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Sprachbiographieforschung

Ein aktuelles Forschungsparadigma in Theorie und Praxis

von Andreas Bieberstedt (Band-Herausgeber:in) Klaas-Hinrich Ehlers (Band-Herausgeber:in) Lea-Marie Kenzler (Band-Herausgeber:in) Ingrid Schröder (Band-Herausgeber:in)
Sammelband 404 Seiten
Open Access
Reihe: Sprache in der Gesellschaft, Band 36

Zusammenfassung

Die elf Beiträge dieses Bandes diskutieren theoretische, methodische und praxisbezogene Problemfelder sprachbiographischer Forschung. Dabei umspannen sie die zentralen Anwendungsgebiete des sprachbiographischen Zuganges wie die Untersuchung von Mehrsprachigkeit und Migrationsprozessen und die Regionalsprachenforschung. Sie fragen zugleich nach der Aussagekraft sprachbiographischen Materials für die Rekonstruktion gesellschaftlicher Sprachwandelprozesse, verbreiteter Einstellungsmuster und Identitätskonstruktionen. Und sie erörtern das heuristische Potential des noch jungen Forschungsparadigmas für solche Bereiche, die bislang noch wenig im Fokus sprachbiographischer Analysen standen, wie die Gebärdenkommunikation oder die historische Soziolinguistik. Auf diese Weise dient der Sammelband sowohl einer Standortbestimmung des sprachbiographischen Paradigmas als auch seiner methodischen und thematischen Weiterentwicklung.

