Interpretationskulturen
Literaturdidaktik und Literaturwissenschaft im Dialog über Theorie und Praxis des Interpretierens
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- Reflexion der Tagung „Interpretationskulturen“
- Die Tagung aus literaturdidaktischer Beobachterperspektive
- Zur Einführung
- Interpretationskulturen: Überlegungen zum Verhältnis von theoretischen und praktischen Problemen in Literaturwissenschaft und Literaturunterricht
- Hermeneutischer Zirkel reloaded: Perspektiven der Problemlöseforschung auf die Frage der Modellierung und Vermittelbarkeit von Interpretationsprozessen
- Literaturwissenschaftliche Perspektiven auf Interpretationskulturen
- Deskription und Interpretation. Handlungstheoretische und praxeologische Reflexionen zu einer grundlegenden Unterscheidung
- Theoriereflexion als Forschungsdesiderat: Versuch einer Systematik von Lesertheorien
- Interpretationen, wie sie im Lehrbuch stehen. Zum Stellenwert von literaturwissenschaftlichen Modellinterpretationen in der Lehr- und Fachkultur der Germanistik
- Wie lernt man, was geht? Konstitutive und regulative Regeln in Interpretationsgemeinschaften
- Literaturdidaktische Perspektiven auf Interpretationskulturen
- Zur spezifischen Rahmung des Interpretierens in der Schule: Willkommen und Abschied als Unterrichtsgegenstand in der Mittelstufe185
- Literarische Interpretations- und Kommunikationskulturen im Blick empirischer Forschung
- Expressive und appellative Emotionalität als Aspekt wertschätzenden Interpretierens
- Die Stimmung ermitteln – Didaktisches Potential eines wiederentdeckten ästhetischen Begriffs für die Vermittlung zwischen subjektiver Textbegegnung und strukturaler Textbeschreibung
- Implizite literaturtheoretische Annahmen und Verfahrensweisen in Lernaufgaben zur Analyse und Interpretation in einem Lehrwerk für den Deutschunterricht in der gymnasialen Oberstufe
- Über einen Versuch, das Interpretieren zu lehren. Untersuchung eines Lehrgangs für die gymnasiale Oberstufe
- Verzeichnis der Beiträgerinnen und Beiträger
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Das Interpretieren literarischer Texte gehört zum Kerngeschäft sowohl der Literaturwissenschaft als auch des Literaturunterrichts. Gleichwohl finden sich bisher kaum Ansätze zur gemeinsamen Reflexion von Praktiken, theoretischen Modellierungen und Normen in den jeweiligen Praxisfeldern. Die entsprechenden Diskurse in Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik, so sie denn überhaupt stattfinden, berühren sich kaum. Dies ist vor allem hinsichtlich der gemeinsamen Aufgaben im Rahmen der Lehramtsausbildung als ein großes Manko zu betrachten.
Im literaturwissenschaftlichen Diskurs haben methodologische Fragen im Kontext der Interpretation derzeit Konjunktur. Das Spektrum der diskutierten Aspekte ist dabei äußerst breit und reicht von praxeologischen Fragestellungen über die Kategorisierung von Interpretationshandlungen und -begriffen bis zu Versuchen der Formulierung von Analysekriterien (z. B. Kindt/Köppe 2008, Zabka 2008, Bunia 2011, Sittig/Standke 2013, Albrecht et al. 2015).
In der Literaturdidaktik hingegen haben sich die Fragen und Perspektiven sehr gewandelt: Ende der 1990er Jahre wurde vor allem diskutiert, welche Konsequenzen für den Literaturunterricht aus den theoretischen Annahmen des Konstruktivismus und des reader response criticism zu ziehen seien. Der Versuch, das Verhältnis von subjektiven und objektiven Bedeutungen bzw. Bedeutungszuweisungen und die Rolle der Interpretationsgemeinschaft näher zu bestimmen, bildete hier einen Fokus der Debatte. Durch die zunehmend empirische Ausrichtung der Literaturdidaktik in den letzten fünfzehn Jahren und durch die aus den PISA-Ergebnissen resultierenden Bemühungen, literarisches Verstehen überprüfbar bzw. testbar zu machen, ergaben sich neue Perspektiven auf Interpretationsprozesse. Insbesondere die Rezeption von kognitionspsychologischen Studien zum Leseprozess, aber auch die Auseinandersetzung mit Umberto Ecos Überlegungen zur Falsifizierbarkeit von Interpretationen sind hier als zentrale Momente des Diskurses auszumachen (z. B. Grzesik 2005, Frederking 2010, Pieper/Wieser 2012).
