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Diskursive Konstruktion von Terrorismus in deutschen und chinesischen Medien

Vergleichende korpuslinguistische Analysen

von Kuanyong Qiu (Autor:in)
©2020 Dissertation 462 Seiten

Zusammenfassung

Ausgangspunkt für diesen Band ist der Terrorismus als weltweit prominentes Thema in Printmedien. Die Autorin arbeitet Veränderungen der diskursiven Konstruktion dieses Themas während vier ausgewählter Untersuchungszeitpunkte heraus. Sie zeigt, dass die unterschiedlichen politischen, wirtschaftlichen und kulturell-philosophischen Rahmenbedingungen in Deutschland und China die diskursive Konstruktion von Terrorismus beeinflussen. Die Analysen illustrieren, wie solche Zusammenhänge, Entwicklungen und Divergenzen durch eine korpusbasierte Diskursanalyse sichtbar gemacht werden können. Mit ihren statistikbasierten Methoden und anhand der großen Datenmengen gewinnt die Autorin eine neue Perspektive auf das Thema Terrorismus und erweitert das Methodenrepertoire der Diskursanalyse.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • INHALTSVERZEICHNIS
  • 1 EINLEITUNG
  • 1.1 AUFBAU DER ARBEIT
  • 1.2 KRITISCHE BETRACHTUNG VERSCHIEDENER DEFINITIONEN VON TERRORISMUS UND DIE ROLLE DER MEDIEN FÜR DIE SINNKONSTITUTION
  • 1.3 DISKURSPOSITIONIERUNG IM POLITISCHEN, WIRTSCHAFTLICHEN UND KULTURPHILOSOPHISCHEN FELD
  • 1.3.1 CHINA
  • 1.3.1.1 POLITIK IN CHINA
  • 1.3.1.2 WIRTSCHAFT IN CHINA
  • 1.3.1.3 KULTUR-PHILOSOPHIE IN CHINA
  • 1.3.2 DEUTSCHLAND
  • 1.3.2.1 POLITIK IN DEUTSCHLAND
  • 1.3.2.2 WIRTSCHAFT IN DEUTSCHLAND
  • 1.3.2.3 KULTUR-PHILOSOPHIE IN DEUTSCHLAND
  • 1.4 FRAGESTELLUNG UND MOTIVATION DER UNTERSUCHUNG
  • 1.5 GEGENSTANDSABGRENZUNG
  • 1.6 FORSCHUNGSSTAND UND LÜCKE: LINGUISTISCHE UNTERSUCHUNGEN ZU TERRORISMUS
  • 2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
  • 2.1 DISKURSANALYSEN UND DISKURSKONZEPTIONEN
  • 2.2 KORPUSLINGUISTISCHE DIMENSION DES DISKURSES: VOM KORPUS ZUM DISKURS
  • 2.3 VERFAHREN DER DISKURSANALYSE: EINE INTEGRATIVE MODIFIKATION BISHER VERWENDETER VERFAHREN ZUR BESCHREIBUNG VON DISKURSOBJEKTEN
  • 3 METHODOLOGISCHES UND METHODISCHES
  • 3.1 KORPUSLINGUISTISCHE ZUGÄNGE ZUR DISKURSANALYSE
  • 3.2 WERKZEUGE ZU QUANTITATIV INFORMIERTER QUALITATIVER ANALYSE
  • 3.2.1 PROGRAMM: ANTCONC3.2.4W
  • 3.2.2 FREQUENZLISTE: WORTLISTE UND WORT-CLUSTER
  • 3.2.3 KEYWORDS
  • 3.2.4 KOOKKURRENZ: DEFINITION, STATISTIK FÜR KOOKKURRENZ UND VISUALISIERUNG ALS KOOKKURENZPROFIL
  • 3.2.5 KONKORDANZ
  • 3.2.6 BEWERTENDE KONTEXTE IN DER DISKURSANALYSE
  • 3.3 KORPORA IN DER DISKURSANALYSE
  • 3.3.1 BESTANDTEILE EINES KORPUS UND KRITISCHE BETRACHTUNG DER VERWENDUNG DER METAINFORMATIONEN
  • 3.3.2 DAS KORPUS ZU EINEM AUSSCHNITT DES TERRORISMUS-DISKURSES
  • 3.3.2.1 KRITERIEN DER KORPUSERSTELLUNG ZUM DISKURSOBJEKT „TERRORISMUS“ IN DEN DEUTSCHEN UND CHINESISCHEN MEDIEN
  • 3.3.2.2 KORPUSERSTELLUNG UND -AUFBEREITUNG
  • 3.3.2.3 PROFILE DER AUSGEWÄHLTEN ZEITUNGEN
  • 3.3.2.3.1 DEUTSCHE ZEITUNGEN Die Welt UND Süddeutsche Zeitung
  • 3.3.2.3.2 CHINESISCHE ZEITUNGEN People’s Daily UND Southern Metropolis Daily
  • 4 EMPIRISCHE UNTERSUCHUNG
  • 4.1 WORTLISTEN-ANALYSE
  • 4.1.1 DIACHRONER VERGLEICH DER WORTLISTEN IN DEN DEUTSCHEN MEDIEN (SZ UND Die Welt)
  • 4.1.2 DIACHRONER VERGLEICH DER WORTLISTEN IN DEN CHINESISCHEN MEDIEN (PD UND SMD)
  • 4.1.3 ZWISCHENFAZIT: DIVERGENZEN ZWISCHEN DEN DEUTSCHEN UND DEN CHINESISCHEN WORDLISTEN
  • 4.2 KEYWORDLISTEN-ANALYSE: VERBEN UND HANDLUNGEN
  • 4.2.1 KRITISCHE BETRACHTUNG DER VERWENDUNG DES REFERENZKORPUS UND EINSATZ DES „DYNAMISCHEN“ REFERENZKORPUS IN DER VORLIEGENDEN ARBEIT
  • 4.2.2 DIACHRONER VERGLEICH DER KEYWORDLISTEN IN DEUTSCHEN MEDIEN (SZ UND Die Welt)