Inhaltsverzeichnis

  • Abdeckung
  • Titelseite
  • Copyright-Seite
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort (Andreas Bieberstedt/Klaas-Hinrich Ehlers/Lea-Marie Kenzler/Ingrid Schröder)
  • Literaturverzeichnis
  • Sprachbiographieforschung: Fragen zu einem aktuellen Forschungsparadigma (Andreas Bieberstedt/Klaas-Hinrich Ehlers/Lea-Marie Kenzler/Ingrid Schröder)
  • 1 Einleitung
  • 2 Ausgangspunkte und Schwerpunktbildungen der Sprachbiographieforschung
  • 3 Fragen zur Theorie und Praxis der Sprachbiographieforschung
  • Literaturverzeichnis
  • Was sind Sprachbiographien? Zu Fragen von Definition, Validität und Vergleichbarkeit (Patrick Wolf-Farré/Johanna Holzer)
  • 1 Einleitung
  • 2 Geschichte
  • 3 Was sind Sprachbiographien?
  • 4 Analyse und Interpretation von Sprachbiographien
  • 5 Das sprachbiographische Analysemodell
  • 6 Fazit und Ausblick
  • Literaturverzeichnis
  • Sprachbiographie, Spracheinstellung und sprachbezogene Identität. Zwei Fallbeispiele zum Niederdeutschen in Hamburg (Lara Neumann/Ingrid Schröder)
  • 1 Einleitung
  • 2 Projektdesign
  • 3 Grundkategorien Identität, Biographie, Einstellung
  • 4 Sprachbiographische Methode und Gesprächsanalyse
  • 5 Konturierung zweier Sprecherprofile: Sprachkonzepte und Selbstkonzepte
  • 6 Sprecherprofile: Sprachbiographie – Sprachkonzept – Selbstkonzept
  • Analysekorpus
  • Literaturverzeichnis
  • Online-Ressourcen
  • Language biographies and management summaries revisited (Tamah Sherman/Jiří Homoláč)
  • 1 Introduction
  • 2 Management summaries and their contribution to research on language management
  • 3 Project background
  • 4 The interview
  • 5 Discussion and conclusion
  • References
  • Postmigrantische Familienkulturen und Mehrsprachigkeit – sprachbiographische Erfahrungen im Interview (Kristin Bührig/Romy Mittag)
  • 1 Einleitung
  • 2 Der Projektverbund Postmigrantische Familienkulturen
  • 3 Datenerhebung und Vorgehen in der Analyse
  • 4 Zusammenschau: Sprachbiographische Themen in den Interviewdaten
  • 5 Exemplarische Analyse
  • 6 Schluss
  • Literaturverzeichnis
  • „Wir sind so mehr oder weniger eine Insel in dieser Stadt hier.“ Lokaler Sprachwandel in der Hamburger Peripherie aus sprachbiographischer Perspektive (Andreas Bieberstedt)
  • 1 Einleitung
  • 2 Theoretische Grundlegung: Sprachbiographieforschung und Oral-Language-History
  • 3 Der Untersuchungsort Kirchwerder – demographische, sozioökonomische und sprachliche Rahmenbedingungen
  • 4 Korpus, Projektkontext und Untersuchungsdesign
  • 5 Gegenwartsnaher Sprachwandel in Kirchwerder aus sprachbiographischer Perspektive
  • 6 Fazit und weiterführende Überlegungen
  • Literaturverzeichnis
  • Sprachbiographien im regionalen Vergleich. Zum Verhältnis von Spracherwerb, Selbsteinschätzungen und sprachlichem Verhalten (Tillmann Pistor/Juliane Limper/Brigitte Ganswindt)
  • 1 Einleitung
  • 2 Datengrundlage
  • 3 Theoretische Einbettung, Forschungsfragen und Methodik
  • 4 Datenauswertung und Ergebnisse
  • 5 Diskussion, Fazit und Ausblick
  • Literaturverzeichnis
  • Wie der Vater, so der Sohn … oder die Tochter!? Zur Weitergabe regionaler Sprachvarietäten in rheinischen Familien aus subjekt- und objektsprachlicher Perspektive (Charlotte Rein)
  • 1 Einleitung
  • 2 Die sprachliche Situation im Rheinland seit 19453
  • 3 Material und Methode
  • 4 Beschreibung der einzelnen Familien
  • 5 Vergleich der Familien
  • 6 Fazit
  • Literaturverzeichnis
  • „Ja, das war Hannöversch“ – zum Einsatz auditiver und visueller Stimuli in sprachbiografischen Interviews (Stefan Ehrlich Papiernick)
  • 1 Verborgenes Variationswissen durch Stimuli aufdecken
  • 2 Die Stadtsprache Hannovers
  • 3 Das sprachbiografische Interview mit Stimuli
  • 4 Die Effekte der Stimuli im sprachbiografischen Interview
  • 5 Fazit – Was bringt der Einsatz auditiver und visueller Stimuli in sprachbiografischen Interviews innerhalb der Regionalsprachenforschung?
  • Literaturverzeichnis
  • Sprachbiographien und bimodale Bilingualität. Geschwisterkonstellationen in Familien mit gehörlosen Elternpaaren (Lea-Marie Kenzler)
  • 1 Einleitung
  • 2 Familien mit gehörlosen Elternpaaren aus linguistischer Perspektive
  • 3 Geschwisterkonstellationen in Familien mit gehörlosen Elternpaaren: Eine sprachbiographische Analyse
  • 4 Fazit
  • Literaturverzeichnis
  • Internetseiten
  • Sprachbiographien in der Historischen Soziolinguistik (Marek Nekula)
  • 1 Einführung
  • 2 Sprachbiographie/n
  • 3 Quellen
  • 4 Validität?
  • 5 Fazit
  • Quellen
  • Literaturverzeichnis
  • Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Andreas Bieberstedt / Klaas-Hinrich Ehlers / Lea-Marie Kenzler / Ingrid Schröder (Hrsg.)

Sprachbiographieforschung

Ein aktuelles Forschungsparadigma in Theorie und Praxis

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Inhaltsverzeichnis

Andreas Bieberstedt/Klaas-Hinrich Ehlers/Lea-Marie Kenzler/Ingrid Schröder

Vorwort

Andreas Bieberstedt/Klaas-Hinrich Ehlers/Lea-Marie Kenzler/Ingrid Schröder

Sprachbiographieforschung: Fragen zu einem aktuellen Forschungsparadigma

Patrick Wolf-Farré/Johanna Holzer

Was sind Sprachbiographien? Zu Fragen von Definition, Validität und Vergleichbarkeit

Lara Neumann/Ingrid Schröder

Sprachbiographie, Spracheinstellung und sprachbezogene Identität. Zwei Fallbeispiele zum Niederdeutschen in Hamburg

Tamah Sherman/Jiří Homoláč

Language biographies and management summaries revisited

Kristin Bührig/Romy Mittag

Postmigrantische Familienkulturen und Mehrsprachigkeit – sprachbiographische Erfahrungen im Interview