Trotz der unterschiedlichen Ausrichtung der literaturwissenschaftlichen und literaturdidaktischen Diskurse drängen sich sehr ähnliche Kernfragen auf und eine Annäherung erscheint so konstruktiv wie dringlich, da sich die Perspektiven fruchtbar ergänzen: Welche Ziele und Funktionen hat das Interpretieren bzw. welche soll es in den jeweiligen Praxisfeldern haben? Welche Teilprozesse lassen sich im Rahmen von Interpretationshandlungen differenzieren? Wie wird das Verhältnis von Theorien und Methoden reflektiert? Dringlich erscheint auch die Frage, inwieweit sich Interpretationsprozesse und -produkte rationalisieren lassen und ob daraus Vermittlungsprobleme für den schulischen Literaturunterricht ← 7 | 8 → und das universitäre Seminar erwachsen. Und schließlich: Stellt die Praxeologie für die aufgeworfenen Fragen einen geeigneten Forschungszugang dar?
An diesen Punkten setzte die Tagung Interpretationskulturen: Literaturdidaktik und Literaturwissenschaft im Dialog über Theorie und Praxis des Interpretierens an, die am 3. und 4. April 2014 in Berlin stattfand. Die gemeinsamen Fragen wurden aus literaturwissenschaftlicher und literaturdidaktischer Perspektive diskutiert und systematisch entfaltet. Im vorliegenden Band sind diese Tagungsbeiträge nun versammelt.
Berlin/Dresden, Februar 2015
Marie Lessing-Sattari, Maike Löhden, Almuth Meissner und Dorothee Wieser
Literatur
Albrecht, Andrea/Danneberg, Lutz/Krämer, Olav/Spoerhase, Carlos (Hrsg.) (2015): Theorien, Methoden und Praktiken des Interpretierens. Berlin, New York: de Gruyter.
Bunia, Remigius (2011): Das Handwerk in der Theoriebildung. Zu Hermeneutik und Philologie. In: Journal of Literary Theory 5 (2), 149-162.
Frederking, Volker (2010): Modellierung literarischer Rezeptionskompetenz. In: Kämper-van den Boogaart, Michael/Spinner, Kaspar H. (Hrsg.): Lese- und Literaturunterricht. Teil 1: Geschichte und Entwicklung, konzeptionelle und empirische Grundlagen. 3 Bände. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren (1), 324-380.
Grzesik, Jürgen (2005): Texte verstehen lernen. Neurobiologie und Psychologie der Entwicklung von Lesekompetenzen durch den Erwerb von textverstehenden Operationen. Münster, New York: Waxmann.
Kindt, Tom/Köppe, Tilmann (Hrsg.) (2008): Moderne Interpretationstheorien. Ein Reader. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Pieper, Irene/Wieser, Dorothee (Hrsg.) (2012): Fachliches Wissen und literarisches Verstehen. Studien zu einer brisanten Relation. Frankfurt am Main: Peter Lang.
Sittig, Claudius/Standke, Jan (Hrsg.) (2013): Literaturwissenschaftliche Lehrbuchkultur. Zur Geschichte und Gegenwart germanistischer Bildungsmedien. Würzburg: Königshausen & Neumann.
Zabka, Thomas (2008): Interpretationsverhältnisse entfalten. Vorschläge zur Analyse und Kritik literaturwissenschaftlicher Bedeutungszuweisungen. In: Journal of Literary Theory 2 (1), 51-69.
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Reflexion der Tagung „Interpretationskulturen“
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Die Tagung aus literaturdidaktischer Beobachterperspektive
Abstract
Der folgende Tagungsrückblick versucht, die einzelnen Vorträge miteinander in Beziehung zu setzen und dabei die wechselseitigen Kontrastierungen der literaturwissenschaftlichen und literaturdidaktischen Perspektiven auf das Phänomen der Interpretation fruchtbar zu machen. In diesem Zusammenhang sollen aber auch strittige und offene Fragen zu Interpretationsprozessen und -produkten, insbesondere im Literaturunterricht, markiert werden.
The following conference review attempts to relate the individual lectures to one another and so allow the various perspectives of the fields of literary studies and literary education to illuminate one another. Controversial and open questions about both the processes of interpretation and their results – in particular in the teaching of literature – are indicated.