  • 4.2.3 DIACHRONER VERGLEICH DER KEYWORDLISTEN IN CHINESISCHEN MEDIEN (PD UND SMD)
  • 4.2.4 ZWISCHENFAZIT: DIVERGENZEN ZWISCHEN DEN DEUTSCHEN UND DEN CHINESISCHEN MEDIEN
  • 4.3 KOOKKURRENZANALYSE: KOOKKURRENZPROFIL VON TERRORISMUS
  • 4.3.1 ERSTELLUNG VON KOOKKURRENZPROFILEN
  • 4.3.2 DIACHRONER VERGLEICH DER KOOKKURRENZPROFILE ZU TERRORISMUS IN DEN DEUTSCHEN MEDIEN (SZ UND Die Welt)
  • 4.3.3 DIACHRONER VERGLEICH DER KOOKKURRENZPROFILE ZU TERRORISMUS IN DEN CHINESISCHEN MEDIEN (PD UND SMD)
  • 4.3.4 ZWISCHENFAZIT: DIVERGENZEN ZWISCHEN DEN KOOKKURRENZPROFILEN IN DEN DEUTSCHEN UND DEN CHINESISCHEN MEDIEN
  • 4.4 KONKORDANZANALYSEN
  • 4.4.1 KONKORDANZANALYSE ZU TERRORISMUS IST
  • 4.4.1.1 DIACHRONER VERGLEICH DER KONKORDANZANALYSE ZU TERRORISMUS IST IN DEN DEUTSCHEN MEDIEN (SZ UND Die Welt)
  • 4.4.1.2 DIACHRONER VERGLEICH DER KONKORDANZANALYSE ZU 恐怖主义是 ‚TERRORISMUS IST‘ IN DEN CHINESISCHEN MEDIEN (PD UND SMD)
  • 4.4.1.3 ZWISCHENFAZIT: DIVERGENZEN IN HINSICHT AUF KONKORDANZANALYSE ZU TERRORISMUS IST IN DEN DEUTSCHEN UND DEN CHINESISCHEN MEDIEN
  • 4.4.2 KOORDINATION: TERROR+ UND KONJUNKTION/KONJUNKTOR UND
  • 4.4.2.1 DIACHRONER VERGLEICH DER UND-KOORDINATIONEN MIT TERROR+ IN DEN DEUTSCHEN MEDIEN (SZ UND Die Welt)
  • 4.4.2.2 DIACHRONER VERGLEICH DER UND-KOORDINATIONEN MIT TERROR+ IN DEN CHINESISCHEN MEDIEN (PD UND SMD)
  • 4.4.2.3 ZWISCHENFAZIT: DIVERGENZEN IN HINSICHT AUF KOORDINATION: TERROR+ UND KONJUNKTION/KONJUNKTOR UND IN DEN DEUTSCHEN UND DEN CHINESISCHEN MEDIEN
  • 4.4.3 KONKORDANZANALYSE ZUR ERMITTLUNG DES WORTPROFILS VON TERROR*
  • 4.4.3.1 VERTEILUNG VON TERROR* UND ERMITTLUNG VON THEMENRELEVANTEN WÖRTERN/WORTFOLGEN
  • 4.4.3.2 BILDER VON TERRORAKTEN IN DEN DEUTSCHEN UND DEN CHINESISCHEN MEDIEN
  • 4.4.3.3 BILDER VON TERRORISTEN IN DEN DEUTSCHEN UND DEN CHINESISCHEN MEDIEN
  • 4.4.3.4 BILDER VOM KRIEG GEGEN DEN TERROR IN DEN DEUTSCHEN UND DEN CHINESISCHEN MEDIEN
  • 4.4.3.5 BILDER VOM KAMPF GEGEN DEN TERROR IN DEN DEUTSCHEN UND DEN CHIESISCHEN MEDIEN
  • 4.4.3.6 ZWISCHENFAZIT: DIVERGENTE BILDER IN DEN DEUTSCHEN UND DEN CHINESISCHEN MEDIEN
  • 5 ERGEBNISSE UND INTERPRETATIONEN: ENTWICKLUNGEN UND KULTURRÄUMLICHE DIVERGENZEN
  • 5.1 UNTERSUCHUNGSERGEBNISSE: DIVERGENZEN IN DER DISKURSIVEN KONSTRUKTION DES GEGENSTANDES (ZU FRAGESTELLUNG 1)
  • 5.1.1 ENTWICKLUNGEN IN DER BERICHTERSTATTUNG WÄHREND DER VIER PERIODEN IN DEN DEUTSCHEN MEDIEN (SZ UND Die Welt)
  • 5.1.2 ENTWICKLUNGEN IN DER BERICHTERSTATTUNG WÄHREND DER VIER PERIODEN IN DEN CHINESISCHEN MEDIEN (PD UND SMD)
  • 5.1.3 DIVERGENZEN IN DER BERICHTERSTATTUNG DER DEUTSCHEN MEDIEN (SZ UND Die Welt) UND DER CHINESISCHEN MEDIEN (PD UND SMD)
  • 5.2 POSITIONIERUNG DER GESELLSCHAFTLICHEN DISKURSE AUF DER BASIS DER KORPUSANALYSE: EINSTELLUNGEN UND HINTERGRÜNDE (ZU FRAGESTELLUNG 2)
  • 5.2.1 VERKNÜPFUNG DER KORPUSBEFUNDE MIT POLITISCHEN, WIRTSCHAFTLICHEN UND KULTUR-PHILOSOPHISCHEN RAHMENBEDINGUNGEN
  • 5.2.1.1 VERKNÜPFUNG DER KORPUSBEFUNDE MIT DEUTSCHEN GESELLSCHAFTSDISKURSEN
  • 5.2.1.2 VERKNÜPFUNG DER KORPUSBEFUNDE MIT CHINESISCHEN GESELLSCHAFTSDISKURSEN
  • 5.2.2 VERKNÜPFUNG DER ZEITUNGSPROFILE MIT DEN KORPUSBEFUNDEN
  • 5.2.2.1 VERKNÜPFUNG DER ZEITUNGSPROFILE MIT DEN KORPUSBEFUNDEN IN SZ UND Die Welt
  • 5.2.2.2 VERKNÜPFUNG DER ZEITUNGSPROFILE MIT DEN KORPUSBEFUNDEN IN PD UND SMD
  • 5.2.2.3 KRITISCHE BETRACHTUNG DER MEDIENROLLE IN DER TERRORISMUS-DISKURSFORSCHUNG
  • 5.3 BEITRAG DER VERWENDETEN KORPUSLINGUISTISCHEN METHODE ZUR DISKURSANALYSE (ZU FRAGESTELLUNG 3)
  • 5.4 BEITRAG DER DISKURSLINGUISTISCHEN ANALYSE DER VORLIEGENDEN ARBEIT ZUR TERRORISMUSFORSCHUNG (ZU FRAGESTELLUNG 3)
  • 5.5 AUSBLICK
  • Literaturverzeichnis
  • Tabellenverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis
  • Anhang