Andreas Bieberstedt

„Wir sind so mehr oder weniger eine Insel in dieser Stadt hier.“ Lokaler Sprachwandel in der Hamburger Peripherie aus sprachbiographischer Perspektive

Tillmann Pistor/Juliane Limper/Brigitte Ganswindt

Sprachbiographien im regionalen Vergleich. Zum Verhältnis von Spracherwerb, Selbsteinschätzungen und sprachlichem Verhalten

Charlotte Rein

Wie der Vater, so der Sohn … oder die Tochter!? Zur Weitergabe regionaler Sprachvarietäten in rheinischen Familien aus subjekt- und objektsprachlicher Perspektive

Stefan Ehrlich Papiernick

„Ja, das war Hannöversch“ – zum Einsatz auditiver und visueller Stimuli in sprachbiografischen Interviews

Lea-Marie Kenzler

Sprachbiographien und bimodale Bilingualität. Geschwisterkonstellationen in Familien mit gehörlosen Elternpaaren

Marek Nekula

Sprachbiographien in der Historischen Soziolinguistik

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Andreas Bieberstedt/Klaas-Hinrich Ehlers/Lea-Marie Kenzler/Ingrid Schröder Vorwort

Der vorliegende Sammelband vereint elf Beiträge von insgesamt 17 LinguistInnen aus dem In- und Ausland, deren Arbeitsgebiet die Sprachbiographieforschung ist. Auf der Grundlage aktueller Forschungsprojekte und Untersuchungen konturieren die BeiträgerInnen relevante Anwendungsbereiche dieses immer noch jungen Forschungsparadigmas, diskutieren theoretische, methodische und praxisbezogene Problemfelder sprachbiographischer Forschung und erörtern ihre Potentiale für weitere, bislang nicht im Fokus stehende linguistische Bereiche. Ein besonderer Schwerpunkt der Beiträge liegt auf der Betrachtung terminologischer und methodisch-konzeptioneller Herausforderungen, die sich aus der Arbeit mit sprachbiographischen Ansätzen ergeben, sowie aus der Frage nach der Aussagekraft sprachbiographischen Materials etwa für die Rekonstruktion gesellschaftlicher Sprachwandelprozesse und verbreiteter Einstellungsmuster. Sie erörtern also das Verhältnis von individueller Mikroebene und sozialer Makroebene in der Sprachbiographieforschung.

Die thematische Breite der Beiträge umspannt die wesentlichen Arbeitsgebiete gegenwärtiger sprachbiographischer Forschung. Vertreten sind zum einen sprachbiographische Studien aus dem Bereich der Regionalsprachenforschung, die das dynamische Varietätengefüge im Spannungsfeld zwischen Dialekt und Standardsprache in den Blick nehmen. Zum anderen werden sprachbiographische Äußerungen im Kontext von Migration sowie von ethnischen Minderheiten und multiethnischen Gesellschaften untersucht. Gemeinsam ist diesen Untersuchungen ihr Fokus auf die subjektive Reflexion individueller und sozialer Mehrsprachigkeit in Form biographischer Zeugnisse und Interviews. Weitere Beiträge zu historischen Egodokumenten und bislang wenig erforschten Modalitäten von Mehrsprachigkeit zeigen die Möglichkeiten auf, welche die linguistische Biographieforschung für Forschungsfelder wie etwa die historische Soziolinguistik und die Gebärdensprachforschung eröffnet, und überschreiten damit die bisherigen Grenzen dieses Forschungsparadigmas. Auf diese Weise zieht der Sammelband zum einen ein Resümee der bisherigen Entwicklung linguistischer Biographieforschung. Zum anderen dient er sowohl einer Standortbestimmung des sprachbiographischen Ansatzes als auch seiner methodischen und thematischen Weiterentwicklung.