Die Tagung verdankt sich einer literaturdidaktischen Initiative: Die Herausgeberinnen des vorliegenden Sammelbandes haben Vertreterinnen und Vertreter zweier Disziplinen versammelt, die trotz des gemeinsamen Interesses an der Literatur und je spezifischer Verantwortung für den schulischen Literaturunterricht eher nebeneinander existieren als wissenschaftlich kooperieren.
Die mangelnde Kooperation ist sowohl institutionell – Schule und Unterricht stehen nicht im Fokus literaturwissenschaftlichen Interesses – als auch in Besonderheiten der jeweiligen wissenschaftlichen Disziplin begründet. Lässt man die institutionell erzeugten Fremdheiten beiseite, dann rücken die unterschiedlichen Gegenstände beider Disziplinen in den Blick und als Folge daraus die unterschiedlichen Perspektiven auf Literatur und deren Interpretation.
Deshalb hat diese Rückschau auf die Tagung und ihre Vorträge ein doppeltes Ziel.1 Es geht zum einen darum, die literaturdidaktischen Vorträge auf aktuelle fachdidaktische Problemfelder zu beziehen und Diskussionsbedarf anzuzeigen. Zum anderen wird aus literaturdidaktischer Perspektive geprüft, welches Licht die literaturwissenschaftlichen Vorträge auf die didaktischen Problemfelder werfen und was daraus für deren Bearbeitung zu gewinnen ist. Die folgende ← 11 | 12 → Retrospektive erkundet also aus – notwendig subjektiver – didaktischer Sicht, inwieweit die Tagung aktuelle literaturdidaktische Debatten und Fragestellungen berührt und ggf. weitergeführt hat.
Nimmt man die grundlegende Differenz von Interpretationsprozess und Interpretationsprodukt, die Marie Lessing-Sattari und Dorothee Wieser in ihrem Eröffnungsvortrag profiliert haben, dann zeigt der Rückblick auf die Vorträge, dass die Tagung vor allem durch die Reflexion von Interpretationsprozessen bestimmt war. Auf Interpretationen als Produkt bezogen sich nur zwei der zehn Vorträge. Gar nicht vertreten waren von Schülerinnen und Schülern erstellte Interpretationsprodukte. Folglich beschränkt sich die Kommentierung der produktbezogenen Beiträge auf wenige Seiten, während die Reflexion der prozessbezogenen Vorträge den Hauptteil dieser Rückschau ausmacht. Sie wird gerahmt durch die Kommentierung zweier Beiträge, die zwei polare literaturdidaktische Positionen markieren: zum einen die von Jörn Brüggemann und Volker Frederking vertretene Ausrichtung auf quantitativ-empirische Studien, zum anderen das von Kaspar H. Spinner beförderte Projekt ästhetischer Erziehung.
Vor dem Hintergrund der institutionellen und fachkulturellen Unterschiede der beiden Disziplinen beginnt die Rückschau deshalb mit der Reflexion der von Jörn Brüggemann und Volker Frederking vorgestellten quantitativ-empirischen Studie.
Mit der Kommentierung der Vorträge von Irene Pieper, Maike Löhden und Almuth Meissner sowie von Thomas Zabka wird ein weiteres literaturdidaktisches Problemfeld betreten: Es geht um das spannungsreiche Verhältnis von Unterrichtspraxis, literaturwissenschaftlichem und literaturdidaktischem Theoriewissen. Alle drei Vorträge boten nicht nur eine kritische Analyse schulischer Texterschließungsprozesse, sei es in Form der Rekonstruktion von Literaturunterricht, sei es in Form von Materialanalysen2, sie diagnostizierten auch Gefahren: die Suspendierung des Gegenstands (im Vortrag von Irene Pieper), die Suspendierung der Erlebnisqualität literarischer Texte (im Vortrag von Maike Löhden und Almuth Meissner) sowie die Suspendierung der Besonderheit der Einzeltexte als Konsequenz aus dem Erwerb übertragbarer Kompetenzen (im Vortrag von Thomas Zabka).