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1 EINLEITUNG

1.1 AUFBAU DER ARBEIT

Die vorliegende Arbeit ist in fünf Teilen gegliedert. Das Thema „Terrorismus“ wird in Auseinandersetzung mit zwei bekannten Terrorismus-Definitionen in Kapitel 1. 2 eingeführt. Anschließend liegt es nahe, auf Diskurspositionierung im gesellschaftlichen Feld (Kapitel 1. 3), Motivation (Kapitel 1. 4), Fragestellung (Kapitel 1. 4), Gegenstandsabgrenzung (Kapitel 1. 5) und Forschungsstand (Kapitel 1. 6) einzugehen. Im Anschluss daran werden die theoretischen Grundlagen, die der empirischen Untersuchung zugrunde liegen, in Kapitel 2 ausführlich dargelegt. Dazu wird zunächst die Foucaultsche Diskurskonzeption erläutert, obwohl sie theoretisch und methodisch sehr weit vom in dieser Arbeit verfolgten Konzept entfernt ist. Im Anschluss werden die in der Germanistik vertretenen Diskursbegriffe, die von Pragmatismus geprägt sind und Sprechhandlungen fokussieren, dargelegt. Danach werden die an den empirischen Teil angepassten Analysekategorien der Diskursanalyse besprochen. In Kapitel 3 folgt eine methodische und methodologische Beschreibung der Diskursanalyse, wo einerseits die korpuslinguistischen Zugänge zur Diskursanalyse erläutert und die in der Arbeit eingesetzten Werkzeuge zur Korpusanalyse vorgestellt und andererseits der Ausschnitt aus dem Terrorismus-Diskurs und die Kriterien für die Korpuserstellung diskutiert werden. Kapitel 4 stellt die empirische Untersuchung der ausgewählten Korpora des Terrorismusdiskurses dar. Abschließend liefert Kapitel 5 Antworten auf die in der Einleitung gestellten Fragen und befasst sich mit den daraus resultierenden Schlussfolgerungen. Final wird die Operationalisierbarkeit, sowie der analytische Mehrwert, der theoretisch-methodischen Überlegungen dieser Arbeit kritisch reflektiert, womit beantwortet werden soll, in wieweit dieser Ansatz in Zukunft Verwendung finden kann und wo seine Grenzen liegen.

1.2 KRITISCHE BETRACHTUNG VERSCHIEDENER DEFINITIONEN VON TERRORISMUS UND DIE ROLLE DER MEDIEN FÜR DIE SINNKONSTITUTION

Nach der deutschen und der chinesischen Literatur1 können das Wort Terrorismus und das Wort Terror als Entlehnungen aus dem Französischen von ←13 | 14→terrorisme sowie terreur2 betrachtet werden. Beachtenswert ist, dass die entsprechenden französischen Wörter terrorisme und terreur nicht zeitgleich, sondern nacheinander in der Sprachgeschichte erscheinen: Das französische Wort terreur kommt zuerst, abgeleitet aus dem lateinischen Wort terror ‚Schrecken‘ von terrēre ‚schrecken‘, ‚in Schrecken versetzen‘, ‚scheuchen‘.3 Der Terrorbegriff wurde seit der Einbürgerung des lateinischen Wortes in die Volkssprache im 13. und 14. Jahrhundert zum einen als „Bezeichnung eines emotionalen Zustands“ und zum anderen als „Beschreibung eines politischen Herrschaftsmittels“ betrachtet, was „eine qualitative Differenz“ zeigt und somit eine große Unschärfe aufweist.4