Die Idee zu diesem Sammelband hatte ihren Ausgangspunkt in einem linguistischen Online-Workshop an der Universität Rostock vom 25. bis zum 26. Juni 2021, organisiert von Andreas Bieberstedt, Klaas-Hinrich Ehlers und Lea-Marie Kenzler, auf dem die Herausforderungen und Perspektiven linguistischer Biographieforschung diskutiert wurden. Das digitale Format des Treffens war der damaligen pandemischen Situation geschuldet, die bereits dessen ursprünglich geplante Durchführung als Präsenzveranstaltung im Mai 2020 verhindert hatte. Das positive Feedback der Teilnehmenden bewog die VeranstalterInnen, zusammen mit Ingrid Schröder (Universität Hamburg) eine Veröffentlichung der Referate in der Schriftenreihe „Sprache in der Gesellschaft“ des Peter Lang Verlages in Angriff zu nehmen. Die nunmehr als Ergebnis vorliegende Publikation schließt konzeptionell an einen sprachbiographischen Sammelband an, der 2017 unter dem Titel „Sprachliche Variation in autobiographischen Interviews. Theoretische und methodische Zugänge“ erschien und der ebenfalls in der Reihe „Sprache in der Gesellschaft“ veröffentlicht worden ist.1 Vorausgegangen war auch in diesem Fall ein sprachbiographischer Workshop, der im Rahmen des DFG-Projektes Einstellungen gegenüber regionalen Sprachformen in der Großstadt: Niederdeutsch in Hamburg (NiH) vom 31. Oktober bis zum 1. November 2014 an der Universität Hamburg veranstaltet wurde.

Die Durchführung von zwei konzeptionell ähnlich gelagerten Workshops mit jeweils nachfolgender Publikation ihrer Ergebnisse im Abstand von nur wenigen Jahren verdeutlicht den anhaltenden Bedarf der Fachgemeinschaft an Austausch und Verständigung über Theorie und Praxis der Sprachbiographieforschung. Darin zeigt sich auch, dass sich biographische Ansätze, bei denen die subjektive Sichtweise linguistischer Laien auf ihren sprachlichen Lebenslauf im Mittelpunkt des Forschungsinteresses steht bzw. einen Ausgangspunkt für die Konturierung gesellschaftlicher Sprachwandelprozesse bildet, seit den 1990er Jahren zunehmend in der (germanistischen) Linguistik etabliert haben.2

Ein Vergleich der Beiträge zu beiden Sammelbänden zeigt die anhaltende Dominanz einzelner Forschungsfelder, in denen sprachbiographische Ansätze mittlerweile zum festen Bestandteil des methodischen Instrumentariums sowohl kleinerer Fallstudien als auch größer angelegter Untersuchungen gehören. Als eine Konstante, die sich durch viele sprachbiographische Untersuchungen zieht, kann die Fokussierung auf Fragen des Spracherwerbs, des variativen sprachlichen Verhaltens sowie der sprachbezogenen Einstellungen und Identitätsbildungen genannt werden. Auch innerhalb der Mehrsprachigkeitsforschung und in der Migrationslinguistik spielen sprachbiographische Zugänge schon lange eine wichtige Rolle. Inzwischen bedient sich ebenfalls die Regionalsprachenforschung immer häufiger sprachbiographischer Erhebungsmethoden und Datengrundlagen. Und schließlich scheint sich mit dem übereinstimmenden Bezug vieler Studien auf einzelne Theorien, wie etwa das Drei-Ebenen-Modell von Tophinke3, auf Konzepte, wie z. B. das der interaktiven Identitätsstiftung4 und das der potentiellen Nutzbarkeit „individuelle[r] Erfahrung und Erinnerung als Quelle von Sprachwandel“5, auf Methoden, wie etwa das narrative sprachbiographische Tiefeninterview, sowie auf Analyseverfahren, wie Inhaltsanalyse6 oder Gesprächs- oder Konversationsanalyse7, mittlerweile eine umfassende theoretisch-methodische Fundierung sprachbiographischen Forschens erreicht worden zu sein. Vor diesem Hintergrund ist es das Anliegen des vorliegenden Bandes, den aktuellen Stand der Sprachbiographieforschung zu reflektieren und dabei die unterschiedlichen Zugriffe zu verdeutlichen.

Der Sammelband wird durch einen einleitenden Beitrag der HerausgeberInnen eröffnet, der in Form einer ersten Zusammenschau Ausgangspunkte und Schwerpunktbildungen der Sprachbiographieforschung skizziert sowie Fragen zur Theorie und Praxis dieses aktuellen Forschungsparadigmas formuliert.