Im nächsten Schritt werden vier literaturwissenschaftliche Vorträge daraufhin befragt, welche Anstöße sie angesichts der in den didaktischen Vorträgen ← 12 | 13 → diagnostizierten Suspendierungen geben können. Hinsichtlich der „Nichtgeltung des Gegenstands“ kann Tom Kindts Trennung von Deskription und Interpretation dazu anregen, für Schülerinnen und Schüler realisierbare Modelle zur Wahrnehmung des literarischen Gegenstands zu entwickeln. Um im Literaturunterricht die Erlebnisqualität literarischer Texte zu entfalten, ist Ralf Klausnitzers Frage, wann Schluss mit dem Interpretieren sei, ebenso zielführend wie erfrischend. Auch wenn alle vier Vorträge geeignet sind, die Entwicklung literaturtheoretischer Bewusstheit anzustoßen, so sind doch zwei Impulse besonders hervorzuheben: zum einen Andrea Polascheggs Plädoyer für Linearität, das Anerkennung dessen verspricht, was Schülerinnen und Schüler bereits leisten, zum anderen – als Gewinn aus Marcus Willands Typologie von Lesermodellen – die Reflexion auf den realen Leser bzw. die reale Leserin als Einstieg in literaturtheoretische Zusammenhänge.
Am Ende der Rückschau stehen die beiden auf Interpretationsprodukte gerichteten Vorträge. Sowohl in Claudius Sittig literaturwissenschaftlicher Reflexion von Modellinterpretationen als auch in Kaspar H. Spinners didaktischer Analyse der Einzelinterpretation eines Literaturwissenschaftlers ging es um die Frage, was sich aus Interpretationsprodukten lernen lässt. Darüber hinaus lassen die beiden Vorträge Schlussfolgerungen zu, die sich auf unterschiedliche Lehrkulturen in Schule und Universität beziehen und auf die Möglichkeit, auch hier voneinander zu lernen.
Zwei Disziplinen – zwei Institutionen
Institutionell haben wir es mit Schule und Universität zu tun. Als Wissenschaften sind Literaturdidaktik und Literaturwissenschaft beide an den Universitäten und Hochschulen angesiedelt. Die Institution Schule kommt ins Spiel, weil der schulische Literaturunterricht Gegenstand und Zielgröße wissenschaftlicher Literaturdidaktik ist. Wissenschaftliche Literaturdidaktik beschäftigt sich mit Interpretation und Interpretationskulturen im Unterricht. Wenn Literaturdidaktiker literarische Texte interpretieren, dann tun sie es in Bezug auf eine bestimmte Zielgruppe: für Schülerinnen und Schüler eines bestimmten Jahrgangs. Das tun aber Lehrende im Literaturunterricht auch, es handelt sich also nicht um ein distinktes Merkmal wissenschaftlicher literaturdidaktischer Tätigkeit. Näher an diesem Anspruch ist die Sichtung literaturwissenschaftlicher Interpretationstheorien im Hinblick auf ihre Eignung für den Unterricht. Wissenschaftliche Literaturdidaktiker interpretieren vor allem Lehr- und Lernangebote, Unterrichtsmaterial sowie beobachteten Unterricht. Es bleibt also die Frage, ob und ggf. in welcher Weise die Interpretation literarischer Texte zu Aufgaben wissenschaftlicher Deutschdidaktik ← 13 | 14 → gehört: Man könnte für die Literaturdidaktik die Formel „Interpretation des Interpretierens“ oder „Verstehen des Verstehens“ prägen. Geht man davon aus, wird deutlich, dass die Objekte des Interpretierens oder Verstehens, die literarischen Texte, in dieser spezifischen, indirekten Perspektive für den Literaturdidaktiker bzw. die Literaturdidaktikerin in den Blick kommen.
Anders verhält es sich in der Literaturwissenschaft. Interpretation von Literatur bzw. der reflexive Umgang mit ihr ist ihr Kerngeschäft. Sie tut dies theoriegeleitet im Kontext aktuellen Erkenntnisinteresses. Die akademische Lehre ist dem nachgeordnet. Die Frage, wie Literaturstudierende zu kompetenten Interpretinnen und Interpreten werden, d. h. auch die beste Expertise erwerben, beschäftigt die Literaturwissenschaft allenfalls am Rande.
Die beiden Disziplinen haben also unterschiedliche (Erkenntnis-)Gegenstände und folglich unterschiedliche Perspektiven auf Interpretation. Das gilt sowohl für den Prozess des Interpretierens als auch für dessen Produkt, die Interpretation: Literaturdidaktik ist mit den Prozessen im Literaturunterricht und den dort entstandenen bzw. genutzten Produkten des Interpretierens befasst. Literaturwissenschaft dagegen gibt sich selbst Regeln des Interpretierens und interpretiert im Kontext distinkter Interpretationsgemeinschaften.
