schreibt Roberto Cantagalli im Jahr 1985 über das Leben Cosimos I.62 Zu den Cosimo bezüglichen Standard-werken gehören überdies Giorgio Spinis „Cosimo I de’ Medici e la indipendenza del principato mediceo“ aus dem Jahr 194563, sowie Furio Diaz’ „Granducato“64 aus dem Jahr 1987. Die Cosimo-Biographie von Cecily Booth von 1921 ist zwar klassisch ←21 | 22→biographisch angelegt, legt den Fokus aber bereits erstaunlich analytisch auf die Bedeutung von Zeichen und Symbolen für die (groß-) herzogliche Regierung und ist deshalb noch immer eine lohnende Lektüre.65

Neben Cosimo I. wurden auch anderen (männlichen) Mitgliedern der Familie einzelne Studien sowie Sammelbände zuteil, insbesondere freilich den beiden großen Medici des 15. Jahrhunderts, Cosimo, genannt il Vecchio, und Lorenzo, genannt il Magnifico.66

Schon früh hat sich die Forschung – insbesondere auch hier die britische und angloamerikanische – auch mit der intensiven Analyse und Interpretation des florentinischen politischen Systems befasst. Nicht umhin kommt man in diesem Zusammenhang um die brillante Untersuchung Nicolai Rubinsteins zum „Government of Florence under the Medici“ in den Jahren 1434 bis 1494, in dem selbiger akribisch und scharfsinnig die politischen Prozesse und Wandlungen der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts unter dem Einfluss der Medici analysiert.67 Einen ähnlich ereignisgeschichtlich analytischen Ansatz vertritt John N. Stephens Studie „Fall of the Florentine Republic“ aus dem Jahr 1983, die das Ende der florentinischen Republik in den politisch turbulenten und dementsprechend schwer zu durchblickenden Jahren 1512 bis 1530 untersucht.68 Der Schweizer Rudolf von Albertini indes hat 1955 das florentinische „Staatsbewusstsein“ anhand der Werke seiner prägenden zeitgenössischen Vordenker untersucht.69

Während alle genannten Studien eine Familien- und Stadtgeschichte anhand von deren bekannten männlichen Exponenten schreiben, wird erst seit kurzem der Fokus der Medici-Forschung auch auf die geradezu vernachlässigten Frauen der Familie ←22 | 23→gelegt, deren Bedeutung in politischen und diplomatischen Zusammenhängen lange Zeit unterschätzt wurde.70 Insbesondere ein Forscherkreis um Konrad Eisenbichler von der University of Toronto bemüht sich seit einigen Jahren darum, diese Lücke zu schließen.71 Auch in Deutschland hat sich zuletzt ein DFG-gefördertes wissenschaftliches Netzwerk namens MEFISTO (Medici-Frauen Interdisziplinär: Soziale Rollen, kultureller Transfer, mäzenatisches Oeuvre) eigens mit der Geschichte der weiblichen Familienmitglieder befasst.72 Die zahlreichen Arbeiten zu den Frauen der Familie zeigen dabei allerdings die durch die Quellenlage geschuldeten Grenzen dieser Forschung, da man die politischen Aktivitäten der Medici-Frauen deutlich schlechter fassen kann als die der Männer und sich ihre Bedeutung entweder nur über ihre Männer oder geradezu stereotypisch vorwiegend über ihre kulturellen Leistungen rekonstruieren lässt.73

Die Aufarbeitung der Bedeutung der weiblichen Familienmitglieder ist sicherlich der aktuell wichtigste Trend einer lange Jahrzehnte vorwiegend konservativ-biographisch-ereignisgeschichtlich ausgerichteten Medici-Forschung. Nichtsdestotrotz haben sich auch schon in den letzten Jahrzehnten Historiker der ←23 | 24→methodischen Analyse spezieller Interessensbereiche gewidmet. Besonders hervorzuheben sind hier die australischen Historiker Dale und Francis Wiliam Kent und ihr Schülerkreis, die zahlreiche Studien zum florentinischen Klientelismus-Netzwerk und Patronagesystem veröffentlicht haben.74

Im Zusammenhang mit der florentinischen Wirtschaft zur Zeit der Medici kommt man an den Studien von Richard Goldthwaite nicht vorbei, dessen Analysen des florentinischen Wirtschaftssystem besonders dadurch bestechen, dass er wirtschaftliche Prozesse und die Bedeutung von Symbolen miteinander in Verbindung bringt.75 Auch die diplomatische Vernetzung der Medici in Republik und Herzogtum wurde zuletzt verstärkt Gegenstand historiographischen Interesses.76