Patrick Wolf-Farré und Johanna Holzer widmen sich den theoretischen und methodischen Grundlagen der Sprachbiographieforschung, indem sie sich mit der Konstruktivität von Sprachbiographien und der Rolle der Forschenden auseinandersetzen. Dabei wird auch die Repräsentativität von Sprachbiographien reflektiert und ein sprachbiographisches Analysemodell diskutiert.

Anhand von zwei Fallbeispielen arbeiten Lara Neumann und Ingrid Schröder den Zusammenhang von Sprachbiographie und sprachbezogener Identität bei Niederdeutsch-SprecherInnen heraus und zeigen, auf welche Weise Sprachkonzepte (anhand von Sprachwissen und Sprachbewertungen) und Selbstkonzepte (anhand der individuellen Rollengestaltung und Positionierungen) interagieren und somit auch unterschiedliche Sprachfunktionen verbinden.

Der Beitrag von Tamah Sherman und Jiří Homoláč widmet sich dem Konzept der management summaries, um kollektive Auffassungen in Bezug auf Sprache sowie deren Entwicklung aufzudecken. Untersucht werden Statements englischer MuttersprachlerInnen, die seit den 1990er Jahren in Tschechien leben, deren Sprachmanagement, sowie die Form und die Bedeutung der summaries als Datenquelle.

Kristin Bührig und Romy Mittag nutzen Daten aus einem Forschungsprojekt zu postmigrantischen Familienkulturen, um anhand biographischer Interviews die Sprachwahl in verschiedenen Kontexten zu begründen und die Verbalisierungsformen der subjektiven Erinnerungen und Reflexionen des eigenen Erlebens im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang zu beschreiben.

Andreas Bieberstedt zeigt in seinem Beitrag, dass auf der Grundlage eines größeren Korpus von sprachbiographischen Interviews sowie von zusätzlichen außersprachlichen Daten lokaler Sprachwandel im Sinne einer Oral Language History genau rekonstruiert werden kann. Er fasst in seiner Studie zum einen individuelle Aussagen und Argumentationen, die in einer Mehrzahl verschiedener Interviews in ähnlicher Form geäußert werden, generalisierend zu überindividuellen Typen (Spracherwerbstypen, Sprechertypen) zusammen, die sich diachronisch verorten lassen. Zum anderen wird das laienlinguistische Wissen der Gewährspersonen über den lokalen Sprachwandel und dessen Ursachen beleuchtet.

Aus einem Vergleich von Sprachbiographien der beiden sprachlichen Großregionen Niederdeutsch und Oberdeutsch gewinnen Tillmann Pistor, Juliane Limper und Brigitte Ganswindt Erkenntnisse zum Verhältnis von Spracherwerb, Selbsteinschätzungen und sprachlichem Verhalten. In einem Mixed-Methods-Ansatz können regionale Unterschiede sowohl in den subjektiven Konzepten regionalsprachlicher Spektren sowie in der Einschätzung der dialektalen Kompetenz und der Stärke des regionalen Akzents als auch in Bezug auf den Zusammenhang von Selbsteinschätzung und Spracherwerb herausgestellt werden.

Einen Blick auf die sprachliche Umbruchsituation im Rheinland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wirft Charlotte Rein und illustriert diesen anhand von sprachbiographischen Erzählungen dreier Familien. Dabei zeigt sie, dass Kindern eine standardnahe Sprache vermittelt werden konnte, wie es als Ziel von den Eltern formuliert worden war. Bemerkenswert ist dabei, dass damit keine negative Bewertung des Dialekts verbunden wird.

Im Projekt Die Stadtsprache Hannovers wurden durch Mental Maps und Testsätze mit lokalen Sprachmerkmalen Stimuli eingesetzt, um zusätzliche Sprechanlässe über Sprache und ihre Variation zu schaffen. Stefan Ehrlich Papiernick zeigt, wie durch den Kartenstimulus die Konzeptualisierung von Sprache im Raum gefördert wird und durch den auditiven Stimulus Wissensbestände zur nicht mehr alltäglich präsenten städtischen Umgangssprache aktiviert und Reflexionen über die eigene sprachliche Identität ausgelöst werden.