Interpretationshandlungen und ihre Ergebnisse – Interpretationsprozesse und Interpretationsprodukte
Theorie und Empirie
Bereits im Kontext der Differenz von Interpretationsprozess und Interpretationsprodukt ist der spezifische Charakter des Vortrags von Jörn Brüggemann und Volker Frederking hervorzuheben. Das Interesse der beiden Forscher war weder auf Prozesse noch auf Produkte des Interpretierens gerichtet, sondern auf eine spezifische mentale Disposition zum Interpretieren, also auf eine (Teil-)Kompetenz des bzw. der Lesenden. Im vorliegenden Fall ging es darum, „welche Typen literarisch kodierter Emotionen empirisch voneinander abgegrenzt werden können“ und „ob die Fähigkeit zum Erfassen von literarisch kodierten Emotionen eine Teildimension literarischer Verstehenskompetenz darstellt.“3
Folglich hat dieser Vortrag Alleinstellungscharakter: Er liegt quer zu allen anderen Vorträgen. Das gilt nicht nur für den Untersuchungsgegenstand und für das Untersuchungsinteresse, sondern auch für die quantitativ-empirische ← 14 | 15 → Methode.4 Die damit verbundene Testpraxis zielt auf die präzise Erfassung und Messung von Teilkompetenzen. Dabei werden nicht nur die Fragestellungen, sondern auch die Teilkompetenzen so stark partialisiert, dass fraglich erscheint, ob die Lösungsprozeduren noch als Interpretationsprozess zu bezeichnen sind (Frederking/Brüggemann 2012).
Damit hat die Tagung nicht nur Einblicke in das Problemfeld empirischer literaturdidaktischer Forschung eröffnet, sondern auch vorgeführt, dass das Verhältnis von Theorie und Empirie in der Literaturdidaktik eine qualifizierte Debatte braucht. Zukunftsweisend erscheint in diesem Zusammenhang die Frage, in welcher Weise „Evidenzorientierung“ und die „hermeneutisch-theoretische Ausrichtung“ „komplementäre Bestandteile im disziplinären Selbstverständnis der Deutschdidaktik sein“ (Frederking 2014: 116) können.
Im Spannungsfeld von Interpretationsprozess und -produkt ist darüber hinaus zu fragen, ob die Beantwortung der einzelnen Testitems, die eine von Jörn Brüggemann und Volker Frederking vorgestellte Facette des LUK-Programms5 bilden, als Interpretationsprodukte zu bezeichnen sind. Ist das Ankreuzen eines Antwortangebots ein Interpretationsprodukt? Welche Prozesse liegen diesem Resultat zugrunde bzw. gehen ihm voraus? Aus welchen Teilhandlungen besteht dieser Interpretationsprozess?
Interpretationsprozesse im Literaturunterricht aus literaturdidaktischer Sicht
Aus literaturdidaktischer Perspektive ist die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der Praxis des Literaturunterrichts einerseits und dem theoriebezogenen Wissen andererseits zentral. Das gilt primär für literaturwissenschaftliche Expertise, aber auch für unterrichtsrelevantes Wissen aus Pädagogik und Psychologie, den sogenannten Bezugswissenschaften. Wir wissen zwar wenig darüber, wie viel von der im Studium angebotenen Theorie in die Unterrichtspraxis eingeht und wie theoriegeleitet die Praxis des Literaturunterrichts tatsächlich ist, aber wir wissen, dass literaturdidaktische Theorie die Praxis des Literaturunterrichts braucht und in einer engen Wechselbeziehung zu ihr steht. In diesem Spannungsfeld lassen sich die in den didaktischen Vorträgen gestellten Diagnosen auf die Problembereiche „Prozess und Produkt“, „Subjektivität und Objektivität“, „Stoff bzw. Einzeltext und Kompetenz“ beziehen. ← 15 | 16 →
Details
- Seiten
- 342
- Erscheinungsjahr
- 2015
- ISBN (PDF)
- 9783653045482
- ISBN (MOBI)
- 9783653983012
- ISBN (ePUB)
- 9783653983029
- ISBN (Hardcover)
- 9783631653517
- DOI
- 10.3726/978-3-653-04548-2
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Mai)
- Schlagworte
- Interpretation Literaturwissenschaft Praxeologie Literaturunterricht
- Erschienen
- Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 342 S., 3 Graf.