Bis 1792 blieb das französische Wort terreur „eher negativ als positiv besetzt“, auch wenn Jean-Paul Marat nach den Septembermorden zu den wenigen gehörte, „die dem Massaker mit einem positiv gewendeten Begriff von „terreur“ Sinn und Legitimation abzugewinnen versuchten“.5 Während der Französischen Revolution (1789–94) wurde das Wort terreur bezüglich des systematischen politischen Handelns zum ersten Mal allgemein gebräuchlich (vgl. Hoffmann 2006: 23ff), und war vorerst überwiegend positiv konnotiert: terreur bzw. „regime de la terreur“ diente zur (Selbst)Bezeichnung des Instruments der Herrschaft von Maximilien Robespierre (1793–1794) und geht stets, laut Robespierre, mit „Tugend“ einher: „So wie im Frieden die Triebfeder der Volksregierung die Tugend ist, so ist es in einer Revolution die Tugend und der Schrecken zugleich; die Tugend, ohne welche der Schrecken verderblich, der Schrecken, ohne den die Tugend ohnmächtig ist“ (Robespierre 1774: 341–362). Der damalige Justizminister der Revolutionsregierung Georges Jacques Danton betonte im Kampf gegen die Revolutionsgegner, dass die Anwendung des „terreur“ eine notwendige Maßnahme zur Abschreckung und Aufrechterhaltung der Herrschaftsposition sei, weil die schrecklichen Maßnahmen spontane Morde und Massaker durch die Bevölkerung verhindern sollten (vgl. Musolff 1996: 39ff). In diesem Zeitalter wurde Terror als „Form(en) unmittelbarer Gewaltanwendung unter dem Schutz und im Interesse des Staates“ verstanden.6

←14 | 15→

Nach dem Sturz der Jakobinerherrschaft (1794) wurde der positiv aufgefasste Terrorbegriff mit den damit einhergehenden historischen Konstellationen ausgeblendet und wiederum negativ akzentuiert.7 „Im Prozess der Ideologisierung und Politisierung dient der Begriff zunehmend zur abgrenzenden Feindbezeichnung“. Dieser Prozess setzt ein mit dem Begriff „Terrorismus“, als Derivat des Wortes Terror, gebildet aus dem Suffix -ismus. Die ismus-Bildung zielt auf den „Bewegungscharakter“ und zugleich auf „die Gewalt einer Gruppierung, die sich der Staatsgewalt bemächtigt“ ab. Im Unterschied zu „Terror“, war „Terrorismus“ „ein reiner Feindbegriff“, der nie positiv besetzt wurde. Im Laufe dieses Jahrhunderts vermischten sich „Terror“ und „Terrorismus“ und sind als negativ besetzte Wörter synonym zu verwenden.8 Als Neologismen wurden „terrorisme“ und „terroriste“ als Feindbegriffe aufgebaut: Ersteres wurde vor allem von Tallien in der Rede vom 23.08.1794 verwendet und das letzte wurde am 11.09.1794 von Babeuf eingeführt.9

Das Wort terreur fand seinen Weg nach Deutschland zuerst in Form einer Übersetzung. Es wurde mit „Schrecken“ ins Deutsche übersetzt. Die französische revolutionäre Umwälzung fördert die Einbindung des Worts terreur ins Deutsche dadurch, dass viele französischen Zeitungsartikel darüber umgehend nach ihrer Veröffentlichung in Frankreich ins Deutsche übersetzt wurden. Als „terreur“ 1793/94 zur Regierungsmaxime aufstieg, registrierten dies deutsche Publikationen sofort.10 „Im Laufe des Jahres 1795 gingen die Begriffe „terreur“, „terrorisme“ mit „Terror“ „Terrorismus“ als Fremdwörter ins Deutsche ein“ und wurden in die politisch-soziale Sprache aufgenommen.11

In der Regierungszeit Hitlers (1933–1945) findet das Wort Terror als Feindbegriff Anwendung. Hitler verband „Kommunismus“ mit „Terror“ durchgehend vor dem Hintergrund der Konflikte mit der Sowjetunion bis in die 40er Jahre.12 In den letzten Kriegsjahren wurde das Wort Terror in Zusammenhang mit der Kriegsführung der Alliierten gestellt, indem die Angriffe der Luftstreitkräfte der Alliierten auf deutsche Städte von den Nationalsozialisten als z. B. Terrorangriffe und Luftterror bezeichnet wurden. Hingegen benannten die Alliierten selbst solche Handlungen als Luftkrieg.13

←15 | 16→

In den 1960ern verschwand die historische Konnotation von „Terror“ und der Begriff tauchte nur kurzfristig als Kennzeichnung für eine Strategie, „die den potenziellen atomaren Selbstmord als Strukturelement der Sicherheit wertet“, auf. In der Kennzeichnung Gleichgewicht des Terrors, z. B.  in „Die Auslegung der Gefahr aus dem Osten ließ keine andere Friedensstrategie zu als das Gleichgewicht des Terrors“, wurde das Wort Terror mit dem Wort Schrecken austauschbar und positiv gefasst. Ende der 60er Jahre wurde diese Verwendung beendet. In den 70er Jahren war in der Bundesrepublik Deutschland die RAF (Rote-Armee-Fraktion) aktiv. Die konstituierte sich selbst als „eine kommunistische, antiimperialistische Stadtguerilla“ (Maschke 2018: 169), stilisierte ihre Taten als „Aktionen“, ordnete dem Staat und seinen Institutionen den Begriff „Terror“ zu, und wurden außerhalb ihrer Gruppe als Terroristen bezeichnet.14 Nach den 70ern sind beide Begriffe „Terrorismus“ und „Terror“ wegen ihrer semantisch unscharfen Konturen und der eindeutig negativen Bewertung zu Schlagwörtern in politischen Diskursen geworden, z. B. in einem Meinungsstreit zwischen den Parteien.15 Die Modifikationen der Bedeutung des Themenbegriffs bzw. des Wortes Terrorismus können sich „in einer evolutionären Drift ausbreiten, werden erhalten oder verschwinden wieder“ (Henn-Memmesheimer 2013: 23).