Sowohl von Kunst-als auch von Allgemeinhistorikern wurde und wird bis heute das Feld des kulturellen Engagements der Medici mit besonderer Hingabe bearbeitet. Angesichts der Fülle an diesbezüglichen Publikationen sollen an dieser Stelle nur die besonders herausragenden Arbeiten Erwähnung finden. Ernst Gombrichs Aufsatz zum Mäzenatentum der Medici aus dem Jahr 1985 kann bis heute als Ausgangspunkt für eine diesbezügliche Beschäftigung konsultiert werden.77 Ein Standardwerk, das einen Überblick über die Portraits der Familie bietet, stellt Karla Langedijks „Portraits der Medici“ aus dem Jahr 1981 dar78. Eine ganze Reihe an lesenswerten Arbeiten sind unter dem Vorzeichen des „Iconic Turn“ zum bewussten Einsatz von Zeichen und Symbolen als Vehikel der Reklamation und Konsolidierung von Macht durch die Medici entstanden. Paul Wiliam Richelson hat 1973 in einem Dissertationsprojekt den von Cosimo I. bevorzugt verwendeten Zeichen und Symbolen eine eigene Studie gewidmet.79 Jane Cox-Rearick hat in gleich mehreren Monographien den gezielt eingesetzten Verweischarakter von Kunstwerken auf die schicksalshafte ←24 | 25→Bestimmung der Casa Medici zur Herrschaft untersucht.80 Kurt Forsters Aufsatz „Metaphors of Rule“ aus dem Jahr 1971 bietet immer noch wertvolle Analysen zum politischen Einsatz von Symbolen und zahlreiche Anknüpfungspunkte auch für die vorliegende Arbeit.81 Ganz unterschiedliche Bereiche kulturell-künstlerischer Patronage und ihrer Bedeutung für das herzogliche Selbstverständnis unter Herzog Cosimo I. hat Henk Van Veen 2006 in den Blickpunkt genommen.82 Eine ganze Reihe von Arbeiten hat sich überdies mit der Bedeutung von Festen im Mediceischen Florenz auseinandergesetzt, wobei hier an erster Stelle Richard Trexlers wegweisende Studie zum „Public Life in Renaissance Florence“ aus dem Jahr 1980 Erwähnung finden muss.83

Wie sehr die Florentinische Kaufmanns- und Bankiersfamilie und ihr Aufstieg bis heute nicht nur Generationen von Historikern fasziniert hat, sondern auch das Interesse der geschichtsinteressierten Allgemeinheit zu fesseln vermag, zeigt schon ein knapper Blick auf den diesbezüglichen musealen Output der letzten Jahre. Erst 2013 hat eine Ausstellung im Mannheimer Reiss-Engelhorn Museum unter dem Titel „Die Medici – Menschen, Macht und Leidenschaft“ einen Blick „hinter die Kulissen“84 der Familie geworfen und unter anderem die Ergebnisse von Analysen der sterblichen Überreste von Familienmitgliedern präsentiert.85

Einen umfangreichen Blick auf Florenz auch jenseits der Medici unternahm 2013/14 die Ausstellung „Florenz!“ in der Bonner Kunst- und Ausstellungshalle, in der neben den künstlerischen und kulturellen Errungenschaften der Stadt am Arno auch wirtschaftliche, politische und religiöse Entwicklungen in den Fokus ←25 | 26→genommen wurden.86 In der Regel legen Florenzspezifische Ausstellungen aber einen klaren Fokus auf kunstgeschichtliche Aspekte und reflektieren damit die nach wie vor dominierende Interessenslage von Öffentlichkeit und Forschung.87

2. Begriffsklärungen: Legitimität und Legitimation als Gegenstände der (historischen) Forschung

Die Aufteilung von Gesellschaften in Herrschende und Beherrschte stellt ein „ewiges Problem menschlichen Zusammenlebens“88 dar. Das daraus resultierende Bedürfnis, Herrschaft als rechtmäßig auszuweisen, sie also zu legitimieren, erweist sich dementsprechend als ein „weltweites“ und „epochenübergreifendes Phänomen“.89 Als solches beschäftigt es nicht nur die Politikrubriken von Tageszeitungen, sondern auch die verschiedenen Fachdisziplinen. So zählen Fragestellungen, die mit der Legitimität von Herrschaft in Verbindung stehen, zu den zentralen Forschungskategorien der Soziologie, der Rechtswissenschaft und der Politologie.90 Diese Disziplinen können aber für die Geschichtswissenschaft – die sich ja gerade für historische Umbruchsphasen interessiert – aufgrund ihrer fachspezifischen, und oft auf ‚ideale‘ Verhältnisse zugeschnittenen Fragestellungen nur sehr eingeschränkt wertvolle Erkenntnisse liefern. In der historischen Forschung selbst jedoch ist dem Problem (herrschaftlicher) Legitimität erst seit Kurzem vermehrte Beachtung zuteil geworden: Wurde es bislang eher zufällig, etwa am Rande von kunst- und kulturhistorisch ausgerichteten Studien zur Herrschaftsrepräsentation behandelt, rückte es zuletzt explizit in den Fokus historischen Erkenntnisinteresses, was die Vielzahl der ←26 | 27→gerade in den letzten zehn Jahren zum Thema erschienenen Publikationen belegt. Dieses Interesse betrifft nicht nur die Frühe Neuzeit, sondern alle historischen Teildisziplinen, angefangen bei der Alten Geschichte, über die Mediävistik bis hin zur Zeitgeschichte. Untersucht wird Legitimität dabei entweder in ihrem epochenspezifischen Auftreten oder aber als epochenübergreifendes Phänomen. Epochenspezifische Studien versuchen, die Charakteristika der Herrschaftslegitimation innerhalb einer Epoche zu benennen, oder im Rahmen von Fallstudien über Einzelherrschaften beziehungsweise synchron vergleichende Studien, Erkenntnisse über Herrschaftslegitimation respektive Herrschaftslegitimität zu gewinnen.91 Epochenübergreifende Studien hingegen decken mitunter sehr lange historische Zeitspannen ab, in der Absicht, Entwicklungen und Veränderungen von Legitimitätsmodellen nachzuvollziehen. Oft finden sich solche Studien in Sammelbänden als Ergebnis interdisziplinärer Tagungen zusammengefasst.92 Ein Großteil dieser Untersuchungen bezieht sich im Titel dezidiert auch auf die Legitimitätsgeltung, der sie auf den Grund gehen – insbesondere auf „Herkunft und Ursprung“ von Legitimität.93 Hinsichtlich der mediceischen Herrschaftslegitimität ist insbesondere die erst kürzlich erschienene Studie von Gregory Murry erwähnenswert, die sich systematisch mit der göttlichen Herleitung mediceischer Herrschaftsgewalt auseinandersetzt.94 Weitere, breiter angelegte Untersuchungen zur mediceischen Herrschaftslegitimierung liegen bislang allerdings nicht vor.