Mit der Betrachtung von Sprache und Biographie in Familien mit gehörlosen Elternpaaren widmet sich Lea-Marie Kenzler einem bisher nur sehr wenig bearbeiteten Forschungsgebiet. Untersucht wird in ihrem Promotionsprojekt, wie hörende Kinder gehörloser Eltern, die in einem bimodal-bilingualen Setting aufwachsen, ihre soziale und sprachliche Situation zwischen der gehörlosen und hörenden Lebenswelt rekonstruieren. Besonders relevant sind die Geschwisterkonstellationen in diesen Familien. Das Vorhandensein von Geschwistern und die Geschwisterpositionen haben Einfluss auf die laut- und gebärdensprachlichen Fähigkeiten von hörenden Kindern gehörloser Eltern und sind maßgeblich für ihre kommunikativen Rollen in der Familie.

Im abschließenden Beitrag dieses Bandes öffnet Marek Nekula das Feld der Historischen Soziolinguistik und diskutiert anhand der Korrespondenz und der Tagebücher von Bedřich (Friedrich) Smetana, welche Validität den Narrativen in verschriftlichten Ego-Dokumenten zukommt, vor allem im Hinblick auf die Zuordnung zur Lebens-, Subjekt- und Textrealität. Er zeigt exemplarisch, dass sich der sprachbiographische Forschungsansatz unter bestimmten Bedingungen auch auf historische Zeitstufen ausweiten lässt. Mit diesem Bezug auf historische Sprachbiographien wird das Feld der Forschung abgerundet.

Der vorliegende Band wirft ein Schlaglicht auf die aktuelle Sprachbiographieforschung und zeigt die thematische und methodische Vielfalt, die sich in diesem Forschungsparadigma entwickelt hat. Wir danken den TeilnehmerInnen des Workshops für ihre engagierten und produktiven Diskussionsbeiträge, die nun in diesem Band ihren schriftlichen Niederschlag gefunden haben. Weiterer Dank gilt dem Institut für Germanistik der Universität Rostock, insbesondere Hanna Fischer und Marit Bolduan, für die Unterstützung bei den redaktionellen Arbeiten. Redaktionell unterstützt hat uns ebenso Sophie von Pander von der Universität Hamburg. Die parallele Veröffentlichung dieses Sammelbandes als Open Access wurde durch die finanzielle Unterstützung durch den Open-Access-Fonds der Universität Hamburg ermöglicht. Und schließlich möchten wir uns bei den HerausgeberInnen der Reihe „Sprache in der Gesellschaft“ und dem Peter-Lang-Verlag für die vertrauensvolle und effektive Zusammenarbeit bedanken.