In China taucht das Wort Terrorismus erst in den späten 90er Jahren des letzten Jahrhunderts als ein Fremdwort in den chinesischen Wörterbüchern auf (vgl. Sun 2008: 150f). 世界知识大辞典 ,Das Weltwissen Wörterbuch‘ (1998: 835) definiert Terrorismus wie folgt:

[恐怖主义是]为了达到一定目的特别是政治目的而对他人的生命自由、财产等使用强迫手段,引起如暴力、胁迫等造成社会恐怖的犯罪行为的总称。’[Terrorismus ist] ein genereller Begriff zur Beschreibung krimineller Handlungen wie Gewalt und Zwang, die soziale Unruhen verursachen und versuchen mit Gebrauch von Zwangsmitteln, die das Leben, die Freiheit oder das Eigentum anderer beeinträchtigten, einen bestimmten Zweck, insbesondere politische Zwecke, zu erreichen.‘

Diese Darstellung ist nicht einfach eine philologische Retrospektive, sondern ein notwendiges Aufzeigen unterschiedlicher Verwendungen, die angesichts der medialen Vereinheitlichung der Wortverwendung in westeuropäischen und nordamerikanischen journalistischen Texten seit den 90er, spätestens seit den 2000er Jahren aus dem Blick zu geraten drohen. Mit einer diskursvergleichenden Studie werden Differenzen in den Verwendungen wieder sichtbar, die selten gesehen werden. Ausnahme ist der Historiker Walter Laqueur (2006), der als ←16 | 17→„Nestor der Terrorismusforschung“ bezeichnet wird.16 Nach ihm kann eine konsensfähige Terrorismus-Definition niemals gefunden werden:

„[…] denn die Natur des Terrorismus verändert sich je nach Ort und Zeit, was für eine terroristische Bewegung […] zutrifft, gilt nicht notwendigerweise auch für eine andere Gruppe in einem anderen Land, einer anderen Zeit und einer anderen politischen Tradition“ (Laqueur 2006: 208).

Aus linguistischer Sicht zeigt Laqueur damit, dass eine intensionale, semasiologische Bedeutungsbeschreibung nicht gefunden werden kann, weil so viele unterschiedlich zu charakterisierende Ereignisse unter den Begriff fallen, d.  h. weil die Extension des Begriffs so weit ist. Daraus kann für die Ziele der vorliegenden Studie abgeleitet werden, dass eine Tat, die in Deutschland als „terroristische Tat“ gewertet wird, nicht unbedingt auch in China als solche angesehen wird, wie sich auch die Definition von Terrorismus in verschiedenen Epochen ändert. Nach dem Standardwerk zur Terrorismusforschung The Routledge Handbook of Terrorism Research gibt es mehr als 250 unterschiedliche Definitionen von Terrorismus, die aus unterschiedlichen Ereignissen und den aus Ereignissen motivierten Theorien hergeleitet werden (Schmid 2011). Obgleich eine allgemein akzeptierte und brauchbare Terrorismus-Begriffsbestimmung bis zum heutigen Tage ausgeblieben ist, sind die (unterschiedlichen) Definitionen sowie deren Auslegungen als potenzielle Ansatzpunkte für eine mediale Diskursanalyse fruchtbar zu machen. Im Folgenden werden zuerst zwei der am häufigsten angewandten Terrorismus-Definitionen aus diskursorientierter Perspektive kritisch dargelegt.

Laqueur (2004) versteht unter Terrorismus folgendes:

„Anwendung von Gewalt durch eine Gruppe […], die zu politischen oder religiösen Zwecken gewöhnlich gegen eine Regierung, zuweilen auch gegen andere ethnische Gruppen, Klassen, Religionen oder politische Bewegungen vorgeht“ (Laqueur 2004: 44).

←17 | 18→

Laut dieser Definition ist „Terrorismus“ Gewaltausübung, um politische oder religiöse Ziele zu erreichen, wobei jedoch deren Ursachen nicht klargestellt sind. Ein nicht berührter Aspekt in Laqueurs Definition sind die kalkulierten Effekte der Terroraktionen. Der Historiker erwähnt nämlich mit keinem Wort die Aufmerksamkeit und Mobilisierung, die der Gewalttäter mit beabsichtigt. Dieser Aspekt wird hingegen von Waldmann (2005) in seinem Standardwerk Terrorismus. Provokation der Macht zentral gesetzt. Seine Terrorismus-Definition lautet folgendermaßen:

„Unter Terrorismus sind planmäßig vorbereitete, schockierende Gewaltanschläge gegen eine politische Ordnung aus dem Untergrund zu verstehen. Sie sollen vor allem Unsicherheit und Schrecken verbreiten, daneben aber auch Sympathie und Unterstützungsbereitschaft erzeugen“ (Waldmann 2005: 12).

Terrorismus ist also „eine bestimmte Art gewaltsamen Vorgehens gegen eine politische Ordnung“ (Waldmann 2005: 12). Sowohl Laqueur als auch Waldmann sehen Terrorismus als politische zweckgerichtete Gewalthandlung, wobei in Waldmanns Definition die durch den terroristischen Anschlag intendierte Erzeugung psychischer Effekte (Schrecken, Angst und Furcht) im Vordergrund steht.