Trotz der konstatierten verstärkten Aufmerksamkeit der Historiographie stellen historische Einzel- und Überblicksstudien zur Legitimität und Legitimation von Herrschaft nach wie vor ein Desiderat historischer Forschung dar, da die Zeit-, Kultur- und Raumgebundenheit von Legitimitätsmodellen eine wesentlich größere Bandbreite an Analysen als bisher vorhanden erfordert, um der Komplexität des Begriffes gerecht werden und allgemeine Schlüsse über Mechanismen von Legitimation gewinnen zu können. Die vorliegende Studie versteht sich deshalb als Beitrag zur Erforschung von Legitimität und Legitimation im historischen Kontext anhand einer epochenspezifischen Fallstudie: der Herrschaft der florentinischen Medici-Herzöge zu Beginn ihres Prinzipates.

←27 | 28→

Bevor in medias res gegangen wird, ist es allerdings nötig, einige definitorische Vorbemerkungen hinsichtlich der in dieser Arbeit verwendeten analytischen Kategorien zu treffen: Aufgrund der Vielzahl an Wissenschaften, die sich dem Problem der Legitimität und Legitimation von Herrschaft mit ihren ganz eigenen methodischen Instrumentarien annähern, ihrem Fach entsprechende wissenschaftliche Fragen stellen und eigene fachspezifische Definitionen vornehmen, sind letztlich sehr unterschiedliche Begriffsinhalte entstanden. Gleichzeitig verführt die Abstraktheit des Begriffs und dessen landläufiger Gebrauch häufig zu einem Mangel an begrifflicher Schärfe und tut damit ein Weiteres, den Diskurs über Legitimität zu verkomplizieren.95 Einziger Konsens besteht darüber, dass Legitimität „Rechtfertigung von Herrschaft“ bedeutet.96 Gerade die Universalität des Konzepts stellt also ein Problem dar, dem sich jede wissenschaftliche Analyse von herrschaftlicher Legitimität zwangsläufig zunächst stellen muss – so auch die vorliegende!

Folgende definitorische Setzungen sollen deshalb Grundannahmen formulieren, die für die vorliegende Studie verbindlich sein, Licht in das Begriffsdunkel bringen und damit eine seriöse Diskussion von Legitimität überhaupt erst ermöglichen sollen.

2.1 Legitimität und Legalität

Legitimität und Legalität sind als Begriffe eng miteinander verwoben, werden dementsprechend häufig in gemeinsamen Zusammenhängen genannt und mitunter nicht trennscharf voneinander unterschieden. Legalität bezieht sich in erster Linie auf die Gesetzmäßigkeit von Herrschaft. Legal kann eine Herrschaft nach heutigem (!) Verständnis dann genannt werden, wenn sie durch einen Gesetzesakt konstituiert wurde und wenn ihre Handlungen ausnahmslos in Übereinstimmung mit den Gesetzen ausgeführt werden. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass eine Regierung, die gegen die Gesetze verstößt, niemals legal sein kann.97 Ob die gesetzesgemäßen Handlungen von den Beherrschten unterstützt oder ablehnt werden, spielt für die Legalität genauso wenig eine Rolle wie die Motive, die der Zustimmung oder Ablehnung zugrunde liegen.98 Nach Max Weber bildet eine auf der Überzeugung von Vernunftprinzipien beruhende Herrschaft einen eigenen Typ legitimer Herrschaft, den er ‚rationale Herrschaft‘ nennt.99 Während im modernen demokratischen Rechtsstaat die Unterscheidung der beiden Begriffe als obsolet ←28 | 29→erscheint, da die Übereinstimmung von Herrschaft mit den Gesetzen eine unverzichtbare Legitimitätsbedingung darstellt,100 konstituierten Legitimität und Legalität in vormodernen Systemen noch unabhängige Variablen, da Gesetzeskonformität nicht zwangsläufig eine Prämisse legitimer Herrschaft war.101 Zu berücksichtigen ist in Bezug auf die Vormoderne auch der Umstand, dass Recht nicht zwangsläufig durch einen Gesetzgebungsprozess zustande kommen musste, sondern sich häufig aus der permanenten Anwendung von Rechtsvorstellungen und Regeln ergab, die über einen längeren Zeitraum hinweg allgemeine Akzeptanz erlangt hatten. Dieses ‚Gewohnheitsrecht’ war dem ‚herkömmlichen’ Recht in keiner Weise nachrangig. Die genaue Bestimmung des Verhältnisses von Legitimität und Legalität kann dementsprechend nicht ohne eine Berücksichtigung des jeweiligen Epochenkontextes erfolgen, da sich beide Begriffe nicht statisch zueinander verhalten und einem kontinuierlichen Wandel unterworfen sind.