Literaturverzeichnis

  • Bieberstedt, Andreas: Lebenslauf und Sprachbiographie: Versuch einer sprachbiographischen Modellbildung aus dialektologischer Perspektive. In: Schröder, Ingrid/Jürgens, Carolin (Hrsg.): Sprachliche Variation in autobiographischen Interviews: Theoretische und methodische Zugänge (Sprache in der Gesellschaft; 35). Frankfurt a. M. [u. a.] 2017, S. 47–80.
  • Ehlers, Klaas-Hinrich: Geschichte der mecklenburgischen Regionalsprache seit dem Zweiten Weltkrieg. Teil 1: Sprachsystemgeschichte (Regionalsprache und regionale Kultur. Mecklenburg-Vorpommern im ostniederdeutschen Kontext; 3). Berlin [u. a.] 2018.
  • Ehlers, Klaas-Hinrich: Geschichte der mecklenburgischen Regionalsprache seit dem Zweiten Weltkrieg. Teil 2: Sprachgebrauch und Sprachwahrnehmung (Regionalsprache und regionale Kultur. Mecklenburg-Vorpommern im ostniederdeutschen Kontext; 5). Berlin [u. a.] 2022.
  • Fix, Ulla: Das Generationengedächtnis und der Sprachwandel. Sprachbiographisches Erinnern als Methode zum Erfassen von Sprachgebrauchswandel. In: Lerchner, Gotthard (Hrsg.): Chronologische, areale und situative Varietäten des Deutschen in der Sprachhistoriographie. Festschrift für Rudolf Große (Leipziger Arbeiten zur Sprach- und Kommunikationsgeschichte; 2). Frankfurt a. M. 1995, S. 31–38.
  • Jürgens, Carolin: Niederdeutsch im Wandel. Sprachgebrauchswandel und Sprachwahrnehmung in Hamburg (Deutsche Dialektgeographie; 119). Hildesheim/Zürich/New York 2015.
  • König, Katharina: Spracheinstellungen und Identitätskonstruktion. Eine gesprächsanalytische Untersuchung sprachbiographischer Interviews mit Deutsch-Vietnamesen (Empirische Linguistik; 2). Berlin 2014.
  • Schröder, Ingrid/Jürgens, Carolin (Hrsg.): Sprachliche Variation in autobiographischen Interviews. Theoretische und methodische Zugänge (Sprache in der Gesellschaft; 35). Frankfurt a. M. [u. a.] 2017.
  • Schröder, Ingrid: Sprachbiografie und Spracheinstellung. Niederdeutsch als Mittel der Identitätsstiftung in der Großstadt? In: Eichinger, Ludwig M./Plewnia, Albrecht (Hrsg.): Neues vom heutigen Deutsch. Empirisch – methodisch – theoretisch (Jahrbuch des Instituts für Deutsche Sprache 2018). Berlin [u. a.] 2019, S. 99–120. [DOI: https://doi.org/10.1515/9783110622591-006; Online Ressource: https://d-nb.info/1214445446/34 (Stand: 18.10.2024)]
  • Tophinke, Doris: Lebensgeschichte und Sprache. Zum Konzept der Sprachbiographie aus linguistischer Sicht. In: Adamzik, Kirsten/Roos, Eva (Hrsg.): Biografie linguistiche – Biographies langagières – Biografias linguisticas – Sprachbiographien (Bulletin VALS-ALSA: Bulletin suisse de linguistique appliquée; 76). Neuchâtel 2002, S. 1–14.

Andreas Bieberstedt/Klaas-Hinrich Ehlers/Lea-Marie Kenzler/Ingrid Schröder Sprachbiographieforschung: Fragen zu einem aktuellen Forschungsparadigma

Abstract: This article provides an overview of current issues in language biography research and critically reflects on the achievements in this field. Due to their constructiveness and narrativity, language biographies impose methodological limits on linguistic research, but also have a special value as a source because of their subjectivity. It will be discussed where new fields of application and methodological extensions are possible.

Based on a brief overview of the research, the article reflects on fundamental fields of work, challenges and perspectives of research and takes a constructive look at the methodological and practical research problems of this approach. References to relevant language biography studies and case studies from the authors’ research practice are used to illustrate the fields of action of language biography research.

Details

Seiten
404
ISBN (PDF)
9783631933510
ISBN (ePUB)
9783631933527
ISBN (Hardcover)
9783631933503
DOI
10.3726/b22817
Open Access
CC-BY
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2025 (Juni)
Schlagworte
Minderheitensprachen Gebärdensprachen Linguistische Methoden Sprachwandel Interview Narration Spracherwerb Kognition qualitative Forschung Soziolinguistik Oral History Dialekt Regionalsprachen Mehrsprachigkeit Migration Sprachbiographie
Erschienen
Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, New York, Oxford, 2025. 404 S., 1 farb. Abb., 17 s/w Abb., 15 Tab.
Produktsicherheit
Peter Lang Group AG

Biographische Angaben

Andreas Bieberstedt (Band-Herausgeber:in) Klaas-Hinrich Ehlers (Band-Herausgeber:in) Lea-Marie Kenzler (Band-Herausgeber:in) Ingrid Schröder (Band-Herausgeber:in)

Andreas Bieberstedt ist Professor für niederdeutsche Sprache und Literatur an der Universität Rostock. Klaas-Hinrich Ehlers ist Privatdozent für germanistische Sprachwissenschaft. Er forscht in der Arbeitsstelle „Niederdeutsch in Mecklenburg-Vorpommern" an der Universität Rostock. Lea-Marie Kenzler ist Doktorandin am Institut für Germanistik an der Universität Rostock. Ingrid Schröder ist Professorin für Niederdeutsch und Linguistik des Deutschen an der Universität Hamburg.

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Titel: Sprachbiographieforschung