Für Waldmann hat die terroristische Tat „primär einen symbolischen Stellenwert, ist Träger einer Botschaft“ (Waldmann 2005: 15). Dem Ausführer einer terroristischen Handlung (dem Terroristen) geht es daher weniger um den eigentlichen Zerstörungseffekt, der von seiner Gewalttat verursacht wird, sondern vielmehr um die Vermittlung einer Botschaft. Die Verbreitung der Gewaltbotschaft und die dadurch erzeugte Aufmerksamkeit sollen zwei kommunikative Ziele erreichen: Einerseits beabsichtigen die terroristischen Attentäter, die Bevölkerung durch die Verbreitung der Schreckbotschaft zu verunsichern, andererseits beabsichtigen sie, Bundesgenossen zu finden, d. h. sie werben „um Sympathie und Beistand für ihr politisches Anliegen“ (Waldmann 2005: 15). Für Waldmann stellt also Terrorismus „primär eine Kommunikationsstrategie“ dar (Waldmann 2005: 15). Mit Terrorakten wird Zeichen gesetzt.

Medien und ihre Verfahren der Sinnkonstitution

Als kommunikatives Phänomen steht Terrorismus in engem Zusammenhang mit den Medien, die den terroristischen Akten die erstrebte und notwendige Aufmerksamkeit bringen. Die terroristische Kommunikationsstrategie bezieht die Medien erfolgreich mit ein, denn es ist kalkulierbar, „[…] dass Gewaltanschläge mit Todesopfern in einem relativ friedlichen sozialen und politischen Umfeld automatisch zum Medienereignis werden“ (Waldmann 2006: 255f). Die ←18 | 19→Medien, darunter auch Printmedien, fungieren nach Waldmann als „Transmissionsriemen“, der die physischen terroristischen Taten und die dadurch ausgelösten sozialpsychologischen Folgewirkungen miteinander verknüpft (Waldmann 2005: 83). Diese Explikation Waldmanns ist wichtig, muss aber meines Erachtens präzisiert bzw. ergänzt werden.

Es muss auf den Eigenanteil der Medieninstitutionen hingewiesen werden. Vermehrte Berichterstattungen über Eskalationen der Gewalt führen zu intensiver Stimmung von Bedrohtheit. Das bedeutet, dass jeder sich als ein potenzielles Opfer einer Terroraktion sehen kann, wie Steinseifer (2011: 36f) ausführt:

„Um […] dauerhaft Aufmerksamkeit zu binden, um Sendeplätze sowie prominente Positionen in Printmedien zu besetzen und als Bedrohung zu erscheinen, liegt neben einer Vermehrung der Anlässe von Berichterstattung auch eine Steigerung der Intensität der jeweiligen Gewaltaktionen nahe. […] Eskalation ist nicht nur Bedingung der Berichterstattung, sondern immer wieder auch ihr Gegenstand. Die behauptete Eskalation der Gewalt wird hier typischerweise mit der Entgrenzung der Bedrohungssituation verbunden: Weil die Taten immer brutaler werden, ist niemand mehr sicher, ist jeder jederzeit und überall in Gefahr“ (Steinseifer 2011: 35f).

Die Medien können die Meinungen und Haltungen der Textrezipienten in gewisser Weise dadurch beeinflussen, dass sie das Terrorereignis oder das Thema „Terrorismus“ kommentieren, bewerten und letztlich veröffentlichen. Solche Überlegungen zeigen, dass Medien nicht nur übertragungstechnische Werkzeuge sind, sondern, dass sie, im Kontext einer pragmatischen Sprachphilosophie gesehen, als Verfahren der Sinnkonstitution für einen Diskurs konstitutiv sind.17 In Bezug auf Terror können Medien gerade deshalb eine einheitliche Lesart herstellen. Sie verbreiten die legitimierte Lesart. Und aufgrund der Gesetze, der juristischen Legitimation, werden Terroristen und Terrorhandlungen verurteilt.

Formen von Gewalthandeln in Terrorismus-Definitionen

Eine Anmerkung Waldmanns zu seiner Terrorismus-Definition bezieht sich auf unterschiedliche Gewaltformen. Nach Waldmanns Definition (2005) entsteht Terrorismus lediglich „aus dem Untergrund“ und wird „von nicht-staatlichen Gruppen oder Individuen“ ausgeführt (Waldmann 2005: 15–22). Gewaltformen wie „Regimeterror“ z. B. staatliche Repression bzw. Staatsterrorismus werden in ←19 | 20→Waldmanns Terrorismus-Begriff ausgeblendet. Obwohl er die zuletzt genannten Gewaltformen zwar für eine Art von Terror hält, zählen diese, nach seiner Definition, nicht zum eigentlichen Terrorismus. Er argumentiert, dass „Regimeterror […] ungleich mehr Menschenleben als aufständischer Terrorismus“ fordere und größeres Unheil anrichte als andere politische Gewalttaten und somit nicht als Terrorismus betrachtet wird. Denn eine terroristische Gruppe seiner Ansicht nach stellt eine „relativ schwache Gruppe“ dar und muss noch um Sympathisanten werben (vgl. Waldmann 2005: 18). Als Beispiel für Regimeterror bzw. Staatsterrorismus führte Waldmann „Naziterror“ an (Waldmann 2005: 18).