Im Unterschied zur legalen Herrschaft ist die rein formale Rechtmäßigkeit, wie sie sich in der Einhaltung von auf dem Rechtsweg festgelegten oder gewohnheitsmäßig anerkannten Gesetzen ausdrückt, als Grundlage einer sich als legitim verstanden wissen wollenden Herrschaft nicht ausreichend. Damit eine Herrschaft als legitim anerkannt werden kann, muss sie sich vielmehr durch schwer fassbare inhaltliche Elemente wie „Glauben an“ und „Vertrauen auf“ die Berechtigung des Herrschenden zur Ausübung der Herrschaft von Seiten der Beherrschten auszeichnen.102 Die legitimierenden Momente entstammen damit interessanterweise meist gar nicht „der Welt des Rechts im engeren Sinn“, sondern verweisen auf verschiedene kontextgebundene Seins- und Erfahrungsbereiche.103 Dieser so genannte „Legitimitätsglaube“104 stellt auch ein zentrales Element der von Max Weber 1922 im Rahmen seiner wegweisenden Studie „Wirtschaft und Gesellschaft, Grundriss der verstehenden Soziologie“ formulierten ‚klassischen‘ Legitimitätstheorie dar, die den Grundstein für die soziologische Auseinandersetzung mit der Legitimität von Herrschaft gelegt hat, die auch die Nachbardisziplinen maßgeblich beeinflusst hat und dies bis heute tut. Der Glaube an die Rechtmäßigkeit einer Herrschaft bedingt Weber zufolge deren freiwillige Akzeptanz sowie die Fügsamkeit der Beherrschten und ist damit eine wesentliche Prämisse für Sicherheit, Stabilität und Kontinuität jedweder ←29 | 30→Regierung.105 Diese freiwillige Akzeptanz resultiert aus der allgemein anerkannten Sinnhaftigkeit und Anerkennungswürdigkeit der Weisungen des Herrschers von Seiten der Untertanen.106 Was Weber in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum ersten Mal theoretisch analysiert und formuliert hat, war wohl auch den Herrschern der Frühen Neuzeit intuitiv bewusst. In einem Brief an Alfonso I., König von Neapel und Aragon, aus dem Jahr 1445 konstatierte beispielsweise Herzog Borso d’Este von Ferrara: „(…) le fortesse de li stati consisteno, sequondo nuiu, principalmente in lo amore di subditi.“107 Fehlte diese Überzeugung respektive „Liebe“ hingegen, drohten Rebellion und Krise.108 Es ist kein Zufall, dass sich gerade Legitimität und Stabilität von Regierungen in historischen Quellen in engem inhaltlichem Zusammenhang finden und fast schon synonym gebraucht werden.

Es soll hier angemerkt sein, dass Webers Charakterisierung von Legitimität als Fortbestandsvoraussetzung von Herrschaft in der Folge häufig kritisiert worden ist. Macht, die nicht auf Legitimität beruht, müsse, so die Kritiker, das Funktionieren eines Systems nicht ausschließen. Vielmehr könne Herrschaft auch durch Despotie und Diktatur aufrechterhalten werden.109 Dennoch wird man, auch heutzutage, kein totalitäres oder autoritäres System finden, das nicht zumindest den Versuch seiner Legitimierung unternimmt.110 Das Bemühen des Herrschenden, den Legitimitätsglauben zu aktivieren, muss allerdings sein Gegenstück finden in der Bereitschaft von Beherrschten, ihm ebendiesen Glauben entgegenzubringen und ihn dauerhaft zu verinnerlichen. Das heißt, das Legitimitätspostulat, aus dem der Herrschende seinen Anspruch auf Gehorsam bezieht, muss mit einem Legitimitätseinverständnis von Seiten der Untergebenen korrespondieren, das deren ←30 | 31→Gehorsamkeitsbereitschaft zur Folge hat.111 Erst aus dieser wechselseitigen Übereinstimmung kann eine im eigentlichen Sinne legitime Herrschaft resultieren. Diese Form der Anerkennung muss dem Herrschenden aber keinesfalls ausnahmslos von allen Untergebenen gezollt werden, damit seine Herrschaft als legitim gelten kann.112

Nicht unbedeutend für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Legitimität ist es, dass von diesem Wechselspiel in der Regel beide Seiten in irgendeiner Form profitieren. Darin offenbart sich letzten Endes auch ein einschränkendes Moment von Herrschaft, da der legitime Herrscher in seinem Handeln nur frei ist, so lange er die Legitimitätsvoraussetzungen des mit den Untertanen geschlossenen „Abkommens“ erfüllt, und einen wechselseitigen Nutzen garantieren kann.113 Ein Herrschender, dem das nicht gelingt, verliert möglicherweise auch die Grundlage seiner Legitimität und damit seine Herrschaftsberechtigung. Legitime Herrschaft ist deshalb häufig auch mit guter, weil nutzbringender Herrschaft gleichgesetzt.114

In den meisten Studien wird Legitimität vor allem auf das wechselseitige Verhältnis von Herrscher und Beherrschten bezogen. Für die vorliegende Arbeit soll die geschilderte Dynamik noch um eine weitere Perspektive ergänzt werden, denn nicht nur für die historische Beschäftigung mit den Medici scheint diese Betrachtungsweise zu kurz gegriffen: Um eine Herrschaft dauerhaft zu installieren, ist die ‚innere‘ Akzeptanz allein nicht ausreichend. Vielmehr muss einem Staatsoberhaupt immer auch an der Anerkennung seiner Legitimität von Seiten anderer, untergeordneter, gleichrangiger und übergeordneter Staatsoberhäupter gelegen sein, da Herrschaft nicht nur von ‚innen‘, sondern auch von ‚außen‘ in ihrer Berechtigung angezweifelt werden kann. Im Folgenden soll deshalb davon ausgegangen werden, dass Legitimität sowohl eine innere als auch eine äußere Dimension hat, wobei beide Dimensionen in engem Zusammenhang stehen, einander überschneiden und sich gegenseitig bedingen.115 Legitimierungsstrategien haben also immer zwei ‚Stoßrichtungen‘.

←31 | 32→

2.2 Souveränität

Die Anerkennung ‚von außen‘ stellte und stellt sich deshalb als so wichtig dar, weil sie als sichtbarer Ausdruck herrschaftlicher Souveränität angeführt werden kann. Souveränität steht damit in einem engen konzeptuellen Zusammenhang mit Legitimität und beide Konzepte werden nicht von ungefähr häufig in ihren Wechselwirkungen untersucht. Im Hinblick auf die dieser Arbeit zugrunde liegende Fragestellung darf dementsprechend auch eine definitorische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Souveränität nicht fehlen.116

Dabei wird man allerdings schnell mit ähnlichen Schwierigkeiten wie bei der Definition des Begriffsfeldes Legitimität/Legitimation konfrontiert, weil nicht nur auch hier jede Fachwissenschaft ihren eigenen Zugang etabliert hat, sondern bereits in der Frühen Neuzeit eine Vielzahl von nebeneinander existierenden und häufig voneinander differerierenden Auffassungen bestand.117 Ein Minimalkonsens findet sich damals wie heute allein in der Auffassung von Souveränität als Unabhängigkeit und Eigenständigkeit eines Herrschers, seine inneren Staatsangelegenheiten mittels uneingeschränktem Gewaltmonopol, ohne Einmischung anderer übergeordneter Herrscher, ausüben zu können. Dabei liegt der Gedanke zu Grunde, dass jedwede Einmischung von außen, wenn auch vermeintlich auf äußere Angelegenheiten beschränkt, immer innenpolitische Verbindlichkeiten zur Folge haben muss und damit gleichsam die innere Souveränität beschneiden würde.118 Genau wie Legitimität hat Souveränität damit eine innere und eine äußere Dimension.

Die „moderne“ Begriffssemantik von Souveränität bildete sich erst im 16. Jahrhundert, insbesondere im Zusammenhang mit der langsamen Etablierung frühmoderner staatlicher Strukturen, heraus und wurde vom französischen Denker Jean Bodin gegen Ende des Jahrhunderts zum ersten Mal in den „Six Livre de la republique“ vor dem Hintergrund der französischen Monarchie theoretisch durchdacht.119 Zu dem, was Bodin als „Summa potestas“ oder auch „majestas imperii“ bezeichnete, gehörte insbesondere die Bestimmung von gesellschaftlichen Entscheidungsträgern und deren juridischen Befugnissen.120 Der besondere Fokus auf Gesetzgebungskompetenz und Verfassung sowie der enge Konnex der bei Bodin zwischen Souveränität und staatlichen Strukturen bestand, war auch ein wesentliches Merkmal, in dem sich frühmodernes und mittelalterliches Verständnis von Souveränität voneinander unterschieden.121 Das bedeutete freilich nicht, dass der ←32 | 33→Herrscher über den Gesetzen stand, in Bodins Worten „legibus solutus“ war. Denn durch Schrankenlosigkeit oder, in anderen Worten, Tyrannei, hätte der Herrscher seine Anerkennung als legitimer, da freiwillig anerkannter Herrscher und damit eine wesentliche Grundlage seiner Herrschaft, verloren.122