Wortverständnis durch korpuslinguistische Methodik

Auf der thematischen Ebene erweisen sich die beiden Definitionen aus der diskursorientierten Sicht als lückenhaft. In beiden Definitionen ist Gewalthandeln in der Begriffsbestimmung von Terrorismus zwar vorhanden, aber es muss dabei beachtet werden, dass nicht nur Berichte über konkrete Gewalthandlungen, wie spektakuläre Terrorereignisse, für den Diskurs in den Massenmedien konstitutiv sind. Auch andere Medienbeiträge, die im Kontext von Terrorismus vorkommen und andere themenrelevante Bilder, die im Terrorismus-Diskurs vorhanden sind, spielen hier eine wichtige Rolle. Solche Bilder können mittels Korpusanalyse erkannt werden. Zu diesen Bildern zählen beispielsweise „Krieg gegen den Terror“, „Kampf gegen den Terror“ usw., die im chinesischen und deutschen Korpus der vorliegenden Arbeit belegbar sind (s. Kapitel 4.4).

Diskurs über ein kommunikatives Phänomen

Die Kommunikationsstrategie, mittels derer Aufmerksamkeit in bzw. durch die Medien erzielt werden kann, beschränkt sich nach Waldmanns Terrorismus-Beschreibung lediglich auf die Kommunikationsform, in der die Handlungen revoltierender Gruppen beschrieben werden. Allerdings gibt es noch andere mediale Kommunikationsformen, die auch dazu beitragen können, den Terroristen große Aufmerksamkeit zu schenken und somit den Diskurs über Terrorismus anzureichern. Solche Kommunikationsformen sind beispielsweise Bewertungen des Geschehens, explizit oder implizit negative Deutungen des Terrorismus, Diskussionen über geeignete Terrorismus-Abwehrmaßnahmen, Darstellungen von Gerüchten, Spekulationen usw. Die medialen Darstellungen und Deutungen sind in den vielfältigen medialen Textsorten anzusiedeln. In diesem Sinne kann man den Terrorismus-Diskurs als Diskurs über ein kommunikatives Phänomen bzw. über kommunikative Aspekte eines Phänomens betrachten und analysieren. In dieser Arbeit werden die medialen Reflexe dieses Diskurses beobachtet.

←20 | 21→

Die diskursive Konstitution des Terrorismus wird neben Radio, Fernsehen und Internet ebenso durch Printmedien geleistet, wobei sich das Korpus in der vorliegenden Studie auf Printmedientexte beschränkt, da Printmedien generell durch ihre Seriosität und Elaboriertheit gekennzeichnet sind. Allerdings ist das Niveau der Seriosität von Zeitung zu Zeitung unterschiedlich und somit ist eine detaillierte Analyse der zu untersuchenden Printmedien für eine konkrete Korpuserstellung notwendig. Diese Analyse wird in Kapitel 3.3.2 durchgeführt.

Wie oben im ersten Abschnitt des Kapitels gesagt, variiert die Bedeutung von Terrorismus nicht nur diachron, sondern auch synchron. Ein an einem Ort der Welt als Terrorismus betrachtetes Phänomen kann z. B. an einem anderen Ort als Freiheitskampf angesehen werden. In der empirischen Untersuchung wird sich zeigen, wie Terrorismus in dem deutschen und dem chinesischen Korpus bewertet wird. Aus diskursorientierter Sicht werden unterschiedliche Auffassungen über Terrorismus als Bestandteile des Terrorismus-Diskurses in die Analyse einbezogen und mithilfe korpuslinguistischer Methodik auseinandergehalten, weil sie mit unterschiedlichen Attributen versehen werden und gemeinsam auf das Thema „Terrorismus“ diskurskonstituierend und diskursdifferenzierend wirken.

1.3 DISKURSPOSITIONIERUNG IM POLITISCHEN, WIRTSCHAFTLICHEN UND KULTURPHILOSOPHISCHEN FELD

Der Terrorismus-Diskurs positioniert sich in unterschiedlichen semantischen Rahmen. In Anlehnung an Henn-Memmesheimer (2013: 22) bezieht sich ein gemeinsamer konstanter Handlungsrahmen auf „das Wissen um die Koordinaten des auf geteilter differenzieller Wahrnehmung gegründeten kulturellen Raumes“, der vorausgesetzt wird, um das Wort Terrorismus und den Terrorismus-Diskurs nachzuvollziehen zu können. In der vorliegenden Arbeit wird der Fokus auf Handlungssituationen in Hinsicht auf die politischen, wirtschaftlichen und kultur-philosophischen Felder in Deutschland und China gelegt.

1.3.1 CHINA

1.3.1.1 POLITIK IN CHINA

Die Volksrepublik China ist ein sozialistisches Land unter der Führung der Kommunistischen Partei Chinas (KPC). Verfassungsgemäß soll die Kommunistische Partei Chinas „die demokratische Diktatur des Volkes“ aufrechterhalten und den „sozialistischen Weg“ verfolgen. „Die demokratische Diktatur des Volkes“ ist nicht wie die Demokratie nach westlichem bzw. deutschem Muster ←21 | 22→organisiert, sondern wird definiert als „Diktatur des Proletariats“. Das heißt, sie wird „von der Arbeiterklasse geführt […] und [beruht] auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern“.18

Die wichtigsten staatlichen Organe in China sind der Nationale Volkskongress (NVK), der Präsidenten und der Staatsrat. Der Nationale Volkskongress ist das höchste Organ der Staatsgewalt. Der Staatsrat der Volksrepublik China bzw. die Zentrale Volksregierung ist das höchste staatliche Exekutivorgan. Die Kommunistische Partei ist die einzige regierende Partei Chinas. Sie ist dem Marxismus-Leninismus, der Mao-Zedong-Denkweise, der Deng-Xiaoping-Theorie, den wichtigen Ideen des „Dreifachen Vertretens“ und dem „wissenschaftlichen Konzept der Entwicklung“ verpflichtet.19