Ein anderer Unterschied von mittelalterlichem und frühneuzeitlichem Souveränitätsverständnis betrifft die Akteure, deren Kreis sich in der Renaissance deutlich zu weiten begann. Waren es im Mittelalter traditionell Papst und Kaiser gewesen, die um uneingeschränkte Herrschaft im Bereich der Temporalia und Spiritualia konkurrierten und die politischen Geschicke Europas maßgeblich beeinflussten, kamen in der Renaissance eine Reihe weiterer Protagonisten ins Spiel, die angesichts der häufig vorhandenen Bindung an Kaiser oder andere Lehensherren zwar nicht mit Summum Imperium, so doch zumindest mit Superioritas Territorialis auf der internationalen politischen Bühne zu agieren suchten, das althergebrachte Lehenssystem unterwanderten und unabhängige Macht beanspruchten. Ein wesentlicher Antrieb hierfür war wiederum die Herausbildung frühmoderner staatlicher Strukturen, die sich noch nicht durch den abstrakten Charakter heutiger Staatlichkeit auszeichneten, sondern stark individualisiert waren. Ergo verliefen internationale Beziehungen nicht zwischen „Staaten“, sondern zwischen souveränen Personen innerhalb einer Fürstengemeinschaft, oder Société des princes. Finanzielle und militärische Ressourcen und Befehlshoheit nach innen reichten in dieser internationalen Ordnung nicht aus, Souveränität zu konstituieren. Vielmehr bedurfte der nach Anerkennung strebende Herrscher auch „sozialer Schätzung“, die allein Sache seiner adeligen Kollegen war, sich insbesondere im internationalen Zeremoniell äußerte und der inneren Befehlshoheit erst konkrete Schlagkraft verlieh.123 Für diese von außen verliehene Souveränität war die Anerkennung von Seiten der Bevölkerung keine unbedingte Vorraussetzung, es ist aber davon auszugehen, dass die Akzeptanz von innen, die gleichzeitig die Ehre und Würde des Herrschers und des von ihm repräsentierten Staates symbolisierte, sich auch positiv auf die Akzeptanz von außen niederschlug. Wer also politisch eine Rolle in der frühneuzeitlichen Politik spielen und konkrete Macht für sich in Anspruch nehmen wollte, musste die Teilhabe im internationalen diplomatischen Zeremoniell anstreben.124 Obwohl André Krischer zufolge hauptsächlich Könige als vollwertig souveräne Herrscher anerkannt wurden,125 geht Matthias Schnettger angesichts der „reduzierten Souveränität“ vieler kleiner frühneuzeitlicher Staaten davon aus, dass das Streben nach Souveränität ein wesentliches Element der Politik auch dieser politischen Entitäten war.126

←33 | 34→

Vergleichbare Wechselbeziehungen von innen und außen sowie ähnliche Motive politischen Handelns lassen sich auch für die Legitimitätsgeltung konstatieren, was in der Tat zeigt, wie eng beide Konzepte miteinander verwoben sind. Tatsächlich kann Souveränität sowohl als Ergebnis, als auch, je nach Sichtweise, Ausdruck von Legitimität dienen: Damit das Summum Imperium respektive die Superioritas territorialis eines Herrschers und dessen autonomes Regieren auf internationalem Parkett gemeinhin anerkannt wurden, musste es von einem nach außen als legitim wahrgenommenen Herrscher ausgeübt werden; diese Anerkennung wiederum konnte umgekehrt als Beleg von Legitimität ins Feld geführt werden.127

Das Streben nach Souveränität konnte sich in vielfältiger Weise äußern: Zeremonielle Konflikte im Kontext internationaler diplomatischer Beziehungen sind sicherlich dessen beste Reflektion. Für das Italien der Renaissance im Speziellen drückte sich das Souveränitätsstreben politisch in einem permanenten Kompetenzaushandlungsprozess der italienischen Reichsstände mit dem Kaiser aus. Dieser äußerte sich im Falle des mediceischen Florenz in einem zunehmenden Rekurs auf die angebliche Ernennung durch das Volk als Manifestation göttlichen Willens und in der Folge in der Reklamierung eines erhöhten Ranges im internationalen Zeremoniell.128

Der mediceische Rekurs auf das Volk darf indes nicht als Ausdruck von Volkssouveränität gewertet werden, der zweiten großen Ausdrucksform von Souveränität in der Frühen Neuzeit.129

In gewisser Weise als Gegenmodell zum Verständnis einer fürstenzentrierten Souveränität, die allein durch die soziale Billigung anderer Herrscher verliehen wird, steht die im 16. und 17. Jahrhundert von Hobbes entwickelte Vorstellung einer Volkssouveränität, die von einem wechselseitigen Einverständnis von Herrscher und Volk ausgeht, in dessen Konsequenz letzteres seine Souveränität „vertraglich“ an den Fürsten überträgt. Herrschaftliche Befehlsgewalt ist in dieser Sichtweise nur abgeleitet und steht in keinem Bezug zu internationalen Beziehungen.130

Diese grobe Differenzierung zwischen fürstlichem Summum imperium und Volkssouveränität ist indes nicht dazu geeignet, das Phänomen frühneuzeitlicher Souveränität zufriedenstellend und ihren individuellen Ausprägungen zu erfassen.

Ähnlich wie Legitimität muss auch Souveränität vielmehr in Form von regionalen und epochalen Fallstudien analysiert werden. Oder, in Raia Prokhovniks Worten: „No conception of sovereignty, including the modern state one, is universal, transcendent in character, or transhistorcal in its reach“.131

←34 | 35→

2.3 Legitimität und Legitimation

Angesichts des von Weber erkannten systemimmanenten Strebens nach Anerkennung von Rechtmäßigkeit muss überdies begrifflich unterschieden werden zwischen Legitimation beziehungsweise Legitimierung als Prozess, und Legitimität als Ergebnis und Zustand – zwei in der Tat eng miteinander korrespondierende Begriffe, die im allgemeinen Sprachgebrauch häufig nicht sauber voneinander getrennt werden.132 Als Legitimation oder Legitimierung bezeichnet man das „Verfahren“ und die in diesem Verfahren zur Anwendung kommenden Strategien, durch die Rechtmäßigkeit, präziser der ‚Glauben an‘ und das ‚Vertrauen auf‘ die Rechtmäßigkeit einer Herrschaft generiert werden soll. Bei erfolgreichem Verlauf resultiert dieser Vorgang in der Legitimität von Herrschaft, die sich dadurch auszeichnet, dass sie in ihrer Berechtigung nicht in Frage gestellt wird.133 Mit Legitimität bezeichnet man also sowohl das Ergebnis des Legitimationsprozesses als auch die dadurch hergestellte „Eigenschaft der Herrschaftsgewalt“134. Dabei liegt die Betonung ganz bewusst auf „hergestellt“, denn Legitimität ist, um es in Guglielmo Ferreros Worten auszudrücken, „niemals ein natürlicher, spontaner, einfacher, unmittelbarer (…)“, sondern vielmehr immer ein „künstlicher und zufälliger Zustand“135. Keine Regie-rung verfüge im Moment ihres Entstehens bereits über Rechtmäßigkeit, so Ferrero weiter, weshalb es sich bei Legitimität immer um ein über einen meist längeren Zeitraum in einer Art ‚Gewöhnungsphase‘, bewusst erzeugtes Konstrukt handele. Nicht immer müsse dieser Konstruktionsprozess erfolgreich verlaufen.136

Das heißt, dass dem Zustand der Legitimität stets der einer – wie auch immer gearteten – „Vorlegitimität“ vorausgeht, in dem Legitimation als Prozess stattfindet.137 Von Fall zu Fall entschieden werden muss dabei, wann genau dieser Zustand der Vorlegitimität als beendet und Legitimität als erreicht gelten kann. Dabei wird man angesichts historischer Prozesse schwerlich auf klare Zäsuren stoßen, sondern vielmehr Zeiträume definieren müssen. Allerdings stellen Gesellschaften in der Regel die Frage nach der Herrschaftsberechtigung ihres Oberhauptes überhaupt nicht. Diese wird vielmehr als ein bereits vor der eigenen Geburt existierendes System gleichsam ererbt und als selbstverständlich und natürlich wahrgenommen.138 Nichtsdestotrotz wird ein Herrscher auch einen bereits bestehenden Glauben an seine Rechtmäßigkeit weiterhin zu wahren und zu erneuern suchen. Anders ist die ←35 | 36→Lage in ‚kritischen‘ Phasen von Herrschaft, also dann, wenn ein Herrscher sein Verhalten nicht an den bereits existierenden Vorstellungen von legitimer Herrschaft ausrichten kann oder will, sondern eine Änderung dieser Vorstellungen herbeizuführen beabsichtigt und dadurch Interessenskonflikte entstehen.139 Zwangsläufig findet sich dieser Fall bei der Installation eines neuen politischen Systems, wenn die Herrschaftsform als solche legitimiert werden muss. Andere Beispiele sind Herrscherwechsel wie der vom Vater auf den Sohn, der von einer Dynastie zur nächsten oder der vom dynastischen Herrscher zum Usurpator, die eine Legitimation des Herrschers als Person erforderlich machen. Mitunter können auch sich ändernde innere und äußere politische Machtverhältnisse die legitime Basis der Herrschaft bedrohen. Man kann deshalb konstatieren, dass sich das Bedürfnis nach Legitimation vor allem in Verbindung mit Übergangsphasen von Herrschaft findet, um wie auch immer geartete neu geschaffene Herrschaftsverhältnisse ex post zu rechtfertigen. Noch einmal: Dieses Bedürfnis kann sowohl das Herrschaftssystem als auch die Herrscherpersönlichkeit als solche betreffen.140 Zusätzlich unterstrichen wird diese Feststellung durch den Befund, dass das Problem der Herrschaftsberechtigung zu allen Zeiten vor allem in Phasen politischen Umbruchs diskutiert wurde.141

Diese Beobachtung einer ex post konstruierten Legitimität und des in Krisenzeiten gesteigerten Legitimitätsbedarfs muss meines Erachtens um eine weitere Dimension ergänzt werden: Der Legitimitätsbedarf kann sich im Verlauf einer Herrschaft auch ohne Krise wandeln und ansteigen, dann nämlich, wenn sich die Grundlage herrschaftlicher Macht verändert, erweitert beziehungsweise erweitert werden soll.142 Konkret betrifft das Fälle, in denen auf einen statusmäßigen Aufstieg in Form einer Rangerhöhung hingearbeitet wird. Legitimation als Prozess kann damit also auch antizipierend (!) auftreten, wenn eine solche Ausdehnung der Machtbasis angestrebt wird und vorbereitet werden soll. Diese Grundannahme von zwei kategorial unterschiedlichen Arten des Legitimationsprozesses spielt für die konzeptionelle Gestaltung der vorliegenden Arbeit eine wichtige Rolle, da beide Fälle im Falle der Medici vorliegen: Musste Cosimo de’ Medici die Herrschaft seiner Familie in den ersten Jahren seiner Regierung noch ex post legitimieren, so dominierte mit dem Streben nach dem ranghöheren Titel spätestens ab den 1560er Jahren die zweite Komponente antizipierender Legitimation.