In China ist das „System der ethnischen regionalen Autonomie“ implementiert und zwar mit dem Gedanken, dass alle ethnischen Gruppen gleichwertig sind. Diskriminierung und Unterdrückung gegen jede ethnische Gruppe sind verboten, und Handlungen, die die nationale Einheit sowie die territoriale Integrität Chinas untergraben und ethnische Abspaltung verursachen, sind verboten. In diesem Zusammenhang ist die Unabhängigkeit Taiwans nicht zu akzeptieren, weil Taiwan nach der chinesischen Verfassung als „ein Teil des geheiligten Territoriums der Volksrepublik China“ gilt.20 Nach der Verfassung der Volksrepublik China ist die Wahrung der territorialen Integrität „die heilige Pflicht des ganzen chinesischen Volks, einschließlich der Landsleute in Taiwan“.21

Seit der Gründung Volksrepublik Chinas 1949 verfolgt das Land eine friedensorientierte Außenpolitik und hat gleich zu Beginn der Gründung als ←22 | 23→Hauptaufgaben der Außenpolitik die Bewahrung der Unabhängigkeit und Sicherung des Weltfriedens festgelegt (vgl. Yin 2009: 4–25). Das von der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes22 am 29. September 1949 verabschiedete gemeinsame Programm der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes, das die Rolle einer vorläufigen Verfassung spielte, lautet: „Das Prinzip der Außenpolitik der Volksrepublik China besteht darin, die Integrität ihrer eigenen Unabhängigkeit, Freiheit und territorialen Souveränität zu wahren, den dauerhaften Frieden einer internationalen Gemeinschaft und die freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Völkern zu unterstützen und Aggressions- und Kriegspolitik des Imperialismus zu bekämpfen.“23

Die Außenpolitik Chinas wurde im Dezember 1953 erstmals von dem damaligen Premier Zhou mit der Berufung auf „Fünf Prinzipien für friedliche Koexistenz“ konkretisiert bzw. dargelegt. Die Fünf Prinzipien gelten noch heute als die Richtlinien für Chinas Außenpolitik. Sie lauten (Liu 2004: 9f):

Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten,

Respekt für Souveränität und territoriale Integrität,

Absage an grenzüberschreitende Aggression,

Gleichheit und wechselseitiger Vorteil,

Friedliche Koexistenz.

Diese Fünf Prinzipien prägen die chinesische Politik nach außen konsequent und sind später in das Leitbild einer „harmonischen Welt“ eingebettet worden, das zum ersten Mal von dem damaligen chinesischen Präsidenten Hu Jintao im Jahr 2005 aufgestellt wurde.24 Sein Nachfolger, der amtierende Staatspräsident Xi Jinping baute das Konzept „des Chinesischen Traums“ ein und interpretiert ←23 | 24→diese Harmonie-Idee als Teil dieses Traumes. So formulierte Xi in einer Rede in der Körber-Stiftung (Berlin) am 28. März 2014:25

China hat sein Entwicklungsziel für die Zukunft bereits festgelegt, nämlich, bis 2020 das Bruttoinlandsprodukt und das Pro-Kopf-Einkommen der Stadt- und Landbevölkerung im Vergleich zu 2010 zu verdoppeln, den Aufbau einer Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand umfassend zu vollenden und bis Mitte des Jahrhunderts China zu einem modernen sozialistischen Staat aufzubauen, der wohlhabend, stark, demokratisch, kulturell entwickelt und harmonisch ist. Wir haben diese konkreten Inhalte umschrieben als den Chinesischen Traum, den Traum von der Renaissance der chinesischen Nation [Hervorhebung durch Verfasserin].

In der dritten Plenarsitzung des 11. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas, die Ende 1978 stattfand, hat sich der Arbeitsschwerpunkt der Partei und des Staates auf die Wirtschaft verlagert (s. Kapitel 1. 3. 1. 2). Dies schlägt sich auch in der darauffolgenden verabschiedeten Verfassung 1982 hinsichtlich der Bestimmungen der Außenpolitik nieder. In der Präambel der Verfassung von 1982 wurden folgende Prinzipien für die Außenpolitik festgelegt:

Unabhängigkeit und Selbstständigkeit,

Entwicklung der diplomatischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen auf der Grundlage der Fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz,

Kampf gegen Imperialismus, Hegemonismus und Kolonialismus,

Details

Seiten
462
Jahr
2020
ISBN (PDF)
9783631801352
ISBN (ePUB)
9783631801369
ISBN (MOBI)
9783631801376
ISBN (Hardcover)
9783631794630
DOI
10.3726/b16136
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Dezember)
Schlagworte
Kulturvergleich Diskursanalyse Korpuslinguistik China Deutschland Printmedien
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 462 S., 1 farb. Abb., 20 s/w Abb., 152 Tab.

Biographische Angaben

Kuanyong Qiu (Autor:in)

Kuanyong Qiu schloss ein Masterstudium an der Beijing Foreign Studies University ab. Anschließend arbeitete sie als Forschungsassistentin und Promovendin am Seminar für Deutsche Philologie der Universität Mannheim. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Diskursdynamiken, Kulturvergleiche und korpusanalytische Verfahren.

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Titel: Diskursive Konstruktion von Terrorismus in deutschen und chinesischen Medien
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