←36 | 37→

2.4 Geltungsgründe legitimer Herrschaft

Bislang noch nicht berücksichtigt wurde die Frage nach den Geltungsgründen legitimer Ordnungen, wodurch genau also Glauben und Vertrauen auf Legitimität überhaupt konstituiert werden beziehungsweise welche Qualitäten ein legitimer Herrscher konkret aufweisen muss, um gemeinhin als solcher anerkannt zu werden. Tatsächlich lässt sich diese Frage nicht ohne Weiteres beantworten, zumindest nicht auf eine allgemeingültige, pauschale Weise. Vielmehr sind die Grundlagen legitimer Herrschaft und der damit korrespondierende Legitimitätsglaube in „hohem Maß zeitbedingt und relativ“143: So wie sich die politischen, religiös-ethischen, wirtschaftlichen, territorialen und kulturellen Rahmenbedingen einer Gesellschaft wandeln, so wandeln sich auch deren Vorstellungen von Legitimität. Unter legitimer Herrschaft wird also je nach Epoche etwas anderes verstanden. Aber auch innerhalb einer Epoche kann es zu enormen Unterschieden im Verständnis von Legitimität kommen.144 Und selbst innerhalb einer einzigen Herrschaftsperiode kann sich die Auffassung von legitimer Herrschaft wandeln beziehungsweise einem Wandel unterworfen werden. Als nur ein Beispiel unter vielen sei hierfür der Fall des Frankenkönigs Chlodwig I. angeführt, der um das Jahr 500 als erster Frankenherrscher zum Christentum konvertierte. Ursprünglich hatte er seinen herrschaftlichen Vorrang über seine Abstammung von einer langen vergöttlichten Ahnenreihe legitimiert, an deren Anfang ein mythisch verklärter Ahnherr stand. Seine Idoneität manifestierte sich seinen Gefolgsleuten unmittelbar über das sogenannte Königsheil, das dem jeweiligen König Erntesegen und vor allem Waffenheil – zwei elementare Bedürfnisse der fränkischen Gesellschaft – garantierte.145 Solange sich der König in diesen Bereichen nachweisbar erfolgreich bewährte, galt seine Herrschaft auch als legitim. Mit seiner Konversion musste er zwangsläufig auf die Göttlichkeit seiner Vorfahren, für die im monotheistischen Christentum kein Raum mehr war, als Reservoir herrscherlicher Kraft verzichten.146 Wichtiger noch als die ←37 | 38→vergöttlichte Abstammungslinie als Legitimitätsbasis von Chlodwigs Herrschaft, durch deren Aufgabe allein die Stabilität seiner Regierung, so Becher, wohl nicht gefährdet worden wäre, galten bislang von den heidnischen Göttern garantierte Faktoren wie Wohlstand, Macht und vor allem Kriegserfolg. Es ist deshalb kein Zufall, dass die Überlieferung in unmittelbarem Zusammenhang mit Chlodwigs Konversion dessen Kampf gegen die Alemannen nennt. Angesichts der drohenden Niederlage und folglich des Versagens der eigenen Götter soll sich Chlodwig an Jesus Christus mit der – erfolgreichen! – Bitte um Hilfe gewandt haben.147 Mit der Taufe wurde schließlich die alte germanische Basis des fränkischen Königtums endgültig christlich umgeprägt. Nicht mehr die heidnischen Gottheiten, sondern der eine christliche Gott gewährte nun das Waffenheil, welches wiederum den Legitimitätsglauben der Gefolgsleute sicherte. Die, wenn auch nicht göttliche, so doch zumindest göttlich verklärte Ahnenreihe wurde durch ‚simplen‘, aber durch das Christentum vielfach potenzierten Adel substituiert, der von nun an die hervorgehobene Stellung und herrscherliche Eignung des Königs gewährleisten sollte. Ohne dieses, wenn auch nicht explizit genannte, so doch implizit erkennbare veränderte Gedankenmodell hätte die neue christlich fundierte Herrschaft der Frankenkönige zwangsläufig in eine Krise geraten müssen.148

Details

Seiten
486
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631733677
ISBN (ePUB)
9783631733684
ISBN (MOBI)
9783631733691
ISBN (Hardcover)
9783631732311
DOI
10.3726/b11721
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Juni)
Schlagworte
Legitimität Florenz, Republik und Herzogtum Renaissance Frühe Neuzeit Legalität Souveränität
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 486 S., 13 s/w Abb.

Biographische Angaben

Christina Lentz (Autor:in)

Christina Lentz studierte Geschichte und Germanistik an der Universität Regensburg und der Università degli studi di Pisa. Sie promovierte an der Universität Regensburg. Ihre Interessensschwerpunkte liegen insbesondere auf der materiellen Kultur, der Bedeutung von Zeichen und Symbolen sowie Herrschaftsstrukturen der Frühen Neuzeit.

Zurück

Titel: «Exaltare» und «Stabilire» – Legitimierungsstrategien der Medici im Übergang zum Herzogtum
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
book preview page numper 35
book preview page numper 36
book preview page numper 37
book preview page numper 38
book preview page numper 39
book preview page numper 40
488 Seiten